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Liebe Frau von der Leyen,

© Sean Gallup/Getty Images

ich bin Akademikerin, alleinerziehend, Mutter von fünf Kindern (davon zwei mit Behinderungen) und „natürlich“ bedürftig. Ich würde mich als antragserfahren bezeichnen. Heute öffne ich den Brief der Familienkasse mit den Anträgen auf „Leistungen für Bildung und Teilhabe“: sechs Anträge pro Kind, also insgesamt dreißig! Bürokratischer Wahnsinn! Ich brauche Stunden, um alle Nachweise zu kopieren. Und ich frage mich, warum unser Staat die Väter (in diesem Fall einen Selbstständigen und Großverdiener) nicht mit allen Mitteln zur Verantwortung zieht und sich auf seine eigentlichen Aufgaben besinnt: direkt die Schulen mit Geld zu überschütten. Nur das kommt bei allen Kindern an. Ich setze Kaffee auf und fülle Antrag Nummer neun aus.

Anne Christine Cuny, Leipzig

 

Was mein Leben reicher macht

Die lebhaften Rufe der Mauersegler morgens, wenn ich in aller Frühe mit dem Rad zur Arbeit fahre. Ich freue mich so sehr, dass diese verwegenen Flieger nach der langen Winterpause endlich wieder hier bei uns sind – seid herzlich willkommen!!

Marit Breede, Hildesheim

 

Was mein Leben reicher macht

Nach einer stressigen Unizeit wieder auf den elterlichen Hof an die Nordsee kommen. Morgens mit der Sonne aufstehen, aus dem Haus schleichen, Katzen füttern und draußen unter dem großen Kastanienbaum Holzhacken. Dabei den Duft von frischem Holz in der Nase. Die Blätter und der Wind lassen die flachen Sonnenstrahlen tanzen. Um acht kommt Oma auf dem Fahrrad mit Brötchen. Gemeinsames Frühstück mit allen, der Tag wird unendlich gut.

Jan Ahmels, Gut Oldeborg, Wangerland – Hooksiel

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Freiwilligendienst mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste im Jüdischen Zentrum Oświęcim/Auschwitz. Und ganz konkret: Die kleine Gruppe jüdischer deutscher Jugendlichen, die in der letzten verbliebenen Synagoge in Oświęcim singen, die mir das Gefühl geben, dass ich hier als Nichtjüdin einen guten Job mache und mit denen ich schließlich beim „Marsch der Lebenden“ mit tausenden anderen vom Stammlager nach Birkenau laufe.

Luisa Lehnen, urspruenglich aus Mainz, momentan in Oświęcim

 

Was mein Leben reicher macht

Meine elfte Teilnahme beim Hamburg Marathon am 22. Mai. Bei KM 40,5 wartet meine Lebensgefährtin Katrin, zusammen mit unserer Tochter Hannah. Hannah wird mich wieder ein Stück begleiten. Wie die letzten 10 Jahre. Beim ersten Marathon war sie 7 Jahre alt. Während sie mich anfeuert, kann ich vor Erschöpfung kaum sprechen. Das Mädchen, das nun eine junge Frau ist, und Ihren Paps noch immer mit derselben Begeisterung anfeuert, lässt mich denken: Wie schön, dass wir als Familie zusammen sind. Die letzten 1,5 KM schwebe ich mit Hannah dahin und vergesse das Laufen und die Schmerzen.

Liebe Katrin, nun leben wir fast 20 Jahre zusammen. Möchtest Du mich heiraten?

Carsten Wend, Elmshorn

 

Was mein Leben reicher macht

Der 86. Geburtstag meines Vaters. Humpelnd (das Bein durchschossen seit seinem 17. Lebensjahr in Russland) begrüßt er den einzigen noch lebenden Freund aus seinem Heimatdorf. Mit Tränen in den Augen liegen sie sich in den Armen. Tränen haben auch wir anderen Anwesenden, die dieser Begegnung „der Letzten ihrer Art“ beiwohnen dürfen. Jeden Tag bedankt sich mein Vater bei mir, dass ich für ihn da bin. Dabei ist es umgekehrt. Und ich weiss, wäre ich in Not und würde ich ihn fragen, selbst seine Rente würde er für mich geben.

Ralf Brücker, Ottobrunn

 

Zeitsprung

1989

2011

Am Muttertag haben meine Schwester Katrin und ich mit unserer Mutter einen wunderschönen Ausflug mit einem Ruderboot auf dem Schlossteich von Chemnitz gemacht. Dabei hat unsere Mutter das Farbfoto aufgenommen. Rechts rudert meine große Schwester, die inzwischen selbst Mutter eines zweijährigen Sohnes ist, links bin ich zu sehen. Wieder zu Hause, erinnerte ich mich an einen ähnlichen Ausflug mit einem Ruderboot in meiner Kindheit. Ich blätterte im Fotoalbum und fand tatsächlich ein Foto davon: im Juli 1989, also vor knapp 22 Jahren aufgenommen, als meine Schwester zehn Jahre alt war und ich selber sechs. Natürlich waren wir Kinder schick angezogen, mit Sommerkleid und Sonnenhut. Auch die Schlosskirche auf dem Schlossberg ist im Hintergrund zu sehen. Einen ganz wesentlichen Unterschied allerdings gibt es: Damals lag der Schlossteich in Karl-Marx-Stadt, DDR, heute dagegen wieder in Chemnitz! Ich bin meiner Mutter und meiner Schwester so dankbar für diese Ausflüge!

Uta Kretzschmar, Chemnitz

 

Was mein Leben reicher macht

Donnerstag, die neue ZEIT ist da. Zuerst die letzte Seite aufschlagen und die rechte Spalte lesen. Die Texte machen mir manchmal eine Gänsehaut, lassen mich lachen oder treiben mir Tränen der Rührung in die Augen. Wie nah sind mir diese kleinen Geschichten! Näher als Euro-Krise, Krieg und Skandale.

Christa Hagel, Lindau

 

Was mein Leben reicher macht

Der Busfahrer blickt skeptisch auf den robusten Kasten in meiner Hand. »Haben Sie da eine Maschinenpistole drin?« – »Nein, eine Geige«, antworte ich und beobachte das nickende, wettergebräunte Schnauzbartgesicht. Dann sitze ich allein in der letzten Reihe, fahre durch die Wälder meiner Kindheit, und passend zu dem rhythmischen Schlaglochhüpfen des Busses höre ich mein momentanes Lieblingslied. Und bin plötzlich ganz unverschämt glücklich in meiner Welt.

Caroline Koch, Magdeburg

 

Wiedergefunden: Post vom Vater


Im vergangenen Februar ist unsere Mutter gestorben, 26 Jahre nach unserem Vater. Als wir ihre Sachen gesichtet haben, fanden wir diese Karte vom 21. Juli 1969, dem Tag der ersten Mondlandung. Unser Vater war damals in Bad Wörishofen zur Kur und schrieb nahezu täglich, wohl auch, weil Postkarten mit 3-D-Effekt gerade neu auf dem Markt waren. Er nahm mit Recht an, dass meine Schwester und ich (damals 13 und 7 Jahre alt) Freude daran haben würden. Zumindest erschienen diese Karten damals als so wertvoll, dass sie bis heute niemand weggeworfen hat, und so blieb also auch dieses Zeitdokument erhalten. So viel Pathos hatten wir unserem Vater gar nicht zugetraut. Auf jeden Fall sehe ich mich noch nachts vor dem Fernseher sitzen (zum ersten Mal!) und die Life-Übertragung verfolgen. Meine Schwester bemerkte angesichts der Postkarte, sie wäre sicher gewesen, dass unser Vater in dieser Nacht bei uns gewesen wäre. Da sieht man, wie auch »historische« Ereignisse in der Erinnerung verfälscht werden.

Claudia Buchmann-Tunsch, Bremen