Kotzendes Einhorn schien wegen des Namens zunächst nichts für heiter und glücklich – obwohl der neben Verwunderung natürlich auch für Heiterkeit sorgen kann. In jedem Fall aber weckt er Interesse. Das tut auch der pink auf weiß glitzernde Selbstankündigungs-Slogan: „Daniel Deckers Blog für Liebe, Kultur und Revolution in Zeiten der Lethargie“. Was hinter dem Blog steckt, lässt sich gar nicht so leicht zusammenfassen: Decker bloggt über Popkultur und Sinnzusammenhänge, verlinkt zu Katzenvideos, schreibt über Einhörner und tagesaktuelle politische Debatten und sortiert die Beiträge in Kategorien wie Liebe, Kultur, Revolution, Lethargie und Einhornism.
Was ist für Sie der vollkommene Blog?
Vollkommenheit ist sehr subjektiv. Daher müsste ich fast meinen nehmen. Mir ist die Vermischung von Pop und Politik sehr wichtig. Ein rein politisches Portal würde mich als Macher wie auch als Leser frustrieren. Ich möchte Abwechslung: Ich mag es, in einem Moment über den Extremismusbegriff diskutieren und mich zwei Postings später über ein Regenbogen-Einhorn-Glitzer-Gif zu freuen. Jeder Mensch ist vielseitig: Ein Blog sollte es auch sein. Ich mag Blogs, bei denen ich den Autoren, den Mensch dahinter kennenlerne. Das heißt nicht, das ich nicht auch Multiuserblogs schätze. Ein vollkommener Blog aber ist für mich immer mit der Person dahinter verbunden.
Mit welchem Blogger identifizieren Sie sich am meisten?
Ich denke nicht, dass ich eine Identifikationsperson habe. Aber ich kann sagen, welche Bloggerin ich am meisten schätze: Nadia Shehadeh, die auf Shehadistan bloggt. Man lernt sie als Person kennen und findet auf ihrem Blog sowohl tolle politische Kommentare als auch Popkultur.
Was ist online Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Ich bin ein Newsjunkie, mein Feedreader ist mein wichtigstes Tool. In dem Punkt kann ich google echt nicht verstehen: Die wollen ihren Reader abschalten.
Was ist offline Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Popkultur, Musik hören, sehen, machen. Filme. Ich bin ein Popkulturjunkie.
Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie die Unwahrheit?
Wenn ich mich irre. Und, unter uns, manchmal wenn ich Sachen über Einhörner schreibe. Aber da sage ich immer: Die schönsten Geschichten müssen nicht immer wahr sein.
Ihr Lieblingsheld im Netz?
Ich kann mich da schlecht festlegen. Es gibt immer wieder tolle Ideen und Ansätze und tolle Leute. Es gibt zu viele, die ich schätze und regelmäßig verfolge.
Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit?
Vermutlich mein Vater, dem ich viel zu selten sage wie sehr ich ihn schätze. Auch wenn wir uns oft in die Wolle kriegen. Ich finde übrigens sehr aussagekräftig, dass hier in den Fragen ein Kontrast zwischen Netz und Wirklichkeit konstruiert wird. Als wäre das Netz unwirklich und eine Fantasiewelt mit kleinen Elfen und Einhörnern. Und die gehen zusammen in einem Land namens Xanadu mit all den anderen Tieren in die Rollerdisco und schmeißen mit Glitzer um sich und dann knutschen die alle miteinander und sind glücklich… hach.
Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie im Netz begegnen?
Dieselben Eigenschaften, die ich an Menschen schätze, die mir in der Wirklichkeit begegnen.
Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie in der Wirklichkeit begegnen?
Dieselben Eigenschaften, die ich an Menschen schätze, die mir im Netz begegnen.
Was mögen Sie im Netz am wenigsten?
Jeder, der sich die Kommentare bei Spiegel Online durchliest, wird wissen, was im Netz am meisten nervt. Das klassische „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“- Keulen-Blabla. Das das netzspezifisch ist wage ich aber zu bezweifeln. Es kann auch ein Vorteil des Netzes sein: Man muss sich mit Ansichten auseinandersetzen, denen man sonst aus dem Weg gehen könnte. Im Netz wird das gerne Filterbubble genannt. Im „Real Life“ vermutlich Freundeskreis oder soziales Umfeld. In meinem Umfeld beispielsweise habe ich wenig mit fleischgewordenenen chauvinistischen Altherrenwitzen zu tun.
Was stört Sie an Bloggern am meisten?
Die Klickgeilheit. Manchen Blogs geht es hauptsächlich um Klicks – ohne Rücksicht auf Verluste. Es wäre naiv zu glauben, dass mich das nicht interessiere. Aber inszenierte Skandale durch Tabuüberschreitungen oder dumme Inhalte haben wir schon zu genüge. BloggerInnen sollten die Chance nutzen, Sachen anders anzufassen. Dabei geht es mir um keine inhaltliche Medienrevolution, sondern einfach um den eigenen Anspruch. Und der kann durchaus den vieler etablierter Medien überbieten.
Was stört Sie an sich selbst am meisten?
Meine Klickgeilheit.
Ihr glücklichster Moment als Blogger?
Als mir ein Leser sagte, dass er sich wegen mir traue als Betroffener Themen deutlicher und lauter auszusprechen.
Was halten Sie für Ihre größte Errungenschaft als Blogger?
Ich hoffe, dass diese noch vor mir liegt. Ich denke aber tatsächlich, dass mein Blog in der Kombination der Themen und Inhalte relativ einzigartig ist. Natürlich gibt es viele weitere Reblogger, doch die Themen-Kombination gibt es in dieser Form nur bei mir.
Über welches Talent würden Sie gern verfügen?
Ich würde mit meiner Musik gerne eine ähnlich große Zielgruppe erreichen wie als Blogger. Was nicht heißt, dass ich mich als Musiker für talentfrei halte. Da ist aber deutlich Luft nach oben. Ansonsten: Interpunktion!
Als welcher Blogger möchten Sie gern wiedergeboren werden?
Einmal auf der Welt gewesen zu sein reicht doch, oder? Wiedergeburt ist nicht mein Thema.
Ihre größte Extravaganz?
Einhörner.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Wiedergeburt geleugnet? Check! Einhörner mehrmals erwähnt? Check! Ich denke in der goldenen Mitte.
Ihr Motto?
Puhhh, habe ich nicht. Aber ich nutze die Gelegenheit, um Hagen Retter zu zitieren: „Wir leben in einem Land, wo Frauenversteher und Gutmensch und Pazifist Schimpfworte sind. Haben wir echt gut hingekriegt.“
Bislang haben unseren Proust-Bloggerfragebogen Cosima Bucarelli, Johanna Moers, Jill Adams, Siems Luckwaldt, Katja Hentschel, Katya Moorman, Julia Stelzner, Katharina Charpian, Thomas Knüwer, Marlene Sørensen und James Castle, Mary Scherpe, Juliane Duft und Anna Katharina Bender, Richard Gutjahr, Anna dello Russo, Peter Glaser, Frederik Frede und Jessica Weiß und Stefan Mensch ausgefüllt.
Seit wann ist Pazifist ein Schimpfwort?
[…] Die Zeit bekommt eine Beschreibung meines Blogs viel besser als die taz hin. Dort nahm ich an einem Blogger Fragebogen teil und in der Einleitung […]