Religion und Alltag sind nicht immer leicht unter einen Turban zu bringen, besonders wenn man eine Variante zwischen einem sehr konservativen und einem sehr liberalen Islam finden möchte. Das wollen laut Filmemacher Ismail Elmokadem die meisten der Ägypter. Aber wo sind die Grenzen zwischen Lifestyle und Religion? “Islamische Musikvideos” oder “Islamische Models” scheinen eine Provokation für Konservative und Liberale zu sein. Elmokadem folgt in seiner Dokumentation “Pop Islam” dem ägyptische Musik-Sender 4Shbab (für die Jugend), der mit Musikclips im westlichen Habitus islamische Werte und einen moderaten modernen Islam repräsentieren möchte. Manager des Senders Abu Haiba und das verschleierte Model Yasmine sind die Hauptfiguren. Die Dokumentation verweist auf einen Konflikt zwischen Tradition und Moderne, der tief in der ägyptischen Kultur verankert ist.
ZEITmagazin: Was ist das Provokative an einem Sender wie 4Shbab?
Ismail Elmokadem: Es ist der Mix: Islam und Pop. Diese beiden Konzepte in einem Sender zu vereinen, scheint schon ein Widerspruch in sich zu sein.
ZEITmagazin: Wo genau kollidieren diese beiden Konzepte?
Elmokadem: Die meisten Leute denken bei Musikvideos an Pop, Musik und sexy Frauen, die dazu tanzen, sie denken an Liebe zwischen Mann und Frau. Aber was wir auf 4Shbab sehen ist eine andere Art von Pop: Puritanischer, religiöser Pop, der von der Liebe zu Gott, anstatt zwischen den Geschlechtern, erzählt.
ZEITmagazin: Ist der moderne Islam, den 4Shbab ausstrahlt, der liberalste Islam, der zur Zeit in Ägypten gelebt wird?
Elmokadem: Nein, definitiv nicht. Aber die noch liberaleren “Arten des Islam” wie Suffismus verursachen noch mehr Kontroversen. 4Shbab hat sich auf eine Nische im Markt von moderaten Muslimen ausgerichtet, die ihre islamischen Werte, auch wenn sie unterhalten werden, behalten möchten. Der Sender hat auch nie behauptet, Mainstream zu sein.
ZEITmagazin: Könnte 4Shbab mit konventionellen, sexy Musikvideos mehr Leute erreichen?
Elmokadem: Sicher, aber sie wollen die Zuschauer, die in der Mitte sind. Leute die keine sexy Musikvideos sehen wollen, aber auch nicht generell sagen Musikvideos seien schlecht und vom Islam verboten. 4Shbab möchte eine kleine Brücke zwischen den Konservativen und den Liberalen bauen
ZEITmagazin: Praktiziert der Großteil der Ägypter einen eher konservativen oder einen liberalen Islam?
Elmokadem: Wir haben ein breites Spektrum. Es gibt Leute – wie mich, die extrem liberal sind. Sie leben das gleiche Leben wie die Leute im Westen. Dann gibt es Leute auf der anderen Seite des Extrems. Sie sind sehr religiös. Für diese beiden Gruppen ist das Leben ziemlich einfach. Die Mehrheit der Menschen lebt jedoch irgendwo dazwischen. Es gibt ein ganzes Spektrum von unterschiedlichen Graden. Die Menschen in der Mitte sind religiös, sie beten, fasten, die meisten Mädchen tragen das Kopftuch, aber sie leben auch ein normales Leben des 21. Jahrhunderts: hören Musik auf dem Ipod, gucken Youtube, mögen Sitcoms. Die Menschen in Ägypten sind sehr modern und traditionell zur gleichen Zeit.
ZEITmagazin: Was sind die größten Konflikte, die ein Sender wie 4Shbab mit dem konservativen Islam hat?
Elmokadem: Bei Yasmine ist das Schlüsselproblem das Visuelle: Sie trägt Jeans, Make-up und behauptet gleichzeitig ein islamisches verschleiertes Mädchen zu sein. Zum anderen begibt sie sich als Model auf die Bühne. Laut Koran tragen Frauen den Schleier um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber ein Model steht per definitionem auf der Bühne und jeder schaut sie an. Manche sehen darin einen Widerspruch.
Für Abu Haiba und den Musikvideos, denke ich, geht es nicht um das Musikvideo an sich, das die Konservativen verärgert. Es ist die Idee, weil Musikvideos mit Bildern assoziiert wird, die im Konflikt mit islamsichen Werten stehen „Was soll das sein ein islamisches Musikvideo?“, sagen sie. Sie sind über die unheilige Verbindung von zwei verschiedenen Welten verärgert.
ZEITmagazin: Gibt es Themen, über die 4Shbab senden konnte, die nie in einem konservativen Kanal auftauchen würden?
Elmokadem: Ja, zum Beispiel gab es ein Programm über Sex vor der Ehe. Sie haben Zuschauer nach ihrer Meinung gefragt. Natürlich war es etwas Schlechtes aus ihrer Sicht, aber allein die Tatsache, dass über diese Themen öffentlich gesprochen wird, wäre nie auf einem religiösen Kanal denkbar gewesen.
ZEITmagazin: Und was denken die liberalen Ägypter, gucken sie 4Shbab?
Elmokadem: Nein, definitiv nicht. Die meisten finden es sehr merkwürdig und sie mögen das Konzept nicht. Ich habe Freunde, die sich darüber ärgern und es für einen schlechten Scherz halten.
ZEITmagazin: Warum hat Sie 4Shbab so fasziniert?
Elmokadem: Ich finde diesen einmaligen Mix, den 4Shbab versucht den Leuten anzubieten sehr interessant. Ich stutze sofort als ich es in der Zeitung las „Islamischer Musikvideo Sender“ und dann in einem anderen Artikel „Islamisches Model“, das klang zuerst paradox. Aber wenn man ihnen begegnet, versteht man Yasmine und Abu Haiba besser. Es ist hart für beide, ihren Glauben und ihre Sehnsucht nach einem modernen Leben in Einklang zu bringen. Ein sehr menschlicher Konflikt, mit dem wir alle auf eine Art und Weise kämpfen.
ZEITmagazin: Der Konflikt, den wir in dem Film beobachten, ist einer der innerhalb der ägyptischen Gesellschaft stattfindet. Er hat eigentlich nichts mit der Revolution zu tun, die wir auf dem Tahrir Platz beobachten konnten, oder doch?
Elmokadem: Der Film ist vorher entstanden, er thematisiert die Revolution nicht. Aber es gibt eine Verbindung zwischen dem, was ich aus der Revolution und wir aus dem Film gelernt haben. Die Wahrheit ist nämlich, dass nach meinem Gefühl, der Großteil der Menschen, die an der Revolution teilgenommen haben – ähnlich wie Yasmine und Abu Haiba – moderate Muslime sind. Irgendwo zwischen den Konservativen und den Liberalen. Und diese Mischung, die so schwer für die Menschen in Europa und in den USA zu verstehen ist, ist ein wichtiger Teil der ägyptischen Kultur. Man ist religiös, bis zu einem gewissen Grad. Nur die Wenigsten sind extremistisch.
Weitere Sendetermine: Arte, Freitag 15. April, 05:10 Uhr, Arte, Mittwoch 20. April, 03:35 Uhr
Die Fragen stellte Undine Zimmer