In ihrem Atelier im Prenzlauer Berg empfängt Nele Charlotte Schreiner mit großem Dutt auf dem Kopf, aber ohne Hut. Sie selbst trage eigentlich kaum Hüte, sagt die 27-jährige Modistin, weil sie keinen „Hutkopf“ habe. Sie entwirft schlichte, aber detailverliebte Kopfbedeckungen für ihr Hutlabel NCA Berlin (die Abkürzung steht für „Nele Charlotte Accessoires“). Nach einer dreijährigen Ausbildung zur Modistin bei der deutschen Hutdesignerin Fiona Benett und Praktika bei Theater- und Filmproduktionen, hat sie sich Anfang des Jahres selbstständig gemacht und ihre erste eigene Hutkollektion „All my beautiful Friends“ entworfen.
Wenn man auf die Straße geht, sieht man eher selten Menschen, die Hut tragen. Warum trauen sich viele nicht an Hüte heran? Es ist sicherlich so, dass man erst die Angst vor dem Hut verlieren muss. Das Tragen eines Hutes ist ein Statement. Hüte sind auch kompliziert. Viele Menschen sind sich unsicher, wie man Hüte am besten trägt.
Könnte man sagen, wir haben es verlernt, Hut zu tragen? Ja, früher waren Hüte selbstverständlich. Heute dagegen fragt man sich: Sitzt der Hut noch? Muss ich ihn immer auflassen? Wann sollte ich ihn abnehmen? Man muss üben, den Hut zu tragen.
Sie selbst tragen ja auch keine Hüte. Warum haben Sie sich für den Beruf der Modistin entschieden? Vor meiner Ausbildung habe ich eine Zeit lang Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften studiert. Es hat mir nicht gefallen, ich habe überlegt, was ich stattdessen machen könnte. Bei meinen Recherchen bin ich auf den Beruf des Hutmachers gestoßen. Obwohl ich mit Hüten nie so viel zu tun hatte, fand ich die Berufsbeschreibung so toll, dass ich mir dachte, das will ich machen. Mich hat das dreidimensionale, fast schon künstlerische, skulpturelle Arbeiten fasziniert, und ich mochte die Mischung von kreativer und handwerklicher Arbeit. Ich wurde übrigens nicht enttäuscht, ich liebe den Beruf der Modistin!
Sie haben als Modistin bei Film-, Theater- und Ballettprojekten mitgewirkt, unter anderem bei Roland Emmerichs Shakespeare-Film „Anonymous“. Inwiefern haben diese Erfahrungen die Arbeit an Ihrer ersten Kollektion beeinflusst? Ich glaube, dass man unterbewusst ganz automatisch neue Ideen von allen Seiten bekommt. Beim Theater habe ich zum Beispiel viel über historische Hutformen oder neue Materialien gelernt. Außerdem sind die Arbeitsweisen am Theater, beim Film und in der Mode ganz unterschiedlich. Wenn man zum Beispiel einen Hut für die Bühne entwirft, muss er nicht hundertprozentig perfekt sein, da das Publikum ihn nur aus mehreren Meter Entfernung sieht. Beim Film muss man sich genau an den historischen Hintergrund der Geschichte halten. Das heißt, es dürfen beispielsweise keine Maschinennähte am Hut zu sehen sein, wenn es zur entsprechenden Zeit keine Nähmaschinen gab. Man lernt, von unterschiedlichen Seiten an das Thema ranzugehen.
Haben Sie während Ihrer Ausbildung mit verschiedenen Hutmachern zusammen gearbeitet? Ich hab ganz viele verschiedene Modistinnen kennengelernt – meistens sind es ja Frauen. Man kann von ihnen viele Geheimnisse und Tricks erfahren. Oft wollen sie ihr Wissen aber auch für sich behalten. Während man im Entstehungsprozess eines Hutes steckt, erarbeitet man sich als Modist viele Lösungswege und Kniffe selbst. Es dauert sehr lange, all diese wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Zumindest einige Modistinnen wollen die nicht so einfach weitergeben.
Welche Eigenschaften sollte der perfekte Hut besitzen? Ein Hut muss selbstverständlich wirken. Das funktioniert am besten, wenn er speziell für den Kopf des Trägers gefertigt und angepasst ist. Er sollte nicht verkleidet oder albern aussehen.
Bedeutet das, dass ein Hut nicht zu auffällig sein darf? Nein, überhaupt nicht. Es kommt immer auf den Charakter des Trägers an. Der Hut muss zum Gesamtbild einer Person passen.
Welche Hut tragenden Berühmtheiten gefallen Ihnen ? Es gibt einige Stars, die tolle Hüte tragen. Lustigerweise sind es meistens Modelle vom britischen Hutmacher Philipp Treacy, die mir gefallen. Ich finde zum Beispiel den Look von Grace Jones spannend, oder den der Sängerin Róisín Murphy von Moloko. Aber auch Johnny Depp sieht mit seinen zerbeulten Hüten gut aus. Er trägt sie mit genau dieser Selbstverständlichkeit, von der ich eben gesprochen habe.
Etablierte Hutdesigner wie Fiona Benett oder Philipp Treacy in England machen glamouröse Hüte, die sehr teuer sind. Als junger modeaffiner Mensch traut man sich eher weniger an solche Modelle ran. Ihr Label NCA Berlin macht ebenfalls maßgefertigte Hüte, es richtet sich aber auch an jüngere Leute. Das war auf jeden Fall ein wichtiger Gedanke. Ich habe während meiner Arbeit an mich und meine Freunde gedacht und versucht, Hüte zu entwerfen, die wir im alltäglichen Leben oder Abends beim Ausgehen tragen würden. Natürlich sind auch meine Sachen nicht ganz billig, weil ich alles von Hand mache, und diese Arbeit sehr aufwendig ist. Aber auch junge Leute sind durchaus bereit, für etwas Besonderes mehr Geld auszugeben.
Die Fragen stellte Silvia Ihring.
(c) Tamara Jung-König, Lennard Rühle
Und hier gibt es mehr über NCA http://nca-berlin.com/