Schon seit Jahren führt meine Mutter ein fotografisches Tagebuch. Von Zeit zu Zeit macht sie dann einen Zeitsprung in die Vergangenheit, um zu sehen, was sie in den vorherigen Jahren zu einem bestimmten Datum fotografiert hat.
Vor Kurzem entdeckte sie auf der Suche nach einem bestimmten Motiv zufällig das Bild der Sushi-Verpackung. Sie machte das Foto im vergangenen Jahr, weil ihr der Name des Produkts angesichts der furchtbaren TsunamiKatastrophe 2004 eigenartig und makaber vorkam. Dieser „Fund“ hat uns zum erneuten Kauf des Sushi bewogen – und siehe da: Das Ereignis in Fukushima 2011 scheint eine Namensänderung bewirkt zu haben.
Achtzig Jahre, in denen aus drei Kindern drei alte Damen wurden. Dazwischen drei Leben mit allem, was dazugehört: Höhen und Tiefen, Hoffnungen und Enttäuschungen, Schule, Krieg und Nachkriegszeit, Berufsausbildung und Arbeit, Familiengründung. Sieben Kinder und sechzehn Enkel. Das war’s. War’s das? Beide Bilder zeigen mich mit meinen Cousinen Almut und Gisela. Almut, die gleich alt ist wie ich, ist auf dem Schwarz-Weiß-Foto ganz links zu sehen, auf dem Farbbild ganz rechts. Mich haben die Cousinen jeweils in die Mitte genommen. Das erste Bild entstand in Aachen, wo mein Onkel mit seiner Familie wohnte. In seinem Haus trafen sich regelmäßig alle fünf Brüder mit ihren Familien, und für mich als Einzelkind war das jedes Mal ein wunderbarer Tag. Auf dem Schwarz-Weiß- Bild sind Almut und ich vier Jahre alt, Gisela ist sieben. In späteren Jahren fanden die Treffen nicht mehr so häufig statt, unsere Kinder kannten sich, verloren sich dann aber ein bisschen aus den Augen. Nun besuchen mein Mann und ich Gisela wieder regelmäßig, weil unsere Tochter in der Nähe wohnt, und Almut kommt dann dazu. Es sind jedes Mal recht muntere Treffen unter dem Motto: „Weißt du noch?“
Vor genau 40 Jahren war ich zum ersten Mal mit meiner Freundin Silke verreist. In Zandvoort, Holland, begaben wir uns auf Erkundungstour, und dort, auf der Strandpromenade, habe ich das Schwarz-Weiß-Foto von meiner damals 17-jährigen Freundin gemacht. Das kleine Kind auf ihrem Schoß lief gerade vorbei und wurde für das Bild »ausgeliehen«. Kürzlich war ich wieder in Zandvoort, diesmal mit meiner 18-jährigen Tochter. Ich wollte ihr gern alles zeigen, was ich 40 Jahre zuvor mit jungen Augen gesehen hatte. Vieles hat sich inzwischen verändert. Aber es gab die Skulptur des alten Mannes noch, und ich fotografierte diesmal meine Tochter – digital und nicht mit der »Agfa Klick« meiner Jugendzeit. Zwei fast gleichaltrige Mädchen, die einen wichtigen Platz in meinem Leben haben, mit langen Haaren neben dem alten Mann, der seit Jahrzehnten auf das Meer blickt. Meine Freundschaft mit Silke besteht noch immer. Durch sie habe ich auch meinen Mann kennengelernt. Fast jeden Tag finde ich eine Mail von ihr in meiner Mailbox. Es ist wunderbar, gemeinsame Erinnerungen zu haben.
Das Schloss Waldenbuch zwischen Stuttgart und Tübingen war einst das Jagdschloss der württembergischen Herzöge, im 19. Jahrhundert wurde es Militärhospital, Gefängnis und noch später Schule. Nach dem zweiten Weltkrieg wohnten hier Flüchtlinge und Heimatvertriebene. Das Schwarzweißfoto zeigt den Zustand der Dürnitz im Jahr 1978. Elf Jahre später zog das Museum der Alltagskultur ins Schloss Waldenbuch, und heute befindet sich hier die vor Kurzem eröffnete Dauerausstellung ZeitSprünge. Ähnlich wie in den Zeitsprüngen der ZEIT-Leser werden (alte) Objekte aus der Sammlung des Museums Dingen und Phänomenen von heute gegenübergestellt. In den verblüffenden Installationen wird deutlich, wie viel der heutige Alltag mit dem Alltag von „damals“ zu tun hat, so etwa die Viagra-Pille mit dem „Röhrenden Hirsch“ aus dem Schlafzimmer der Großeltern oder die teure Designerjeans in used-Optik mit dem mehrfach geflickten Betttuch aus der Zeit um 1900. Hier erlebt man im Raum und in den Objekten einen mehrdimensionalen Zeitsprung!
Das wunderbare Gedicht Der Schwimmer (Zeit der Leser, Nr. 34/11) sprach uns aus dem Herzen: Wir sind vier schwimmbegeisterte Freundinnen (darunter ist auch eine Mutter mit ihrer Tochter) und haben uns in ungezählten Sommern im örtlichen Freibad getroffen und nach dem Schwimmen an der kleinen Mauer verabredet, immer umhüllt von unseren »Umkleidezelten« (weil man das Klönen so während des Umziehens fortsetzen kann und die Kabinen ziemlich eng sind). Im Sommer 1997 trafen wir uns fast täglich, um unsere Bahnen zu ziehen. In diesem Sommer haben wir uns für den Zeitsprung extra verabredet. »Ihr glücklichen Schwimmer, die Tage verwehn. Bald werden wir seufzen: Es war doch so schön.« Gerlinde Ehl, Dietlind Roll, Ruth und Ellen Volkhardt, Wolfhagen
Kürzlich war ich wieder einmal in Hamburg und habe auch Finkenwerder besucht – mit der Hafenfähre, was immer ein Vergnügen ist. Orientiert habe ich mich mit einem Stadtplan, den ich (so ist es darin notiert) im Mai 1987 gekauft habe. Damit, das ist mir bewusst, gehöre ich zu einer Minderheit. Die meisten Touristen benutzen heute in fremden Städten einfach ihr Mobiltelefon als Navigationsgerät. Das sieht dann so aus wie auf dem Bild rechts. Dass Mobiltelefone so selbstverständlich geworden sind, erklärt übrigens einen weiteren Unterschied zwischen den beiden Bildern: Die gelben Punkte auf meinem alten Stadtplan markieren die damals stattliche Anzahl von Telefonzellen! Dietrich Tamm, Koblenz
Wir waren sechs Mädchen und vier Jungen, als wir vor sechzig Jahren in Sonderhausen-Jechaburg, Thüringen, zur Konfirmation gingen. Danach verloren wir uns aus den Augen, und die innerdeutsche Grenze hatte einen wesentlichen Anteil daran. Aber einige Freundschaften konnte auch das DDR-Regime nicht zerbrechen, und manchmal traf man sich heimlich – und immer in der Angst vor der Stasi. Nach fünfzig Jahren zur goldenen Konfirmation dann ein offizielles Treffen: Die Grenze gab es nicht mehr! Am diamantenen Treffen aber im vergangenen Frühjahr konnten nur noch wir sechs Mädchen teilnehmen – inzwischen alle stolze Großmütter. Das Bild von den anderen fünf habe ich auf derselben Schultreppe aufgenommen, auf der wir vor sechzig Jahren standen. Gerda Clemens, Eschweiler
Das alte Bild meines Heimatortes Fleisbach zeigt einen landwirtschaftlich geprägten Ort, der damals, um 1900, etwa 300 Einwohner zählte. Im Mittelpunkt der Aufnahme die frei stehende, im Jahr 1888 errichtete evangelische Kirche. Vor einiger Zeit habe ich die Aufnahme etwa von dem gleichen Standort aus wiederholt. Über die lange Zeit von mehr als 100 Jahren ist die Kirche das dominierende Bauwerk geblieben, aber jetzt steht sie mitten im Dorf, das inzwischen auf 1800 Bewohner angewachsen ist. Die Konturen des Waldes am Horizont haben sich in diesem langen Zeitraum kaum verändert.
Nach etwa fünf Anläufen hat es damals, während eines Strandurlaubs in Kroatien, endlich geklappt: Meine drei Buben Thomas, Markus und Philipp standen auf meinen Schultern, nach dem Motto: »Einer trägt den anderen.« Es hat bis heute gehalten. Das aktuelle Foto ist kürzlich bei einem gemeinsamen Ausflug entstanden. Jetzt haben wir nicht mehr den Ehrgeiz, dass einer den anderen trägt. Aber jeder hilft dem anderen und stützt ihn noch immer. Wir sind glücklich und dankbar, dass wir uns alle – auch mit unseren Frauen – gut verstehen. Ein Glück, an dem wir weiterarbeiten.
Im Herbst 1926 kauften meine Eltern in Königsberg ihr erstes Automobil, einen Hanomag 2/10 PS, einen Zweisitzer, genannt »Kommissbrot«, und natürlich wurde ich, damals zwei Jahre alt, am Steuer fotografiert. Meine Mutter erhielt ihren Führerschein im Jahr darauf und benutzte den Wagen manchmal für Einkäufe in der Stadt. Als ihr einmal auf dem verkehrsreichsten Platz von Königsberg der Motor abstarb, versuchte sie, ihn mit einer Handkurbel wieder zum Laufen zu bringen, was ihr in der Aufregung nicht gelang. »Sehn Se, Frolleinchen«, sagte da einer Zuschauer, »Se sollten besser nur een Kinderwajen fahren «, und nahm ihr die Kurbel aus der Hand. Ich selbst machte den Führerschein 1963, und mein erster Wagen war ein VW Käfer. Vorsichtshalber warnte mich der Fahrlehrer davor, auf der Autobahn schneller als 100 Stundenkilometer zu fahren, »da es Sie dann aus der Kurve tragen könnte«. Inzwischen bin ich wohl bei meinem letzten Wagen angelangt, einem VW Polo Automatik, schadstoffarm, Jahrgang 1998. Den möchte ich fahren, solange der TÜV und meine Fahrtüchtigkeit es erlauben.