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Deutsch-französische Freundschaft

Ende Juni fuhren meine Freundin und ich nach Südfrankreich in ein kleines Dorf bei Lyon. Vor 30 Jahren wurde die Partnerschaft zwischen der deutschen und der französischen Gemeinde begründet, sie besteht immer noch, auch die Jungen treffen sich gern, hier wie dort. Wir aber wollen Dédé besuchen, eine alte Dame, sie ist 86, fast blind, lebt allein in ihrem großen Haus. Der alten Dame geht es nicht gut, doch sie freut sich sehr über unseren Besuch. Jeden Morgen beim Frühstück macht sie einen Plan, was sie uns an französischen Köstlichkeiten zubereiten kann. Am Abend vor unserer Abreise – wir sitzen bei einer Flasche Champagner zusammen – gesteht sie uns, dass sie, bevor ihr Mann dem Partnerschaftskomitee beitrat, sich geschworen hatte, niemals wieder einem Deutschen die Hand zu schütteln. Jetzt beim Abschied umarmt und küsst sie uns, sagt, dass ihr Haus immer für uns offen sei und sie uns als Freunde, ja sogar als ihre Töchter betrachte.

Ulrike Nöth, Schwabach, Mittelfranken

 

Berliner Mondfahrt

In einem chaotisch-bunten Kinder- und Jugendzentrum in Berlin-Neukölln. In einer Ecke sitzt auf dem alten Sofa eine kleine Frau, die wohl schon fast siebzig ist. Ihren kranken Fuß hat sie auf einen Hocker hochgelegt. Auf ihrem Schoßsitzt ein kleiner, arabisch aussehender Junge und liest ihr sehr langsam, mit dem Zeigefinger die Zeilen verfolgend, aus Peterchens Mondfahrt vor.

Sarah Klein, Berlin

 

Das Wetter ist kein Grund zum Jubeln!

Das Sommermärchen ist vorüber, aber der Sommer dreht noch einmal so richtig auf und versucht die 40-Grad-Marke zu knacken. Eine riesige Hitze legt sich über das Land, und für den Osten und Norden des Landes ist immer noch kein Regen in Sicht. Dennoch überschlagen sich die Massenmedien, verkünden jubelnd jede weitere Temperatursteigerung und freuen sich über ausbleibende Regenrisiken. Als Förster in Brandenburg hat man da so eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Der Wald trocknet aus, Bäume werfen bereits ihr Laub ab, Waldgewässer verlanden, und die Waldbrandgefahr steigt ins Unermessliche. An den besorgniserregenden Szenarien der Klimaforscher scheint etwas dran zu sein, man merkt es hier ganz deutlich. Ähnlich geht es auch den Landwirten
und all den Menschen, die es nicht so heiß und trocken mögen. Doch das Trommelfeuer aus dem Radio, selbst bei öffentlich-rechtlichen Sendern, geht munter weiter: „keine Regengefahr, nur geringes Gewitterrisiko, tolle Tropennächte“. Währenddessen klappen die ersten Senioren ab, Server-Farmen geben den Geist auf, und Bauarbeiter wechseln die Farbe ins Schwarze.

Nun, wir werden das Wetter so hinnehmen müssen, wie es ist. Doch, liebe Morgenshow-Moderatoren und E-Mail-Poeten („ein super sonniges Wochenende!“), lasst mich bitte selbst entscheiden, wie ich das Wetter zu finden habe.
Ich lasse Euch im November ja auch in Ruhe.

Jan Engel, Chorin

 

Zweifel

Ich hab das Abi
Beginnt denn jetzt mein Leben?
Ich glaub es noch nicht.

Kornelius Friz, Göppingen

 

Kritzelei: Handarbeit


Ich schicke Ihnen hier meine Schreibtischunterlage. Mein Kopf funktioniert überhaupt nur, wenn meine Hände beschäftigt sind.

Teresa Erhart, Berg am Starnberger See

 

Geimsames Schicksal, das befreit

Ich fand es per Zufall in meiner Buchhandlung: das Buch Die vergessene Generation. Sabine Bode berichtet darin über Kriegskinder, die ihr Schweigen brechen, und ich erkannte mich in vielen Schilderungen wieder: „Na ja, wir sind doch durchgekommen.“ – „Wir leben ja noch.“ – „Hab dich nicht so!“ – „Tüchtiges Mädchen!“ – „Beiß die Zähne zusammen!“ Vieles, was ich bisher als persönliches Unvermögen eingeordnet hatte, begegnete mir plötzlich als gemeinsames, traumatisches Schicksal. Es war wie eine Befreiung.

Ingrid Riwalsky, Berlin
„Die vergessene Generation“ ist bei Klett-Cotta und als Taschenbuch bei Piper erschienen

 

Hanseatenehre?

Im Verlauf der Trauerfeierlichkeiten für Heidi Kabel wurde erwähnt, dass „ein echter Hamburger keinerlei Auszeichnungen annimmt“. Was steckt dahinter?

Friederike Homann, Lüneburg

 

Wandern, reden, genießen

Fünf Männer in den guten Jahren, die den besten unmittelbar nachfolgen, sind beim Wandern im Markgräfler Land. In Auggen kommen sie ins Gespräch mit einem alten Handwerksmeister und Winzer. Die Rede „fließet munter fort“, zumal der alte Herr den schönen alemannischen Dialekt spricht, wie ihn nur noch die Alten verwenden. Schließlich trennen sich die Herren, die fünf wandern weiter. Etwa eine Stunde später erreichen sie einen Aussichtspunkt zwischen Auggen und Müllheim. Da fährt ein Auto vor, ihm entsteigt der Auggener Winzer und kredenzt den Wanderern eine Flasche „Auggener Schäf Gutedel“. Die Freude ist auf beiden Seiten groß. Mit diesen Zeilen soll dem Winzer Erhard K. ein kleines Denkmal gesetzt werden.

Frank Laier, Stuttgart

 

Zeitsprung: Architektur in Nürnberg

1955 © Stadarchiv Nürnberg A-38-I-N-82-5

Angeregt durch den Bildband Architektur Nürnberg 1900–1980 von Klaus-Jürgen Sembach mit wunderbar schlichten Schwarz-Weiß-Aufnahmen, entschloss ich mich, einige der noch vorhandenen Bauten mit ähnlicher Perspektive zu fotografieren. Ich wollte den momentanen Zustand von wichtigen Nürnberger Bauwerken und Ensembles des letzten Jahrhunderts festhalten. Mein Werkzeug war eine kleine Digitalkamera, mit der man ohne Aufsehen und schnell arbeiten kann. Was der historische Fotograf am Aufnahmestandpunkt an seiner Kamera einstellen musste, erledigte ich mit entsprechender Software zu Hause am Computer. Zunächst war ich erstaunt, in welch fast unverändertem Zustand sich die alten Bauwerke präsentierten. Ich war überrascht, mit welcher Genauigkeit und sozialer Weitsicht etwa die Gartenstadt oder die Wohnsiedlung am Rangierbahnhof geplant und realisiert worden waren.

2009 © Hans Grasser

Erst auf den zweiten Blick bemerkte ich – wie etwa in dieser Wohnanlage an der Carl-von-Linde-Straße –, dass zwar die Bausubstanz weitgehend erhalten geblieben war, doch eine Vielzahl von Details entweder verloren gegangen oder neu hinzugekommen war. Da war eine Mauerumfassung verschwunden, dort ein Lichtschacht zugemauert worden, Anbauten verstellten den Blick, Fenstersprossen fehlten, es gab neue Werbeflächen, Läden, Grünstreifen mit hässlichen Bodendeckern, Mülltonnen, Altglascontainer, Handymasten, Satellitenschüsseln und eine Unzahl von aufdringlich designten Blechkisten, die überall herumstehen und so tun, als würden sie schon immer zum Stadtbild gehören. Kurz: Die einstige Monumentalität und Größe der meisten Bauwerke wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Als hätte sich der Denkmalschutz aus den Randzonen der Stadt verabschiedet. Nürnberg präsentiert sich gern als mittelalterliche Stadt und vergisst oft seine wichtige neuere Architektur.

Hans Grasser, Nürnberg

 

Dank dem Erfinder der Sommerzeit

Jeden Tag die Vorfreude auf den langen hellen Abend: erst auf der Terrasse sitzen, dann in der Kühle ein Spaziergang den Sandweg entlang in Richtung Osten, links und rechts die Weizen- und Roggenfelder, dann zurück in Richtung Westen, auf den bewaldeten Horizont zu, hinter dem die Sonne nun langsam versinkt. Nicht genug kann ich denen danken, die die Sommerzeit erfunden haben. Wenn ich mir vorstelle, dass früher mitten im Sommer die Sonne schon vor 21 Uhr unterging!

Thelma von Freymann, Diekholzen, Niedersachsen