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Wiedergefunden II: Der Schokoladenbaum


Im Januar 1958 war mein Mann aus der damaligen DDR nach Hamburg geflohen. Zu Weihnachten dann hatte er Sehnsucht nach seinen Eltern. Für ein Wiedersehen kam nur ein Flug nach West-Berlin infrage, wohin die Eltern damals noch kommen konnten. In der Maschine der Pan Am bekam am Heiligen Abend jeder Passagier so einen kleinen Schokoladen-Tannenbaum, und meine Schwiegereltern nahmen ihn mit zu sich in die DDR. Als sie 1975 in die BRD übersiedelten, war er mit im Gepäck, und als wir nach ihrem Tod ihre Wohnung auflösten, fanden wir ihn in einer Schachtel mit Weihnachtsschmuck wieder. Sie selbst hatten ihn nie hervorgeholt. Heute aber steht er unversehrt jedes Jahr zu Weihnachten bei uns neben der Krippe, weckt bei meinem Mann schmerzliche Erinnerungen und lässt uns immer wieder dankbar sein, dass heute in Deutschland alle Familien gemeinsam Weihnachten feiern können, ob in Hamburg oder in Demmin (Mecklenburg-Vorpommern).

Hannelore Mewes, Hamburg

 

Kritzelei


Eigentlich hatte ich mir die kleine Tafel und einen weißen Kreidestift anstelle eines Notizblocks gekauft. Ich wollte darauf notieren, was ich beim nächsten Einkauf nicht vergessen wollte. Dann habe ich aber angefangen, zu kritzeln, und schließlich so lange damit weiter gemacht, bis kein Platz mehr für Notizen war. Das macht aber nichts, denn das Einkaufen funktioniert trotzdem!

Barbara U. Steinforth, Erlangen

 

Was mein Leben reicher macht

Eine alte Hand schiebt sich in meine und hält sie ganz fest. Sie gehört einer Dame in dem Altenheim, in dem ich ehrenamtlich arbeite. Frau K. möchte nur noch nach Hause. In ihrem früheren Leben war sie Dozentin an der Universität Perugia, doch seit Langem fallen ihr die meisten Wörter nicht mehr ein. Jetzt nennt sie mir immer wieder ihre alte Adresse und sieht mich flehend an. Ich lächle ihr zu und verspreche, dass ich sie nicht allein lassen werde. Für einen kurzen Moment vergisst sie ihre Angst und Traurigkeit und gibt mir ein Küsschen, mit schokoladenkuchenverschmiertem Mund.

Ilse May, Garmisch-Partenkirchen

 

Knecht Ruprecht

(nach Theodor Storm)

Von drauß’ vom Walde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet nicht mehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
Seh ich grellbunte Lichter blitzen;
Und droben aus dem Himmelstor
Sieht mit großen Augen kein Christkind hervor.
»Knecht Ruprecht«, sag ich mir, »alter Gesell,
Hebe die Beine und spute dich schnell!«
Doch wie ich so strolcht’ aus dem finstern Tann,
Guckt mich – geklont – mein Ebenbild an.
Und wie ich komm in die große Stadt
Seh ich, dass’s noch viel mehr davon hat.
Ich höre: »Hoho, kauft, kauft, liebe Leut’!
Jeder Wunsch wird erfüllt, und Rabatt gibt es heut!«
Und in den Märkten dröhnt’s immerzu:
»Heilige Nacht!«, und: »In himmlischer Ruh!«
»Knecht Ruprecht«, sag ich mir, »nun wirst du alt.
Mach auf den Weg dich zurück in den Wald!«
Doch als ich schon hebe Bein vor Bein,
Bringt sich das Christkind wieder ein.
»Ach, Ruprecht«, sagt es, »du alter Wicht,
Bleib, wo du bist, und fürchte dich nicht!
Denn morgen flieg ich hinab zur Erden,
Und es wird wieder Weihnachten werden!«

Dorothea Jakob, Hamburg

 

Was mein Leben reicher macht

Ich arbeite in einem Museum und führe jeden Tag viele Kinder und Jugendliche durch Ausstellungen. In einer der letzten Ausstellungen ging es um den menschlichen Geist und dessen künstlerische Darstellung. Ich stand vor einer Gruppe mit vielen kleinen Kindern, die ich fragte, wofür der Mensch denn eigentlich seinen Kopf und seinen Geist braucht. Ein kleines Mädchen antwortete: „Zum Denken! Ich denke auch manchmal. Deswegen habe ich auch ein eigenes Denkmal!“, und zeigte auf einen Leberfleck auf ihrer Wange.

Ivonne Rösler, Dresden

 

Was mein Leben reicher macht

Meinem Mann dabei zuzusehen, wie er seine alte Modelleisenbahn wieder aufbaut. Seit Jahren hat sie, gut verpackt, auf ihren erneuten Einsatz bei der nächsten Generation gewartet. Jetzt steckt mein Mann im Rausch kindlicher Begeisterung die Schienen zusammen. Dann dreht der Zug wieder seine Runden und zieht Vater und Söhne in Bann. Ich nehme mir fest vor, mich in dieses Männerhobby nicht einzumischen. Doch als am Abend beide Kinder schlafen, sagt mein Mann: »Komm, fahr mal ’ne Runde.« Und dann liegen wir beide auf dem Wohnzimmerboden, und ich denke: »Ich liebe dich!«

Christiane Wild, Schwäbisch Hall

 

So fromm


Es ist ganz einfach: Parken ist hier nicht erlaubt, auf einem größeren Parkplatz an einem hiesigen Mietshaus-Komplex. Bisher wirbt unsere Stadt, die im Landkreis Mainz-Bingen liegt, mit dem Sprüchlein »Gau-Algesheim … so charmant«. Vielleicht sollte es besser heißen: »Gau-Algesheim … so fromm«.

Karla Hoffmann, Gau-Algesheim

 

Christkindl: Mein Wort-Schatz

Seit über 40 Jahren habe ich – immer im Dezember – ein Lieblingswort: Christkindl (Oder besser: »Chrischdkindl«, wie wir im heimatlichen bayrisch-schwäbischen Dialekt sagen.) Schon das Wort ist weich und rund, und wir Kinder wussten, dass dieser kleine Kerl in kurzem dünnem Kleidchen den ganzen Dezember die Fensterbänke abflog und Wunschzettel einsammelte. Welche Macht dieses kleine Wesen hatte: Es konnte all die Wünsche erfüllen und auch liefern! Das Wohnzimmerfenster musste dazu an Heiligabend nur einen klitzekleinen Spalt offen stehen. Das war das Weihnachtswunder! Als Erwachsene erfuhr ich dann vom Weihnachtsmann, bedingt durch meinen norddeutschen Ehemann. Wie profan! Ein dicker Mann mit dickem  Mantel gegen die Kälte, der auch noch einen Schlitten zur Fortbewegung braucht! Unsere Kinder kennen aus paritätischen Gründen nun beide: das Christkindl (nun hochdeutsch) und den Weihnachtsmann. Die beiden haben sich die immer mehr werdende Arbeit in einer globalisierten Welt geteilt. Zu uns aber kommt weiterhin das Christkindl: Am Heiligen Abend steht die Terrassentür einen klitzekleinen Spalt offen.

Pia Kraus, Ulm

 

Was mein Leben reicher macht

Meine Schwiegermutter! Sie ist immer zur Stelle: Für den Radfahrer, der auf der Straße gestürzt ist, für meine Frau und meine Kinder und für mich. Zum Beispiel, wenn ich mal jemanden brauche, mit dem ich einen guten Whisky trinken kann.

Dirk Ludewig, Hamburg

 

Die Bilder des Jahres

Nach 20 Jahren, die Carsten Wend und seine Lebensgefährtin Katrin bestens ohne Trauschein und umso besser mit der gemeinsamen Tochter Hannah gemeistert haben, hat Herr Wend am 31. Mai in der ZEIT der Leser gefragt: „Liebe Katrin, möchtest Du mich heiraten?“ Die frohe Botschaft ist: Sie wollte. Die Fotostrecke mit den Bildern des Jahres auf ZEIT ONLINE hat Herrn Wend inspiriert, uns seine Bilder des Jahres zu zeigen.

Am 6. Oktober diesen Jahres haben wir also geheiratet. Direkt im Anschluss sind wir zu dritt auf Hochzeitsreise nach Kreta geflogen. Vorher haben wir die Einladungskarten für ein Gartenfest im Juni des nächsten Jahres an unsere Freunde verschickt – die nichts von unseren Plänen wussten. Vorne auf der Karte war das Bild von einem Strandspaziergang auf Sylt zu sehen, darauf der Text: „Nach 20 Jahren sturmerprobt…“

Auf der nächsten Seite stand: „… haben wir heute geheiratet“. Dazu war das zweite Bild von uns mit unserer Tochter zu sehen, und die Einladung zum Gartenfest.

Nach zwei stürmischen Jahren hat sich zur Zeit ein wenig Ruhe eingependelt. So bleibt das Leben windig und wird 2012 mit unseren Freunden stürmisch gefeiert.

Carsten Wend, Elmshorn