Es war eine gute Idee, dass die ARD drei namhafte Regisseure in das gleiche ostdeutsche Dorf geschickt hat, um sie dort ihre neuen Spielfilme drehen zu lassen. Heraus gekommen ist eines der spannendsten Experimente, die in diesem Jahr im Fernsehen zu bestaunen sind, zu sehen am Montagabend, 29. August, im Ersten ab 20.15 Uhr. Christoph Hochhäusler, Dominik Graf und Christian Petzold heißen die Regisseure, die sich darauf eingelassen haben – Repräsentanten eines neuen deutschen Films, der bildstarke Poesie mit strengem Realismus verbindet. Für das öffentlich-rechtliche Fernsehprojekt „Dreileben“ haben sie sich einer Aufgabe gestellt, die ein wenig an Deutsch-Klassenarbeiten erinnert. Zu einem vorgegebenen Thema sollten sie eigene erzählerische Lösungen entwickeln. Vorgegeben waren zunächst einmal der Ort (das Kaff „Dreileben“ in Thüringen), aber auch ein Teil der Handlung (ein Frauenmörder, gespielt von Stefan Kurt, ist aus einer Klinik entlaufen und irrt durch die umliegenden Wälder).
Was die Regisseure aus diesen Grundkoordinaten gemacht haben, könnte kontrastreicher kaum sein. Einzig Hochhäusler macht aus dem Stoff das Naheliegende, einen Krimi nämlich. Mit den Mitteln eines Kammerspiels, karg und minimalistisch, inszeniert er ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Ermittlern, die mit Spürhunden den Landstrich durchstreifen, und dem flüchtigen Sexualstraftäter. „Eine Minute Dunkel“ hat Hochhäusler seinen Film genannt, und im Titel klingt die Stimmungslage schon an: Finsternis weit und breit. Die Jäger und der Gejagte verlieren sich im Tannendickicht des Thüringischen Walds, der zur Topografie seelischer Abgründe wird.
Dominik Graf degradiert in seinem Film „Komm mir nicht nach“ den Handlungsstrang um den gefährlichen Haftflüchtling zum Beiwerk. Im Mittelpunkt seines Films steht ein Streit zwischen zwei Freundinnen, der sich zum stillen Drama auswächst. Die Polizeipsychologin Jo (Jeannette Hain) ist eigentlich nach Dreileben gereist, um die Beamten bei der Suche nach dem Gewaltverbrecher zu unterstützen – ihrer erfolgreiche Ermittlungsarbeit wird jedoch nur nebenher Beachtung geschenkt. Mehr Interesse bringt Graf den Umständen ihrer Unterkunft entgegen: Jo übernachtet bei ihrer alten Freundin Vera (Susanne Wolff), die sich im gleichen Ort mit ihrem Mann Bruno (Mišel Matičević) zufällig eine alte Villa gekauft hat. Vor deren Kulisse entfaltet Graf das intime Porträt zweier Frauen, die voneinander erfahren, dass sie früher einmal in den gleichen Kerl verliebt waren – und jetzt in emotionale Turbulenzen geraten, aus denen sie nur verwundet und verletzt entkommen können.
Noch mehr vom Grundthema entfernt hat sich Christian Petzold mit seinem Liebesfilm „Etwas besseres als den Tod“. Petzold hat eine behutsame Boy-meets-Girl-Geschichte gedreht. Der entlaufene Sexualstraftäter greift erst zum Finale in die Handlung ein, dann wird er jedoch zum Vollstrecker einer äußerst bitteren Pointe. Zuvor konzentriert sich Petzold auf die Amour fou zwischen dem Zivildienstleistenden Johannes (Jacob Matschenz) und dem Hotelmädchen Ana (Luna Mijovic). Ein Verhältnis, das zum Scheitern verurteilt ist, weil sie einander zu fremd sind – er ist ein bodenständiger deutscher Mittelschichtjunge, sie ein Mädchen aus Bosnien mit gebrochenem Selbstbewusstsein.
Weil jeder Film neunzig Minuten dauert, wird aus der Gesamtschau ein viereinhalbstündiger Fernseh-Marathon. Es lohnt sich dennoch, wach zu bleiben. Zum einen funktioniert jeder Film als Einzelwerk. Zum anderen sind da aber noch die Schnittmengen zwischen den Filmen, Schauplätze die wiederkehren, ein Waldweg etwa, ein Hotel oder ein Werbeplakat – diese aufzuspüren, ist ähnlich beglückend wie die Dechiffrierung eines Vexierbilds. Wozu öffentlich-rechtliches Fernsehen im Stande ist, wenn die Programmmacher den nötigen Mut aufbringen!
Wiederholungstermine auf EinsFestival: „Etwas besseres als den Tod“, Mittwoch, 31. August, 20.15 Uhr; „Komm mir nicht nach“, Donnerstag, 1. September, 20.15 Uhr; „Eine Minute Dunkel“, Freitag, 2. September, 20.15 Uhr
Philipp Wurm