Lesezeichen
 

Neujahrsträume

Ich träume von einer Welt, in der die Menschen das Licht ausschalten, wenn sie einen Raum für länger als einen Augenblick verlassen, in der sie alle Geräte mit Stand-by-Funktion ganz ausschalten, wenn diese nicht in Gebrauch sind (am besten einfach mit einer Steckdosenleiste mit Kippschalter), in der sie die Heizung ausmachen, wenn die Fenster offen sind. Ich träume von einer Welt, in der die Menschen kein Fleisch und überhaupt keine tierischen Produkte kaufen, wenn die Lebewesen unter unwürdigen Bedingungen gehalten werden, wenn sie mit Antibiotika gefüttert oder auf langen Fahrten zum Schlachthof gequält werden. Ich träume von einer Welt, in der die Menschen nur noch fair gehandelte Kleidung kaufen, für deren Herstellung die Arbeiter angemessen bezahlt und keine schädlichen Substanzen benutzt werden. Ich träume von einer Welt, in der die Bahn kleine Schokoladentäfelchen im Zug verteilt, wenn die Verspätung sieben Minuten übersteigt. Und ich träume davon, fliegen zu können.

Gesche Hübner, London

 

Was mein Leben reicher macht

WGs. Alte und neue, hier und dort. Spontane Jazz-Sessions in der Küche bei einem Glas Wein. Abendliches Vorlesen: jeden Abend ein Kapitel aus einem Buch. Jedes Mal in einem anderen Zimmer, sodass jeden Abend ein anderer dabei in seinem Bett einschlafen kann. Und natürlich die vielen Gespräche – alltägliche und nicht alltägliche. Inspirierend und horizonterweiternd. Wahlweise auch stundenlang.

Anna Schmitt, Würzburg

 

Einmummeln: Mein Wort-Schatz

Was mir bei einmummeln alles einfällt: Sonntagmorgen, Tannenspitzen vor dem Fenster, leise knackendes Feuer, knisternde Daunendecken, kalte Nasenspitzen, müde Augen, warme Haut, an die man sich kuschelt, um sich beschützt und sicher zu fühlen.

Katharina Becker, Karlsruhe

 

Kritzelei der Woche


Die Leidenschaft für Doppelkopf verbindet in unserer Familie die Großeltern mit den Enkeln. Auch, als wir zur Feier meines Abiturs nach Worpswede reisten, durfte deshalb ein Spieleabend nicht fehlen. Netterweise stellte sich meine Patentante als vierte Mitspielerin zu Verfügung. Im Laufe des Abends füllte sich die Spieltabelle mehr und mehr. Dabei verarbeitete ich sowohl die Eindrücke des Tages, als auch die Eindrücke einer Reise nach Norwegen, die ein paar Wochen zurücklag. Ich bin meinen Großeltern und meiner Patentante so dankbar, das sie mich während meiner Schullaufbahn begleitet haben, dass sie mit mir nach Worpswede gefahren sind und – dass sie uns Doppelkopf beigebracht haben.

Verena Steidel, Darmstadt

 

Was mein Leben reicher macht

Samstags, nach der Arbeit, wandere ich bei jedem Wetter die acht Kilometer in die Stadt, um meine Frau von ihrer Arbeit nach Hause zu fahren. Ich warte auf sie in einem Kaffeehaus. Die anderen Gäste staunen immer, wenn diese hübsche Frau reinkommt, direkt zu mir, und mir einen Kuss auf die Wange gibt.

Colin Russell, Ense-Bremen, Nordrhein-Westfalen

 

Plusquamperfekt: Mein Wort-Schatz

In meiner Schülerzeit hat mich ein Wortungetüm aus der Grammatik in Angst und Schrecken versetzt: Plusquamperfekt. Heute ist mir erst bewusst, dass es eigentlich ein sehr schönes Wort ist. Es enthält immerhin die beiden positiven Begriffe »plus« und »perfekt«.

Peter Rackebrandt, Schiffdorf

 

Mein Foto des Jahres


Dieser besondere Glanz in ihren Augen, wenn sie von ihrem See erzählte! Dem Lebasee, zu Hause in Pommern, damals, vor dem Krieg. Dann erlosch der Glanz. Die Demenz raubte ihr das Paradies zum zweiten Mal. Also fing ich an zu schwärmen: vom See, vom Schilf, von der nahen Lonskedüne, von der Ostsee und dem leckeren Aal. Damit ihre Augen strahlten und ihre Seele. So viele kostbare Augenblicke zwischen meiner Schwiegermama und mir! Ihr Tod im letzten Herbst ließ den Wunsch in mir aufkeimen: Ich muss an den Lebasee!. Im Sommer war es so weit. Es fühlte sich an wie Heimkommen.

Traute Magsig, Eisenberg

 

Was mein Leben reicher macht

Montagmorgen, noch vor sechs. Meine Frau umarmt mich mit dem ersten Donner eines Gewitters. Gemeinsam genießen wir die Wärme unter der Decke und hören den Regen prasseln. Bis der Wecker klingelt. Wunderbarer Wochenbeginn!

Michael Siemers, Dortmund

 

Mein Foto des Jahres


Dieses Bild entstand in Berlin. Ich bin im vergangenen Jahr viel gereist, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass es weniger die Orte als die Menschen
waren, die mich prägten, mich immer wieder zerrissen und zusammenflickten. Erfahrungen brachten mich dazu, mich selbst und die Welt um mich herum anders zu reflektieren. Langsam löste sich der Nebel um mich, und ich wollte es nicht wahrhaben, denn er war schön und sicher, doch gleichzeitig wusste ich, dass ich am Tag die Sonne und in der Nacht die Sterne sehen will.

Marina Schäfer, Kassel

 

Was mein Leben reicher macht

Ein Berliner S-Bahnhof. Die Eingangshalle ist menschenleer. Unschlüssig und ratlos sehe ich mich um: Den Abgang links oder rechts nehmen? Ein Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt, steht plötzlich neben mir: »Kann ich Ihnen helfen?«

Werner Fuhrmann, Kaiserslautern