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Punktlandung?

AndreaNordrhein-Westfalen hat gewählt, eine klare Aussage getroffen hat es aber nicht. Mit Ausnahme einer großen Koalition ist kein Zwei-Parteien-Bündnis möglich und sämtliche Dreierkonstellationen wurden vor der Wahl entweder als nicht realisierbar befunden (Rot-Rot-Grün) oder definitiv ausgeschlossen (Ampel und Jamaika). Dies lässt die Parteien in einer Patt-Situation zurück und es scheint, als ob diejenige, die den ersten Zug wagt, das Spiel verlieren würde.

Doch was landespolitisch sehr kompliziert und nicht minder heikel daherkommt, könnte für Frau Merkel aus bundespolitischer Sicht ein Optimalzustand sein. Natürlich hat sie sich in den Wahlkampf einbringen müssen und natürlich wollte sie einen Absturz ihrer Partei in die Opposition verhindern. Eine Fortführung des schwarz-gelben Bündnisses jedoch hätte sie andererseits unter erheblichen Zugzwang gesetzt. Derzeit jedoch stehen viele Zeichen auf große Koalition, sodass sich der Erhalt der Regierungsverantwortung in NRW mit der stärkeren Einbindung der SPD in der Bundespolitik paaren könnte, womit die Grundlage für breite Konsense in unpopulären Fragen geschaffen wäre. Zudem legt das Wahlergebnis auch noch nahe, dass die CDU durch ihren denkbar knappen Vorsprung vor der SPD in einer solchen Koalition weiterhin den Ministerpräsidenten stellen würde, dieser aber wohl nicht mehr Jürgen Rüttgers heißen würde, da sich die herben Verluste der Union auch mit seiner Person verbinden. Dem innerparteilichen Kontrahenten wäre somit der Boden für bundespolitische Ansprüche entzogen, zugleich könnte sich aber auch mit Hannelore Kraft keine Persönlichkeit der SPD als starke Ministerpräsidentin etablieren und ihrer Partei inmitten der schwierigen Identitätssuche ein prägendes Gesicht geben.

Eine große Koalition in NRW würde Deutschland bereits ein gutes halbes Jahr nach Antritt der schwarz-gelben Bundesregierung wieder zu dem machen, was es nach Ansicht der Wissenschaft schon immer war: ein Staat der großen Koalitionen. Nur selten konnten Regierungen auf Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat bauen, zumeist waren also Kompromisslösungen und Abstimmungen über die Parteigrenzen hinweg sowie zwischen Bundes- und Länderebene nötig. Gerade in Krisenzeiten könnte dies nicht nur gut für die Bundeskanzlerin sein, der die moderierende Rolle liegt und die dafür zu Zeiten der Großen Koalition im Bund auch sehr geschätzt wurde. Sondern auch gut für Deutschland, das auf diese Weise Parteienstreits, symbolischer Politik etc. entgehen könnte. So gesehen hätte das Wählervotum in NRW in all seiner Unklarheit doch den politischen Willen vieler auf den Punkt gebracht.

 

SPD legt zu, Merkel gewinnt!

AndreaAuf den ersten Blick schwächt eine Niederlage von CDU und FDP in NRW die Bundesregierung unter Führung von Frau Merkel. Neben dem prestigeträchtigen Verlust der gemeinsamen Regierung im bevölkerungsreichsten Bundesland und dem Aufwind für die Opposition wäre der Verlust der Mehrheit im Bundesrat eine unangenehme Folge: Die Opposition könnte „mitregieren“ und der Bundesregierung Kompromisse abringen.

Auf den zweiten Blick könnte sich das Bild jedoch anders darstellen. Die Bundesregierung unter Frau Merkel zeichnet sich bislang durch inhaltliche Differenzen und Führungsschwäche der Kanzlerin aus. Selbst die „doppelte“ Mehrheit in Bundestag und Bundesrat reicht nicht aus, um die Spannungen zwischen Union und FDP zu überwinden. Im Gegenteil: Gerade weil man im Prinzip ungebremst regieren kann, werden innerhalb der Koalition Erwartungen geweckt, die Angela Merkel nicht erfüllen möchte – die Steuerpolitik ist das prominenteste, aber nicht das einzige Beispiel. Politische Macht, das weiß sie genau, führt immer zu Konflikten.

Mittlerweile hat es den Anschein, als wünschten sich weite Teile der Union die Zeiten der Großen Koalition zurück. Diese Sehnsucht könnte durch eine Niederlage bei der NRW-Wahl in Erfüllung gehen, denn die Union könnte beim ungeliebten Koalitionspartner auf die Notwendigkeit verweisen, mit der Opposition Kompromisse zu schließen, die für eine Zustimmung des Bundesrats erforderlich sind.

Und auch persönlich würde die Kanzlerin von dieser Niederlage profitieren. Sie könnte, ja müsste, durch die neue Situation im Bundesrat wieder in ihre altvertraute Vermittler- und Mediatorenrolle schlüpfen, die ihr in Zeiten der Großen Koalition zu sehr viel Ansehen und Beliebtheit verholfen hat. Ein innerparteilicher Vorteil für Frau Merkel wäre sicherlich, dass sich im Falle einer Wahlniederlage mit Jürgen Rüttgers einer der beiden Kronprinzen (neben dem ewig netten Schwiegersohn Christian Wulff) aus dem Rennen ums Kanzleramt 2013 verabschieden würde. Bei so vielen Vorteilen erklärt sich vielleicht auch, warum der strauchelnde Amtsinhaber Rüttgers in NRW von Seiten der Kanzlerin kaum sichtbare Rückendeckung erfährt. Wenn die SPD zulegt, gewinnt Angela Merkel.

von Andrea Römmele und Thomas König

 

Zeit für Kampagnen!

AndreaDie Zahlen der Umfrageinstitute sehen Hannelore Kraft auf den letzten Metern im Wahlkampf knapp vorne: Im direkten Vergleich mit Rüttgers schneidet sie laut aktuellem Politbarometer mit 43% zu 41% besser ab als der Ministerpräsident, der somit seinen Amtsbonus vollständig eingebüßt zu haben scheint. Dies ist beachtlich, im Nachgang des Fernsehduells aber nicht wirklich verwunderlich. Wie wir aus empirischen Arbeiten wissen (siehe auch den Beitrag von Thorsten Faas in diesem Blog), dienen Fernsehduelle gerade in Landtagswahlkämpfen dazu, den Bekanntheitsgrad des Herausforderers zu steigern. Seit Mitte März konnte Hannelore Kraft folgerichtig 12 Prozentpunkte zulegen.

Aber es geht um mehr als die reine Sichtbarkeit der Kandidaten oder die Frage nach dem direkten Vergleich: Entscheidend ist die wahrgenommene Problemlösungskompetenz zu den drängenden Problemen des Landes. Und hier zeigt sich das eigentlich Erstaunliche in den Umfragedaten: In den drei relevanten Themenbereichen Bildung, Arbeitslosigkeit und Wirtschaft ist das Bild uneinheitlich und die Kandidaten liegen sehr eng beieinander. Im Bereich der Bildung wird der SPD mit Hannelore Kraft eine größere Kompetenz zugesprochen, Rüttgers‘ CDU punktet hingegen beim Thema Wirtschaft. Dies alles deutet darauf hin, dass der Wahlausgang absolut offen ist, zumal auch keine der präferierten Koalitionen – Schwarz-Gelb oder Rot-Grün – derzeit eine Mehrheit hätte.

Mit anderen Worten: Hinten werden die Enten fett, der Wahlausgang entscheidet sich auf der Zielgeraden. Nach aktuellen Umfragen sind 37 % der Wählerinnen und Wähler in NRW unentschlossen – was für ein Potential für Wahlkämpfe!

Alle Parteien brauchen nun eine passende Wahlkampfstrategie: Die SPD muss ihre steigenden Umfragewerte und die neue Popularität von Hannelore Kraft nutzen, um die enttäuschte SPD-Basis zu mobilisieren und in einer Woche an die Urnen zu bringen. Möglicherweise trägt dazu auch die skandalangehauchte CDU bei, welche die SPD-Anhänger „fremdmobilisieren“ könnte. Die Union scheint auf den ersten Blick in einer schwierigeren Lage zu sein, da sie und ihr Spitzenkandidat zugleich mobilisieren und deeskalieren müssen. Viel wird hier darauf ankommen, den richtigen Ton zu treffen.

Andererseits sollte man aber auch nicht vergessen, dass Jürgen Rüttgers als Ministerpräsident auch auf den letzten Metern noch seinen Amtsbonus ausspielen könnte, falls es ihm gelingt, das passende Thema zu platzieren. Das Rennen scheint offener denn je, eine Woche vor der Wahl kommt es auf die richtige Kampagne an…

 

Bestenfalls egal: Skandale eignen sich einfach nicht für Wahlkämpfe

AndreaFast möchte man es mit einem Stoßseufzer untermalen: Es ist wieder Wahlkampf, diesmal in Nordrhein-Westfalen. Und eigentlich kommt er für alle Parteien zu früh. Union und FDP befinden sich noch immer in der Findungsphase und können keine Erfolge vorweisen. Die SPD musste vor kurzem den empfindlichsten Rückschlag ihrer Geschichte wegstecken und ist von ihrem alten Kampfgewicht meilenweit entfernt. Die Linke muss möglicherweise sogar um den Einzug ins Parlament bangen. Und die Grünen sollten ausdiskutieren, wo sie wirklich stehen, bevor sie mit wackeligen Koalitions(nicht)aussagen in alle Richtungen werben. Sprich: Eigentlich wollen die Beteiligten diesen Wahlkampf gar nicht führen, aber genau deswegen müssen sie es umso mehr. Denn auch wenn es wenig zu gewinnen gibt, steht viel auf dem Spiel: die Mehrheit der schwarz-gelben Koalition im Bundesrat und damit um Wohl und Wehe der zentralen Reformprojekte der Regierung Merkel II.

Dies ist ein Dilemma, für das es in politischen Kreisen einen beliebten (Schein-)Ausweg gibt: Man attackiert den Gegner umso schärfer, auch auf einer persönlichen Ebene, und skandalisiert sein Tun, um so seine generelle Wählbarkeit in Frage zu stellen. Dankbare Ziele für diese Strategie gaben jüngst etwa FDP-Chef Guido Westerwelle und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ab. So könnte man meinen, dass solche vermeintlichen Skandale der Opposition sehr gelegen kommen. Natürlich: Sie kann die Wähler auf einer emotionalen Ebene ansprechen und öffentlichkeitswirksam den Rücktrittsforderungen aussprechen. Ist dies aber ein echter Vorteil, möglicherweise gar ein veritables Gegengewicht zum Amtsbonus der Regierung? Sehr wahrscheinlich nicht!

Erstens können Wahlkämpfe nicht nur auf den Gegner ausgerichtet werden. Moderne Kampagnen sind minutiös durchorganisierte Projekte, an denen Werbeagenturen, politische Berater und Medienexperten engmaschig rund um die Uhr arbeiten. Spontane Verschiebungen, etwa in Reaktion auf Fehler des politischen Gegners, sind da zwar möglich. Sie können aber nicht das Wesen der gesamten Kampagne verändern, da Partei und Kandidat ansonsten unglaubwürdig werden. Zweitens produzieren Skandale nur Verlierer, keine Sieger. Sie tragen zum allgemeinen Phänomen der Politikverdrossenheit bei, weil sich in der Bevölkerung (oft zurecht!) die Meinung durchsetzt, dass es wohl nicht um einen Einzelfall, sondern eher um die Spitze eines Eisbergs handelt. Es ist nicht wichtig, wer einen Skandal verursacht hat, und keine Partei profitiert davon – Leidtragende ist die Politik als solche, der die Bürger nicht mehr vertrauen. Drittens lassen sich die Wählerinnen und Wähler nicht blenden. Natürlich orientieren sie sich an den handelnden Personen und dabei spielt sicherlich auch deren moralisches Verhalten eine große Rolle. Die Wahlentscheidung ist aber immer von den Themen abhängig, die den Wahlkampf bestimmen.

Natürlich treffen Skandale einen empfindlichen Nerv und können die Einstellungen der Menschen über einen gewissen Zeitraum hinweg prägen. Ein wirklich wahlentscheidender, „perfekter“ Skandal müsste eine Vielzahl von Kriterien erfüllen: kurz vor der Wahl aufgedeckt werden, eindeutig nur dem politischen Gegner zuzuschreiben sein, in die eigene Wahlkampfstrategie passen und nicht durch andere Großereignisse überdeckt werden. Die Barschel-Affäre 1987 in Schleswig-Holstein mag dieser Idealsituation nahe gekommen sein, der damalige Ministerpräsident hatte ganz eindeutig rechtliche und moralische Grenzen überschritten. Die aktuelle Diskussion in NRW um gekaufte Gesprächstermine mit dem Ministerpräsidenten hat jedoch nicht annähernd diese Dimension und wird am Wahltag verpufft sein.

Das soll nicht bedeuten, dass diese Vorgänge nicht wichtig wären. Es besteht eindeutiger und umfassender Klärungsbedarf. Die Opposition sollte aber dringend davon Abstand nehmen, die Skandalisierung zu betreiben. Das wird ihr nicht helfen. Wenn überhaupt, wird es das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Politik weiter schwächen. Und das kann kein legitimes Ziel von Wahlkämpfen sein.

 

Money makes the world go round, oder: Rüttgers und der gekaufte Zugang zur Macht

Andrea„Unternehmermillionen kaufen politische Macht“ – so lautet der Titel einer 1953 vom SPD-Parteivorstand herausgegebenen Denkschrift. Schon immer hat das Thema des gekauften Zuganges die Parteienfinanzierung umgetrieben. In den 60er Jahren finanzierte sich die CDU/CSU noch zu etwa 30% aus Unternehmensspenden, ähnlich auch die FDP. Dieser Anteil ist aufgrund der umfassenden staatlichen Finanzierung, die mit dem Parteien(finanzierungs)gesetz seit 1967 gewährleistet wird, deutlich zurückgegangen – allerdings eben nicht vollständig. Somit ist auch das Gebaren der NRW-CDU nicht per se zu verurteilen, schließlich stützen sich alle im Bundestag vertretenen Parteien auf Zuwendungen von Unternehmen. Umgekehrt spenden einige Unternehmen auch an mehrere Parteien, beispielsweise kann in einer Bundestagsdrucksache nachgelesen werden, dass die Daimler AG im Jahr 2009 sowohl CDU als auch SPD 150.000 Euro zukommen ließ. Das Netz von Spendern und Empfängern ist also komplex und bildet damit einen Teil der politischen Praxis in Deutschland ab.

Halten wir also fest: Verwerflich ist nicht die Spende. Verwerflich ist die Gegenleistung, die von der CDU in NRW angeboten wurde, nämlich der Gesprächstermin in kleiner Runde. Diese Praxis hebelt demokratische Gleichheitsgrundsätze aus – auch in diesem Blog wurde bereits darauf hingewiesen, dass Spenden von juristischen Personen einen Beigeschmack haben. Gepaart mit der Möglichkeit, in einem Gespräch direkten oder indirekten Einfluss auf Regierungshandeln nehmen zu können, ist dieses System hochgradig bedenklich. Denn dass es ein Bedürfnis von Wirtschaftsvertretern gibt, mit Politikern in vertrauter Runde Gedanken auszutauschen, zeigt nicht zuletzt der boomende Zweig der Politikberatung, der sich „Public Affairs“ nennt und auf diese Art der Vermittlung, Übersetzung und Zusammenführung von wirtschaftlichen und politischen Akteuren spezialisiert ist. Die Branche selbst ist sich darüber im Klaren, welche Assoziationen Begriffe wie „Lobbying“ hervorrufen, und diskutiert immer wieder lebhaft Selbstverpflichtungen, um „aus dem Schatten“ zu treten. Wenn der Wirtschaft nun aber seitens der Politik direkte Einflussmöglichkeiten angeboten werden, die alles übertreffen, was Agenturen arrangieren könnten, führt dies die dringend nötigen Transparenzdiskussionen ad absurdum.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Unternehmermillionen kaufen politische Macht. Denkschrift, Frankfurt, 10. Mai 1953.

Lars Großkurth: Aus dem Schatten: Lobbyingregulierung als Wettbewerbstool. Zeitschrift für Politikberatung 1(1), 2008.

 

Die ersten 100 Tage

AndreaAngela Merkel kann einem Leid tun: Nach den ersten 100 Tagen an der Regierung erhält das Kabinett unter ihrer Führung nicht nur von der Opposition denkbar schlechte Kritiken. Auch die Umfrageergebnisse sprechen eine klare Sprache: Emnid hat im Auftrag des Nachrichtensenders N24 in einer repräsentativen Befragung ermittelt, dass nur 27% der Bürger mit der Arbeit der Regierung zufrieden sind.

Aber ist dies wirklich so außergewöhnlich? Erinnern wir uns an den Start der rot-grünen Regierung 1998: Diese kam in einer vergleichbaren Emnid-Befragung zur der Bilanz der ersten 100 Tage auf eine Zustimmungsrate von 38% – ebenfalls kein berauschendes Ergebnis für das mit so viel Enthusiasmus gestartete neue politische Projekt. Und auch bei der im Rahmen des DeutschlandTrend von Infratest-dimap durchgeführten Frage nach der Bewertung der Regierungsarbeit mit Schulnoten zeigt sich kein allzu großer Unterschied: Rot-Grün wurde im Februar 1999 im Schnitt mit 3,4 benotet, Schwarz-Gelb kommt aktuell auf 3,9.

Fazit: Vergleichen lohnt sich und voreilige Schlüsse sollten vermieden werden. Immerhin ist Gerhard Schröder 2002 wiedergewählt worden und die SPD hat sich bis 2009 an der Regierung gehalten. So schlecht steht es also zumindest um Frau Merkel nicht.

 

Althaus und Magna, Rösler und die PKV, Hoff und Opel – zwei Thesen zu Lobbyismus und Politikberatung

AndreaMit dem Wechsel von Dieter Althaus zum Autozulieferer Magna beobachten wir wieder einmal den engen Zusammenhang zwischen Politik und Wirtschaft, nachdem erst kürzlich der Wechsel eines Vertreters der privaten Krankenkassen in das Gesundheitsministerium für Aufruhr gesorgt hatte. In solchen Zusammenhängen wird gerne von der „gekauften Republik“, von „Lobbykratie“ etc. geredet. Dies soll hier aus der Sicht der empirischen Sozialforschung in aller Kürze unter Berücksichtigung der neuen Forschungsergebnisse beleuchtet werden. Denn dass das Thema auch aus akademischer Sicht relevant ist, zeigen nicht zuletzt die Debatten, die derzeit in der Politischen Vierteljahresschrift (PVS) und der Zeitschrift für Politikberatung (ZPB) geführt werden.*

These 1: Veränderungen in der Staatlichkeit verlangen nach mehr Politikberatung und nach anderen Formen der Politikberatung. Lobbyismus ist eine davon.

Mit steigenden Problemen, mehr Themen und mehr Schnittstellenmanagement steigt auch der Bedarf an Expertenwissen in der Politik. Dieses Wissen stellt nicht nur die Wissenschaft bereit; auch Unternehmen, auch die Wirtschaft produzieren es und dieses Wissen muss seinen Weg in die Politik finden. Aber: Die Grenze zwischen Wissensvermittlung und Beeinflussung, also Lobbying, ist fließend. Es bedarf strenger Transparenz-Regelungen, wie sie schon verschiedentlich eingefordert wurden, um drohendem Missbrauch Einhalt zu gebieten. Immerhin geben laut einer Studie von LobbyControl 89,5% der Bundestagsabgeordneten an, einer Nebentätigkeit nachzugehen, für 33,6% bedeutet dies gar Einkünfte von über 1000 Euro monatlich bzw. 10.000 Euro jährlich. Zweifellos liegt in solchen außerpolitischen Engagements großes Potenzial für einen Austausch, von dem sowohl Politik als auch Wirtschaft profitieren. Jedoch hat die Studie von LobbyControl auch gezeigt, dass die Angaben der MdBs offensichtlich nur unzureichend überprüft werden – von echter Transparenz kann also keine Rede sein.

These 2: Das politische System muss Karrierewege aus der Politik heraus zulassen, denn auch die Wirtschaft braucht die Expertise der Politik.

Dass der Wissenstransfer von der Politik in die Wirtschaft stattfindet, ist zunächst ein gutes Zeichen. Sicher hat Magna gute Gründe dafür, sich die Dienste eines ehemals ranghohen Politikers wie Dieter Althaus zu sichern. Jedoch: Eine Karenzzeit, die „fliegende Wechsel“ verhindert und beispielsweise von LobbyControl auch schon gefordert wurde, ist unbedingt notwendig. Hier muss meiner Ansicht nach schärfer reguliert werden, um zu engen Verstrickungen zwischen altem Mandat und neuem Job vorzubeugen. Ein unrühmlicher Extremfall ist in diesem Zusammenhang die Berufung des ehemaligen hessischen Europaministers Volker Hoff zum „Vize-Präsidenten für Regierungsangelegenheiten“ des Autobauers Opel. Selbstbewusst traut er sich zu, trotz der neuen Funktion als Opel-Lobbyist parallel auch sein Landtagsmandat weiterführen zu können. In Abstimmungen, die Opel betreffen (das Unternehmen hat in den vergangenen Monaten bekanntlich einige Finanzspritzen der hessischen Landesregierung erhalten), werde er sich eben enthalten. Solche Aussagen machen selbst den liberalen Koalitionspartner nervös.

* Siehe die in Kürze erscheinenden Diskussionsbeiträge von Christian Humborg in ZPB 1/2010 sowie von Svenja Falk, Andrea Römmele, Henrik Schober und Martin Thunert in PVS 1/2010.

 

Urteil des Supreme Courts zur Wahlkampffinanzierung – „one man, one vote“ oder „freedom of speech“?

AndreaDer Supreme Court hat gestern der Wahlkampffinanzierung in den USA eine neue Richtung gegeben. Das McCain-Feingold-Gesetz aus dem Jahre 2002, das mit einer Spendenbegrenzung für eine Art „Waffengleichheit“ zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen sorgen sollte, wurde enthebelt – von nun an können Unternehmen und Lobbyorganisationen ihre Kandidaten im Wahlkampf finanziell ohne Obergrenze unterstützen. Der Supreme Court stellt dabei das erste Amendment der amerikanischen Verfassung in das Zentrum seiner Argumentation: „freedom of speech“. Eine Spende ist Ausdruck einer Meinungsäußerung und deswegen vergleichbar mit freier Rede und darf nicht begrenzt werden – so lautet verkürzt der Argumentationsstrang.

Dieses Beispiel zeigt wieder einmal die Schwierigkeiten in der Regelung der Parteienfinanzierung und der (Unternehmens-)Spendenproblematik. Unternehmensspenden sind auch in der Bundesrepublik immer wieder ein Thema, einige führende Politiker sind über Spendenaffären gestolpert – man erinnere sich nur an die Maultaschen-Connection eines Lothar Späth, an die Flick-Affäre, an die nicht genannten Großspender des Altkanzlers Helmut Kohl, an das tragische Spiel mit der CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister u.v.m. „Unternehmermillionen kaufen politische Macht“, so lautet schon der Titel einer 1953 vom SPD-Parteivorstand herausgegebenen Denkschrift. Die Regelungen der Parteienfinanzierung in Deutschland – vor allem die einsetzende staatliche Finanzierung seit 1967 – machen Parteien unabhängiger von Groß- und Unternehmensspenden. Gekoppelt hiermit ist eine nicht übertriebene sondern sinnvolle Veröffentlichungspflicht für Spenden.

Aufgrund wachsender Ausgaben in Wahlkämpfen bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge und die staatliche Parteienfinanzierung (diese ist ja in Deutschland abhängig von den Mitgliedsbeiträgen und von den eingeworbenen Stimmen, um der „Verankerung der Parteien in der Bevölkerung“ Rechnung zu tragen) werden Spenden, vor allem Großspenden, wieder deutlich an Gewicht gewinnen.

Welchen Kriterien muss die Parteien- und Wahlkampffinanzierung Rechnung tragen? Es gibt hier kein Patentrezept, oftmals muss zwischen divergierenden Zielvorstellungen abgewogen werden. In der Parteienfinanzierungsforschung wurde auch die Metapher des magischen Vierecks aus dem wirtschaftspolitischen Sprachgebrauch bemüht:

Unabhängigkeit der Parteien und Politiker Transparenz der Parteifinanzen
Chancengleichheit der Parteien und Kandidaten Chancengleichheit der Bürgerinnen und Bürger

Meiner Meinung nach ist die Chancengleichheit der Bürgerinnen und Bürger ohne Zweifel die wichtigste Anforderung an eine demokratische Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Im Sinne dieses Grundsatzes dürfen sich die in der Bevölkerung bestehenden sozioökonomischen Unterschiede nicht im politischen Willensbildungsprozess widerspiegeln. Es gilt, den ungleichen Möglichkeiten der Partizipation durch Geldspenden Einhalt zu gebieten. Als Maßstab für die Chancengleichheit der Bürgerinnen und Bürger muss der strenge und formale Gleichheitssatz gelten. Jeder Bürger hat eine oder doch gleich viele Stimmen oder jede Stimme muss möglichst gleiches Gewicht haben. Dass Spenden und die Stimmabgabe bei Wahlen zumindest vergleichbar sind, hat auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt: „Der Bürger, der einer politischen Partei Geld spendet, bekennt sich damit in der Regel zu den Zielen dieser Partei, ähnlich wie wenn er ihr seine Wahlstimme geben würde“.

 

Transparenz als Kontrolle reicht nicht! Anmerkungen zur FDP in Sachen Lobbying und Spenden

Andrea RömmeleGleich zweimal in der vergangenen Woche hat die FDP unter Beweis gestellt, dass ihr (noch?) das Fingerspitzengefühl fürs Regieren zu fehlen scheint. Mit der Berufung eines ranghohen Mitarbeiters der Privaten Krankenversicherung ins Gesundheitsministerium schließt ein FDP-Minister einen Pakt mit den traditionell mächtigen Interessenvertretern im Gesundheitsbereich. Und mit der Annahme einer millionenhohen Spende eines Hotelunternehmers kurz vor der Entscheidung, den Mehrwertsteuersatz für eben jene Branche zu senken, kommt der Verdacht der Einflussspende auf. Beiden Fällen gemeinsam ist der Verdacht des unsauberen Zugangs zu Entscheidungssträgern. In beiden Fällen soll „nur“ die Veröffentlichung der Tatbestände die Fälle regeln. Ist das genug?
Betrachten wir die beiden Fälle genauer, beginnend mit der Neuberufung im Gesundheitsministerium: Ohne Zweifel kann die Politik ohne externe Expertise nicht auskommen. Sowohl Verbände als auch Lobbyisten besitzen in ihren thematischen Schwerpunkten erheblichen, zum Teil auch wissenschaftlichen Sachverstand, der in die Politik eingespeist werden muss. Dieser Trend wird sich aufgrund der zunehmenden Europäisierung der deutschen Politik noch verstärken: die Themen werden komplexer, mehr Schnittstellen müssen jongliert werden. Hierzu gibt es unzählige Beratungsformate (wissenschaftliche Gutachten, Expertenkommissionen, Gespräche etc.), wichtig ist jedoch die klar sichtbare Trennung zwischen Rat und Entscheidung. Die Berufung eines Beraters auf eine Entscheidungsposition führt zu einer zunehmenden Verflechtung und solche Konstruktionen wurden beispielsweise hinsichtlich des Austauschprogramms zwischen Wirtschaftsministerium und Unternehmen verschiedentlich kritisiert (in diesem Fall werden Unternehmensvertreter für eine gewisse Zeit im BMWi eingesetzt). Eine kleine Anfrage zu einem kritischen Bericht des Magazins „Monitor“ über eine neue Art von Lobbyismus in Bundesministerien wurde noch im Jahr 2006 von der damaligen Oppositionspartei FDP gestellt…
Wenden wir uns nun der Spende aus der Hotelbranche zu: Politische Akteure sollen ihre repräsentativen Pflichten in Freiheit ausüben können. Unter diesem Gesichtspunkt sind Einnahmen aus Kleinspenden und Mitgliedsbeiträgen unproblematisch. Unternehmensspenden hingegen stellen demokratietheoretisch ein Problem dar, da die Spendengeber selbst keine Stimme im politischen Willensbildungsprozess besitzen, sich jedoch durch Spenden Zugang zur Macht verschaffen können. In nahezu allen Diskussionen um die Reform der Parteienfinanzierung wurde dies diskutiert, jedoch folgten keine konkreten Beschlüsse. Zwar werden Unternehmensspenden nicht mehr steuerlich begünstigt (und sind somit nicht mehr ganz so attraktiv für den Spender), jedoch verkennt der Gesetzgeber (und auch das Bundesverfassungsgericht) die der Spendenpolitik inhärenten Gefahren: Nicht erst die steuerliche Begünstigung, sondern schon allein die Möglichkeit, dass juristische Personen an Parteien spenden können, verletzt das Prinzip der gleichen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am politischen Willensbildungsprozess. Daran vermag auch die Pflicht, Spenden ab einer bestimmten Höhe dem Bundestag zu melden, nicht viel zu ändern.
Wie eingangs formuliert soll in beiden Fällen Transparenz als Kontrolle genügen. Dies reicht meiner Ansicht nach nicht aus – es ist mal wieder an der Zeit, diese Debatte lautstark zu führen!

Zum Thema Lobbying siehe die jüngste Ausgabe der Zeitschrift für Politikberatung Heft 3/2009 (auch unter www.zpb-digital.de) sowie Thomas Leif/Rudolf Speth (Hrsg.): Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland

Zum Thema Parteienfinanzierung:
Michael Koß (2008): Staatliche Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Andrea Römmele (1995): Unternehmenspenden in der Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Die USA, Kanada, die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien im internationalen Vergleich. Baden-Baden: Nomos.

 

Kompetenzen und Konsequenzen – die Neuorientierung der SPD steht bevor

Andrea RömmeleWie lässt sich das Wahlergebnis vom Sonntag erklären, oder genauer gefragt: Wie lässt sich die historische Niederlage der SPD erklären? Zahlreiche Punkte werden derzeit diskutiert, in diesem Blog hat Andreas Wüst sehr anschaulich die beiden Kandidaten gegenübergestellt.

Aus Sicht der Wahlkampfforschung beeinflussen neben der Kandidatenfrage zwei weitere Faktoren die Wahlentscheidung: die Identifikation mit einer Partei und die ihr zugeschriebenen Kompetenzen in politischen Sachfragen. Mit sinkender Parteiidentifikation, die wir in allen etablierten Demokratien vorfinden, steigt logischerweise die Bedeutung von Themen und Kandidaten. Die folgenden Umfragedaten stellen die wahrgenommene Problemlösungskompetenz der Parteien zu bestimmten Sachfragen dar.

Parteikompetenzen April 2009

Kompetenzen April

Quelle: Infratest dimap, DeutschlandTrend April 2009

Die Daten sprechen eine klare Sprache: In nahezu allen wichtigen Themenbereichen liegt die CDU/CSU im Frühjahr deutlich vor der SPD, es gibt lediglich zwei klare Ausnahmen: der arbeitnehmerfreundlichere Umgang mit der Krise wird der SPD ebenso zugeschrieben wie die Kompetenz in ihrem Kernthema, der sozialen Gerechtigkeit.

Es ist den Sozialdemokraten im Laufe des Wahlkampfes jedoch nicht gelungen, in diesen Themengebieten weiter zu punkten, geschweige denn andere Themengebiete für sich zu gewinnen. Auch leichte Verbesserungen in manchen Bereichen ändern nichts am Gesamtbild. Für eine echte, durch Themen ausgelöste Trendwende wären Gewinne in viel größeren Dimensionen vonnöten gewesen – gerade dann, wenn der eigene Kandidat gegenüber der Amtsinhaberin klar zurückliegt.

Parteikompetenzen September 2009

Kompetenzen September

Quelle: Infratest dimap, DeutschlandTrend September 2009

Die Kombination von schlechten Kompetenzwerten und einem wenig überzeugenden Kandidaten kann das schwache Abschneiden der SPD also erklären – zumindest zum Teil. Wenn sich die Partei nun thematisch und auch personell neu aufstellt, zieht sie damit im Grunde die richtigen Schlüsse aus der Wahlniederlage. Allerdings ist zu bedenken, dass die Partei gerade im Wahlkampfendspurt in einigen Kompetenzbereichen noch leichte Zugewinne verbuchen konnte und auch der Spitzenkandidat zuletzt Boden auf die Kanzlerin gutmachen konnte. Ein tabula rasa könnte der SPD daher ebenso schaden wie ein „weiter so“. Dies alles spricht dafür, dass sich die Partei für die nötige Neuaufstellung Zeit nimmt und die anstehenden Entscheidungen mit Bedacht fällt.