Ich freue mich über jede Ansichtskarte, die ich bekomme. Aber eine ist mir besonders wichtig, und ich habe sie bis heute aufbewahrt. Diese Karte ersetzte einen ganzen Brief, und bekommen habe ich sie kurz nach der Wende von zwei jungen Leuten aus der ehemaligen DDR, Dörte und Matthias, denen ich einen Zuschuss für eine Reise nach Irland gegeben hatte. Jetzt erzählten sie mir ausführlich von ihren Eindrüken im Norden und Süden der Insel und schickten »Ein freundliches Cheerio!«. Ein kleines Kunstwerk!
Vor Kurzem fiel er mir wieder in die Hände, jener besondere Kalender, den mein Schwiegervater Wilhelm Hoyer in der Kriegsgefangenschaft mit einem Brennglas auf Holz geschrieben hatte. Es ist ein Fichtenbrett, 19 Zentimeter lang, 8,5 breit, einen Zentimeter dick. Und »Sommer 1945«? Es müssen die Monate von Juni bis September sein, denn hervorgehoben hat mein Schwiegervater den Sommeranfang am 21. Juni, dann den 25. Juli als Geburtstag seiner Tochter Christine (meiner Frau) sowie den 28. August, an dem meine Schwiegermutter Geburtstag hat. Auf der Rückseite hat mein Schwiegervater seinen Namen verewigt und den seines Kameraden Max Darpe, (wahrscheinlich) ihre Gefangenennummern und ihre Stationen in verschiedenen alliierten Gefangenenlagern. Ein Dokument aus einer schweren Zeit. Hans Walter Scheel, Itzehoe
Beim Aufräumen fiel mir kürzlich ein kurioses Schriftstück aus dem Jahr 1967 in die Hände: ein Ausweis (mit laufender Nummer), mit dem mir die Berechtigung erteilt wurde, zwei Filmprojektoren festgelegten Typs zu bedienen, gültig für genau drei Jahre, versehen mit Unterschrift des Direktors und Siegel der Landesbildstelle Rheinland, einer Unterbeörde des Landschaftsverbandes Rheinland. Ein Beleg für die Regulierungswut der Deutschen? Oder der Berechtigungsnachweis einer Subbehörde? Oder Betätigungsfeld eines ansonsten nicht einsetzbaren Beamten? Wie dem auch sei: Wie man sieht, habe ich als Junglehrer keine Gelegenheit ausgelassen, um meine Qualifikation zu erweitern.
Neulich fand ich beim Aufräumen einen alten Ausstellungskatalog wieder. Mein Vater hatte ihn mir nach einer Vernissage mitgebracht. Es muss um 1972 gewesen sein, ich war dreizehn und begeistert von Karikaturisten, vor allem von Ernst Hürlimann und Ernst Maria Lang. Einige Hürlimann-Figuren konnte ich sogar zeichnen. Und jetzt gab es eine Ausstellung SZ-Karikade – die Zeichner der Süddeutschen Zeitung. Pa hatte Ernst Hürlimann und Luis Murschetz um ein Autogramm im Katalog gebeten. Er wolle auch einmal so hoch hinauskommen wie der Hürlimann, hatte Murschetz seine Zeichnung erklärt. Diese Bescheidenheit hat mich damals wie heute sehr beeindruckt.
Als ich zwölf Jahre alt war, 1949, schenkte mir mein Großvater das Büchlein Ab- rechnungen – sieben Novellen von Hein- rich Mann. Wenige Jahre später floh ich mit meinen Eltern aus der DDR. Unser Hausstand blieb in Markkleeberg bei Leip- zig und fiel dem Staat anheim. 1993 – ich war längst verheiratet – bat meine Schwes- ter meinen Mann, ihr bei der Suche nach einem ländlichen Anwesen zu helfen. Im Angebot war unter anderem ein Bauernhof in Bellings, Hessen. Beim Gespräch mit dem Eigentümer entdeckte mein Mann einen Berg alter Bücher, die verbrannt wer- den sollten. Mein Mann fand das unmöglich und erbat sich die Bücher. Wieder gingen einige Jahre ins Land, bis wir dazu
kamen, die neuen alten Bücher einzusortieren. Und da fand ich jenes grün gebundene Bändchen, das mich an meine Kindheit erinnerte. Was für eine Überraschung, als ich sogar meinen handschriftlichen Eintrag fand, der das Büchlein als mein Eigentum auswies. Es ist ein Rätsel geblieben, wie das Buch von Markkleeberg auf diesen hessischen Bauernhof gelangen konnte.
Christel Breustedt, Neuberg, Hessen
Im Juli 1971 war ich auf Verwandtenbesuch in Kanada und schickte diese Geburtstagskarte an meinen Vater.
„Auch wenn ich keine Worte mach,
merkst Du doch sicherlich,
wieviel Du mir bedeutet stets.
Vater, ich liebe Dich!“
so hatte ich den zweiten Teil des Gedichts übersetzt. Als mein Vater im Jahr 2002 starb, fand ich die Karte in seinem Schreibtisch. Immerhin 31 Jahre hatte er sie aufbewahrt! Dabei hat er mir als zurückhaltender Norddeutscher nie gesagt: „Ich habe dich lieb.“ Und ich auch nie, außer auf dieser Karte. Aber wir wussten es voneinander – ohne Worte.
Beim Aufräumen habe ich zwei CDs gefunden, die mein damals neunjähriger Sohn 1998 zu Weihnachten für die Familie aufgenommen hat. Auf der einen erzählt er eine selbstgeschriebene Weihnachtsgeschichte und untermalt sie mit seinem Keyboard, auf der anderen singt er Weihnachtslieder. Wir haben uns alles noch einmal angehört und waren gerührt – welche Mühe er sich damals gegeben und wie rein er gesungen hat! Vergangene Weihnachten haben wir alle gemeinsam musiziert und mein mittlerweile 21-jähriger Student hat eifrig mitgebrummt. Ich hoffe, er kommt noch oft an Weihnachten nach Hause.
Kürzlich habe ich meinen 28. Geburtstag gefeiert. Ein guter Zeitpunkt, um auf alte Träume zurückzuschauen. So wühlte ich in alten Unterlagen und stieß auf dieses Fundstück: den Detektiv-Ausweis aus dem Micky-Maus-Heft. Er erzählt sehr viel von meiner Kindheit vor etwa 18 Jahren. So fand ich den Namen Tino für meine Generation wohl zeitgemäßer als Joachim. Und meine Unterschrift „007“ verweist subtil auf mein großes Vorbild. Heute bin ich Historiker. Wenn mich ein Fachfremder fragt, was ich denn da so arbeite, erzähle ich immer von meinen Recherchen im Archiv. Und bisweilen fühle ich mich zwischen den Aktenbergen wie ein richtiger Detektiv. So können Träume auch wahr werden.
Heute morgen leite ich wie jeden Freitag die Kinderchorprobe in der Grundschule. Vor Beginn der Stunde kommt eine junge Frau herein, in der ich ein ehemaliges Chorkind erkenne. Sie bleibt als neue Praktikantin die Chorprobe über bei uns und wünscht sich später ein Lied, das sie als Kind im Chor sehr gern gesungen hat. Ich erfülle diesen Wunsch gern, und als wir gemeinsam singen, leuchten ihre Augen, als würde sie für einen Augenblick wieder ein Kind. Nach dem Lied springt sie vom Stuhl und bedankt sich überschwänglich – Wie tief uns Musik doch berühren kann!
In der Schirn Kunsthalle Frankfurt ist gerade die Ausstellung Courbet. Ein Traum von der Moderne zu Ende gegangen. Eine der letzten Besucherinnen muss die Krähe gewesen sein, die ich vor ein paar Tagen am Mainufer in Frankfurt fotografiert habe. Ganz deutlich ist zu sehen, dass sie einen Ausstellungs-Flyer (oder eine Eintrittskarte?) im Schnabel hält mit Gustave Courbets Selbstbildnis am Abgrund, das um das Jahr 1848 entstanden ist.