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Frugen: Mein Wort-Schatz

Unsere Kinder sollen möglichst wenig Zeit vor Fernseher oder Computer verbringen. Nach jahrelangen Diskussionen aber bekommt der Älteste doch einen Nintendo DS zu seinem neunten Geburtstag. Verdummung, Verblödung, mir war ganz mulmig zumute. Bis ich mich telefonisch beim Spielwarengeschäft im Nachbarort nach einem passenden Spiel für dieses neue Gerät erkundigte. Ich wurde in die Fachabteilung durchgestellt, und der Verkäufer begrüßte mich mit den Worten: »Sie frugen nach dem Spiel…« Mir wurde warm ums Herz. Jemand, der im PC-Spiele-Geschäft tätig ist, benutzt noch diese Konjugation! Es besteht noch Hoffnung! Vielleicht mutieren meine Kinder doch nicht zu Spiele-Zombies, sondern bewahren sich den Sinn für Worte, Ausdruck und Sprache.

Barbara Demmer, Rösrath

 

Was mein Leben reicher macht

Catherine und Vassily, die uns, nachdem wir uns bei einer Wanderung auf Chalkidiki verirrt hatten, so freundlich ins nächste Städtchen fuhren. Die beiden Busfahrer, die meinen Geldbeutel fanden und ihn mir nachts, bei ihrer Rückfahrt von Saloniki wieder aushändigten.

Marie-Luise Huber, Unterankenreute, Baden-Württemberg

 

Wiedergefunden I: Die Quittung


Das ist eine Quittung über zwanzig Pfennige, ausgestellt am 9. Februar 1990. Ich habe sie mir aufbewahrt als »Skurrilität« und als kleines Dokument unserer Geschichte. Meine Frau und ich waren mit dem Wagen auf der Autobahn von Berlin über Leipzig unterwegs, als wir ein WC aufsuchen mussten. An einer Raststätte hielten wir und bekamen für unseren »Besuch« und die entsprechende Bezahlung in D-Mark, da wir nicht in Mark der DDR begleichen konnten, diese Quittung über sage und schreibe zwanzig Pfennige. Wenige Meter nach der Ausfahrt der Raststätte wurden wir von der Polizei wegen Überschreitung der erlaubten Geschwindigkeit gestoppt. Kurz hinter der Ausfahrt jedoch hätten wir nicht einmal die erlaubte Geschwindigkeit erreichen können! Mit der Quittung konnte ich beweisen, dass wir soeben die Raststätte besucht hatten. Der Beweis wurde anerkannt, und wir durften ohne Verwarnung und Bußgeld unsere Fahrt fortsetzen.

Dieter J. Glienke, Hamburg

 

Was mein Leben reicher macht

Seit über zwanzig Jahren kann ich zum Hauptbahnhof gehen und mir eine Fahrkarte kaufen – nach Hannover oder an den Tegernsee, um meine Familie zu besuchen. Und keiner will von mir etwas anderes als mein Geld: keine stasigenehmigten Visa, keine Genehmigung des Arbeitgebers … Gern fahre ich auch
wieder nach Hause, denn ich weiß genau: Falls ich nächste Woche nach London oder nach Lissabon fahren möchte, will keiner … Siehe oben!

Elke-Maria Parthier, Halle (Saale)

 

Mäandern: Mein Wort-Schatz

Mäandern – schon der Klang mit der seltenen Vokalkombination ist schön. Und inhaltlich: Mir kommen die Flüsschen der nahen Schwäbischen Alb in den Sinn, die sich träge schlängeln, Zeit haben, bequem sind, den längeren, aber angenehmeren Weg wählen. Diese Ineffizienz zugunsten der Schönheit des Laufs gefällt mir. Mäandern steht im Gegensatz zur Geradlinigkeit, die oft in unserer Gesellschaft gefordert ist. Aber haben nicht auch mäandernde Lebensläufe ihre Vorteile? Man sieht vielleicht mehr vom Leben! Und die »begradigte« Schulausbildung G 8 wird glücklicherweise stellenweise schon renaturiert, so wie viele Sünden an Wasserläufen korrigiert werden. Schneller und stromlinienförmig scheint doch nicht immer das Nonplusultra zu sein – weder in der Natur noch in der Menschenbildung.

Markus Walz, Reutlingen-Rommelsbach

 

Was mein Leben reicher macht

Voller Vorfreude auf den Urlaub, aber auch mit leichtem Unbehagen stieg ich in diesem Sommer in den Nachtzug von München nach Venedig.  War ich vielleicht etwas zu mutig, allein mit dem Zug meinem Mann vorauszufahren? Wer würde mit mir im Abteil reisen? Wie würde ich die Nacht im Sitzen überstehen? Als erstes stieg ein junges Ehepaar aus den USA ein. Wenig später kam noch ein  junger Mann aus Australien dazu. Wir kamen sofort ins Gespräch, und es entwickelte sich ein lebhafter Austausch über das Leben in Arizona, das Studentenleben in Sydney und meine eigenen Kindheitserfahrungen im ehemals geteilten Berlin. An Schlafen war nicht mehr zu denken und scheinbar im Nu fuhren wir im Bahnhof S. Lucia/ Venedig ein. Wir hatten, auch zum großen Erstaunen der Schaffner, die ganze Nacht geredet und gelacht! Danke Rick, Keira und Matt, dass ihr mich als Fünfzigjährige mühelos in alte Interrail-Zeiten versetzt habt und mir den Eindruck vermittelt habt, dass ich mich noch auf Englisch verständigen kann! Die Erinnerung daran macht mein Leben in diesen  Herbsttagen unbedingt reicher.

Martina Blumenstock, Weisendorf

 

Biesekater: Mein Wort-Schatz

7.00 Uhr in der Frühe. Ich schaue aus dem Fenster und sehe in der Ferne aufziehende Morgenröte. Auf der gegenüberliegenden Wiese liegt eine dicke Nebelschicht: Biesekater. Vor meinem Haus zwei joggende ältere Damen; und ich erinnere mich an eine längst vergangene Zeit, in der Altwerden noch als normaler Lebensprozess angesehen wurde, begleitet von Ruhe und Gelassenheit. Es war später Nachmittag und auf dem gegenüberliegenden Feld zog Nebel auf. Oma und Großtante saßen auf einer Bank vor dem Haus und ich zwischen ihnen. Sie sprachen plattdeutsch und ich verstand kein Wort, fühlte aber: hier bin ich genau richtig; schnappte das Wort „Biesekater“ auf und machte mir meine eigenen Gedanken. Tempi passati – oder doch nicht ganz. Erinnerung bleibt!

Beate Kipp, Gütersloh

 

Zeitsprung

1930

2006

Das linke Foto stammt aus dem Jahr 1930. In diesem Haus in Dresden wurde ich geboren. Die Adresse damals: Bendemannstraße 11. Die Nazis änderten den Straßennamen 1933 sofort in Rugestraße, denn Eduard Bendemann war Jude gewesen, ein angesehener Maler der Romantik und des Biedermeier. Leider hat es die Dresdener Stadtverwaltung weder zu Zeiten der DDR noch nach der Wende für nötig gehalten, die Umbenennung rückgängig zu machen. Meine Eltern zogen, als ich noch sehr klein war, ins angestammte Rheinland zurück. Ich kam erst 1995 wieder nach Dresden. Da sah das Haus noch fast so aus wie auf dem alten Foto. Die Bombenangriffe hatte es verhältnismäßig unbeschädigt überstanden und stand nun unter Denkmalschutz. 2006 reiste ich anlässlich der Wiedereröffnung der Frauenkirche wieder nach Dresden und besuchte auch die Rugestraße 11. Was für eine Überraschung! Da glänzte die neue Fassade wie auf dem rechten Foto – und auf einer großen Bautafel bot eine Bauträgergesellschaft »luxuriöse Eigentumswohnungen an.

Carl Maria Bloser, Estoril, Portugal

 

Was mein Leben reicher macht

Fünf Tage lang haben wir ihn verzweifelt gesucht. Dann konnten wir unseren Kater Nemo endlich orten: Ein leises Miauen hinter der Badewannenverkleidung gab den Hinweis. Bei Handwerksarbeiten war er unbemerkt hinter die Verkleidung gelangt und eingemauert worden. Niemand hatte an so was gedacht! Unsere Freude und Erleichterung war riesengroß und nicht ohne Erschütterung. Nemo nahm es eher gelassen.

Rita Herber, Bad Camber