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Alles muss raus – Berliner Schaufenster

 

(c) Karoline Haasters

 

(c) Michael Erbach

Sarah Illenberger ist Illustratorin, doch sie illustriert nicht auf Papier, sondern meistens im Raum. Sie baut, legt, klebt und kombiniert, findet neue Materialien: ein Kleid aus Salat, ein Malerpinsel aus einem Artischockenherz, ein Modell des Sonnensystems aus Zitrusfrüchten. Sie illustriert den Liebeskummer, indem sie ihn zu wollenen Bildern verstrickt.

Letztes Semester unterrichtete sie als Gastprofessorin an der UdK Berlin und verstrickte die Studenten des Industrial Design Studiengangs der UdK und die  Berliner Schaufenster in eine intensive Beziehung. Das Projekt  ALLES MUSS RAUS, das sie zusammen mit Prof. Axel Kufus von der UdK leitet, will  die Schaufensterkultur des Berliner Einzelhandel wiederbeleben.

Einfallsreich und liebevoll entwickelten sie in vier Monaten Konzepte, suchten und fanden Läden, überzeugten die Ladenbesitzer und entwarfen Modelle. Wundervolle Schaufenster entstanden. Im Fenster der Apotheke zum Goldenen Einhorn schlägt jetzt ein Apotheken-A wie ein Herz im Schritt der Passanten.

Seit Montag sind die Fenster fertig gestaltet (auf den Fotos oben sind die Modelle zu sehen). Und am Freitag, dem 17. Februar, wird um 18.00 Uhr zu einer kleinen Street-Vernissage eingeladen. Bei Efekt, einem  Kopierladen,  Admiralstraße 38 in Berlin-Kreuzberg, kann man sich einen Stadtplan holen, auf dem die 14 Orte eingetragen sind. Aber Obacht: Nach Einbruch der Dunkelheit scannt das revitalisierte Schaufenster die Passanten und projiziert das verzerrte Bild auf das Glas.

ZEITmagazin: Wie entstand die Idee zu diesem Projekt?

Sarah Illenberger: Aus dem Dialog zwischen Prof. Axel Kufus und mir. Nach meiner Präsentation für Hermès in den Schaufenstern des Kaufhauses KaDeWe im Sommer 2011 hat uns das Thema Schaufenstergestaltung sehr interessiert: Ein Designbereich, der viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält und doch ein so wichtiger Teil des Stadtbildes ist.

ZEITmagazin: Warum ist Ihrer Meinung nach die schöne Gestaltung von Schaufenstern so selten geworden?

Sarah Illenberger: Zum Großteil liegt diese Vernachlässigung an dem Zuwachs der vielen Geschäftsketten, die einheitliche Schaufensterkonzepte anwenden. Bei Supermarktketten sind es oft Sparmaßnahmen, die dazu führen, dass die Fenster komplett zugeklebt werden. Den Schaufensterbummel gibt es nicht mehr. Das Straßenbild ist doch geprägt von Menschen, die auf die Displays ihrer iPhones und Blackberrys schauen und ihrer Umwelt wenig Aufmerksamkeit schenken.

ZEITmagazin: Hat es für Sie etwas mit Nostalgie zu tun, die Schaufensterkultur wiederzubeleben? Ist nicht das Internet das größte Schaufenster, das man sich wünschen kann, um Waren anzubieten?

Sarah Illenberger: Sicherlich ist das Internet eine spannende Plattform und auch ein Fenster, um Ware anzubieten, aber am Ende laufen wir ja noch durch die Straßen, sitzen in Cafés und erfreuen uns an einer schönen Umgebung. Es muss ja kein Entweder-oder sein. Ich finde aber, ein Geschäft mit einer Fensterfront ist mitverantwortlich für das Erscheinungsbild einer Stadt.

ZEITmagazin: Wie haben die Ladenbesitzer reagiert, als sie gefragt wurden, ob Studenten ihr Schaufenster umgestalten dürfen?

Sarah Illenberger: Generell war die Reaktion viel positiver als erwartet. Eigentlich musste keiner der Studenten das Konzept ändern und anpassen, nachdem wir es dem Ladenbesitzer vorgestellt hatten. Die Geschäftsinhaber haben den Studenten viel Vertrauen entgegen gebracht und sich sehr viel offener und kooperativer gezeigt als erwartet.

ZEITmagazin: Waren die Besitzer in die Ideenentwicklung involviert?

Sarah Illenberger: Alle Besitzer waren involviert. Manche kamen sogar an die UdK zur Zwischenpräsentation und haben sich die Modelle angeschaut. Andere haben mit einem „Mach’n Se ma nur“ den Studenten eine carte blanche in die Hand gedrückt.

ZEITmagazin: Erhoffen sich die Landebesitzer Laufkundschaft durch schönere Schaufenster?

Sarah Illenberger:  Im Ganzen ist es ein Experiment, das von den Ladenbesitzern sicherlich mit großer Neugierde betrachtet wird: Was bewirkt es, wenn man etwas mutiger und experimentierfreudiger an die Gestaltung eines Fensters geht? Noch schöner für die Ladenbesitzer ist es aber, dass sie die Möglichkeit haben, die Geschichte ihres Geschäfts zu erzählen. Bei dem Second-Hand-Laden „Lindt“ in der Körtestrasse in Kreuzberg, einem ehemaligen Süßwarenladen, wurde die Geschichte in der Gestaltung aufgegriffen. Die Kleider wurden wie Pralinen drapiert. Scheinbar hat sich der Vorbesitzer und Pralinenhersteller das Leben genommen, weil er in seine Auszubildende verliebt war, die jedoch die Liebe nicht erwidert hat. Plötzlich entsteht Gesprächsstoff, und Geschichten werden neu belebt.

ZEITmagazin: Jetzt läuft ALLES MUSS RAUS als Pilotprojekt;  in den nächsten Jahren soll daraus ein Wettbewerb werden. Wie wird das aussehen?

Sarah Illenberger: Im Idealfall würde in Kooperation mit dem jeweiligen Quartiersmanagment ein Wettbewerb ausgesprochen werden, an dessen Ende die schönsten Fenster ausgezeichnet werden. Es wäre schön, wenn wir dadurch das Straßenbild neu gestalten und revitalisieren könnten.

Die Fragen stellte Marisa Schulz.

 

1 Kommentar

  1.   Olaf Dicker

    Glückwunsch. Ein wunderbares Projekt der UdK. Ob es nun an den vielen Filialen oder Ketten in Berlin liegt, warum die Schaufenster so vernachlässigt wurden, wage ich zu bezweifeln. Die Tätigkeit des Schauwerbegestalters oder visual merchandisers wird einfach nicht mehr ausgeübt, sondern von Plotterbuchstaben in Heimarbeit ohne jegliches gestalterisches Verständnis ersetzt. Mit dem Aufkommen des digitalen Schneidplotters fühlte sich plötzlich jeder Copyshop berufen, Buchstaben in allen Größen und Arten für das eine oder andere Gewerbe an zu fertigen. Selbst das wundervolle Gewerbe des Schildermalers für den Bereich oberhalb des Schaufensters wurde dadurch ersetzt. Ein Blick nach Hamburg, München und im besten Falle Bozen (nur 865 km von Berlin) zeigt einem aber, wie schön ein Schaufenster saisonal gestaltet werden kann und wie man den Passanten Appetit macht, Artikel spontan zu kaufen, da sie so interessant und appetitlich präsentiert werden. Und gerade das Appetit machen ist in der Smartphone und Onlinewelt wichtig, sonst sitzen wir bald alle vor unseren Online-Kaufportalen, egal im Café, Büro oder zu Hause und bestellen was das Zeug hält mit bequemer Overnight Lieferung kostenfrei per DHL oder UPS. Ich kann mir nur wünschen, dass dieses Projekt Gehör findet und in den Bezirken und Quartieren für Impulse sorgt, das eine oder andere Schaufenster einfach mal zu dekorieren … auch wenn es am Anfang mit kleinen Investitionen verbunden ist, Zeit kostet und längst nicht zu vergleichen ist mit den Arbeiten der Studenten der UdK oder dem KaDeWe Schaufenster von Frau Prof. Sarah Illenberger.

 

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