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Steini, der Sexgott, und Westerwelle, der Kanzler

Von Tina Groll

Manche nennen es Wahlkampf für die Twitter-Generation, das ist dann elitär gemeint. Andere finden es total „obamaesk“, was wohl Spitze heißt: Lustige Politspots, Wahlkampfsongs oder Animationen im Netz. Geeignet, um sich den Sonntagnachmittag bis zur ersten Hochrechnung zu vertreiben, sind die kurzweiligen Clips jedenfalls.

Wer hätte gedacht, dass Steinmeier junge Frauen schlaflose Nächte bereitet? Das zumindest behauptet das dralle Steini-Girl – eine angeblich 22-jährige Jura-Studentin, die in ihrem Liebeslied den SPD-Kandidaten anschmachtet und ihm zu ihrem liebsten „Toy-Boy“ erklärt. Endlich mal etwas Erotik für den sonst so drögen Wahlkampf. Hinter dem sexy Clip stecken jedoch nicht die Sozialdemokraten, sondern das Videoportal Sevenload. Für die Sängerin, die sich mit knappen Höschen an einem Steinmeier-Pappaufsteller räkelt, hat sich das Video schon vor der Wahl gelohnt. Sie ist im Netz zu einiger Bekanntheit gekommen, und auch von einem Plattenvertrag soll bereits die Rede sein. Die SPD dagegen ist über das laszive Video not amused und befürchtet, dass das Video ältere Wähler vergraulen könnte.

Vielleicht täte etwas Gelassenheit gut? Immerhin ist die Idee aus den USA geklaut. Dort unterstützte die Sängerin Amber Lee Ettinger mit Videos in ähnlicher Aufmachung Barack Obama bei der Präsidentschaftswahl. Der Clip soll Obama geholfen haben. Anders als das Liebeslied vom Steini-Girl war ihr Song „Crush on Obama“ jedoch kein Werbefake.

Kein Fake, dafür aber ein gelungener Loriot-Remake ist dagegen der Clip „Szenen einer Ehe“ von den Grünen. Zu sehen sind Guido Westerwelle und Angela Merkel als Loriot-Figuren – jedoch im Rollentausch. Während Guido die Hausfrau in der Küche mimt und Angela zum Regieren animieren möchte, sitzt die Kanzlerin relaxt im Sessel. „Ich möchte einfach nur hier sitzen.“

Sich selbst aufs Korn nehmen dagegen die Jungen Liberalen in ihrem Clip „Die reine Wahrheit“. Der Spot zeigt eine Reihe stolzer Nachwuchsliberaler: „Wir fordern marktgläubig als religiöse Ansicht bei Facebook einzuführen“, sagen sie. Oder: „Wir bügeln unsere Jeans – und unsere Hemden, die wir immer in die Hose stecken sowieso.“ Leider fällt das Video zum Ende durch ernsthafte Forderungen etwas ab.

Was passieren kann, wenn man sein Kreuzchen für die FDP macht, zeigt ein personalisierbarer Spot der IG Metall. Mit nur einer einzigen Stimme zieht Guido Westerwelle ins Bundeskanzleramt ein – behauptet jedenfalls der freundliche Nachrichtensprecher in dem fiktiven Programm Nachrichten-TV24.de. Demnach war ein einziger Nichtwähler für den Sieg Westerwelles entscheidend – auf den sich die geballte Wut der Nation in den Tagen nach der Wahl richtet.

Der Spot ist zwar lustig, inhaltlich jedoch etwas widersprüchlich. Zum einen wird behauptet, alle Bürger seien wählen gegangen, zum anderen wird dem Nicht-Wähler vorgehalten, er habe durch seine Passivität über den Ausgang des Urnengangs entschieden. Aber immerhin: Das Video kann mit den Namen von Freunden versehen und weitergeleitet werden – auf die Mobilisierung kommt es der IG Metall wohl vor allem an.

Mobilisiert hat auch der Song „Wähl auch Du, CDU im Jahr 1972. Hach, herrlich. Damals war der schmissige Gassenhauer das offizielle Wahlkampflied. Nicht nur die eingängige Melodie zeichnet das Lied als Ohrwurm aus – auch in seiner sprachlichen Klarheit überzeugt das Lied: „Wähl auch Du, CDU. Ich weiß längst schon, was ich tu. Was denn sonst? CDU!“

Und wenn das sehr viele Wähler tun werden, gibt es am Sonntag noch einen Song zum Mitgrölen: Lady Kanzler mit dem Hit „Pokerface.

 

Merkel und ihre Partei

Bei der Lektüre der Samstagszeitung fällt der Blick auf eine Wahlwerbeanzeige der CDU. Die Kanzlerin in lichtgrün, die Hände in Wort-zum-Sonntag-Haltung. Der Text: „Wer Angela Merkel stärken will, muss CDU wählen.“

Wie jetzt? Das hätten wir nun aber nicht gedacht. Angela Merkel wollen… CDU wählen… Ja, wen denn sonst?

Zugleich kommen Selbstzweifel auf: Haben wir in den Analysen den vergangenen Wochen eine Konstellation übersehen, eine mögliche Wahltaktik ignoriert, wonach auch eine Stimme für SPD, Grüne, Linkspartei die Kanzlerin stärken würde, weil…

Wer FDP wählte, würde Merkel zumindest nicht schaden, was eine mögliche künftige Koalition betrifft. Denn beide haben sich bereits zueinander bekannt.

Insofern erinnert der christdemokratische Last-Minute-Slogan in seiner Schlichtheit an die Schieflage von Steinmeiers „Arbeit für morgen“. Vergessen blieb dabei, was er den Arbeitslosen von heute bietet. Parallelen kamen auf zu dem Spruch, den Kneipenwirte an den Biertresen hängen, um den Anschein von Hoffnung und Zuversicht zu verbreiten: „Morgen Freibier!“.

Morgen ist nun erst einmal Wahl.

 

Clement will gelb wählen

Ach, Wolle. Andrea Ypsilanti in Hessen hat er schon zur Weißglut getrieben. Damals konnte man das verstehen: Dass der ehemalige Superminister seine Probleme mit Ypsilanti hatte, geschenkt! Ersterer verstand sich jahrelang als Wirtschaftsweiser der SPD; die andere inszenierte sich als die neue Rosa Luxemburg. Das konnte nicht gut gehen. Deshalb sprach Wolfgang Clement, inzwischen Energie-Lobbyist und Ex-Genosse, kurz vor Ypsilantis erster Wahl jegliche Regierungstauglichkeit ab.

Nun aber fällt er Steinmeier in den Rücken. Das verwundert schon, schließlich saßen die beiden zusammen am Kabinettstisch, fühlten sich demselben Parteiflügel zugehörig. In einer Anzeige im Bonner „General-Anzeiger“ ruft Clement zur Wahl von FDP-Chef Guido Westerwelle auf. Deutschland müsse „wieder ein Land des Fortschritts“ werden, in dem „verantwortete Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung uneingeschränkt gewährleistet“ werde, soweit Clement.

Immerhin reagierte Steinmeier anders als weiland Ypsilanti, die leidenschaftlich über Clement schimpfte. Von den Genossen gab es heute keine offizielle Reaktion. Dafür feixt die FDP, zum Beispiel in ihrem Twitter-Channel.

 

Inside SPD

Er hätte der deutsche Obama werden können, heraus kam doch nur der Frank-Walter aus Ostwestfalen. Das, zusammengefasst, ist die zentrale Botschaft eines lästerlichen Insider-Berichts, den heute das Wochenmagazin Der Freitag veröffentlicht. Auf vollen vier Seiten wird hier unter der Überschrift „No we can’t“ über den Wahlkampf der SPD hergezogen. Der Wahlkampfchef, Kajo Wasserhövel, sei herrisch und zugleich planlos, die SPD habe das Web 2.0 nicht verstanden – und die alte, analoge Presse habe im Brandt-Haus sowieso keiner im Griff.

Die SPD-Strategen waren nervös, als sie von der Freitag-Geschichte erfuhren. Nestbeschmutzer und Geheimnissausplauderer wünscht sich kein Wahlkämpfer. Medienvertreter wurden sanft davor gewarnt, die Geschichte aufzugreifen, da sie etliche Fehler enthielte – und der/die mutmaßliche Insider/in ohnehin, schon als er/sie noch Mitarbeiter/in war, viele aufgehalten und genervt hat.

Letztlich war die Aufregung umsonst. Viele druckten sich den Artikel heute neugierig aus, kaum einer las ihn bis zum Ende. Er ist furchtbar langatmig und auch nicht wirklich bissig, eher selbstgerecht.

 

Demoskop legt sich fest

SPD-Bashing, die dritte. Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen hat sich festgelegt. Er erwarte „ein Fiasko“ für die SPD. Er rechne fest mit einer „knappen, aber sicheren Mehrheit“ für Schwarz-Gelb. Das melden heute auf der Titelseite unsere Freunde vom Tagesspiegel.

Wir von ZEIT ONLINE haben uns heute früh zurückgehalten. Zum einen, weil wir uns ein wenig nostalgisch an die Tradition erinnert haben, dass Umfragen kurz vor Wahlen eben zurückgehalten werden. Zum anderen: Wer hat denn in der jüngeren Wahlgeschichte größere Fiaskos erlebt? Die SPD oder die Demoskopen? Eben!

 

Merkel wählt in der Mensa

Und zwar im Wahllokal 01228 in der Dorotheenstr. 19-21. Wenn das Medieninteresse die Kapazität des Wahllokales überschreitet, wovon auszugehen ist, erfolgt durch das Bundespresseamt „eine Zugangsbeschränkung“, um „den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl sicherzustellen“. So teilte eben jenes Amt heute mit. Merkel wird gegen 13 Uhr zur Stimmabgabe erwartet.

Gut, besonders spannend ist das nicht. Aber dennoch fast das Aufregendste, was heute von der Union zu hören ist. CDU und CSU neigen zwar das ganz Jahr über zum Streit, ausgerechnet vor Wahlen allerdings, sind die bürgerlichen Parteien ziemlich diszipliniert. Sie warten mit der Selbstzerfleischung, bis das Ergebnis feststeht.

 

Wahl-Betrüger

Wahlen ziehen Gauner an. Immer schon und überall. Wir denken an Hamburg, an Dachau, an Teheran, an Ost-Berlin. Von heute an muss man auch das niedersächsische Hildesheim denken. Hier treibt derzeit ein Telefonstreichspieler sei Unwesen. Er klingelte arglose Hildesheimer an, um ihnen mitzuteilen, dass ihre Wahlbenachrichtigungskarte ungültig sei. Eine neue Karte könne nicht mehr rechtzeitig beantragt werden, daher solle man besser von Vornherein zu Hause bleiben.

Die Stadt, not amused, wies umgehend darauf hin, dass diese „Wählertäuschung“ eine Straftat darstelle, die mit einer Haftstrafe bis zu zwei Jahren geahndet werde. Alle Bürger, die ähnliche Anrufe erhalten, werden gebeten, sich an die Polizei zu wenden.

Die Entwarnung folgte kurze Zeit darauf: Der Anrufer entpuppte sich als ein Radiomoderator. Das ganze war eine Aktion des  ffn-Crazy-Phones, wie die Oberstaatsanwaltschaft inzwischen bestätigte. Gegen den Moderator wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Anfangsverdachts der „Wählertäuschung“ eingeleitet.

 

SPD-Promis

Glückwunsch! Klaas Heufer-Umlauf ist für Frank-Walter. Floriane Daniel auch. Und Basti Swillims.

Wer das ist? Haben wir uns heute Morgen auch gefragt. Zum Glück gibt es Wikipedia. Heufer-Umflauf moderiert auf Viva, Frau Daniel ist Schauspielerin („Liebe im Halteverbot“, hieß laut Wiki ihr letzter TV-Film), und Swillims ist ein semmelblonder  Sprinter.

Die drei sind Teil einer Gruppe, die sich alle vier Jahre für eine gute Woche konstituiert: die Gruppe der SPD-Promis. Gemeinsam mit 55 anderen mehr oder weniger bekannten Berühmtheiten lachen sie heute in einigen Tageszeitungen von einer ganzen Seite – und rufen zur Wahl Steinmeiers auf.

Immerhin, das haben die Genossen der Union also nach wie vor voraus: Sie sind näher an den Stars und Sternchen dran. Der Geist schlug und schlägt links in dieser Republik. Das war schon in den reaktionären Adenauer-Jahren so, als die Künstler und Literaten Schumacher und Ollenhauer umschwärmten. Diese Beziehung verstärkte sich fast schon ins Ekstatische unter Willy. Selbst unter dem Auto-Kanzler riss sie nicht ab, der nun wirklich kein Intellektueller war.

Und nun verteidigt Steinmeier dieses Erbe, der, so hört man, im Gespräch mit Denkern und Sängern neugierig und spritzig sein kann. Dokumentiert ist das ganze auch auf einem hübschen YouTube-Video, in dem die bekannteren der 58 Promis Loblieder auf ihren Steinmeier singen.

Die Union tut sich traditionell schwerer in der Promi-Akquise. Unvergessen der Wahlkampf 2002, als man eine illustre Runde gewinnen wollte. Allzu viele „Köpfe für Stoiber“ kamen nicht zusammen, so sehr man auch suchte. Die meisten waren älter als 60, jedenfalls nicht geeignet als Türöffner für die MTV-Generation. Hans Clarin und Joachim Fuchsberger, der Hackl-Schorsch und Uschi Glas. Das war’s auch schon fast.

Etwas besser geht’s Angela Merkel. Sie hat auf ihrer CDU-Seite (ganz unten) sogar 88 Unterstützer aufgelistet. Wenn man sich allerdings durchklickt, stellt man fest, dass sich darunter auch u.a. ein CDA-Stadtverbandsvorsitzender und eine frühere Parlamentspräsidentin finden. Dadurch relativiert sich Merkels Vorsprung (88 zu 58) schon wieder. Das wäre so, als wenn Steinmeier irgendwelche Spitzen-Seeheimer zu Promis deklarieren würde, oder Heide Simonis.

Auch qualitativ gibt es Unterschiede. Merkels Unterstützer sind in der Regel Unternehmer oder Sportler (von Olli Bierhoff bis zum Designer Joop). Schriftsteller, Theologen, Kabarettisten oder gar Literatur-Nobelpreisträger finden sich nicht im Merkel-Lager. Die Steinmeier-Promis hingegen sind zumeist einem intellektuelleren Milieu zuzuordnen, sagt zumindest Wikipedia. Man kennt sie ja nicht.

 

„Plasberg war arrogant, Illner unsäglich“

Wer hat nun das TV-Duell gewonnen? Wer konnte am wenigsten punkten? Kloeppel oder Plasberg? Illner oder Limbourg?

Eigentlich wollen wir in der Redaktion heute früh über die Performance der Kanzlerin und des Kanzlerkandidatin sprechen. Schnell zeigt sich aber, dass der Diskussionsbedarf über die Moderatoren fast größer ist als der über die Politiker. Kaum jemand, der sich zu den vier Fragestellern keine Meinung gebildet hat. Den ganzen Vormittag über kocht das Thema in einer Email- und Skype-Debatte weiter.

Begonnen hat das schon gestern Abend, unmittelbar nach dem Duell. Unser Reporter Christoph Seils, der in Berlin-Adlershof dabei war, empfindet die Moderatoren als wohltuend kritisch und bissig. Sie hätten kompensiert, dass die gesamte Opposition bei dem Fernsehduell ausgesperrt geblieben ist, schreibt Seils.

Der Politikressortleiter Markus Horeld vertritt in seinem Kommentar die Gegenposition. Mindestens zwei der vier Moderatoren seien überzählig gewesen. Sie hätten sich „darauf beschränkt, die Kandidaten fortwährend zu unterbrechen (Maybritt Illner), sich alberne Namen für Schwarz-Gelb auszudenken (Maybritt Illner: „Tigerenten-Koalition, hihi“) oder hin und wieder selbstzufrieden in die Kamera zu grinsen (Frank Plasberg).“

Überhaupt, viele Kollegen stören sich an der formalen Zusammensetzung. Zwei Politiker, vier Moderatoren – das habe dazu geführt, dass „jeder versuchte, noch witziger und spritziger zu sein“, so beobachtet unsere Wirtschaftskollegin Marlies Uken. Allgemein findet sie, das Korsett der Sendung sei zu starr gewesen. Selten seien interessante Gespräche entstanden.

Ähnlich unzufrieden ist unsere Karriere-Redakteurin Tina Groll: „Zwei Moderatoren hätten gereicht. So sah man vier Möchtegern-Knallhart-Nachfrager und zwei sterbenslangweilige Politnasen.“

Die Moderatoren waren also bissiger als die Politiker, so ein verbreiteter Eindruck. Allerdings gehen die Meinungen auseinander, welcher Politiker schärfer angegangen worden ist. Unser Meinungs-Chef Steffen Richter sieht zum Beispiel eine Benachteiligung des SPD-Kandidaten. „Mit Merkel waren die vier lammfromm, bei Steinmeier dagegen eher kritischer“.

Und er stellt die rhetorische Frage: „Ist SPD bashen überhaupt noch zeitgemäß?“ Ähnlich der Eindruck unseres Videoredakteurs Adrian Pohr. Merkel sei „fast nie“ kritisiert worden, obwohl sie oft gar nicht direkt auf die Fragen einging, sondern staatstragende Allgemeinplätze vortrug. „Wohl der Kanzlerbonus…“ Konträr dazu ist dem Autor dieser Zeilen und auch Christoph Seils aufgefallen, wie kritisch gerade die Kanzlerin angegangen worden ist.

Unsere Nachrichtenredakteurin Karin Geil hofft, dass das gestern der Todesstoß für ein TV-Format war, das sich überlebt hat. Hoffentlich, so ihre Bitte, „ersparen uns die Sender ein derartiges Monstrum an TV-Duell in vier Jahren“. Sie hatte Verständnis, dass die Politiker irgendwann unwirsch auf die sich heimlich duellierenden Moderatoren reagierten: „Merkel wurde schnippisch“ (‚Ich beantworte die Fragen so, wie ich das denke‘), Steinmeier großväterlich (‚Frau Illner, folgen Sie doch einfach meinem Argument‘).“ Die beiden Politiker seien – unterm Strich – besser gewesen als die vier Modertoren.

Von den vieren am kritischsten bewertet unsere Redaktion den ARD-Talker Frank Plasberg. Der Digital-Ressortleiter Kai Biermann nannte den ARD-Mann, der ohne Krawatte moderierte, „aufgesetzt rebellisch und albern“. Tina Groll fand Plasberg „absolut peinlich und überambitioniert“.  Selbst sein SAT-1-Kollege Limbourg sei „total genervt von ihm, das hat man gesehen“. Sie fand Illner am witzigsten. Von der ZDF-Dame hingegen ist Markus Horeld am meisten genervt.

Bissig waren die Moderatoren. Haben sie aber auch neue Erkenntnisse zutage gefördert? Unser Hospitant Daniel Schlicht bezweifelt das, anhand einer Szene: Der Sat1-Mann Peter Limbourg wollte von der Kanzlerin wissen, wer in einer möglichen schwarz-gelben Regierung Gesundheitsministerin wird. Merkels Antwort: „Wir sind auf einem guten Weg.“ Keiner brauche sich Sorgen zu machen. Peter Limbourg traut sich nicht noch einmal nachzufragen, denn Peter Klöppel schaut schon wieder auf die Zeitkonten: Frau Merkel hatte schon 49 Sekunden mehr Sprechzeit als Steinmeier.

Philip Faigle hat an diesem Montag seinen freien Tag. Trotzdem schaltet er sich in die Redaktionsdebatte per Mail ein, weil ihn dieses Duell „so maßlos aufgeregt hat“. Frank Plasberg, so beginnt Faigle, sei „der Idealtypus des neuen Journalisten, der alles fragen und sich darüber empören darf, wenn er im „Namen des Volkes“ keine Antwort erhält. Er hat begriffen, dass Fragen nicht nur dazu dienen können, der Wahrheit ein Stück näher zu kommen, sondern auch um Macht auszuüben. Milan Kundera hat auf diese neue Form des Journalismus in seinem Buch „Die Unsterblichkeit“ bereits 1990 hingewiesen: „Es geht darum, die alten Profis der Macht zu entthronen, nicht mit Waffen oder Intrigen, sondern durch die bloße Kraft des Fragens.“

Weiter schreibt Faigle: „Die vier Journalisten (mit Ausnahme vielleicht von Peter Limbourg, der vom alten Schlag ist) mögen diesen Gedanken im Kopf gehabt haben, als sie gestern zu Tat schritten. Den Politiker festnageln, ihn in die Ecke drängen, zu einer Antwort zwingen, das war ihr Ziel. (…) Die gleichen Journalisten, die sich ständig beklagen, dass die Politiker zu wenig „authentisch“ sind, oder nicht „aus den Puschen kommen“ (Illner), sind diejenigen, die so die Verlogenheit in der Politik befördern. Kein Politiker wäre so dumm, sich im Gespräch mit einem Plasberg zu öffnen – er würde dafür furchtbar bestraft werden.“

Puhh, sind wir so kritisch, weil es um unsere Berufskollegen geht? Womöglich! Jedenfalls kommt es selten vor, dass die Mehrheit von uns Spitzenpolitiker in Schutz nimmt. Andererseits fiel gestern vielen anderen ebenfalls auf, dass das Moderatorenkleeblatt aus dem gewohnten Rahmen fiel. Eine Freundin, eine Juristin, schrieb noch während des Duells eine SMS: „Warum dissen die sich so gegenseitig? Man bekommt gar nichts von der Politik mit.“

Irgendwas lief offenbar verkehrt. Und während wir noch darüber nachdenken, ploppt die nächste Mail im Postfach auf. Jörg Lau weist auf seinen neusten Blog-Beitrag hin. Darum geht’s: „TV-Duell. Eine journalistische Katastrophe. Zeit für einen Wutanfall.“

 

Vier Gründe für Althaus’ Rückkehr

Rücktritt? Welcher Rücktritt? Dieter Althaus kehrt zurück, gleich morgen, nur vier Tage nachdem er ankündigte, seine Ämter mit sofortiger Wirkung ruhen zu lassen. Warum? Wir wissen es!

Wow, das macht neugierig. Dieter Althaus galt jahrelang als einer der drögesten Ministerpräsidenten Deutschlands. In den vergangenen vier Tagen jedoch handelte er so kühn, so verwegen, so unergründlich, dass man leicht den Überblick verlieren könnte. Sein Rücktritt sollte „mit sofortiger Wirkung“ greifen, wie er es in einer dünnen Mail mitteilte. Seiner CDU hatte er zuvor nichts verraten. Einsam und allein traf er seine Entscheidung.

Nun aber der Salto, der Umkehrschwung, wie wir Skifahrer sagen. Nicht einmal hundert Stunden nach seinem Rücktritt kündigte Althaus an, es sich anders überlegt zu haben. Das teilte sein Sprecher den verdutzten Journalisten mit. Schon am morgigen Dienstag wird er als geschäftsführender Regierungschef die Kabinettssitzung in Erfurt leiten.

Seither machen wilde Spekulationen in Erfurt die Runde. Warum kommt Althaus zurück? Vier Erklärungsansätze

1. Althaus lässt die Bombe platzen

So orakelt jedenfalls der Online-Auftritt der Bild-Zeitung. Und die sollte man bekanntermaßen, was Althaus angeht, nie unterschätzen. War doch das Blatt so gut über seinen Gesundheitszustand und seine psychologischen Kämpfe nach dem Skiunfall informiert wie kein zweites anderes Medium in Deutschland.

Den Boulevardjournalisten erzählte Althaus, was er nicht mal seinen Parteifreunden sagte. Sie traf er, wenn er selbst für Parteitage zu schwach war. Möglich also, dass Althaus tatsächlich noch ein paar Rechnungen begleichen will. Leider wird die Bild nicht konkreter. Auf die Frage, welchen Inhalt die Abrechnung haben könnte, geht sie nicht ein.

2. Althaus bedient den Reißwolf

Einen Haken hat die Abrechnungs-These dann aber doch. Althaus ist kein Wüterich, kein Stänkerer. Er gilt seit jeher als beratungsresistent. Dass er aber jemanden bedroht hätte, dass er sich öffentlich als Racheengel inszeniert hätte, hat man noch nicht gehört. Insofern ist es wahrscheinlicher, dass Althaus morgen das tut, was viele abgesägte oder entmachtete Chefs so tun: Akten beseitigen, den Reißwolf bedienen, Kopien schwärzen, den Schnapsschrank räumen.

3. Althaus demonstriert seine Macht

Die Verfassung deckt die Sprunghaftigkeit des Landesvaters. Theoretisch ist es möglich, dass Althaus jede Woche zurücktritt, kommissarisch eine Nachfolgerin benennt, die dann aber wieder von Althaus ersetzt wird. Sein Sprecher zitierte heute nicht von ungefähr die Landesverfassung, nach der der Ministerpräsident so lange im Amt bleibt, bis ein Nachfolger gewählt ist. Frau Dietzel ist nicht gewählt, jedenfalls nicht vom Landtag.

Nun, auch eine derart motivierte Rückkehr wäre durchaus menschlich. Althaus wäre nicht der erste, den es schmerzt, dass sich die Welt auch ohne ihn weiterdreht. Da tritt man zurück, und kaum einer trauert einem nach. Alle wollen wissen: Wer wird der Nachfolger? Alle diskutieren plötzlich über Frau Liebknecht und über diesen Pumuckel namens Matschie. Kein Wunder also, dass Althaus da noch einmal seine Macht ausübt, solange er sie hat.

4. Spätfolgen des Unfalls

Es ist ungehörig so etwas anzunehmen. Offenbar sitzen in der ZEIT ONLINE-Redaktion lauter Flegel: Als die Nachricht vorhin über den Ticker lief, gab es kaum jemanden, der das unstete Verhalten Althaus’ nicht spontan in Verbindung mit seinem Unfall brachte. Ein Kollege sagte, wahrscheinlich hat Althaus erst jetzt seinen Tischkalender von 2008 wieder entdeckt. Eine Kollegin spekuliert, es stünden noch viele Sektflaschen vom letzten Silvester in der Staatskanzlei, die er nicht verkommen lassen will. Gut, geschmackvoll ist das nicht. Es reiht sich aber ein in die gängige Althaus-Rezeption der vergangenen Monate: Alles, was er seit dem 1. Januar diesen Jahres tat, wurde in Bezug zu seinem tragischen Unfall gestellt. Vermutlich nicht zu Unrecht: Beobachter, die Althaus lange kennen, sagen, er sei seither nicht mehr der Alte geworden: fahrig und konzentrationsschwach. Auch sein heutiger Rücktritt vom Rücktritt klingt nun mal, sorry, ein bisschen gaga.