Da jetzt jeder seinen Barcelona-Stuhl zu Hause hat, widmet das Neue Museum Weimar dem Wegbereiter des Bauhaus, Henry van de Velde, eine Ausstellung (bis 23. 6.).
(c) Musées Royaux d’art et D’Histoire, Brüssel/ VG Bild-Kunst
An welchen Plätzen ihrer Stadt hängen New Yorker besonders? Das Buch »Mapping Manhattan« versammelt handgezeichnete, sehr persönliche Stadtpläne (bei Abrams Image).
Jetzt können wir auch unterwegs gucken, wie die Kreativwelt wohnt. Denn der Wohnblog „Freunde von Freunden“ ist seit kurzem auch mobil auf dem iPad erhältlich. Kostenlos gedownloaded, bekommt man die ersten zehn Interviews gratis, für ein bisschen Geld hat man Zugriff auf den gesamten Inhalt der Webseite und noch weitere Exklusiv-Interviews, wie zum Beispiel das Gespräch mit Peter Raue. Wir zeigen vorab ein paar Bilder der Wohnung des leidenschaftlichen Kunstförderers und Rechtsanwalts, das gesamte Interview mit Peter Raue gibt es auf der iPad-App von Freunde von Freunden zu lesen
Theresa Baumgärtner kommt aus einer Großfamilie, die sie selbst als „eine Brigade aus leidenschaftlich gern kochenden Feinschmeckern mit badischen Wurzeln“ beschreibt. Auf ihrem Blog „Theresa- where cooking meets lifestyle“ zeigt sie ästhetische Bilder saisonaler Produkte der Region. Nebenbei macht die gebürtige Hamburgerin einen Master in Kultur und Wirtschaft an der Universität Mannheim. Nebenbei: Im Juni erscheint erst einmal ihr erstes Buch. Ein Backbuch.
Die studierte Anglistin und Japanologin Isabel Bogdan lebt als Autorin und Übersetzerin ( u.a. von Jonathan Safran Foer und Megan Abbott und Tamar Yellin) in Hamburg – nach eigenen Angaben „da es da so schön ist.“ 2012 hat sie ihr Buch „Sachen machen“ veröffentlicht. Das könnte auch des Motto ihres Blogs „is a blog – allmähliche Verfertigung“ sein, der charmant mit einer gewissen Unfertigkeit kokettiert. Neben den festen Rubriken „liest“, „schreibt“ und „übersetzt“ findet sich hier die lose Serie: „Besser ist das“, unter der Bogdan Überlegungen und Tipps zu einem bewussteren Konsumverhalten sammelt und austauscht. Einfach, um etwas gegen gedankenlosen Konsum zu machen. Ihre Weltsicht scheint der Jonathan Safran Foers sehr ähnlich: Könnte er ihren Blog lesen wäre Foer sicher zufrieden mit seiner Übersetzerin.
Was ist für Sie der vollkommene Blog?
Ich lese am liebsten Blogs, bei denen man den Menschen dahinter erkennt; die ein bisschen privat schreiben, sich aber auch gern schwerpunktmäßig mit irgendeinem Thema beschäftigen. Wichtig ist mir, dass Blogs gut geschrieben sind.
Mit welchem Blogger identifizieren Sie sich am meisten?
Vielleicht steht mir Katy Derbyshire am nächsten, eine Übersetzerkollegin aus Berlin, die in die andere Richtung übersetzt, also deutsche Literatur ins Englische, und unter Love German Books ganz wundervoll über deutsche Literatur und die Literaturszene schreibt.
Was ist online Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Herumflattern, hier ein bisschen lesen, dort ein bisschen reingucken, Blogs, Facebook, Twitter, mich ganz fürchterlich von der Arbeit ablenken lassen, kommunizieren, Dinge entdecken, weitergucken, noch was Interessantes finden, huch, schon so spät?
Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie die Unwahrheit?
Ich schreibe die Wahrheit manchmal nicht, aber ich schreibe auch nicht die Unwahrheit. Anders gesagt: Wenn ich nicht die Wahrheit schreiben kann, schreibe ich eben nicht. Und man kann die Wahrheit ja auch freundlicher oder unfreundlicher ausdrücken.
Ihr Lieblingsheld im Netz?
Die Menschen im Netz sind ja wirkliche Menschen, deswegen kann ich mit der Unterteilung in „Netz“ und „Wirklichkeit“ nichts anfangen.
Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit?
Zum Thema Helden empfehle ich James Krüss, „Mein Urgroßvater, die Helden und ich“. Sehr kluger Mann.
Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie im Netz begegnen?
Bewegte, zappelnde, blinkende Werbung. Popups. Shitstorms. Empörung, ohne sich zu informieren (bin ich aber auch schon drauf reingefallen).
Was stört Sie an Bloggern am meisten?
Unaufrichtigkeit, Rücksichtslosigkeit, Humorlosigkeit. Das gilt natürlich nicht nur für Blogger, sondern auch für alle anderen Menschen. Ansonsten lese ich natürlich nur die Blogs, die ich mag – wenn mir eins nicht gefällt, aus was für Gründen auch immer, dann mache ich es halt zu und denke nicht weiter drüber nach.
Was stört Sie an sich selbst am meisten?
Dass ich mich vom Internet so sehr ablenken lasse. Meine mangelnde Selbstdisziplin.
Ihr glücklichster Moment als Bloggerin?
Viele. Meistens ist es das spontane Feedback – wenn ich mich über etwas freue und meine Leser sich mitfreuen. Oder wenn ich mich über etwas aufrege und jemand sagt: finde ich auch, ich hatte es nur für mich noch nicht so formuliert. Oder wenn ich wegen irgendetwas jammere und mir eine Leserin spontan Schokolade schickt. Eigentlich all die Momente, in denen sich zeigt: das Internet ist voller echter Menschen, und ziemlich viele davon sind großartig. Überhaupt, all die tollen Leute, die ich übers Bloggen kennengelernt habe. Und natürlich, dass irgendwann Rowohlt anfragte, ob ich nicht ein Buch für sie schreiben wollte; die Lektorin las nämlich mein Blog.
Was halten Sie für Ihre größte Errungenschaft als Bloggerin?
Ich habe die netteste, kompetenteste, klügste, konstruktivste, humorvollste Kommentatorengemeinde der Welt, das ist ein ganz großes Glück. Vor einer Weile gab es beispielsweise schmutzige Limericks zum Mitdichten, da kamen in kürzester Zeit über 400 Kommentare, und ich musste keinen einzigen wegmoderieren. Das war wirklich erstaunlich.
Über welches Talent würden Sie gern verfügen?
Ich würde gern singen können.
Als welcher Blogger möchten Sie gern wiedergeboren werden?
Erstmal möchte ich noch ziemlich lange selbst leben.
Bergsteiger, Autor, Regisseur, Schauspieler: Der 1990 verstorbene Luis Trenker gilt als ein vielseitiges, jedoch umstrittenes Ausnahmetalent: Kritiker werfen dem 1892 in Tirol unter der Habsburger-Krone geborenen Trenker trotz Berufsverbotes während der NS-Zeit vor, sich während des Nationalsozialismus opportun gezeigt zu haben. In der nach ihm benannten Trenkerstube im Hotel Castel in Südtirol werden ab heute neue Ansichten von Luis Trenker gezeigt: Das Gourmetrestaurant feiert sein zehnjähriges Bestehen und eröffnet zeitgleich eine Ausstellung mit zwölf Trenker-Fotografien des Portraitfotografen Konrad Rufus Müller. Unter den Anwesenden wird neben Spitzenköchen, Stamm- und Ehrengästen auch der Fotograf Konrad Rufus Müller selbst sein – in Begleitung von Dr. Erwin Brunner, Chefredakteur des National Geographic Magazin. Beide sind auf ihre Art Trenker-Experten: Dr. Erwin Brunner hat 1982 anlässlich Trenkers 90. Geburtstages eine Reportage über Luis Trenker für das ZEITmagazin geschrieben, Konrad Rufus Müller hat damals die Fotos dazu gemacht. In der Ausstellung werden nun auch die Bilder gezeigt, die 1982 nicht in den Druck kamen. Zum Trost für alle, die nicht anwesend sein können: Die Ausstellung der Porträtfotos läuft noch bis zum 3. November.
1. Mai, traditionell der Tag der Arbeit – und des Protests. Der Journalist Florian Kessler, geboren 1981 in Heidelberg, hat sich mit der Protestkultur der Republik beschäftigt und ein Buch darüber geschrieben. „Mut Bürger. Die Kunst des neuen Demonstrierens“, ist in diesem Frühjahr bei Hanser Berlin erschienen.
ZEITmagazin: Im Buchtitel sprechen Sie vom „neuen Demonstrieren“. Was soll denn neu am derzeitigen Demonstrieren sein?
Florian Kessler: Klar, Proteste hat es schon immer gegeben. Mit den Massenprotesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, dem Aufkommen der Occupy-Bewegung oder auch dem Kampf gegen „Stuttgart 21“ sind sie in den letzten Jahren aber sehr auffällig in die allgemeine Diskussion zurückgekehrt. In meinem Buch vollziehe ich eine Vermutung des Internet-Theoretikers Clay Shirky nach, die besagt, dass das unter anderem an den sozialen Möglichkeiten der Netzkultur liegt: Durch das Internet kann jeder sehr einfach Gruppen bilden und zusammenhalten. Früher konnten das nur etablierte Organisationen, heute dagegen ist der Aufwand für die Selbstorganisation von Engagement äußerst gering. Das Internet erhöht also die Möglichkeit, selbständig zu protestieren – und genau diese Möglichkeit nutzen immer mehr Menschen.
ZEITmagazin:Und was ist die Kunst des neuen Demonstrierens?
Florian Kessler: Wer protestiert, der kämpft um Aufmerksamkeit – um Aufmerksamkeit für Anliegen, die anders von der Politik nicht bearbeitet würden. Jede auf den ersten Blick noch so simple Straßendemo zerfällt beim genaueren Hinschauen in unzählige Techniken, mit denen Aufmerksamkeit erlangt werden soll. Für mein Buch bin ich einmal quer durch die deutsche Protestlandschaft gereist, unter anderem war ich in den Occupy-Camps wie in Frankfurt vor der Europäischen Zentralbank. Eine solche Idee, inmitten der Städte öffentliche Plätze dauerhaft zu besetzen, hat es so früher nicht gegeben. Diese Zeltstädte beispielsweise waren ein ganz neuer Kunstgriff.
ZEITmagazin:Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Sachbuch über Protestformen zu schreiben?
Florian Kessler: Ich finde, dass die Veränderungen unserer Gesellschaft meistens viel zu pessimistisch beschrieben werden. Schon alleine dieses ständig gebrauchte Schimpfwort von den „Wutbürgern“, die angeblich verstockt und egoistisch nur für ihre eigenen Anliegen protestieren! Ich wollte mir einen anderen Blick auf die neue Demonstrationskultur verschaffen. Natürlich gibt es auch egoistische Anliegen, und ebenso auch undemokratische, reaktionäre, fundamentalistische Proteste. In ihrer Mehrheit aber stimmt mich persönlich die aktuelle Bereitschaft vieler Menschen zu Engagement und Protest optimistisch: Die Menschen wollen mitsprechen und können mitsprechen. Sieht man sich die Mehrzahl derzeitiger Proteste an, ergibt sich daraus eine positive, mutmachende Geschichte über unsere Zivilgesellschaft.
ZEITmagazin: Was war Ihre erste Demonstration?
Florian Kessler: Ich denke mal, im Wickeltuch bin ich nirgendwo mitgetragen worden. Aber meine Eltern haben durchaus so eine Art 68er-Programm mitgemacht, von den Studentendemos bis zu den Protesten gegen den Nato-Raketenbeschluss. Das habe ich natürlich mitbekommen, ich kann mich noch erinnern, wie wir in den achtziger Jahren zuhause Transparente gegen ein monströses Infrastruktur-Projekt gemalt haben. Wenn ich mir jetzt heute die vielen unterschiedlichen demokratischen Proteste in Deutschland angucke, dann sehe ich, dass längst nicht mehr nur eine einzige Generation wie die 68er protestiert, sondern viele unterschiedliche Altersstufen und Milieus.
ZEITmagazin:Täglich geistern diverse Aufforderungen, Petitionen zu unterschreiben, durch die sozialen Netzwerke. Was ist der Unterschied zwischen Präsenzzeigen auf der Straße und dem Unterschreiben von Online-Petitionen?
Florian Kessler: Ich würde weder die Straße noch das Internet vom ganz normalen Leben trennen, wir alle halten uns doch dort überall ganz selbstverständlich auf. Es ist logisch, dass sowohl im Netz als auch auf der Straße protestiert wird – und dass das Internet, wenn man das will, vor allem zum Austausch von Informationen und zur Mobilisierung genutzt werden kann. Eine wichtige Erkenntnis der letzten Jahre war allerdings, dass Onlineproteste alleine nicht unbedingt große Veränderungen hervorrufen. Sichtbarkeit im Raum der Städte ist zentral – das hat das Protestjahr 2011 mit seinen weltweit riesigen Demonstrationen und Platzbesetzungen sehr deutlich gezeigt.
ZEITmagazin: Angesichts der Vielzahl von Petitionen und Demonstrationsaufforderungen: Wie weiß man, für was es sich zu Demonstrieren lohnt?
Florian Kessler: Ich finde, dass man eine Vielzahl von Möglichkeiten nicht als Belastung betrachten sollte. Der Soziologe Niklas Luhmann hat einmal gesagt, dass die Kritik von Protestgruppen wie ein „Immunsystem“ der Gesellschaft funktioniere, das reagiert, wenn aufkommende Probleme ignoriert werden. In einer Demokratie ist es völlig in Ordnung, sich für die Ziele einzusetzen, die man selbst unmittelbar wichtig findet. Ohne die kritische Meinung aufmerksamer Bürger zu zahllosen verschiedenen Einzelfragen würden sich Politik und Wirtschaft noch weiter verselbständigen, als sie das ohnehin schon tun. Schon alleine deshalb sind möglichst viele verschiedene Petitionen und Demonstrationen ein produktives Element für die gesamte Gesellschaft.
ZEITmagazin:Heute ist der 1. Mai, seit den Arbeiter-Kundgebungen Ende des 19. Jahrhunderts traditionell ein Tag, auf die Straße zu gehen. Doch mit über 20 angemeldeten großen Veranstaltungen alleine in Berlin ist der 1. Mai längst auch unübersichtlich geworden. Auf welche 1.Mai-Demonstration lohnt es sich, zu gehen?
Florian Kessler: Das muss im Rahmen des Grundgesetzes wirklich jeder für sich selbst entscheiden, das ist Demokratie. Ich persönlich allerdings werde auf jeden Fall bei den Gegendemonstrationen gegen den demokratiefeindlichen, rassistischen Aufmarsch der NPD in Berlin-Schöneweide mitmachen – wie hoffentlich auch viele tausende andere Berliner.
Frans Zimmer ist Mitte der Achtziger in Berlin geboren, er arbeitete als Konditor und wollte Kunst studieren. Er hörte Rock, Trip Hop und Hip Hop – bis ihm eine richtig miese Platte in die Hände fiel. Heute ist er als DJAlle Farben erfolgreich und in der Electro-Clubszene international gefragt. Auch im deutschen Nachtleben kommt der fröhliche und tanzbare Sound des 27-Jährigen bestens an – höchste Zeit den jungen Mann vorzustellen.
ZEITmagazin:Jeder, der ein bisschen etwas fürs Nachtleben und elektronische Musik übrig hat, kennt Sie inzwischen. Wie hoch ist Ihr Wiedererkennungswert auf den Straßen Berlins?
Alle Farben: Ich werde oft auf der Straße oder in der U-Bahn angesprochen. Sogar auf dem Flug nach Montreal letztens habe ich zwei Fans getroffen. Auch im Supermarkt an der Kasse treffe ich Leute die meine Musik mögen. Das ist schon toll.
ZEITmagazin:Seit wann sind Sie DJ und wie kam es dazu?
Alle Farben: Mittlerweile seit sieben Jahren und ich produziere seit drei Jahren. Ich bin über Umwege dazu gekommen. Meine Eltern waren Trödler und ich hatte Zugang zu alten Platten. Irgendwann war eine House-Platte dabei. Für mich war das neu – Techno mochte ich früher ehrlich gesagt nicht. Dieser Zugang war gut für mich, ich konnte die Musikrichtung auf eigene Faust entdecken. Das hat mir so Spaß gemacht, dass ich mehr wollte. Der Startschuss war dann, als ich mir zwei alte Plattenspieler zugelegt habe. Die Dinger waren eigentlich ungeeignet – aber aller Anfang ist schwer.
ZEITmagazin:Welche Platten haben Sie damals bei Ihren Eltern für sich entdeckt, wissen Sie noch wie die hießen?
Alle Farben: Also meine zwei ersten Electro-Platten – im Nachhinein muss ich dazu sagen die sind super mies – eine hieß „Shibuya Love“ – an die andere kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Nach und nach habe ich auch entdeckt, wo man Platten kaufen kann. Sie mussten aber billig sein, so viel Geld hatte ich nicht. Also habe ich oft auf Flohmärkten blind gekauft – 10 Stück für 5 Euro – da war dann natürlich auch viel Schrott dabei.
ZEITmagazin:Wie sind Sie dann von diesem Ausgangspunkt in die Clubs gekommen?
Alle Farben: Angefangen hat alles auf einem Straßenfest, ein Freund von mir hatte da einen kleinen Shop, in dem ich spielen durfte. Sein damaliger Freund wiederum hat das Booking für einen kleinen Laden gemacht, das „Grand Hotel“ – das gibt es mittlerweile nicht mehr. Dort habe ich dann, noch etwas unbeholfen und ohne Übergänge aufgelegt. Es lief aber gut und sie wollten, dass ich wieder komme. Irgendwann war ich Resident-DJ mit zwei Abenden pro Woche. Ich musste also mehr Platten kaufen und habe mir einen Nebenjob gesucht, es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Und ich konnte üben – so bin ich dann in andere Clubs gekommen. Ich habe versucht ständig Präsenz zu zeigen und alles mitgenommen – Ja, jede Privatparty habe ich gemacht.
ZEITmagazin: Wann war der Moment da, an dem Sie realisiert haben, dass Sie von Ihrer Musik leben können?
Alle Farben: Das war im Sommer 2009. Der Entschluss es wirklich zu machen, folgte dann im September. Das war schon ein Wahnsinn. Ich hatte natürlich mehr Druck, aber auf der anderen Seite auch mehr Zeit, um mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ich denke, es war sehr wichtig für mich diese Zeit zu haben und mehr daraus zu machen. Damals ist viel passiert, ich habe an vielen Sets gearbeitet, die mich dann bekannt gemacht haben.
ZEITmagazin:Hatten Sie damals Angst, dass das vielleicht schief geht?
Alle Farben: Nö. Ich hab mir immer gesagt: Ich kann auch was anderes machen. Ich hatte immer eine Idee. Eine Zeit lang habe ich Postkarten verkauft – ich habe alles Mögliche gemacht, aber eben nur worauf ich Lust hatte. Die Ausbildung zum Grafikdesigner habe ich angefangen, dann dreieinhalb Jahre als Konditor gearbeitet – ohne Ausbildung. Das war mein letzter Job bevor ich mich mit der Musik selbstständig gemacht habe.
ZEITmagazin:Das klingt ja interessant, aber wie kommt man denn ohne Ausbildung zu einem Konditorjob?
Alle Farben: Das war witzig – Ich habe in dem Laden als Küchenhilfe gearbeitet, als der Konditor eines Tages gefeuert wurde. Der Koch war dann maßlos überfordert und hat mir gesagt ich müsste jetzt eine Torte machen – Ich dachte da noch er würde bleiben und mir helfen, er hat aber einfach Feierabend gemacht. Die Torte wurde gut, also war ich der Konditor für den Laden. Später sogar noch für zwei andere – das ist ja eigentlich ein geschützter Beruf, also will ich hier auch keine Namen nennen.
ZEITmagazin:Sie haben heute einen etwas eigenwilligen Künstlernamen, wie sind Sie auf „Alle Farben“ gekommen?
Alle Farben: Ursprünglich wollte ich Kunst studieren – Malerei um genau zu sein. Ich hieß dann anfangs „Hundert Farben“ inspiriert von dem Künstler Friedensreich Hundertwasser. Da war der Schritt zu Alle Farben nicht mehr weit. Ich hab auch immer sehr farbenfrohe Bilder gemalt – also rückblickend und im Hinblick auf meine Musik passt das. Für meinen Sound rücken eben auch viele verschiedene Musikrichtungen und ihre Komponenten zusammen.
ZEITmagazin:Wollen Sie das Kunststudium irgendwann nachholen? Alle Farben: Nein, eigentlich nicht. Ich habe aber vor noch viel zu lernen. Im Moment nehme ich Klavierunterricht – da gehört auch ein Jahr lang Notenlehre dazu. Das ist etwas schwierig für mich, weil ich immer alles nach Gefühl gemacht habe und jetzt komme ich wieder in ein Regelwerk hinein. Ich kann mich an Regeln halten, aber bis jetzt habe ich sie immer selbst für mich entdeckt.
ZEITmagazin:Welche Rolle hat das Internet in Ihrer DJ-Karriere gespielt, ist es heute einfacher bekannt zu werden?
Alle Farben: Das Internet war für mich sehr wichtig, ich konnte meine Musik einfach so hinaus in die Welt tragen. Ich habe einen Podcast gemacht, den am Anfang 200 Leute gehört und geteilt haben. Im Moment ist Soundcloud für mich sehr wichtig. Davor waren es Myspace, Facebook oder Restrealität, eine Berliner Plattform. Alle zusammen haben einen guten Multiplikator ergeben, das Publikum wurde immer größer und die Leute wollten mich in den Clubs sehen. Von da an war ich sehr präsent in Berlin – vielleicht zu sehr, das kann ich jetzt nicht mehr beurteilen.
ZEITmagazin:Sie deuten es gerade selbst an, es ist ein schmaler Grat zwischen Erfolg haben und omnipräsent sein. Setzen Sie hier aktiv Grenzen?
Alle Farben: Mittlerweile ganz strikt, ich mache nur noch Dinge hinter denen ich stehe. Vor allem in Berlin. Man erspielt sich schnell einen schlechten Ruf, wenn man zu viel hier spielt und die Leute denken sie sehen dich nächste Woche sowieso wieder. Als ich diese Tendenz in Berlin gespürt habe, wurde mir klar, dass ich das so nicht weiterführen kann.
ZEITmagazin:Sie sind als DJ inzwischen auch international sehr gefragt. Der übliche Verlauf ist ja: Alles, was viele gut finden, wird immer bekannter, und alles, was immer bekannter wird, finden viele nicht mehr gut. Wie gehen Sie für sich damit um?
Alle Farben: Ja, so ist es. Es gibt natürlich Menschen, die gezielt schlecht über mich schreiben. Ich sehe das aber aus dem Blickwinkel, dass auch die meine Musik weiter tragen. Die Leute, die diese Beiträge lesen, klicken ja trotzdem rein und vielleicht gefällt es ihnen dann doch.
ZEITmagazin:Auf Soundcloud kann man sich durch alle Ihre Sets stöbern, welches ist denn das Beliebteste?
Alle Farben:„Luminous Green“ – es ist Anfang letzten Jahres entstanden. Ich finde auch nach wie vor, dass es das rundeste meiner Sets ist. Vielleicht nicht das interessanteste, aber das schlüssigste – es hat keinen Bruch. Das ist ein Glücksgriff, weil ich ja immer nur die Musik zur Verfügung habe, die ich und andere Menschen machen. Ein Set ist für mich ein kleiner Spiegel der Gegenwart.
ZEITmagazin:Die meisten Menschen denken wahrscheinlich, Sie stellen sich an Ihr Pult und mischen irgendetwas zusammen. Wie sieht das denn üblicherweise aus, wenn Sie an einem Set arbeiten?
Alle Farben: Die Sets die ich zu Hause mache sind sehr unterschiedlich zu dem was ich im Club mache. Wenn ich an einem Set für den Podcast arbeite, dauert das gut und gerne eine Woche. Natürlich sammle ich immer Musik und habe einen Fundus. Der erste Tag ist reine Recherche, um zu sehen was zusammenpasst. Dann brauche ich oft einen Tag Pause, weil ich so viel gehört habe. An diesem Punkt sind es etwa 200 Tracks, ich benutze davon am Ende aber nur dreißig. Diese Tracks sortiere ich dann danach, zu welchem Teil des Sets sie passen. Das alles nehme ich dann noch von Hand auf. Wenn das beim ersten Take nicht klappt, versuche ich es am nächsten Tag noch einmal.
ZEITmagazin:Und wenn Sie eine Woche daran gearbeitet haben, kann es sich online jeder gratis anhören. Wie stehen Sie eigentlich zu dieser Gratiskultur? Alle Farben: Im Internet verlieren Dinge direkt an Wert, sobald man sie verschenkt. Ich habe aber gemerkt, dass es bei so einem Podcast, nicht um den gleichen Wert geht. Einen Track zu verschenken fände ich schwieriger. Sets stellen ja viele gratis ins Internet – wenn man als einziger sein Set verkauft, wird das nicht funktionieren. Ich war mit den Podcasts sehr früh dran und habe mir so mein Publikum schon aufgebaut. Deren Aufmerksamkeit richtet sich auch auf Tracks, die ich verkaufe.
ZEITmagazin:Können Sie privat noch Musik hören?
Alle Farben: Ja, bei mir läuft immer Musik. Auch einfach nur der Emotion halber. Ich habe keine klassische Musikausbildung – also nehme ich Musik nicht so auseinander. Ich habe Freunde, die klassisch ausgebildet sind und privat gar keine Musik hören können, weil in ihrem Kopf nur noch Musiktheorie durchrattert.
ZEITmagazin:Welche Künstler haben Sie auf Ihrem Weg besonders beeinflusst?
Alle Farben: Ich denke am wichtigsten war für mich Trentemøller. Der ist einen anderen Weg gegangen, aber er hat ebenfalls viele Musikrichtungen vereint. Er konnte Country und Techno gemeinsam zu seinem Sound machen, das fand ich sehr beeindruckend. Ich finde viele Musiker gut und manchmal sind einzelne Tracks herausragend – aber es gibt keinen den ich wirklich verehre – vielleicht Tschaikowsky – aber keinen modernen Musiker.
ZEITmagazin:Wie würden Sie jemandem, der noch nie von Ihnen gehört hat, Ihren Sound beschreiben?
Alle Farben: Das kommt immer darauf an welche Musikrichtung man hört. Für jemanden der sich nicht mit elektronischer Musik beschäftigt, ist meine Musik wahrscheinlich angenehm. Mein Sound stört nicht, er ist nicht zu schräg oder extravagant. Jemand der sich mehr mit meinen Sets beschäftigt und gerne elektronische Musik hört, findet etwas für sich darin. Ich bediene mich ja in allen Musikrichtungen. Menschen die sich gerne mit Musik auseinandersetzen, finden auch das Schöne darin. Jedes Set ist wie eine kleine Reise und dass ich mich so lange mit einem Set beschäftige und mir viel dabei denke, merkt man beim Zuhören denke ich auch.
ZEITmagazin: Gibt es Auftritte, die Ihnen besonders in Erinnerung sind?
Alle Farben: Ja, das Fusion Festival 2011, da sollte ich ein klassisches Swing-Set spielen, nur waren plötzlich so viele Menschen in der Halle, dass ich umsatteln musste. Und dann gab es noch das Electro Swing Club Open Air am 1. Mai 2012 auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Wir haben damals gedacht, wir würden vielleicht ein paar Tausend Menschen aufs Feld kriegen. Irgendwann standen da etwa 30.000 Leute vor der kleinen Bühne und tanzten. Meine Hände haben doch etwas gezittert, als ich auf die Bühne gegangen bin. Meine Eltern standen vor diesen ganzen Menschen in der ersten Reihe. Dieses Erlebnis hat mich auch für eine EP inspiriert, die dieses Jahr im Mai erscheint.
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ZEITmagazin: Sie spielen auch immer wieder sechsstündige Sessions, zuletzt Anfang April im Astra in Berlin. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Alle Farben: Ganz wichtig ist vorher gut zu essen. Kohlenhydrate zu sich nehmen, nicht nur Wasser trinken. Diese Sessions sind körperlich sehr anstrengend, man muss sich sechs Stunden durchgehend konzentrieren. Der Ablauf ist komplizierter als sonst, weil auch Livemusiker integriert sind. Danach habe ich oft Kopfschmerzen und muss mich direkt hinlegen.
ZEITmagazin: Sie sind erst 27 Jahre alt, gibt es trotzdem Momente, in denen Ihnen der Job körperlich zu viel wird?
Alle Farben: Ja, das ist mein größtes Problem, manchmal bin ich körperlich wirklich am Ende. Ich weiß auch, dass ich in dem Beruf nicht der Einzige bin dem es so geht – darüber wird nur nicht viel geredet. Erst vor kurzem habe ich einen Künstler getroffen, dem es so ging. Da heißt es dann eben „kreative Pause“. Ich möchte einfach nicht, dass ich irgendwann merke, dass mein Beruf mich kaputt gemacht hat. Ich versuche Acht auf mich zu geben und will Spaß bei meiner Arbeit haben. Wenn das nicht mehr so ist, ist Schluss.
ZEITmagazin: Ist es das Partyimage der DJs, das sie davon abhält über solche Dinge zu sprechen?
Alle Farben: Ich bin nicht sicher, ob es nicht einfach generell ein heikles Thema ist – wer gibt schon gerne zu, dass er nicht mehr kann.
ZEITmagazin: Wie oft legen Sie etwa pro Wochenende auf? Alle Farben: Letztens hatte ich fünf Gigs, in vier Tagen, in drei Ländern. Angefangen in Rotterdam, in der gleichen Nacht nach Utrecht. Dann nach Linz und Landshut, und zum Schluss dann noch nach Salzburg. Das ist nicht typisch, normal sind zwei oder drei. Aber nach so einem Wochenende bleibt man dann am liebsten im Bett. Das klappt nur leider nicht immer.
ZEITmagazin: Welche Ziele haben Sie für die nächsten Jahre? Gibt es vielleicht einen Ort an dem Sie noch spielen möchten?
Alle Farben: Das größte Ziel, für das ich mir genug Zeit nehmen möchte, ist mein Album. Ansonsten steht jetzt noch eine EP an. Und mal sehen was an Remixen auf mich zukommt, wenn es da interessante Gelegenheiten gibt, freue ich mich. Und was einen Ort angeht – vielleicht am Burning Man Festival. Das ist jetzt kein lebenslanger Traum, aber das fände ich schon interessant. Sonst wünsche ich mir eher, dass die Dinge bleiben wie sie sind und vielleicht alles noch runder wird. Ich möchte Orte haben, an die ich gerne komme, auf die ich mich freue. Ich experimentiere nicht so gerne, ich möchte mich eher zuhause fühlen. Für die Zukunft würde ich mir also wünschen, dass ich in jeder Stadt die ich mag eine Community habe, die mir dieses Gefühl gibt.
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