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Kritzelei gegen den Dämmerzustand

Wenn es in der Schule um Wirtschaft geht, versetzt sich mein Hirn oft in einen zähen Dämmerzustand. Damit die Unterrichtsstunde nicht völlig unnütz vergeht – und damit ich nicht verblöde – versuche ich dann zumindest, meine kreative Ader auszuleben.

Birke Bretthauer, Vohburg an der Donau

 

Spurwechsel geglückt

An der Supermarktkasse: Ich stehe in einer sehr langen Schlange. Als eine zweite Kasse geöffnet wird, wechsle ich dorthin. Aber fast alle überholen mich dabei, auch Leute, die zuerst hinter mir standen. Unvermittelt dreht sich eine junge Frau um. Ob ich nicht vorgehen wolle, fragt sie mich, schließlich habe ich eben noch vor ihr in der Schlange gestanden. Dankend lehne ich ab, versöhnt mit all den dreisten Überholern. „Versuche, dich nicht von irgendeiner Eile treiben zu lassen“, denke ich mir. Und: „So ist sie eben auch, ‚diese Jugend‘.“

Sonja Then, Wenzenbach bei Regensburg

 

Drei Mal Sonne im Leben

Drei Nachbarinnen, alle weit über 70 Jahre alt, verstehen es auf wunderbare Weise, Licht in meinen Alltag zu bringen. Die erste leidet – laut Arzt – an Demenz: Sie sorgt für manche Überraschung, doch ihre gute Laune und ihr Lachen bringen Sonne in jeden noch so grauen Tag. Die zweite ist quirlig wie ein junges Mädchen und verbreitet einen unschlagbaren, realistischen Optimismus: „Ich habe noch so viele Tomatensamen. Da kann ich nächstes Jahr noch einmal säen – wenn ich noch lebe.“ Und die dritte im Bunde wird beim Geraniengießen philosophisch: „Es ist doch jedes Jahr wieder schön, das Wunder der Natur zu erleben, wenn die Schwalben den weiten Weg aus Afrika zu uns kommen.“ Sanfte Waffen alter Frauen gegen die überzogenen Erwartungen der nachkommenden Generation.

Susanne de la Fuente, Obernbreit

 

Wiedergefunden: eine Widmung

„Wir müssen das Loslassen lernen.“ Mit diesem Satz aus der Hospizbewegung lebe ich schon länger. Eines Tages vermisste ich ein Buch. Es war mir besonders wichtig. Nicht nur wegen seines bewegenden Inhalts. Ich wollte vor allem die Widmung noch einmal lesen, die mir eine inzwischen verstorbene Hospizfreundin, eine Franziskaner-Ordensschwester, hinein geschrieben hatte. Ich fand das Buch nicht. Doch ich blieb zuversichtlich. Und dieser Tage, als ich dem Bedürfnis folgte, einige Sachbücher neu zu ordnen, hatte ich das Buch plötzlich in der Hand.

Ich schlug den Deckel auf und las: „Zur Erinnerung an unseren gemeinsamen Weg und unser Ziel.“ Ich bin froh, dass das Buch wieder da ist. Als Mutmacher auf dem letzten Weg. Und mit der Erinnerung an das Ziel, auf das wir zugehen.

Heinz Gronewold, Ganderkesee

 

Lieber Reinhard Mey,

© Jörg Carstensen/ dpa

wir sind zusammen älter geworden: 1970, mit dreizehn, hörte ich zum ersten Mal Deine Chansons. Kürzlich ist Deine neue CD Mairegen erschienen. Klasse! Wieder einmal lässt Du Deine Fans ganz nah an Dich heran. Bei einem Deiner nächsten Konzerte werde ich dieses Mal in der ersten Reihe sitzen.

Danke für die vielen emotionalen Momente, die Du mir über all die Jahre geschenkt hast.

Claudia von Egan-Krieger, Pforzheim. Mairegen ist bei Odeon erschienen

 

Briefe über Deutschland (11)

Lieber Julian,

wir kommen gerade von einem Besuch zurück, der nachklingt. Geschürt von einigen Medien hat die Angst in Deutschland einmal mehr die Oberhand gewonnen: Steht der Zusammenbruch des Euro bevor? Reicht das milliardenschwere Rettungspaket für Griechenland, oder geht der Staat doch pleite? Kippen noch andere EU-Länder? Unsere Freundin zeigt Anzeichen von Panik. „Was mache ich mit meinem Geld? Und ihr?“ Daneben Wut auf die „Pleite-Griechen“.

Sie versteht es nicht, als ich einwende, dass wir zur griechischen Misere selbst erheblich beigetragen haben: Unsere hohen Exportüberschüsse bestehen zum Teil eben auch aus mit Schulden finanzierten
Ausfuhren nach Südeuropa. Noch weniger verstanden werden diese großen Zahlen: Seit dem Zusammenbruch einiger Banken scheinen Milliarden so etwas wie die kleinstmögliche Einheit zu sein im politischen Denken und
Handeln. Selbst ein Herunterrechnen von 1 Milliarde in 12,50 Euro pro Deutschen hilft wenig.

Mich macht es ratlos. Bräche der Euro tatsächlich auseinander, dann wäre vermutlich das Geld am besten hier in Deutschland aufgehoben, denke ich mir. Sind wir doch finanzpolitisch eines der solidesten Länder der Erde, weit vor den USA. Wie denkt man bei Euch darüber?

Dein Rich

Im wöchentlichen Wechsel schreiben sich hier Friedrich Engelke, 68, Physiker aus Villingen, und sein Stiefsohn Julian Lee, 30, Umweltberater aus Montreal

 

Meeresrauschen, Vogelgezwitscher: endlich wieder hören

© joexx / photocase.com

1986 ertaubte ich infolge von mehreren Hörstürzen völlig. Mit der Zeit akzeptierte ich mein Schicksal und richtete mein Leben mit meiner Taubheit ein, so auch, indem ich u.a. die Lautsprachbegleitenden Gebärden erlernte.
Dank der stetigen medizinischen technischen Fortentwicklung habe ich mich 1995 dazu entschlossen, trotz großer persönlicher Vorbehalte ein sog. Cochlear-Implant (CI) in die linke Hörschnecke einsetzen lassen. Weil ich wusste, dass 22 Elektroden, die eine Tonfrequenz von ganz hoch bis ganz tief ermöglichen sollen, kaum das normale Gehör wieder geben können, hielt ich meine Erwartungslatte besonders tief.

Dennoch war ich nach der ersten Hör- und Sprachanpassung mit einem externen Zusatzgerät überwältigt: Ich konnte nicht nur meine eigene Stimme wieder hören, sondern es war mir, als würde mir eine Käseglocke abgenommen werden: Der erste Spaziergang mit dem neuen Gerät auf dem Klinikgelände vermittelte mir ein völlig neues und doch irgendwie vertrautes Lebensgefühl: Vogelgezwitscher, Gesprächsfetzen von Menschen, Fußgetrappel auf der Straße, Zuschlagen von Autotüren. Besonders überwältigt war ich, als ich nach der Entlassung aus der Klinik ans Meer gefahren war und die Brandung hörte und es war herrlich, die Musik aus der Zeit vor meiner Ertaubung im Radio wieder zu erkennen!

Die Bilder, die ich bisher nur gesehen hatte, wurden jetzt durch Geräusche, Stimmen und Musik wesentlich bunter, da sie Emotionen auslösten und heute noch immer wieder auslösen. Durch das Wiederhören wurde ich auch wieder selbstständiger, so konnte ich z.B. wieder selbst telefonieren. Und ohne mein CI könnte ich meinen Beruf heute nicht ausüben. Auch wenn die Operation schon mittlerweile über 16 Jahre zurück liegt: Ich bin mir jeden Tag bewusst, was für einen Riesengewinn an Lebensqualität ich durch das CI gewonnen habe.

Verena Fink, Rendsburg

 

Die Wunden sind verheilt

Dresden ist meine Geburtsstadt. Nahebei, in Dippoldiswalde, habe ich die Kindheit verlebt. Im Februar 1945, ich war achteinhalb, sah man von da aus den roten Feuerschein, nächtelang. Dort brannte auch die Frauenkirche. Nach dem Mauerfall entsprach die Idee, die Kirche wieder aufzubauen, so gar nicht unserer Vorstellung. Die Ruine sollte ein Mahnmal bleiben, wie sie es fünf Jahrzehnte lang gewesen war. Inzwischen haben wir die neue alte Frauenkirche längst für uns angenommen. Die Spuren der Zerstörung wurden mit Originalsteinen deutlich gemacht, im Innern steht das zerschundene alte Turmkreuz. Die Frauenkirche zeigt Narben des Infernos, doch die Wunden sind verheilt.

Klaus Eichentopf, Zwickau

 

Wulff: Kandidat vom Merkels Gnaden

Ministerpräsident Christian Wulff  aus der niedersächsischen Provinz ist seit 35 Jahren CDU-Mitglied. Dass er als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten antreten darf, hat er allein dem CDU-Parteigeschacher zu verdanken. Er bleibt immer ein Kandidat von Angela Merkels Gnaden und wird nie ein unabhängiger Präsident sein können.

CDU und FDP haben wie schon bei der Wahl von Horst Köhler ihren Parteiwillen vor das Allgemeinwohl gesetzt und unter Ausschluß des Volkes nach Gutsherrenart mit ihrer Parteienmacht in der Bundesversammlung abstimmen lassen.

Es wird Zeit, dass das Grundgesetz dahingehend geändert wird, dass der Bundespräsident in Zukunft direkt vom Volk gewählt wird, oder das Amt eines Bundespräsidenten am besten für immer ersatzlos abgeschafft wird. Die Deutschen brauchen im 21. Jahrhundert keinen Ersatzkaiser ohne politische Kompetenzen mehr.

Albert Alten, Wernigerode

 

Verbündete, nicht Kollegen

Jeden Tag diese kleinen Begegnungen im angegammelten Lehrerzimmer eines Augsburger Gymnasiums: Nonsensgespräche am Kopierer, Kaffeeklönereien in der Küche, Klassleiter-Austausch zwischen Tür und Angel, Kolleginnen-Freundinnen-Gespräche über Mann und Kind… Wir wissen: Wir sind mehr als bloß Kollegen in einem anstrengenden Beruf. Wir sind Verbündete und können nur gemeinsam etwas erreichen – und mit einem Schmunzeln im Gesicht.

Stefanie Eckes, Augsburg