Lesezeichen
 

Lieber Reinhard Mey,

© Jörg Carstensen/ dpa

wir sind zusammen älter geworden: 1970, mit dreizehn, hörte ich zum ersten Mal Deine Chansons. Kürzlich ist Deine neue CD Mairegen erschienen. Klasse! Wieder einmal lässt Du Deine Fans ganz nah an Dich heran. Bei einem Deiner nächsten Konzerte werde ich dieses Mal in der ersten Reihe sitzen.

Danke für die vielen emotionalen Momente, die Du mir über all die Jahre geschenkt hast.

Claudia von Egan-Krieger, Pforzheim. Mairegen ist bei Odeon erschienen

 

Meeresrauschen, Vogelgezwitscher: endlich wieder hören

© joexx / photocase.com

1986 ertaubte ich infolge von mehreren Hörstürzen völlig. Mit der Zeit akzeptierte ich mein Schicksal und richtete mein Leben mit meiner Taubheit ein, so auch, indem ich u.a. die Lautsprachbegleitenden Gebärden erlernte.
Dank der stetigen medizinischen technischen Fortentwicklung habe ich mich 1995 dazu entschlossen, trotz großer persönlicher Vorbehalte ein sog. Cochlear-Implant (CI) in die linke Hörschnecke einsetzen lassen. Weil ich wusste, dass 22 Elektroden, die eine Tonfrequenz von ganz hoch bis ganz tief ermöglichen sollen, kaum das normale Gehör wieder geben können, hielt ich meine Erwartungslatte besonders tief.

Dennoch war ich nach der ersten Hör- und Sprachanpassung mit einem externen Zusatzgerät überwältigt: Ich konnte nicht nur meine eigene Stimme wieder hören, sondern es war mir, als würde mir eine Käseglocke abgenommen werden: Der erste Spaziergang mit dem neuen Gerät auf dem Klinikgelände vermittelte mir ein völlig neues und doch irgendwie vertrautes Lebensgefühl: Vogelgezwitscher, Gesprächsfetzen von Menschen, Fußgetrappel auf der Straße, Zuschlagen von Autotüren. Besonders überwältigt war ich, als ich nach der Entlassung aus der Klinik ans Meer gefahren war und die Brandung hörte und es war herrlich, die Musik aus der Zeit vor meiner Ertaubung im Radio wieder zu erkennen!

Die Bilder, die ich bisher nur gesehen hatte, wurden jetzt durch Geräusche, Stimmen und Musik wesentlich bunter, da sie Emotionen auslösten und heute noch immer wieder auslösen. Durch das Wiederhören wurde ich auch wieder selbstständiger, so konnte ich z.B. wieder selbst telefonieren. Und ohne mein CI könnte ich meinen Beruf heute nicht ausüben. Auch wenn die Operation schon mittlerweile über 16 Jahre zurück liegt: Ich bin mir jeden Tag bewusst, was für einen Riesengewinn an Lebensqualität ich durch das CI gewonnen habe.

Verena Fink, Rendsburg

 

Die Wunden sind verheilt

Dresden ist meine Geburtsstadt. Nahebei, in Dippoldiswalde, habe ich die Kindheit verlebt. Im Februar 1945, ich war achteinhalb, sah man von da aus den roten Feuerschein, nächtelang. Dort brannte auch die Frauenkirche. Nach dem Mauerfall entsprach die Idee, die Kirche wieder aufzubauen, so gar nicht unserer Vorstellung. Die Ruine sollte ein Mahnmal bleiben, wie sie es fünf Jahrzehnte lang gewesen war. Inzwischen haben wir die neue alte Frauenkirche längst für uns angenommen. Die Spuren der Zerstörung wurden mit Originalsteinen deutlich gemacht, im Innern steht das zerschundene alte Turmkreuz. Die Frauenkirche zeigt Narben des Infernos, doch die Wunden sind verheilt.

Klaus Eichentopf, Zwickau

 

Verbündete, nicht Kollegen

Jeden Tag diese kleinen Begegnungen im angegammelten Lehrerzimmer eines Augsburger Gymnasiums: Nonsensgespräche am Kopierer, Kaffeeklönereien in der Küche, Klassleiter-Austausch zwischen Tür und Angel, Kolleginnen-Freundinnen-Gespräche über Mann und Kind… Wir wissen: Wir sind mehr als bloß Kollegen in einem anstrengenden Beruf. Wir sind Verbündete und können nur gemeinsam etwas erreichen – und mit einem Schmunzeln im Gesicht.

Stefanie Eckes, Augsburg

 

Geographie des weiblichen Körpers

Vor Kurzem erschien Naturwissenschaft, das neue Buch der amerikanischen Wissenschaftsjournalistin Natalie Angier. Da erinnerte ich mich an ihr erstes Buch, das seit zehn Jahren, nur zum Teil gelesen, in meiner Bibliothek steht. Nun lese ich abwechselnd im neuen und im alten Buch, das schlicht Frau heißt. Untertitel: Eine intime Geographie des weiblichen Körpers. Was für ein Vergnügen, Angiers ebenso fundierten wie humorvollen Beschreibungen zu folgen, Neues zu lernen über Wahrscheinlichkeiten und Himmelsgeschöpfe im einen und das Rätsel des weiblichen Chromosoms und die Muttermilch im anderen Buch und dabei der Welt, mir selbst und dem Frausein näherzukommen!


Margot Giesinger, Altach, Österreich. Die Bücher von Natalie Angier sind bei C. Bertelsmann erschienen

 

Freude für Fremde

Für unsere Hochzeit hatte eine Freundin die Kirchenbänke mit pastellblauen Blumen geschmückt. Wundervoll! Als wir am nächsten Tag unsere gemeinsame Wohnung mit den Blumen verschönern wollten, waren sie verschwunden. Viel später erfuhren wir, dass ein Gast die Blumen mitgenommen hatte. Auf dem Weg zur U-Bahn hat er einer alten Frau einen kleinen Strauß davon geschenkt. Und weil sich die so freute, wurden auch alle weiteren Blumen an fremde Menschen verteilt. So ist unsere Hochzeitsfreude weiterverschenkt worden: Freude für Fremde.

Dominik Steinbeißer, München

 

Wegweiser

Für mich als fast 80 Jahre alte Radfahrerin ist das die schönste Geste der Welt: eine Hand hinter der Frontscheibe eines Autos, die Handfläche nach oben, ganz ruhig. Elegant weist sie mir den Weg und gewährt mir Vorfahrt. Dazu das fast liebevolle Lächeln des Fahrers. Ja, es sind in der Tat meist Männer, oft junge. Ich lächle zurück und radle weiter, beschwingt und irgendwie beglückt.

Barbara von Bentheim, Bad Schwartau

 

Staunen für Erwachsene

Wir müssen den Kindern die Welt erklären! Dachte ich. Bis ich neulich in einer Buchhandlung am Tisch mit den Kinderbüchern stand und sich ein etwa dreijähriges Mädchen zu mir gesellte. Schweigend sah es sich die Bücher mit mir an. Dann zeigte es auf ein Bilderbuch: „Was für eine Musik ist das?“ Ich war ganz gerührt und erklärte ihm, dass das keine Musik sei, sondern ein Buch, in dem man lesen und dessen Bilder man sich ansehen könne und… Geduldig ließ mich das Mädchen ausreden, drückte mit dem Finger auf eines der bunten Bilder, und – aus dem Buch erklang ein Kinderlied!

Monika Brockmann, Coesfeld

 

Das Brot teilen

na / photocase.com

Seit fünf Wochen sind wir in Spanien unterwegs. Herrliche Natur, stimmiges Wetter, kleine Dörfer mit Bäckerladen, aber das Brot? Mehr und mehr kommt die Sehnsucht nach einem kräftigen oberschwäbischen Graubrot hoch. Endlich im Baskenland, auf dem Markt in Guernica steht ein Käseverkäufer und bietet auch Holzofenbrot an: krustig, kompakt, fast Vollkorn, jeder Laib um die eineinhalb Kilo schwer. Doch: ein halbes Brot? Nein! Ich packe meinen Käse ein und beobachte, wie ein französisches Paar das gleiche Anliegen hat – und ebenfalls keinen Erfolg beim Händler. Ich beginne, mit den Franzosen zu verhandeln. Trotz der Sprachprobleme sind wir uns schnell einig: jeder die Hälfte.

Als der Brotverkäufer begreift, was da vorgeht, zieht ein Leuchten in sein Gesicht. Er schneidet sein Brot durch und verrechnet mit jedem direkt. Ob er weiterhin nur ganze Brote verkauft? Ich würde gerne wieder hinfahren und es überprüfen, denn das Brot war köstlich!

Christine Dent, Berg bei Ravensburg

 

Stolzer Großvater

Schulschluss, 13.15 Uhr. Ich verlasse die Schule über den Nebeneingang. Auf einer Bank ein älterer Herr. Er lächelt in Erwartung vor sich hin. Ich grüße. Er grüßt zurück und erklärt: „Ich warte auf meinen Enkel!“ In seinem Gesicht spiegeln sich Freude, Stolz, Güte, Warmherzigkeit. Ein Kind, das nicht alleine ist! Ein Kind, das Geborgenheit erlebt! Ein Kind, für das gesorgt wird! Normalität? Alltäglichkeit? Leider erlebe ich oft das Gegenteil. Schön, dass es diesen Lichtblick gibt. Er erhellt mein Leben und macht mich zuversichtlich!

Ilse Hirschner, Remagen