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Kritzelei: viele kleine Hundertwassers

Um den Lehrermangel zu lindern, helfen in der Hermann-Hedenus-Hauptschule in Erlangen Senioren wie ich – ich bin 71 Jahre alt – bei der Betreuung von Arbeitsgruppen und in der Projektarbeit. Diese Kritzelei entstand bei den Vorgesprächen mit der Kunstlehrerin, Frau Maier, für ein Malprojekt zum Thema Hundertwasser mit ihrer Klasse 6c. Die Schüler waren mit viel Freude bei der Arbeit und produzierten an mehreren Tagen viele schöne „Hundertwassers“.

Klaus Hoffmann, Adelsdorf, Mittelfranken

 

Handygezwitscher

Endlich Sonne, man kann auf der Terrasse sitzen! Bisher war es einem ja nicht vergönnt, man hat schnatternd die Gartenmöbel fit gemacht und die Geranien gepflanzt. Vom geheizten Wohnzimmer sehnsuchtsvoll nach draußen geblickt, nur Regen, Regen, Regen! Aber heute, Sonntagfrüh: angenehme Temperaturen. Und die Sonne wirft die ersten Strahlen auf den Frühstückstisch. Erst mal setzen wir uns und blinzeln in das ungewohnte Licht. Kurze Hosen, Sonnenbrille, Beine hochlegen und Zeitung lesen. Wahnsinn, die Vögel zwitschern, ansonsten ist Stille.

Zehn Uhr, die Kirchenglocken läuten, und langsam erwachen auch die Nachbarn und richten sich auf den Balkonen ein. Leises Gemurmel klingt durch den Innenhof der zwanzig Parteien. Doch plötzlich, es ist elf Uhr: Führt da einer lautstark Selbstgespräche? Ein Zweiter, ein Dritter? Kann nicht sein, denke ich mir und schaue mal in die Runde. Da stehen sie alle mit dem Handy am Ohr! Ich muss mir anhören, wie es der Oma so geht, welchen Stress die Freundin mit dem Freund hat, was man bei Aldi alles versäumt hat … Inzwischen haben sich weitere zehn Handys eingeschaltet. Ich schließe die Balkontür und verziehe mich ins Wohnzimmer. Liebe Nachbarn, muss das denn sein? Könnt Ihr nicht in der Küche oder auf dem Klo telefonieren? Da geht’s im Winter doch auch!

Sabine Kröner, Heidelberg

 

Fühl den Groove!

Wenn sich zwei- oder dreimal wöchentlich mal fünf, mal zehn motivierte junge Musiker – alte gute Freunde, neue gute Freunde – in unserem Proberaum in Treptow treffen und still nach ihren Blas-, Streich-, Schlag-, Tasten- und Saiteninstrumenten greifen, dann dauert es nicht lange, und ich spüre sie wieder: diese Energie. Die Do I Smell Cupcakes? spielen im Kreis, jeder sieht und fühlt jeden. Wir lachen, wir geben uns der Musik hin, wir bewegen uns hinter den Instrumenten gemeinsam, wir fühlen den Groove, der uns umgibt. Plötzlich fallen alle Alltagssorgen ab, und wir erschaffen etwas. Jedes Mal aufs Neue bin ich beeindruckt, was man alles schaffen kann, wenn man es nur will. Danke an euch alle, Jungs, danke, dass ihr mich reicher macht. Bald geht’s ins Studio. Dann werden wir hoffentlich auch alle anderen reicher machen.

Robert Marinow, Berlin

 

Integration gelungen?

Am Abend des letzten WM-Vorrundenspiels, Deutschland gegen Ghana. Noch drei Stunden bis zum Anpfiff. Ich radle nach Hause und muss an einer Ampel warten. Ich beobachte eine Frau auf ihrem Balkon: Mitte fünfzig, Kopftuch, an der Wand die blauen Glasaugen zur Abwehr des bösen Blicks. Hingebungsvoll schmückt die Frau ihren Balkon mit großen und kleinen Fahnen. Mit Deutschlandfahnen! Hier, scheint mir, ist die Integration gelungen. Und Deutschland
steht im Achtelfinale.

Florian Egger, München

 

Wiedergefunden: ein sehr deutsches Schild

Ein Bild aus den Zeiten der Analogfotografie, entstanden im Jahr 2001 auf meiner ersten Rucksackreise durch Lateinamerika: Ich konnte kaum Spanisch, war sehr jung, voller Erwartungen und ziemlich überfordert von der neuen Welt. Im Nirgendwo zwischen Argentinien und Chile, nahe dem kleinen Bergstädtchen Uspallata, machte ich diese Aufnahme.

Ich dachte ja immer, die Deutschen würden es mit den Regeln etwas übertreiben. Aber hier, am Fuß der Anden, inmitten endloser Abgeschiedenheit und Hunderte Kilometer von der nächstgrößeren Stadt entfernt, stand ein einsames Schild, und auf diesem einsamen Schild stand: „Destruir señales es un delito“ – Schilder zu zerstören ist ein Vergehen. Wie klein schien die Welt, wie widersprüchlich und seltsam. Ich konnte nur noch lachen: Willkommen zu Hause!

Tina Weber, Jena

 

Briefe über Deutschland (14)

Lieber Rich,

ich komme gerade aus Vancouver zurück. Dort habe ich ein Stück Zukunft erlebt: Eine junge, dynamische Stadt, weltoffen und auf Asien ausgerichtet, politisch progressiv, auf Nachhaltigkeit bedacht, post racial. So habe ich diese Zukunft in Europa noch nicht gesehen. Europa hat dort Stärken, wo es in Nordamerika noch hapert: bei der wirtschaftlichen und politischen Integration. Aber die Euro-Krise hat gezeigt, dass, auch wenn Landesgrenzen niedergerissen werden, die Grenzen in den Köpfen weiterleben. Vielleicht braucht das Zeit und weitere Integration – auch der Menschen und ihrer Politiker. Kanada geht einen anderen Weg: Es lädt die Welt zu sich ein – rund 250 000 Einwanderer sind es pro Jahr – und versucht, die Grenzen in den Köpfen vor Ort anzugehen, wenn alle erst mal Kanadier sind. Es formt aus Tausenden eine Identität und ist somit Europa bei der Integration seiner Menschen um einiges voraus. So ebnet es sich seinen eigenen Weg in die Zukunft, indem es Talente anzieht und der Alterung der Gesellschaft entgegenwirkt.

Beide Fälle spielen ihre historischen Stärken aus: Europa, die eher gesetzte, aber über Jahrhunderte amorphe Einheit; Kanada, das klassische Einwandererland. Beide könnten aber noch viel voneinander lernen. Kanadier und ihre Nachbarn vom Nutzen der Integration, Europäer etwas über den Aufbau einer postmodernen Gesellschaft. Zum Beispiel durch eine Reise nach Vancouver.

Dein Julian

Im wöchentlichen Wechsel schrieben sich hier Julian Lee, 30, Umweltberater aus Montreal, und sein Stiefvater Friedrich Engelke, 68, Physiker aus Villingen. Dies ist der vorläufig letzte von insgesamt 14 Briefen.

 

Ein Blick, der Hoffnung gibt

Vergangene Woche las ich das Buch Ist Altern eine Krankheit? von Rüdiger Dammann und Reimer Gronemeyer. Der Untertitel: Wie wir die gesellschaftlichen Herausforderungen der Demenz bewältigen. Der medizinische Blick auf Alzheimer und Demenz erzeugt eher Angst, der soziologische Blick aber gibt Hoffnung. Ein sehr lesenswertes Buch, aus dem ich viel gelernt habe!

Petra Schönwälder, Bamberg
Ist Altern eine Krankheit ist im Campus-Verlag erschienen

 

Kritzelei: Kongress und Fußball


Diese Kritzelei stammt aus einem pharmakologischen Workshop in Montreux. Einerseits versuchte ich, meine Aufmerksamkeit dem Vortragenden und seinen Ausführungen zu schenken. Andererseits verfolgte ich auf dem iPhone meines Tischnachbarn das Spiel Serbien – Deutschland. Wie man sieht, ist mir beides nicht so ganz gelungen.

Monika Weiss, Luzern

 

Brief aus Kapstadt

Ist die WM Fluch oder Segen? Werden die WM-Schulden zu einer zunehmenden Verelendung führen oder wird das wirtschaftliche Vertrauen in Südafrika gestärkt und durch Investitionen mehr Arbeitsplätze schaffen? Diese Frage begleitet meine südafrikanische Familie. Da ich zurzeit in Deutschland bin, schickt mein Teenager-Sohn regelmäßig Berichte.

Renate Cochrane

Liebe Mama,

Die WM Organisation in Kapstadt klappt super. Für uns ist es ebenfalls ein Art (Winter-) Märchen. Wir müssen nicht mit dem Auto in die Stadt fahren, denn von unserem Vorort fährt jetzt jede halbe Stunde ein schicker Bus zur Waterfront und zum Stadion und wieder zurück bis in die frühen Morgenstunden. Diese Busverbindung ist wie ein durchlebter Zukunftstraum. In der Nacht sieht das erleuchtete Green Point Stadium fast wie ein UFO aus. Alles hat etwas Unwirkliches an sich. Wir waren beim Spiel England-Algerien und das Gefühl in einem vollgepackten (65.000!) Welt-Stadion zu sein war überwältigend. Die Einweisung an unsere Plätze war so effizient und gut durchdacht, dass es überhaupt kein Gedränge gab und 10 Minuten später saßen wir wie gebannt auf unseren Sitzen. Der junge Mann hinter mir hatte ein Vuvuzela, aber ich bat ihn nach oben zu blasen und das Geräusch war überhaupt nicht störend, denn die Fans um uns waren dann doch viel lauter. Die Kudu-zelas, die aus dem echten Kuduhorn geblasen werden, haben einen warmen Brummton und klingen viel schöner als Plastiktröten.

Ich hatte bei diesen Massen einen Bammel auf die Toilette zu gehen. Aber welche eine Überraschung! Die Toiletten (zumindest für Männer) muten futuristisch an. Meilenweite schimmernde Installationen mit Platz für Tausende. Dann waren wir auf der Fanmeile – wow, wir konnten unser City Centre nicht wieder erkennen! Das Bahnhofsviertel ist völlig neu renoviert und alles sieht fabelhaft attraktiv aus. Es herrscht überall eine großartige Stimmung. Wir sind stolz, dass wir als Südafrikaner dies auf die Reihe bringen.

Der Diski-Dance symbolisiert für mich unseren südafrikanischen Hoffnungsgeist. „Diski“ sollte nach Europa importiert werden. Du weißt hoffentlich, dass der Diski-Tanz von den Jugendlichen in den Townships erfunden wurden, die sich keinen „Diski“-Fußball leisten können, also spielen sie singend und tanzend mit einem imaginären Ball. Ich hoffe schon, dass die WM uns nun mehr Vertrauen gibt, dass wir auch unsere sozialen Probleme besser in Griff bekommen. Wenn wir solche wunderbaren Stadien errichten können, warum sollen wir es dann nicht auch schaffen Schulen und menschenwürdige Wohnungen für die Benachteiligten in unserer Gesellschaft zu bauen? Viva Südafrika!

Tebo Cochrane, Kapstadt

 

Zeitsprung: Balkonwelt

Nachts

Nachts mögen alle Katzen grau sein, die Blumen meines Balkonkastens bekommen aus der Wohnung aber ausreichend Licht, um ihre Farben zu zeigen. Der Schnittlauch hat verheißungsvolle Knospen, der Lebensbaum im nahen Hintergrund lässt sich nur erahnen, alles andere liegt verborgen im Dunkel.

Am Tag

Zehn Tage und eine halbe Erdumdrehung später ist alles im grünen Bereich. Der Schnittlauch blüht und erfreut die Augen mehr als den Gaumen, backstage präsentiert sich der nahe Wald mit pflanzlicher Selbstverständlichkeit. Und spätestens die frisch gepflanzten Löwenmäulchen verraten diskret menschliches Zutun und versprechen neues Wachstum und neue Blüten. Nur eine Kleinigkeit, aber eine ganz hübsche, finde ich.

Christian Voll, Passau