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Wiedergefunden: Der Leihschein


Januar 1946 – genau ein Jahr zuvor hatten wir unsere Heimat in Westpreußen verlassen müssen. Auf vielen Umwegen waren wir in Bad Pyrmont gelandet. Wir besaßen kaum etwas, wurden selten satt und froren erbärmlich in diesem langen kalten Winter. Unser Mittagessen durften wir uns täglich in einer Suppenküche abholen – mit einer Terrine, aus der wir auch alle aßen. Da freuten wir uns, als wir einen Brief vom Wohnungsamt erhielten mit einer Adresse, bei der wir uns drei Teller (leihweise!) abholen durften. Nach langem Klingeln wurde uns die Haustür geöffnet. Wortlos las man unsere Bescheinigung und drückte uns – ebenso wortlos – drei tiefe Teller mit den eingetrockneten Resten von Erbsensuppe in die Hand. Ich war damals acht Jahre alt und habe mich sehr geschämt. 54 Jahre später fanden wir die Bescheinigung im Nachlass meiner Mutter. Die drei Teller standen noch wohlbehalten in ihrem alten Küchenschrank.

Karin Hampe, Hann. Münden

 

Wiedergefunden: Urlaubsgrüße aus Afghanistan


Wir sind es nicht mehr gewohnt, positive Nachrichten vom Hindukusch zu erhalten. Jetzt aber haben wir beim Aufräumen eine Ansichtskarte gefunden, die uns Freunde im Jahr 1974 aus Afghanistan geschickt hatten. Schier unglaublich, dass man dort einmal unbeschwerte Urlaubsfreuden genießen konnte!

Olaf Kleinelanghorst, Kiel

 

Wiedergefunden: Das Radio-Geschenk


Eigentlich suchte ich nur in alten Kisten nach Fotos für eine Familienfeier. Dabei fiel mir dieser Geburtstagsgruß meines Vaters an meine Mutter in die Hände. Mein Vater war in den fünfziger Jahren als Schiffskoch bei der Handelsmarine beschäftigt und auf der Ansgaritor nach New York oder in die Karibik unterwegs. Meine Mutter arbeitete in Kamen, Westfalen, in einem Altenheim. Viel schöner als jede SMS und auch jeder Anruf, der längst vergessen wäre, hat sich der telegrafische Gruß auch mehr als 50 Jahre nach seiner Versendung erhalten. Dieses »Radio-Geschenk« brachte die große weite Welt in Windeseile in die deutsche Provinz und hat die Empfängerin die große Distanz zu ihrem Schatz sicher vergessen lassen. Vor zwei Jahren haben meine Eltern ihre Goldene Hochzeit gefeiert, die Investition meines Vaters hat sich also offenbar gelohnt.

Elfi Zimmerling, Düsseldorf

 

Wiedergefunden II: Der Schokoladenbaum


Im Januar 1958 war mein Mann aus der damaligen DDR nach Hamburg geflohen. Zu Weihnachten dann hatte er Sehnsucht nach seinen Eltern. Für ein Wiedersehen kam nur ein Flug nach West-Berlin infrage, wohin die Eltern damals noch kommen konnten. In der Maschine der Pan Am bekam am Heiligen Abend jeder Passagier so einen kleinen Schokoladen-Tannenbaum, und meine Schwiegereltern nahmen ihn mit zu sich in die DDR. Als sie 1975 in die BRD übersiedelten, war er mit im Gepäck, und als wir nach ihrem Tod ihre Wohnung auflösten, fanden wir ihn in einer Schachtel mit Weihnachtsschmuck wieder. Sie selbst hatten ihn nie hervorgeholt. Heute aber steht er unversehrt jedes Jahr zu Weihnachten bei uns neben der Krippe, weckt bei meinem Mann schmerzliche Erinnerungen und lässt uns immer wieder dankbar sein, dass heute in Deutschland alle Familien gemeinsam Weihnachten feiern können, ob in Hamburg oder in Demmin (Mecklenburg-Vorpommern).

Hannelore Mewes, Hamburg

 

Wiedergefunden I: Der Weihnachtsbrief


Beinähe wäre er einer großen Aufräumaktion zum Opfer gefallen: dieser Weihnachtsbrief meiner damals 9-jährigen Tochter Mamkoué an ihre 5-jährige Schwester Amina. Bemerkenswert, wie viel Philosophie und Liebe in diesen wenigen Zeilen mitschwingt. Rührend, wie das schmucklose Papier durch das Herzchen am Ende des Briefes aufgewertet wird. Beeindruckend, wie gut ihre Deutschkenntnisse waren, denn meine Kinder sind im frankofonen Kamerun groß geworden.

Margit Schalk-Djiango, Jaunde/Kamerun

 

Wiedergefunden: Der Weihnachtsgruß


In den Tagebüchern meines Großvaters, der 1956 gestorben ist, habe ich ein Dokument gefunden, das mich schlagartig in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg versetzt hat: die Nachricht über ein Care-Paket aus Amerika zu Weihnachten 1946, vor genau 65 Jahren also. Absender war der Bruder meines Großvaters, der viele Jahre zuvor nach Amerika ausgewandert war. Der Inhalt dieses ersten Pakets war für unsere Familie (meinen Großvater, meine Mutter und meine beiden Brüder) in der Zeit der Mangelernährung überlebenswichtig. Mein Vater kam erst Mitte 1947 aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause. In den Jahren 1946 und 1947 erhielten wir insgesamt 150 Pakete, wie sich aus den Tagebuchaufzeichnungen ergibt. Noch heute denke ich mit großer Dankbarkeit an diese großzügige Überlebenshilfe. Heute habe ich übers Internet wieder Kontakt mit den Nachfahren unserer Verwandten in Amerika.

Heino Bosse, Hamburg

 

Wiedergefunden: Der Wunschzettel


Im Nachlass meiner Mutter fand ich kürzlich diesen Wunschzettel. Ich hatte ihn 1957 als siebenjähriges Mädchen geschrieben, voller Hoffnung auf die Erfüllung meiner Wünsche. Kurz zuvor hatten wir den Zeichentrickfilm Susi und Strolch von Walt Disney im Kino gesehen, und ich hatte mich spontan in die struppige Figur des Strolch verliebt. Natürlich wollte ich einen solchen Hund »in echt« zu Hause haben, doch diesen Wunsch konnten mir die Eltern nicht erfüllen, da wir schon einen Boxer hatten. Dann sah ich im Schaufenster eines Spielwarengeschäftes den »Steiff-Struppi«, und der sollte es dann sein. Er stand am 24. Dezember 1957 stolz und schön, zusammen mit einer blond gelockten neuen Puppe namens Erika, unter dem Weihnachtsbaum.

Christa Fonfara-Post, Petroio, Italien

 

Wiedergefunden: Das Protokoll

Nach der Errichtung der Berliner Mauer 1961 hatte der Chor der Hamburger Kirchengemeinde St. Markus Kontakt zu  einem Chor in Prenzlauer Berg, und so besuchten wir ein- bis zweimal jährlich Ost-Berlin, um dort gemeinsam im Gottesdienst zu musizieren. Jeder Chorsänger war Gast einer Berliner Familie. Beim Besuch im März 1966 bekam ich von meiner Ostberliner Gastfamilie zwei Schallplatten geschenkt und wollte sie mitnehmen in die Westberliner Unterkunft, aber die Zollverwaltung der DDR war dagegen: Ich hatte keinen Beleg, woher die Platten stammten. Ich sagte, es sei ein Geschenk von Freunden. Man akzeptierte das nicht und beschlagnahmte die Platten. Das Verhör dauerte einige Zeit. Dann bekam ich das Protokoll, das ich vor Kurzem wiederfand.
Helmut P. Hagge, Hamburg

 

Wiedergefunden: Der Sandmann


Da habe ich nun endlich, nach vielen, vielen Jahren, die ich nicht mehr bei meinen Eltern wohne, das Kabuff in meinem alten Kinderzimmer ausgeräumt. Was da alles zutage kam! Unter anderem der Sandmann, der Liebling meiner Kindheitstage. Doch die Zeit und die Motten hatten ihm übel mitgespielt. Genau genommen war nur ein Zombie geblieben, ein würdiger Kandidat für den Friedhof der Kuscheltiere, auf dem er letztlich auch landete. Wiedergefunden und – weggeschmissen.

Ilka Weingart, Leipzig

 

Wiedergefunden: Die hundertjährige Karte


Als ich zur Frauen-Fußball-WM ein Panini-Sammelalbum kaufte, um es der Tochter einer Freundin zu schenken, ist meine eigene Sammelleidenschaft erwacht. Und beim Einkleben der Bildchen fiel mir ein, dass meine Oma, Jahrgang 1898, früher auch ein Sammelalbum hatte. Ich habe in den alten Alben gestöbert und entdeckt: Meine Oma sammelte nicht nur die Bilder von Liebig’s Fleischextrakt und die Schokoladenbilder der Firma Stollwerck, sondern auch Postkarten. So stieß ich auf diese Postkarte, die dieser Tage tatsächlich 100 Jahre alt wurde, und mit etwas Mühe haben wir den Text auf der Rückseite entziffert: »Liebe Helene, sende dieses Kärtlein fein, für Dich ins Album hinein, hoffentlich wird noch ein Plätzchen darin sein. Herzliche Grüße, Tante Traudel«. Was meine Oma wohl sagen würde, wenn sie sehen könnte, wie sich unsere Kommunikationswege in 100 Jahren verändert haben?

Angela Signon, Niedernhausen