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Pop Islam

Yasmine © Félix Muralt Foto: ZDF

© Félix Muralt Foto: ZDF

I. Elmokadem (c) Ismail Elmokadem

Religion und Alltag sind nicht immer leicht unter einen Turban zu bringen, besonders wenn man eine Variante zwischen einem sehr konservativen und einem sehr liberalen Islam finden möchte. Das wollen laut Filmemacher Ismail Elmokadem die meisten der Ägypter. Aber wo sind die Grenzen zwischen Lifestyle und Religion? “Islamische Musikvideos” oder “Islamische Models” scheinen eine Provokation für Konservative und Liberale zu sein. Elmokadem folgt in seiner Dokumentation “Pop Islam” dem ägyptische Musik-Sender 4Shbab (für die Jugend), der mit Musikclips im westlichen Habitus islamische Werte und einen moderaten modernen Islam repräsentieren möchte. Manager des Senders Abu Haiba und das verschleierte Model Yasmine sind die Hauptfiguren. Die Dokumentation verweist auf einen Konflikt zwischen Tradition und Moderne, der tief in der ägyptischen Kultur verankert ist.

ZEITmagazin: Was ist das Provokative an einem Sender wie 4Shbab?
Ismail Elmokadem: Es ist der Mix: Islam und Pop. Diese beiden Konzepte in einem Sender zu vereinen, scheint schon ein Widerspruch in sich zu sein.

ZEITmagazin: Wo genau kollidieren diese beiden Konzepte?
Elmokadem: Die meisten Leute denken bei Musikvideos an Pop, Musik und sexy Frauen, die dazu tanzen, sie denken an Liebe zwischen Mann und Frau. Aber was wir auf 4Shbab sehen ist eine andere Art von Pop: Puritanischer, religiöser Pop, der von der Liebe zu Gott, anstatt zwischen den Geschlechtern, erzählt.

ZEITmagazin: Ist der moderne Islam, den 4Shbab ausstrahlt, der liberalste Islam, der zur Zeit in Ägypten gelebt wird?
Elmokadem: Nein, definitiv nicht. Aber die noch liberaleren “Arten des Islam” wie Suffismus verursachen noch mehr Kontroversen. 4Shbab hat sich auf eine Nische im Markt von moderaten Muslimen ausgerichtet, die ihre islamischen Werte, auch wenn sie unterhalten werden, behalten möchten. Der Sender hat auch nie behauptet, Mainstream zu sein.

ZEITmagazin: Könnte 4Shbab mit konventionellen, sexy Musikvideos mehr Leute erreichen?
Elmokadem: Sicher, aber sie wollen die Zuschauer, die in der Mitte sind. Leute die keine sexy Musikvideos sehen wollen, aber auch nicht generell sagen Musikvideos seien schlecht und vom Islam verboten. 4Shbab möchte eine kleine Brücke zwischen den Konservativen und den Liberalen bauen

ZEITmagazin: Praktiziert der Großteil der Ägypter einen eher konservativen oder einen liberalen Islam?
Elmokadem: Wir haben ein breites Spektrum. Es gibt Leute – wie mich, die extrem liberal sind. Sie leben das gleiche Leben wie die Leute im Westen. Dann gibt es Leute auf der anderen Seite des Extrems. Sie sind sehr religiös. Für diese beiden Gruppen ist das Leben ziemlich einfach. Die Mehrheit der Menschen lebt jedoch irgendwo dazwischen. Es gibt ein ganzes Spektrum von unterschiedlichen Graden. Die Menschen in der Mitte sind religiös, sie beten, fasten, die meisten Mädchen tragen das Kopftuch, aber sie leben auch ein normales Leben des 21. Jahrhunderts: hören Musik auf dem Ipod, gucken Youtube, mögen Sitcoms. Die Menschen in Ägypten sind sehr modern und traditionell zur gleichen Zeit.

ZEITmagazin: Was sind die größten Konflikte, die ein Sender wie 4Shbab mit dem konservativen Islam hat?
Elmokadem: Bei Yasmine ist das Schlüsselproblem das Visuelle: Sie trägt Jeans, Make-up und behauptet gleichzeitig ein islamisches verschleiertes Mädchen zu sein. Zum anderen begibt sie sich als Model auf die Bühne. Laut Koran tragen Frauen den Schleier um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber ein Model steht per definitionem auf der Bühne und jeder schaut sie an. Manche sehen darin einen Widerspruch. 
Für Abu Haiba und den Musikvideos, denke ich, geht es nicht um das Musikvideo an sich, das die Konservativen verärgert. Es ist die Idee, weil Musikvideos mit Bildern assoziiert wird, die im Konflikt mit islamsichen Werten stehen „Was soll das sein ein islamisches Musikvideo?“, sagen sie. Sie sind über die unheilige Verbindung von zwei verschiedenen Welten verärgert.

ZEITmagazin: Gibt es Themen, über die 4Shbab senden konnte, die nie in einem konservativen Kanal auftauchen würden?
Elmokadem: Ja, zum Beispiel gab es ein Programm über Sex vor der Ehe. Sie haben Zuschauer nach ihrer Meinung gefragt. Natürlich war es etwas Schlechtes aus ihrer Sicht, aber allein die Tatsache, dass über diese Themen öffentlich gesprochen wird, wäre nie auf einem religiösen Kanal denkbar gewesen.

ZEITmagazin: Und was denken die liberalen Ägypter, gucken sie 4Shbab?
Elmokadem: Nein, definitiv nicht. Die meisten finden es sehr merkwürdig und sie mögen das Konzept nicht. Ich habe Freunde, die sich darüber ärgern und es für einen schlechten Scherz halten.

ZEITmagazin: Warum hat Sie 4Shbab so fasziniert?
Elmokadem: Ich finde diesen einmaligen Mix, den 4Shbab versucht den Leuten anzubieten sehr interessant. Ich stutze sofort als ich es in der Zeitung las „Islamischer Musikvideo Sender“ und dann in einem anderen Artikel „Islamisches Model“, das klang zuerst paradox. Aber wenn man ihnen begegnet, versteht man Yasmine und Abu Haiba besser. Es ist hart für beide, ihren Glauben und ihre Sehnsucht nach einem modernen Leben in Einklang zu bringen. Ein sehr menschlicher Konflikt, mit dem wir alle auf eine Art und Weise kämpfen.

ZEITmagazin: Der Konflikt, den wir in dem Film beobachten, ist einer der innerhalb der ägyptischen Gesellschaft stattfindet. Er hat eigentlich nichts mit der Revolution zu tun, die wir auf dem Tahrir Platz beobachten konnten, oder doch?
Elmokadem: Der Film ist vorher entstanden, er thematisiert die Revolution nicht. Aber es gibt eine Verbindung zwischen dem, was ich aus der Revolution und wir aus dem Film gelernt haben. Die Wahrheit ist nämlich, dass nach meinem Gefühl, der Großteil der Menschen, die an der Revolution teilgenommen haben – ähnlich wie Yasmine und Abu Haiba – moderate Muslime sind. Irgendwo zwischen den Konservativen und den Liberalen. Und diese Mischung, die so schwer für die Menschen in Europa und in den USA zu verstehen ist, ist ein wichtiger Teil der ägyptischen Kultur. Man ist religiös, bis zu einem gewissen Grad. Nur die Wenigsten sind extremistisch.

Weitere Sendetermine: Arte, Freitag 15. April, 05:10 Uhr, Arte, Mittwoch 20. April, 03:35 Uhr

Die Fragen stellte Undine Zimmer

 

Bauhauswerkstätten in Dessau

(c) Stiftung Bauhaus Dessau

(c) Yvonne Tenschert 2010, Stiftung Bauhaus Dessau

(c) Heike Donath 2009, Stiftung Bauhaus Dessau

Bauhaus ist der Luxus der Reduktion, wie es Mies van der Rohe so treffend mit den Worten „Weniger ist mehr“ umschrieben hat – das ist es letztlich doch, was jeder heute mit dem Bauhaus verbindet. Dabei ging es den Bauhäuslern darum, das alltägliche Leben der Menschen durch neues Design, Architektur und praktische Produkte und sogar Stadtplanung zu verbessern. Ab April öffnet die Stiftung Bauhaus Dessau wieder die Bauhauswerkstätten mit vier verschiedenen Kursen  für Jugendliche ab 12 Jahren. Und ja, da dürfen auch die Eltern mit basteln, ohne sich zu blamieren. Denn schon Levi Strauss bezeichnete das Basteln als „wildes Denken“. Wie das genau mit den Werkstätten funktioniert, erklärt Jutta Stein von der Stiftung Bauhaus Dessau.

ZEITmagazin: Warum passen das Bauhaus und Kinder gut zusammen?
Jutta Stein: Das Bauhaus ist Experiment und Spiel. Spielerisch sind auch viele der Produkte des Bauhauses, die man freilich weniger damit verbindet als Wagenfeldlampen und Flachdacharchitektur. Die Meister spielten offenbar selbst gern: Lyonel Feiningers Spielzeugfiguren, Peter Kelers bunte Wiege , Heinz Schwerins Holzautos, Alma Buschers Klötzchenspiel (Bauhaus brachte auch eine neue Auffassung von Pädagogik: Es sollte Spaß machen.

ZEITmagazin: Sie bieten Kurse für Fotografie, Möbel, Lampen, Schmuck, Typografie, Architektur. Was schaffe ich denn so an einem Wochenende bei Ihnen zu bauen? Eher eine kleine Skulptur oder etwa den Entwurf für mein Häuschen im Walter Gropius Stil?
Stein: Beides ist möglich – in der ersten Werkstatt vielleicht eher die Skulptur, in der vierten eher der Raumentwurf.

ZEITmagazin: Die Bauhauswerkstätten sind eine Zusammenarbeit mit der IKEA Stiftung. Ist IKEA so etwas wie das Bauhaus unserer Zeit?
Stein: Das Bauhaus hat gewissermaßen die (gestalterische) Moderne gestartet, auf der IKEA heute fußt. Und gern zitiert man dabei ja auch einen Ausspruch des zweiten Bauhausdirektors, Hannes Meyer: „Volksbedarf statt Luxusbedarf“. Dennoch ist das Bauhaus viel mehr als seine Produkte.

ZEITmagazin: Zu den Werkstätten gibt es einen Vorkurs. Was lernen wir hier von dem Bauhausmeister Johannes Itten?
Stein: Um es mit Beuys zu sagen: Die Idee, dass jeder Mensch ein Künstler, jede Gestaltung Kunst ist. Ittens Herangehensweise hatte viel mit Unmittelbarkeit und Gefühl zu tun – und das wollen wir auch in unseren Vorkursen vermitteln: die Augen zu öffnen, Materialien zu erspüren, die Eigenschaften eines Stoffs zu ertasten.

ZEITmagazin: Welche Produkte des Bauhaus begeistern uns bis heute ?
Stein: Die Wagenfeldlampe etwa, die ist heute in unzähligen Lizenz- (und Nichtlizenz-) Nachbauten erhältlich.

Die Fragen stellt Undine Zimmer

 

Proust-Fragebogen für Blogger (10)

(c) I♥PONYS

Was im 19. Jahrhundert Salons waren, sind heute Blogs. In diesem Sinne lassen wir die Tradition des legendären Fragebogens von Marcel Proust für unsere Lieblingsblogger wieder aufleben.

Ponys sind nicht nur für kleine Mädchen. Der Name des Blog-Magazins „I love Ponys“ der Modejournalistin Katharina Charpian, 24, kommt mit einem verschmitzen Augenzwinkern daher. Zeugt aber auch von ihrer großen Liebe zu den kleinen Trabern. Zum Glück kann man auch mit einem Pony gut aussehen, denn auf den Nenner gebracht, voltigiert Katharina Charpian auf dem Rücken von Streetstyle, Junger Mode und Vintage. Zähmen tut sie ihre Lieblinge dann auf der Linkseite. Dort kann man ihre Lieblingsblogs, die sie ihre Ponys nennt, bewundern. Und stellt fest, dass die Hamburgerin eine Vorliebe für die für Skandinavier hat. Fjord- oder Islandpony, Frau Charpian?

Was ist für Sie das vollkommene Blog? Ein Online-Format, das mit eigenen Ideen gefüllt ist, den Stil des Bloggers widerspiegelt und in einem ästhetischen Layout gebündelt ist.

Mit welchem Blogger identifizieren Sie sich am meisten? Blogger, die mit Leidenschaft bloggen.

Was ist online Ihre Lieblingsbeschäftigung? Besondere Dinge entdecken – von der Jungdesigner-Kollektion über einen spannenden Artikel bis hin zu einer schönen Wohnung in Dänemark.

Was ist offline Ihre Lieblingsbeschäftigung? Mit einem „echten“ Pony im Sommer über die Wiesen zu galoppieren, die Welt zu bereisen und auf Flohmärkten meine Einrichtung zusammen zu suchen.

Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie die Unwahrheit? Beim Ausfüllen von Newsletter-Abos.

Ihr Lieblingsheld im Netz? Google.

Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit? Meine Eltern.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie im Netz begegnen? Authentizität und Kreativität.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie in der Wirklichkeit begegnen? Ehrlichkeit und Humor.

Was mögen Sie im Netz am wenigsten? Unästhetische Layouts.

Was stört Sie an Bloggern am meisten? Lobeshymnen auf Pelz – sie sollten die Kraft, die dahinter steckt, nicht unterschätzen.

Was stört Sie an sich selbst am meisten? Dass ich manchmal zu perfektionistisch bin.

Ihr glücklichster Moment als Blogger? Die Gründung von I♥Ponys.

Was halten Sie für Ihre größte Errungenschaft als Blogger? Dass ich mich ganz ohne Einschränkungen verwirklichen kann – ohne Themenpläne und Layout-Vorschriften.

Über welches Talent würden Sie gern verfügen? Singen und Illustrieren – das wär’s!

Als welcher Blogger möchten Sie gern wiedergeboren werden? Als ein Blogger, der einen netten Sponsor im Rücken hat und von seinen Posts leben kann.

Ihre größte Extravaganz? Ich kaufe mir fast täglich frische Blumen, auch im Winter, und stöbere mehrmals wöchentlich durch den Zeitschriftenladen meines Vertrauens. Zwei Dinge, bei denen der Preis ausnahmsweise überhaupt keine Rolle spielt.

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung? Gespannt.

Ihr Motto? Das Glück dieser Erde…

Bislang haben unseren Proust-Bloggerfragebogen Thomas KnüwerMarlene Sørensen und James CastleMary ScherpeJuliane Duft und Anna Katharina BenderRichard GutjahrAnna dello RussoPeter GlaserFrederik FredeJessica Weiß ausgefüllt

 

MIT

(c) Katharina Poblotzki

Als Tamer Özgönenc (Synthies), Edi Winarni (Gesang) und Felix Römer (Drums) tagsüber noch für das Abitur paukten, traten sie nachts schon in namhaften Londoner Clubs auf. Das ist inzwischen sieben Jahre her. Seitdem waren die drei Musiker mit ihrer Band MIT bereits in China, Japan und Indien. Für ihr zweites Album „Nanonotes“ haben sie mit dem Kraftwerk-Texter Emil Schult zusammengearbeitet. Ihre Songs folgen strengen künstlerischen Konzepten. Über das Besondere an der Mischung von deutschen Texten und neuer elektronischer Musik hat sich „Heiter bis Glücklich“ mit Tamer Özgönenc unterhalten, bevor MIT am 8. April mit „Nanonotes“ in Deutschland und der Schweiz auf Tournee gehen.

ZEITmagazin: Zuerst stolpert man über den Bandnamen: MIT. Wofür stehen die Buchstaben?
Tamer Özgönenc: Der Bandname war immer ein schwieriges Thema für uns, das wir gerne ignorieren wollten. Unsere einzige Prämisse war, dass der Name keine thematische Verknüpfung zu irgendwas herstellt, damit wir uns nicht festlegen müssen.

ZEITmagazin: In einem Ihrer Songs „Pudong“ heißt es „High Tech verpflichtet“. Wozu denn eigentlich?
Özgönenc: Wir waren vor anderthalb Jahren auf einer Tour in China. In Shanghai ist der Stadtteil Pudong das wirtschaftliche Zentrum der Stadt. Wir haben von den Hochhausplattformen hinunter geschaut und waren total fasziniert, dass wir in vier Tagen schon eine Entwicklung der Stadt sehen konnten. Das ging so wahnsinnig schnell. Der Stadtteil ist ungefähr so alt ist wie wir, 23 Jahre, also noch sehr frisch und sehr unfertig. Diese Faszination für utopische Hochhäuser und die Affinität zur Technik hat natürlich etwas mit uns zu tun.

ZEITmagazinEs heißt aber auch, dass Sie sich beim Songschreiben von Landschaften inspirieren lassen. Steht das nicht im Widerspruch zu den Wolkenkratzern?
Özgönenc: Nein gar nicht. Es wäre ja langweilig, wenn wir uns nur mit Wäldern oder nur mit Hochhäusern beschäftigen würden. Genau das Dazwischen macht den Spannungsbogen für uns aus.

ZEITmagazin: Und wie sieht die Landschaft für den idealen Song aus?
Özgönenc: Wir interessieren uns vor allem für graphische Landschaften. Übertragen auf die Musik könnte man das mit klaren Strukturen und Überlagerungen beschreiben. Unser Klangkonzept ist eher wie ein Gefühl. Edi und ich verstehen uns da fast nonverbal, weil wir uns schon so lange kennen und eine ähnliche musikalische Entwicklung durchgemacht haben. Was uns besonders beschäftigt, ist die Spannung zwischen einer Struktur, die die meisten Menschen als kahl und abgeklärt empfinden und der Kombination mit bildhaften Texten. Emotionalität in die Elektronische Musik zu bringen, ist für uns kein Widerspruch.

ZEITmagazin: Das zweite Album heißt, wie die Single, „Nanonotes“. Was ist denn das schon wieder?
Özgönenc: Emil Schult, mit dem wir das Album zusammen entwickelt haben, interessiert sich schon seit Jahren für die Möglichkeiten der Notation von zeitgenössischer elektronischer Musik. Wir haben uns dann gefragt, wie die kleinstmögliche Note aussehen könnte und in dem Zusammenhang ist auch das Wort Nanonote entstanden. Das hat uns weiter beschäftigt, so dass am Ende für uns alle klar war, dass das Album „Nanonotes“ heißen wird.

ZEITmagazin: Das klingt schon so, als wäre MIT eine Gruppe Nerds?
Özgönenc: Nein, eigentlich gar nicht. Wir sind sehr ambitioniert und leidenschaftlich, aber wir beschäftigen uns auch mit ganz vielen anderen Dingen. Zumindest sind wir keine Techniknerds. Oft kommen Leute nach Konzerten auf uns zu und wollen ganz genau wissen, wie wir Sachen technisch umsetzen. Die Frage würde ich mir gar nicht stellen, wenn mir etwas besonders gut gefällt. Wir interessieren uns weniger für die Technik, als dafür, was dabei herauskommt.

ZEITmagazin: Die Texte sind auf deutsch, das Publikum lebt aber auch in Indien, Japan und China. Welche Rolle spielt die Sprache für die Songs?
Özgönenc: Wir hatten immer schon deutsche Texte. Als wir angefangen haben, Konzerte zu geben, vor fünf bis sechs Jahren, war der Markt noch ganz anders. In Deutschland hat sich damals niemand für unsere Musik interessiert und diese Parties, auf denen um Mitternacht ein Musikact spielt, gab es nur im Ausland. Wir haben uns zwar gewundert, dass die Leute dort unsere Texte so annehmen, dadurch haben wir aber auch eine gewisse Sensibilität entwickelt. Wenn wir in China oder Indien spielen, dann versteht das Publikum die Sprache als eine weitere Klangebene der Musik. Wir legen dieselben Effekte auf die Stimme wie auf die Instrumente, damit beides leichter ineinander greifen kann.

ZEITmagazin: Wenn man versucht MIT einzuordnen, dann stößt man auf das Etikett Synthie Punk…
Özgönenc: Das Wort mag ich nicht mal wiederholen. Als wir angefangen haben, mit 15, 16, haben wir uns total für Post Punk und Wave Musik interessiert. Damals spielten auch noch die Posen und parolenartigen Texte eine Rolle. Aber im Zuge der Entwicklung ist uns wichtig geworden, dass wir moderne elektronische Musik machen. Elektronische Musik ist ja eine noch sehr junge Kunst.

ZEITmagazin: Betrachten Sie sich heute noch als Punker oder eher als Klangkünstler?
Özgönenc: Das eine schließt das andere ja nicht aus.

Die Fragen stellten Peggy Kiesow und Undine Zimmer

 

Proust-Fragebogen für Blogger (9)

(c) Schulzki

Was im 19. Jahrhundert Salons waren, sind heute Blogs. In diesem Sinne lassen wir die Tradition des legendären Fragebogens von Marcel Proust für unsere Lieblingsblogger wieder aufleben. Thomas Knüwer, 41, beobachtet seit sechs Jahren auf seinem Blog Indiskretion Ehrensache argwöhnisch das Medienspektakel. Social Media und Digitaler Analphabetismus sind Fälle für den ehemaligen Wirtschaftsjournalisten des Handelsblattes. Seit 2009 ist Thomas Knüwer freier Berater und kümmert sich von Düsseldorf aus mit seinem Unternehmen kpunktnull um alle Fragen des digitalen Zeitalters.

Was ist für Sie der vollkommene Blog? Ein Blog, das von der „ZEIT“ mit dem Artikel „Das Blog“ tituliert würde.

Mit welchem Blogger identifizieren Sie sich am meisten? Mit mir selbst – alles andere wäre Schizophrenie.

Was ist online Ihre Lieblingsbeschäftigung? Leben.

Was ist offline Ihre Lieblingsbeschäftigung? Leben.

Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie die Unwahrheit? Geht es um Preußen Münster, fehlt mir jegliche Neutralität.

Ihr Lieblingsheld im Netz? Spiderman.

Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit? Alle, die das eigene Wohlergehen für die Hilfe anderer Menschen zurückstellen.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie im Netz begegnen? Offenheit.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie in der Wirklichkeit begegnen? Warum sollten das Internet und das Nicht-Internet anders sein?

Was mögen Sie im Netz am wenigsten? Scheuklappigkeit.

Was stört Sie an Bloggern am meisten? „Die Blogger“ ist ungefähr so konkret und klar wie „Das Wetter“.

Was stört Sie an sich selbst am meisten? Manchmal rege ich mich sehr auf. Das kann auf Dauer nicht gesund sein.

Ihr glücklichster Moment als Blogger? Jeder Kommentar, jeder Retweet, jeder Facebook-Like.

Was halten Sie für Ihre größte Errungenschaft als Blogger? Mehr als einen Menschen unterhalten oder informiert zu haben.

Über welches Talent würden Sie gern verfügen? Kochen.

Als welcher Blogger möchten Sie gern wiedergeboren werden? Das Leben eines anderen nochmal leben? Fänd‘ ich langweilig.

Ihre größte Extravaganz? Essen und Reisen auf gehobenem Niveau.

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung? Adrenalinesk.

Ihr Motto? „Führe, folge oder geh aus dem Weg.“

Bislang haben unseren Proust-Bloggerfragebogen Marlene Sørensen und James CastleMary ScherpeJuliane Duft und Anna Katharina BenderRichard GutjahrAnna dello RussoPeter GlaserFrederik FredeJessica Weiß ausgefüllt

 

Eltern Coaching

(c) Verlagsgruppe Beltz

Er ist der bekannteste Familientherapeut Skandinaviens: Der Däne Jesper Juul, 62, ist dann zur Stelle, wenn es darum geht, unglücklichen Eltern aus der Patsche zu helfen. In seinem neuem Buch „Elterncoaching – Gelassen erziehen“ (Beltz Verlag) sind Therapiegespräche abgedruckt, die Mut machen. Die Erkenntnis: Kinder können Glücksgefühle auslösen – wenn Väter und Mütter denn aufhören würden, perfekte Eltern sein zu wollen

ZEITmagazin: Wenn man Ihr Buch liest, könnte man denken, dass es keine gute Idee ist, eine Familie zu gründen – so viel ist von unkontrollierbaren Kindern und entnervten Eltern die Rede. Warum machen Kinder dennoch glücklich?
Jesper Juul: Eltern machen die Erfahrung, dass ihre Kinder sie unbedingt lieben und ihnen grenzenloses Vertrauen schenken. Das ist ein sehr schönes Erlebnis. Dieses Gefühl kann manchmal eine ähnliche Euphorie auslösen wie Verliebtheit unter Erwachsenen. Damit es so weit kommt, müssen sich Eltern allerdings von ihrem hohen Erwartungen verabschieden. Sie müssen geduldig sein und dürfen sich nicht dem Druck aussetzen, ihr Kind ständig zu verbessern. Und sie sollten mehr Zeit dafür finden, sich einfach zurückzulehnen.

ZEITmagazin: Können Sie sich als Familientherapeut an einen Fall erinnern, der Ihnen hoffnungslos erschien und trotzdem noch ein gutes Ende gefunden hat?
Juul: Eine Mutter war mit den Nerven am Ende – so sehr, dass sie an Selbstmord dachte. Ihre drei Kinder waren kleine Tyrannen, und der Vater hatte sich aus der Verantwortung geschlichen. Ich dachte, diese Familie nicht mehr retten zu können. Dann hat der Vater aber endlich eingesehen, dass er selbst die Führungsrolle innerhalb der Familie übernehmen muss – die Mutter hatte nicht die die Kraft dafür. Er hat endlich Verantwortung übernommen. Die Mutter konnte sich erholen. So weit ich weiß, geht es der Familie mittlerweile gut.

ZEITmagazin: Was halten Sie von deutschen Familien?
Juul: Deutsche Kinder werden zu viel erzogen. Das ist ein Problem. Die Botschaft der Eltern zwischen den Zeilen lautet: Wir sind nicht zufrieden! Das ist unerträglich und schadet dem Kind. Deshalb plädiere ich für mehr Gelassenheit. Kinder sind gleichberechtigte Wesen, an denen man nicht dauernd herumdoktern muss

Die Fragen stellte Philipp Wurm

 

Proust-Fragebogen für Blogger (8)

(c) Privat

Das Besondere an Marlene Sørensen, 31,  und James Castle, 30,  ist, dass er Mode so sehr liebt wie sie und dass sie Fußball so sehr liebt wie er. Sie ist Journalistin, er Designer. Sie leben zusammen in Berlin und schreiben Spruced, wo sie über ihre Entdeckungen, Inspirationen und Ideen berichten.

Was ist für Sie das vollkommene Blog? Haben wir noch nicht gefunden. Denn das Schöne an Blogs ist, dass sie sich immer weiter entwickeln.

Mit welchem Blogger identifizieren Sie sich am meisten?
James: Mr. Hare, Schuhdesigner und Arsenal-Fan, was ihn doppelt sympathisch macht.
Marlene: Heather B. Armstrong von Dooce. Ich habe nicht viel mit ihr gemeinsam, aber ihr Blog war vor sieben Jahren das Erste, das ich gelesen habe und ich lese es bis heute.

Was ist online Ihre Lieblingsbeschäftigung?
James: Englische Zeitungen lesen.
Marlene: Einkaufslisten zusammenstellen. Schreiben.

Was ist offline Ihre Lieblingsbeschäftigung?
James: Anzüge entwerfen.
Marlene: Seitdem es Online Shops gibt, nicht mehr einkaufen. Schreiben.

Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie die Unwahrheit? Das Blog ist eine Gelegenheit, nicht zu lügen.

Ihr Lieblingsheld im Netz?
James: Alexis Petridis, Zeitungskolumnist, aber ich kann ihn nur online lesen.
Marlene: Anna dello Russo.

Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit?
James: Damon Albarn.
Marlene: Gay Talese.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie im Netz begegnen? Offenheit, Ehrlichkeit, Schlagfertigkeit.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie in der Wirklichkeit begegnen? Offenheit, Ehrlichkeit, Schlagfertigkeit.

Was mögen Sie im Netz am wenigsten?
James: Überflüssige Geräusche.
Marlene: Das ständige Gefühl, nicht hinterher zu kommen.

Was stört Sie an Bloggern am meisten?
James: Großzügiger Gebrauch der Copy & Paste Funktion.
Marlene: Verbreitung von Fotos aus Umkleidekabinen.

Was stört Sie an sich selbst am meisten?
James: Der Hang zur Grübelei.
Marlene: Mein Zögern, die Fitnessstudio-Mitgliedschaft zu kündigen, obwohl seit einem Jahr nicht mehr dort war.

Ihr glücklichster Moment als Blogger?
James: Die positive Reaktion auf meine Entwürfe.
Marlene: Als endlich der erste Eintrag online stand.

Was halten Sie für Ihre größte Errungenschaft als Blogger?
James: Mein Publikum für Modethemen auf mehr als die zwei Jungs im Pub ausgeweitet zu haben, die beide jeweils nur einen Gürtel besitzen.
Marlene: Nach dem ersten Eintrag weiterzumachen.

Über welches Talent würden Sie gern verfügen?
James: Ich esse so gern, dass ich wünschte, ich könnte besser kochen.
Marlene: Ich singe so gern, dass ich wünschte, ich könnte es.

Als welcher Blogger möchten Sie gern wiedergeboren werden?
James: Ich möchte nicht als Blogger wiedergeboren werden, sondern als Thierry Henry in der Zeit von 1999 und 2007.
Marlene: Als die Dritte neben Heather und Jessica von Gofugyourself.

Ihre größte Extravaganz?
James: Meine Armbanduhr.
Marlene: Meine Kameraobjektive.

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
James: Optimistisch.
Marlene: Erwartungsvoll.

Ihr Motto?
James: Victoria Concordia Crescit – nur ganz zufällig auch das Motto von Arsenal.
Marlene: Geht das auch noch Morgen?

Bislang haben unseren Proust-Bloggerfragebogen Mary ScherpeJuliane Duft und Anna Katharina BenderRichard GutjahrAnna dello RussoPeter GlaserFrederik Frede und Jessica Weiß ausgefüllt

 

Proust-Fragebogen für Blogger (7)

(c) trevor good

Mary Scherpe, 28,  dachte, sie wäre spät dran, als sie im März 2006, also vor genau fünf Jahren, ihr Streetstyle-Blog „Stil in Berlin“ ins Leben rief. Tatsächlich gehörte sie zu den ersten, die Menschen in tollen Looks auf der Straße fotografierten. Ihr Blog ist auch eine Hommage an die Stadt, die immer cooler wird.

Was ist für Sie das vollkommene Blog? Das über die Grenzen dessen, was man heute als Blog versteht, hinaus geht.

Was ist online Ihre Lieblingsbeschäftigung? Über Links von Seite zu Seite springen und nie wieder zurück finden.

Was ist offline Ihre Lieblingsbeschäftigung? Auf Brandenburger Seen starren.

Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie die Unwahrheit? Ich schreibe selten die Unwahrheit, verheimliche aber viel und gern.

Ihr Lieblingsheld im Netz? Blica, weil sie kontinuierlich gegen modische Verblödung anschreibt.

Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit? Sophie Rois: ich bewundere ihre Art der eleganten Verwirrung.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie im Netz begegnen? Intelligenz.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie in der Wirklichkeit begegnen? Humor.

Was mögen Sie im Netz am wenigsten? Seine Beliebigkeit.

Was stört Sie an Bloggern am meisten? Der mangelnde Anspruch.

Was stört Sie an sich selbst am meisten? Mein Hang zur Vertrödelei.

Ihr glücklichster Moment als Blogger? Eine Fünf Jahres Feier für den Blog, zu der tatsächlich Leute kommen.

Was halten Sie für Ihre größte Errungenschaft als Blogger? Mich jetzt, am Ende meine Studiums, nicht bei zig Galerien um ein unbezahltes Praktikum bewerben zu müssen.

Über welches Talent würden Sie gern verfügen? Handwerkliches Geschick und die dazugehörige Geduld. Geht mir beides völlig ab.

Als welcher Blogger möchten Sie gern wiedergeboren werden? Tavi.

Ihre größte Extravaganz? Nur sehr selten den Wecker zu stellen.

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung? Gespannt.

Ihr Motto? (+.+) (-.-) (_ _)

Bislang haben unseren Proust-Bloggerfragebogen Juliane Duft und Anna Katharina BenderRichard GutjahrAnna dello Russo,  Peter GlaserFrederik Frede und Jessica Weiß ausgefüllt

 

Proust-Fragebogen für Blogger (6)

Juliane Duft, (c) reigen-blog.com

Anna Katharina Bender, (c) reigen-blog.com

Die Studentinnen Anna Katharina Bender, 22, und Juliane Duft, 23, haben ihrem Blog einen Namen verpasst, der etwas altmodisch klingt. „Reigen“ heißt er, eigentlich ein Begriff für einen Tanz, der seit dem 19. Jahrhundert ausgestorben ist; eine Gruppe bildet dabei einen Kreis und hebt die Beine im Rhythmus der Musik. Ein „Reigen“, das ist also eine Versammlung, die die Laune hebt und die Sinne belebt – und damit eindeutig der richtige Name für Annas und Julianes Blog. Dort handelt es sich auch um eine Versammlung, und zwar eine von Fundstücken aus Mode, Fotografie und Kunst, die lebensversüßende Wirkung haben. Anna und Juliane nennen diese Dinge „eye candy“: Ein seltenes Foto von Frida Kahlo auf einer Dachterrasse in Manhattan kann das sein oder Accessoires wie Kissen mit psychedelischen Mustern. Oder eine Handtasche, die so himmelblau ist, dass einem fast schwindelig wird. Das ästhetische Gespür der beiden Bloggerinnen könnte übrigens auch mit ihren Studienfächern zu tun haben: Anna studiert in Berlin Kunstgeschichte, Juliane in Mainz Filmwissenschaften.

Was ist für Sie der vollkommene Blog?
Juliane: Das kommt sehr auf die Art des Blogs an. Generell mag ich es, wenn ein Blog nicht zu stark auf einen Themenbereich begrenzt, formal wie inhaltlich relativ sachlich und professionell ist und man trotzdem eine Persönlichkeit durchschimmern sehen kann.
Anna: Der vollkommene Blog ist mir noch nicht begegnet.

Mit welchem Blogger identifizieren Sie sich am meisten?
Juliane: Schwierige Frage, da ich nur wenig Blogs lese. Am meisten natürlich mit meiner Mitstreiterin Anna und vielleicht noch den Jungs von Haw-lin, auch wenn sie etwas ganz anderes machen.
Anna: Jeder Blogger ist unterschiedlich, daher kann ich mich mit niemandem wirklich identifizieren.

Was ist online Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Juliane: Bilder suchen und sammeln, Trailer oder Musikvideos schauen und Rezensionen jeglicher Art lesen.
Anna: Meine liebsten Online-Shops und Blogs zu durchforsten.

Was ist offline Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Juliane: Musik hören, Filme schauen, Lesen, Kochen, Reisen und Fahrrad fahren.
Anna: Museen, Flohmärkte und Cafés besuchen.

Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie die Unwahrheit?
Juliane: Vielleicht bei dieser hier. Nein, wir publizieren nur Wahrheiten. Ist doch klar.
Anna: Wenn es um meine Größe geht.

Ihr Lieblingsheld im Netz?
Juliane: Julian Assange, wo wir schon wieder beim schwierigen Thema Wahrheit wären.
Anna: Ganz klar Tavi, die den Blog thestylerookie.com betreibt.

Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit?
Juliane: Ich lasse jetzt ganz dreist mal alle Menschenrechtler etc. außen vor: Mein Freund, meine Familie, meine Freunde und vielleicht Sofia Coppola.
Anna: Auch wenn das wahrscheinlich die Antwort von 90 Prozent der Befragten ist: meine Eltern.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie im Netz begegnen?
Juliane: Eigentlich nicht andere als im echten Leben, aber vielleicht besonders Wortwitz, eine gute Schreibe, nicht alles zu ernst zu nehmen und auch im Netz sich selbst treu zu bleiben.
Anna: Ihre Kreativität und die Vielfalt an Meinungen.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie in der Wirklichkeit begegnen?
Juliane: Ehrlichkeit gegenüber anderen und sich selbst, Humor und Weltoffenheit.
Anna: Klugheit, Charme und Witz.

Was mögen Sie im Netz am wenigsten?
Juliane: Dass man sich so schnell darin verliert und es einen deshalb oft von der Erledigung von Dingen abhält…
Anna: Zu viel Werbung und anonyme Kommentare.

Was stört Sie an Bloggern am meisten?
Juliane: Wie Jessie von LesMads stören mich fehlende Quellenangaben oft sehr – also allgemein eine gewisse Unprofessionalität, teilweise auch eine komische Art von starker Ich-Bezogenheit. Aber man kann sich ja aussuchen, was man liest.
Anna: Blogger, die sich selbst im Spiegel fotografieren und dabei eine Schnute ziehen.

Was stört Sie an sich selbst am meisten?
Juliane: Meine Zerstreutheit, meine mangelnde Selbstdisziplin und dass ich mir manchmal zu viele Gedanken mache.
Anna: Neben einigen anderen Dingen meine Sehschwäche.

Ihr glücklichster Moment als Blogger?
Juliane: Als ich eine sehr nette E-mail von dem Art Director einer tollen deutschen Kunstzeitschrift in unserem Postfach entdeckt habe.
Anna: Wir im ZEITmagazin, gleich zweimal!

Was halten Sie für Ihre größte Errungenschaft als Blogger?
Juliane: Meine Ideen in einer guten Form festzuhalten, aber auch unseren Stil auf Reigen beizubehalten und generell mit dem Bloggen durchzuhalten.
Anna: Die Freiheit zu besitzen, zu bloggen, was mir Freude macht.

Über welches Talent würden Sie gern verfügen?
Juliane: Richtig gut Klavier spielen zu können.
Anna: Ich würde nur zu gerne die Kunst des Zeichnens beherrschen.

Als welcher Blogger möchten Sie gern wiedergeboren werden?
Juliane: Wenn es denn sein muss: Vielleicht als einer, der für eine tolle kulturelle Einrichtung bloggt.
Anna: Hanneli Mustaparta wäre nicht schlecht.

Ihre größte Extravaganz?
Juliane: Oft lange zu schlafen, beim Essen nicht zu sparen, zu viele Bücher und Parfums zu besitzen sowie innerhalb einer Bürogemeinschaft einen eigenen Arbeitsplatz zu besitzen. Daran zu glauben, dass immer alles gut werden wird.
Anna: Mein Balkon.

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Juliane: Entspannt.
Anna: Etwas verwirrt von all den Fragen.

Ihr Motto?
Juliane: „Sapere aude“ („Wage zu wissen!“, Red.) und „What goes around comes around“.
Anna: „Having two or three people in love with you is like money in the bank.“ (Jenny Holzer)

Bislang haben unseren Proust-Bloggerfragebogen Richard Gutjahr, Anna dello Russo, Peter Glaser, Frederik Frede und Jessica Weiß ausgefüllt

 

Gemeine Gewächse

Amy Stewart, Gemeine Gewächse, © 2011 BV Berlin Verlag GmbH / © 2009 Amy Stewart

Aus: Amy Stewart, Gemeine Gewächse, © 2011 BV Berlin Verlag GmbH / © 2009 Amy Stewart

Wussten Sie, dass die Mutter von Abraham Lincoln von einem runzeligen Wasserdost ermordet wurde? Die Autorin Amy Stewart hat es mit dem Kreatürlichen. In ihrem Buch „Gemeine Gewächse“, erschienen im Berlin Verlag, erzählt sie die Geschichten der giftigsten Pflanzen. Manche davon leben unentdeckt mitten unter uns. Nicht in allen Gärten geht es mit rechten Dingen zu und von Kräutern aus Amy Stewarts Giftgarten sollte man lieber die Finger lassen. „Such Dir dein Gift aus“, prangt in grünen Lettern auf ihrem Blog. Was ist diese Amy Stewart wohl für eine?

ZEITmagazin: Jetzt mal ganz ehrlich Frau Stewart, haben Sie jemals jemanden mit einer Pflanze vergiftet?
Amy Stewart: Nicht doch, ich war nicht mal in Versuchung, das zu tun. Aber ich bin schon oft gefragt worden, was die beste Art und Weise wäre. Auch Krimiautoren suchen immer neue Wege, um ihre Figuren umzubringen. Ich hätte also schon ein paar Ideen, wie man es machen könnte.

ZEITmagazin: Auch in „Gemeine Gewächse“ schildern Sie, welche Wirkung Pflanzengifte auf den menschlichen Körper haben können. Ist das ein Buch für Gärtner oder für Krimi-Liebhaber?
Stewart: Unser Verhältnis zu Pflanzen hat eine lange und interessante Geschichte. Es haben so viele bedeutsame Begegnungen zwischen der Menschheit und dem Pflanzenreich stattgefunden. Mein Buch ist für alle, die an Geschichte, an Krimis und an der Natur im weitesten Sinne interessiert sind.

ZEITmagazin: Wir lernen darin, dass Pflanzen viele Mittel haben, sich unerwartet zu verteidigen oder sogar anzugreifen. Können wir uns, nachdem wir Ihr Buch gelesen haben, in der Natur noch sicher fühlen?
Stewart: Die Sache mit den Pflanzen ist so: sie wollen nicht gegessen werden, sondern überleben. Und da sie sich nicht verstecken können, wehren sie sich eben anders. Solange wir ihnen nicht helfen, ihre Samen zu verteilen, haben sie ja nichts davon. Wenn man es von dieser Seite betrachtet, ist es ein Wunder, dass wir überhaupt etwas aus dem Pflanzenreich essen können. Man sollte ihm also mit dem nötigen Respekt begegnen.

ZEITmagazin: Und wie haben Sie ihre Begeisterung für giftige Pflanzen entdeckt?
Stewart: Ich schrieb gerade an einem Buch über den globalen Handel mit Schnittblumen. Dafür bin ich um die ganze Welt zu verschiedenen Gewächshäusern gereist. Und mir ist aufgefallen, dass viele Gärtner das Hobby hatten, sehr merkwürdige und ungewöhnliche Pflanzen zu ziehen. Viele dieser Gewächse können tödlich sein. Es ist mir gelungen 40 bis 50 davon in meinem eigenen Garten zu ziehen. Nur um sie zu beobachten natürlich.

ZEITmagazin: Die Geschichten dazu waren sicher nicht immer leicht zu finden?
Stewart: Man kann schnell eine Liste von giftigen Pflanzen zusammenstellen, aber es ist nicht so einfach herauszufinden, wer damit vergiftet wurde. Ich habe mich in Zeitungsarchiven und medizinischen Journalen durch die letzen 150 Jahre gelesen. Für das Buch habe ich die Pflanzen ausgewählt, die die spannendsten Geschichten haben.

ZEITmagazin: Und die berühmtesten Pflanzenopfer der Geschichte sind?
Stewart: Sokrates, Mutter von Abraham Lincoln und Dr. Thomas Cream, er war seiner Zeit ein berüchtigter Serienmörder und wurde später selbst vergiftet.

ZEITmagazin: Stehen diese „Gemeinen Gewächse“ auch in unseren Wohnzimmern?
Stewart: Da könnten schon einige sein. Für die USA trifft es auf jeden Fall zu. Viele der Pflanzen, die wir in der Wohnung halten, sind tropische Pflanzen. Weil sie eine bestimmte Temperatur vorziehen und im Winter nicht die Blätter verlieren. Die meisten kommen ursprünglich aus dem Dschungel und sind nicht tödlich, aber man sollte sich keinen Salat daraus machen. Sie produzieren Kalziumoxalat und würden im Mund sehr brennen.

ZEITmagazin: Zum Beispiel?
Stewart: Eine der Interessanteren ist der Ficus, ein Verwandter des Gummibaums. In meinem Buch wird die Geschichte einer Frau erzählt, die stark allergisch auf das „Latex“ in ihrer Birkenfeige (ficus benjamina) reagierte. Es ging ihr erst besser, als der Ficus aus der Wohnung verschwand. Daran kann man also denken, wenn man stark allergisch auf bestimmte Stoffe reagiert.

ZEITmagazin: Haben Sie eine Lieblings-Giftpflanze und wie wirkt sie?
Stewart: Das wäre wohl der Wunderbaum (ricinus communis). Er war in der Pflege eine richtige Herausforderung für mich. Ich wünschte, ich würde in einem Klima leben, in dem er richtig groß wächst. Er sieht sehr schön aus, aber schon eine kleine Dosis kann tödlich sein. Auch der KGB wusste übrigens von seiner Wirkung

Die Fragen stellte Undine Zimmer