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Rechnung für zwölf Fahrstunden

Kaum zu glauben, dass ich schon ein halbes Jahrhundert lang Auto fahre! Am 16. November 1962 absolvierte ich in meinem Studienort Oldenburg die Fahrprüfung. Das Geld dafür hatte ich mir selbst erarbeitet und konnte so meine Eltern in Hildesheim mit meinem frisch erworbenen Führerschein überraschen.

Meine erste Ausfahrt führte mich (in Vaters Wagen) über den Roten Berg in Richtung Sibbesse. Die Strecke ist wegen ihrer Kurven heute bei Motorradfahrern sehr beliebt. Ich nahm den Berg damals im ersten oder zweiten Gang, weil ich Angst hatte zu schalten. Oben angekommen, war ich völlig durchgeschwitzt. Inzwischen wohne ich mit Mann und Kindern seit vielen Jahren in Sibbesse und kann nur lächeln, wenn jemand über die Kurven stöhnt. Ich selbst fahre nämlich mittlerweile mit Automatikgetriebe …

Barbara Wutkewicz, Sibbesse, Niedersachsen

 

Die Fahrkarten in die Freiheit

Im Sommer starb unsere Mutter, und als mein Bruder und ich ihre Wohnung auflösten, stießen wir völlig verblüfft auf diese beiden Fahrkarten. Sie dokumentieren unsere Reise in die Freiheit: 1958 gab es zwar noch keine Mauer, aber es war trotzdem verboten, in den Westen auszureisen.

Mein Bruder (damals vier) und ich (knapp sieben) lebten damals mit unseren Eltern und Großeltern in Leipzig. Und plötzlich hieß es: Ihr dürft mit der Mutter eine Tante in Berlin besuchen. Große Aufregung! Ein Abenteuer! Wir wunderten uns nur, dass wir trotz enormer Hitze doppelt Unterwäsche anziehen mussten. Mit einem Kinderkoffer voller Spielzeug in die Hand ging es los. In Berlin angekommen, gingen wir ins Bahnhofsrestaurant. Plötzlich erschien mein Vater im schwarzen Anzug. (Er war mit Freunden im Auto nach West-Berlin gefahren, bewaffnet mit einer Schachtel Pralinen, »für eine Hochzeit«.) Wir Kinder waren schon ein wenig enttäuscht, denn wir wollten ja allein mit der Mutter verreisen. Eine Stunde später erschienen auch noch die Großeltern, und alle lagen sich in den Armen. Nur mein Bruder und ich waren echt sauer. Dann erfuhren wir alles: Wir würden nie mehr zurückkehren, nie mehr in unsere Wohnung, nie mehr die Spielkameraden wiedertreffen. Damals war es ein Schock für uns Kinder. Aber wir haben nie aufgehört, unseren Eltern für diesen mutigen Schritt in die geistige und geografische Freiheit dankbar zu sein.

Claudia Klode, Halstenbek, Schleswig-Holstein

 

Die Warnung

Wie einfach ist doch heute das Radiohören! Alle Sendestationen sind in bester Qualität zu empfangen. Sogar über Fernsehgeräte, über Satellit, über Kabel oder mit dem Computer. Nach dem Tod meines Vaters im Jahre 1958 habe ich ein paar Radiogeräte geerbt, und eines davon war dieses Gerät der österreichischen Firma Hornyphon vom Typ »Super Prinz«. Es stammt aus dem Jahr 1935 oder 1936, kann Lang-, Mittel- und Kurzwelle empfangen – und trägt auf dem rechten Drehknopf ein kurioses kleines Schild aus Karton: »Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit …«

Mein Gott, was waren das doch für Zeiten!

Klaus Hortner, Innsbruck

 

Hamburger Staatsangehörigkeit

In einem Lederköfferchen meiner verstorbenen Eltern fand ich eine für mich zunächst rätselhafte Urkunde. Mit dem Dokument aus dem Jahre 1927 wurde meiner in Hamburg geborenen Mutter bescheinigt, die »Staatsangehörigkeit« der Stadt erworben zu haben. Fünf Mark hat sie dafür bezahlt, ein damals nicht ganz unerheblicher Betrag. Da drängen sich Fragen auf!

Warum »Staatsangehörigkeit in der freien und Hansestadt Hamburg«? Warum nicht »deutsche Staatsangehörigkeit«? Und warum hatte sie diese nicht von Geburt an? Des Rätsels Lösung: Mutter war 1906 als uneheliches Kind auf die Welt gekommen. Nicht eheliche Kinder bekamen aber erst ab 1914 automatisch die Staatsangehörigkeit ihrer Mutter. Und eine einheitliche deutsche Staatsbürgerschaft gab es erst 1934!

Günther Feller, Adendorf, Niedersachsen

 

Wiedergefunden

Wegen der Einberufung zum Afrikafeldzug hat mein Vater 1942 sein Studium an der Staatsbauschule in Aachen unfreiwillig unterbrochen. Nach der Kapitulation folgten noch drei Jahre Kriegsgefangenschaft, zuletzt als Dolmetscher in einem Lager für Offiziere im Hohen Atlas in Marokko. Als mein Vater vor kurzem fast 92jährig starb, schrieb der Direktor seines langjährigen Arbeitgebers in seinem einfühlsamen Kondolenzbrief auch über dessen für die Kriegsjahre typischen unorthodoxen Ausbildungsweg: mit einem »zweisemestrigen Aufbaulehrgang in Bautechnik« nebst Abschlussprüfung, organisiert von Offizieren im Lager Ouarzazate. Zur Vervollständigung unserer Familienchronik stellte mir das Unternehmen die 67 Jahre alte »Teilnahme-Bescheinigung« zur Verfügung.

Armin Homburg, Raeren, Belgien

 

Wiedergefunden: Zeugnis aus dem Lager

Wegen der Einberufung zum Afrikafeldzug hat mein Vater 1942 sein Studium an der Staats- bauschule in Aachen unfreiwillig unterbrochen. Nach der Kapitulation folgten noch drei Jahre Kriegsgefangenschaft, zuletzt als Dolmetscher in einem Lager für Offiziere im Hohen Atlas in Marokko. Als mein Vater vor kurzem fast 92jährig starb, schrieb der Direktor seines langjährigen Arbeitgebers in seinem einfühlsamen Kondolenzbrief auch über dessen für die Kriegsjahre typischen unorthodoxen Ausbildungsweg: mit einem »zweisemestrigen Aufbaulehrgang in Bautechnik« nebst Abschlussprüfung, organisiert von Offizieren im Lager Ouarzazate. Zur Vervollständigung unserer Familienchronik stellte mir das Unternehmen die 67 Jahre alte »Teilnahme-Bescheinigung« zur Verfügung.

Armin Homburg, Raeren, Belgien

 

Das Poesiealbum

Im Jahr 1990 hatte ich mir diese Seite aus dem Poesiealbum einer Schülerin kopiert, und heute erinnert mich der Eintrag an meine Zeit als Lehrerin in einem Dorf bei Baden-Baden und an dieses liebenswerte Kind. Hande hatte es nicht leicht, als Türkin und Tochter einer alleinerziehenden Mutter. In dieser ländlichen Umgebung war die Welt scheinbar »noch in Ordnung«, Integration und außerschulische Betreuung aber waren Fremdwörter. Manchmal nahm ich Hande nach der Schule mit nach Hause, um ihr die Einsamkeit zu erleichtern. Heute lebt Hande wieder in der Türkei und ist hoffentlich glücklicher als damals. Und: Ob Integration heute besser gelingt?

Almuth Dinkelaker, Baden-Baden

 

Das Lebenszeichen

Anfang 1945 lebten meine Großeltern in Stuttgart, meine Mutter wohnte mit mir und meinem kleinen Bruder in Schramberg im Schwarzwald. Mein Vater war Sanitäter in einem Lazarett. Während der vielen Bombenangriffe auf Stuttgart machten wir uns im Schwarzwald immer große Sorgen. In Stuttgart wurdenKarten für eine »Eilnachricht« nach Bombenangriffen ausgegeben, die man portofrei versenden konnte, was mein Großvater anscheinend nicht wusste, die Marken wurden daher nicht gestempelt. Nach dem Angriff vom 29. Januar 1945 schrieb mein Großvater aus Stuttgart an meine Mutter: »Gestern Nacht Bomben auf Neue Weinsteige, Westen, Botnang, Vaihingen, Möhringen usw. Wir hatten keinen Schaden. Wir waren dreimal im Stollen bis 12 1/2 Uhr Nachts. Herzliche Grüße Vater und Mutter. Wer in Deutschland kennt heute noch den Schauder und die Angst, die einen überkamen, wenn man die Sirenen hörte und nachts davon aufwachte? Und dann erst, als man die Einschläge hörte! Immer wieder denken wir an die Menschen in Syrien, die so etwas heute erleiden.

Helga Lauxmann, Karlsruhe

 

Wiedergefunden: Namensschild

In meiner Kindheit gab es eine Anekdote, die mir immer amüsant, wenn auch erstaunlich vorkam. Geboren wurde ich 1950 in Südafrika nahe Johannesburg. Als ich wenige Wochen alt war, so erzählten meine Eltern, gingen sie häufig zum Schwimmen an den großen Germiston-See. Meinen Kinderwagen stellten sie währenddessen ans Ufer mit einem Schild, das in drei Sprachen sagte: »Dies ist Ingrid«. Der Spaß und die Freiheit, die meine Eltern empfunden haben müssen, nachdem sie Nachkriegsdeutschland den Rücken gekehrt hatten, waren für mich schwer vorzustellen. In späteren Jahren war meine Mutter sehr viel besorgter. Nun fand ich – 60 Jahre später – beim Durchsehen des Nachlasses meiner Eltern ein Blatt Papier, das auf Deutsch, Afrikaans und Englisch sagt: »Das ist Ingrid«, mit dem Zusatz »slaap lekker« (»Schlaf gut«).

Ingrid Gralle, Northeim

 

Das Armbruch-Foto

Bei der Suche nach Bildern, die meinen Kindern die Nachkriegszeit nahebringen könnten, so wie ich sie erlebt habe, stieß ich auf dieses Foto von 1950. Ich war vom Pferd gefallen und hatte mir den Arm gebrochen. Die erste Diagnose allerdings war: nur eine Prellung! Als ich den Arm nach drei Wochen immer noch nicht bewegen konnte, ergab das nächste Röntgenbild: glatter Oberarmbruch. Die Medizin war in Personal, Diagnose und Therapie offenbar noch geprägt von der Kriegszeit: Ich wurde in diese monströse Armschiene gewickelt, die volkstümlich »Stuka« hieß. Nach drei Wochen wurde sie abgenommen, der Knochen war zusammengewachsen, und ich wurde umstandslos nach Hause geschickt. Keine Spur von Nachbehandlung in Form von Gymnastik oder gar Physiotherapie. Die Folgen merke ich heute noch!

Henrike Anders, Walsrode