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„Wenn Du bis morgen 12:00 Uhr nicht zurückgetreten bist, knallt es ganz gewaltig“

Ja, uns Journalisten ermüdet der Streit bei den Piraten mittlerweile auch. Doch leider schafft die Partei es immer wieder, noch eine neue, dramatischere Eskalationsstufe im innerparteilichen Umgangston zu erklimmen. Und das sagt dann wiederum durchaus etwas über eine Partei aus, die in vier Landtagen sitzt und dieses Jahr in den Bundestag einziehen will. Deshalb wollen wir also auch das neueste Drama zumindest kurz dokumentieren.

Glaubt man Johannes Ponader, dem politischen Geschäftsführer der Piratenpartei, ist am gestrigen Mittwochabend folgendes passiert: Um 18 Uhr schickte Christopher Lauer, bekannter Pirat und Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, eine bemerkenswerte SMS an ihn, Ponader:

„Lieber Johannes, wenn Du bis morgen 12:00 Uhr nicht zurückgetreten bist, knallt es ganz gewaltig. Ich seh mir nicht mehr länger schweigend und untätig an, wie Du meine Partei gegen die Wand fährst. Gruß, Christopher“

Wenn es diese Nachricht tatsächlich gab, ist sie eine unverhohlene Drohung. Ponader kam ihr offensichtlich nicht nach. Dafür postete er die vermeintliche SMS und die darauf folgende Kommunikation mit Lauer am heutigen Donnerstagmittag kurzerhand in einem Blog im Internet. Es endet mit Lauers Statement: „Alter, wie verstrahlt bist Du denn? Du merkst ja gar nichts mehr.“

Ponader schreibt dazu im Blog: „Ich bin mir bewusst, dass die Veröffentlichung einer ‚privaten‘ SMS eigentlich einen Vertrauensbruch darstellt, aber von Vertrauen kann bei dem Inhalt wohl keine Rede mehr sein.“ Den Eintrag verbreitete er über seinen Twitter-Account, dem über 10.000 Leute folgen.

Auf Anfrage von ZEIT ONLINE will Lauer die Echtheit der SMS weder bestätigen noch dementieren: „Ich kann Ihnen die Frage, ob ich diese SMS überhaupt geschrieben habe, nicht beantworten“, sagt er. Es gäbe zwei Möglichkeiten: „Entweder sie ist echt, dann ist es eine private Nachricht und hat in der Öffentlichkeit nichts verloren. Oder sie ist nicht echt und er hat sich das ausgedacht, dann ist es schon ein starkes Stück.“ Er habe gar keine Zeit für Personaldebatten, sondern bemühe sich um eine inhaltliche Neuaufstellung für die Bundestagswahl.

Bei Twitter reagierten andere Piraten entnervt auf das neuerliche Skandälchen. „Möchte Euch alle auf den stillen Stuhl verbannen. Bis zur #btw13. Mindestens.“ schreibt die Wirtschaftspolitikerin Laura Dornheim. Und der Pirat Jan Leutert twittert: „Treffen sich zwei Piraten mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Keine Pointe.“

Johannes Ponader selbst sagt zu Lauers Reaktion: „Das geht am Thema vorbei. Wenn jemand einen Rücktritt fordern will, soll er das auch öffentlich machen.“ Er habe die SMS veröffentlicht, „weil wir so die Chance auf Knall, Versöhnung und dann Neuanfang haben“. Es gehe ihm „nicht um eine Personaldebatte, sondern um eine Debatte über den innerparteilichen Umgangsstil“. Mit Lauer selbst habe er seit der SMS keinen Kontakt mehr gehabt.

 

Peer lässt bloggen, das Netz spottet

Ach Peer! Ne, so richtig gut gefällt uns Dein neues Blog leider nicht.

(Wir würden den Kanzlerkandidaten hier übrigens nicht duzen, wenn seine Unterstützer nicht konsequent auf seinen Nachnamen verzichteten.)

An sich ist die Idee ja nicht mal schlecht. Dass ein paar profilierte Schreiber sich im Wahlkampf engagieren. Dass dieses Team autonom vor sich hin arbeitet, abseits verkrusteter Parteistrukturen. Das macht es der chronisch nörgelnden SPD schwerer, sich einzumischen. Ja und auch gegen Blogs haben wir von Zeit ONLINE natürlich rein gar nichts.

Aber trotzdem: Irgendwie haut das neue PeerBlog nicht hin.

Es beginnt mit dem Ton. Der ist manchmal ziemlich plump: „Peer fordert zweites Duell – Merkel kneift“. Das könnte auch von der Pressestelle im Willy-Brandt-Haus kommen.

An anderen Stellen ist der Ton überaus großspurig. Kein geringerer als Barack Obama dient den Peer-Bloggern als Vorbild. Wie man gleich im ersten Absatz der Selbstdarstellung erfährt. Und, ja, auch die „arabischen Revolutionen“ bezeichnen die Autoren lässig als ihre geistigen Paten. Kleiner geht es kaum.

Kein Wunder also, dass das Feedback auf das neue PeerBlog bislang recht negativ ausfällt. Die SPD selbst schweigt mehrheitlich, verlinkt jedenfalls nicht prominent auf das Blog, das ja seinerseits so stolz darauf ist, nicht von irgendwelchen Parteihanseln geführt zu werden. Der netzpolitische Sprecher der SPD, Lars Klingbeil, twitterte heute lediglich mit viel Dialektik: „Ich werde nicht über ein Blog twittern.“

Jenseits der SPD wird gelästert, was das Zeugs hält. Viele stört, dass über die Finanzierung des Projekts wenig bekannt ist. Laut Spiegel würden die Blogger „fürstlich“ von diversen Unternehmern bezahlt, von einer „sechsstelligen Summe“ ist die Rede. Nur, um welche Spender es sich handelt, das verrät die Transparenz-Partei SPD bisher nicht.

Ein bayerischer Spitzen-Pirat bezeichnet Steinbrück deshalb via Twitter als den wahren „Genossen der Bosse“. Der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Norz, schreibt, dass er das Blog „unter Transparenz + Parteienfinanzierungsaspekten problematisch“ finde.

Erst der Online-Berater, der nach wenigen Tagen und ein paar Enthüllungen über seine bisherigen Auftraggeber den Job bei Steinbrück wieder aufgab. Dann Steinbrücks Bekenntnis, nicht selbst seinen Twitter-Account zu befüllen, sondern einem Mitarbeiter die Postings zu diktieren. Online-mäßig, so muss man wohl resümieren, steht die SPD-Kampagne in diesem Wahlkampf bislang unter keinem guten Stern.

Update vom 5.2.2013: Steinbrück hat auf seiner Reise nach London inzwischen bestritten, „die Investoren“ seines Bloggs zu kennen. Das allerdings widerspricht dem Rechercheergebnis von sz.de.

Mitarbeit: Juliane Leopold

 

Schwarz-Linke Opposition

Normalerweise können sich die Anhänger von CDU und Linkspartei ungefähr so wenig leiden wie die Fans des Hamburger SV und des FC St. Pauli. Man bepöbelt sich im Wahlkampf – als „Bonzen“ beziehungsweise „Staatsfeinde“. Ansonsten geht man sich aus dem Weg.

Insofern ist das, was sich derzeit in Hamburg abspielt, schon bemerkenswert. Schwarze und Dunkelrote, in der Bürgerschaft zur Opposition verdammt, haben sich in ihrer Machtlosigkeit einander angenähert.

Letzten Mittwoch luden beide Parteien gemeinsam zu einer Pressekonferenz ein. Thema war die Großbaustelle Elbphilharmonie; Grüne und FDP waren auch als Gastgeber mit dabei. Am Freitag gelangte die Hamburger Opposition mit einem Boykott des Justizausschusses in die Schlagzeilen. Kollektiv protestierten sie so gegen eine Gefängnisreform des SPD-geführten Senats.

Linke und Christdemokraten als gemeinsame Ausschuss-Schwänzer und Boykotteure parlamentarischer Gremien? In Hessen oder NRW wäre das undenkbar!

In der Hamburger Linken ist man dagegen mächtig stolz auf diesen Schulterschluss. Hier gehe man eben „hanseatisch“, also: „respektvoll“ miteinander um, sagt die Fraktionschefin Dora Heyenn. Das habe sich die Linke erst mühsam „erkämpfen“ müssen. Anfangs hätten sie die anderen Parteien, gerade die CDU, mit „persönlichen Angriffen“ und „bösartigen Zwischenrufen“ attackiert. Aber die CDU habe inzwischen eingesehen, dass die Linke „konstruktiv und sachorientiert“ arbeite, sagt Heyenn. Und klingt dabei recht staatstragend.

Die CDU reagiert nicht ganz so fröhlich, wenn sie mit dem Thema konfrontiert wird. Es gebe „keine strukturelle oder gezielte bilaterale Zusammenarbeit“, sagt der Fraktionschef Dietrich Wersich. Aber eben auch „keinen Ausschluss“ wie in anderen Bundesländern, räumt er ein.

Und, was sind das so für Partner, die Linken? Kann man mit denen zuverlässig zusammenarbeiten? Schließlich hatte die CDU im letzten Hamburger Wahlkampf noch vor einer gefährlichen Chaostruppe gewarnt, wenn es um die ehemalige PDS ging.

Dem Fraktionschef Wersich ist diese Nachfrage etwas unangenehm. Beim ersten Anlauf ignoriert er sie einfach. Beim zweiten Mal fällt die Antwort knapp aus, unfreundlich ist sie aber nicht: Die Kooperation mit der Linken laufe „ordentlich“, sagt der CDUler. Kein Grund zur Klage.

 

Von wegen Neustart: Drei ganz normale Tage bei den Piraten

Am Abend der Wahlniederlage von Niedersachsen waren sie sich alle einig, die Piraten. Es müsse jetzt Schluss sein mit der ständigen Selbstbespiegelung. Stattdessen: „Themen mit Köpfen“ verbinden, wie Parteichef Schlömer das nannte. Eigene Inhalte nach vorne bringen. Sachpolitik machen. Sich als Alternative präsentieren. Was also ist passiert seitdem?

An diesem Mittwoch gegen halb vier konnten die Piraten einen kleinen Erfolg verbuchen. Im Landtag von Nordrhein-Westfalen stellten sie den ersten Antrag aller Fraktionen zu einem Thema, das in dem Bundesland gerade die Gemüter erhitzt und die Titelseiten füllt. Nach der Abweisung eines Vergewaltigungsopfers in zwei katholischen Kölner Kliniken wollen die Piraten die kirchlichen Häuser per Gesetz zwingen, niemanden mehr abzuweisen. Ob man diesen Antrag nun gut findet oder nicht: Die Partei mischt damit vorne in der Debatte mit, die anderen müssen nun nachziehen. Ein kleiner, alltäglicher Erfolg.

So weit, so gut. Zur gleichen Zeit aber macht ein Interview mit dem politischen Geschäftsführer der Partei, Johannes Ponader, die Runde, das ausgerechnet die NRW-Piraten vom Podcast „Krähennest“ führten. Darin spricht sich dieser dafür aus, den Bundesvorstand der Partei, dem er selbst angehört, auf einem Sonderparteitag möglichst bald neu zu wählen. Beim Parteitag im November hatten die Piraten genau eine solche vorgezogene Neuwahl noch abgelehnt – und zwar auf Initiative von Parteichef Bernd Schlömer. Das Gremium, so Ponader jetzt, sei zu intransparent, und er stelle sich außerdem die Frage: „Wird es gelingen, einen guten, mutigen, inspirierten, provokanten Wahlkampf zu führen mit diesem Bundesvorstand?“

Und schon war sie wieder da, die Personaldebatte und Selbstbeschäftigung. „In welcher Parallelwelt sind fehlende Personaldebatten schuld am aktuellen Parteizustand und eine solche Debatte Lösung für irgendwas?“, twitterte Ponaders Vorstandskollege Klaus Peukert genervt. Was ihm wiederum die Frage einbrachte, warum er das nicht erst intern mit Ponader bespreche. Alles war wieder so wie immer.

Ähnlich festgefahren scheint die Situation im für die Partei vielleicht wichtigsten Streit: Wollen sie die „Ständige Mitgliederversammlung im Internet“ (SMV) einführen, mit der sie auch zwischen den Parteitagen Beschlüsse fassen können? Peukert fragte: „Warum stimmt die sogenannte Internetpartei immer noch nicht im Internet ab?“ In der Tat könnte die SMV bestenfalls einlösen, was die Piraten ja seit ihren ersten Tagen versprechen: die neuen Techniken für ein „Update der Demokratie“ nutzen.

Weil die SMV aber noch unausgegoren ist und viele befürchten, dass sie missbraucht werden könnte, kämpfen viele Piraten vehement gegen sie. Unter ihnen der stellvertretende Parteichef Sebastian Nerz, der am Dienstag in der taz prompt seinen Kollegen Peukert entgegnete, man solle „nicht den Fehler machen, auf demokratische Grundprinzipien zu verzichten, nur weil es hip oder modern wäre“. Es gebe „schlicht keine technische Lösung für solche Online-Abstimmungstools“.

Das bemerkenswerte ist nicht der Konflikt im Vorstand, der ist so alt wie das Thema selbst. Bemerkenswert ist, dass die beiden es jetzt durch ihre Äußerungen wieder auf die Tagesordnung heben, obwohl sie doch wissen, dass die Fronten hier verhärtet sind und es keine kurzfristige Lösung geben wird. Sie konnten also nichts erreichen, außer ein weiteres Mal den Eindruck zu bestätigen, dass sich Ober-Piraten uneinig sind und offen (sie würden sagen: transparent) streiten.

Fragt man Birgit Rydlewski, die als Piraten-Abgeordnete in NRW den Antrag zum Krankenhaus-Skandal mit eingebracht hat, was sie von den Personaldebatten und Streitereien hält, die so oft ihre Arbeit verdecken, seufzt sie erst einmal. Dann sagt sie: „Jetzt eine Personaldebatte aufzumachen, das ist, naja, eine schwierige Sache.“ SPD und Grüne werden ihrem Antrag heute nicht zustimmen, sie haben als Reaktion noch schnell ein eigenes Papier eingebracht, dass ein bisschen anders klingt. „Das geht wohl aus parteipolitischen Gründen nicht, dass sie mit uns gemeinsame Sache machen“, sagt Rydlewski. Sie will diese „Spielchen“ nicht mitmachen und deshalb mit SPD und Grünen stimmen. „Mir geht es ja um die Sache“, sagt sie.

Eigentlich ein gutes Beispiel für gelungene Piraten-Politik. Doch selbst im Piraten-Kosmos auf twitter ist der Antrag längst kein Thema mehr, sondern er ist überdeckt von Ponaders Neuwahl-Vorstoß.

Sicher, es sind erst drei Tage vergangen seit ihrer ersten Niederlage. Doch so sieht er bisher aus, der Neustart der Piraten.

 

Flügelkämpfe helfen den Piraten

Das einzig wirklich dämliche an der neu gegründeten Piraten-Untergruppe ist ihr Name: „Frankfurter Kollegium“ – das klingt in seiner altdeutschen Gestelztheit wie eine Mischung aus Burschenschaft und Adorno-Fanclub.

Sonst aber gibt es gegen den Verein, der sich als sozialliberaler Flügel in der Partei versteht, wenig zu sagen. Die Piraten wollen eine Vollpartei sein, das haben sie auf ihrem jüngsten Parteitag eindrücklich gezeigt, und in einer solchen geht es nicht ohne Flügel. Es ist das Natürlichste in der Parteienwelt, dass ihre Mitglieder miteinander um den Kurs ringen – wenn sie groß genug sind und ihre Positionen entsprechend vielfältig. Was ist schlimm daran, wenn sie sich dafür organisieren?

Nun aber schlägt dem neu gegründeten Flügel Empörung aus der eigenen Partei entgegen. Unter anderem gibt es bereits ein kritisches „Watchblog“ voller Verschwörungstheorien und mehrere Satire-Seiten, Twitter ist voll von wütenden Wortmeldungen. Das ist bestenfalls unterhaltsam, meist aber allzu reflexhaft und naiv. Denn diese Wut wird getragen von Piraten, für die es nur eine Maxime gibt: bloß nicht werden wie die anderen Parteien. Bloß keine „herkömmlichen“ Machtkämpfe und Grüppchenbildungen.

Dabei gibt es diese Kämpfe, die Grüppchen und Flügel auch bei den Piraten längst. Das zeigt jeder Parteitag und besonders beispielhaft der erbitterte Streit um das Bedingungslose Grundeinkommen. Diese Netzwerke organisieren Mehrheiten, bestimmen Debatten, ringen um Posten. Aber sie tun all das völlig im Verborgenen, weil es sie bei den ach so basisdemokratischen Piraten ja offiziell eigentlich nicht geben darf. Das ist das Gegenteil der Transparenz, die die Piraten im Brustton der Avantgarde von der Restgesellschaft einfordern.

Das „Kollegium“ ändert das. Sein Mitgründer, der stellvertretende Bundesvorsitzende Sebastian Nerz, hat deshalb völlig Recht, wenn er twittert: „Wir arbeiten damit – ganz bewusst – um Welten transparenter als große Teile der Netzwerke in der Partei.“

Einige Piraten haben nun Angst, dass nun bald eine sozialliberale Elite die Partei beherrschen könnte. Schließlich sind viel namhafte Funktionäre aus Bundes- und Landesvorständen und von Wahllisten Mitglied im Kollegium. Doch anstatt zu jammern, sollten die Kritiker dem etwas entgegensetzen: Am besten gute Argumente und eigene Themen.

Noch entscheidet die Gesamtheit der (auf Parteitagen anwesenden) Mitglieder über Programm und Posten. Dort können die Piraten die Anträge des Kollegiums (hoffentlich aus inhaltlichen Gründen) ganz einfach durchfallen lassen und ihre Vorreiter aus den Ämtern wählen. Die Frankfurter Flügel-Gründung schadet der parteiinternen Demokratie nicht. Wenn sie aber dazu beitragen würde, das naiv-romantische Politikverständnis und Selbstbild vieler Piraten zurechtzurücken, hätte es sich schon gelohnt.

 

Grüne Fritzles und schwäbische Cleverles

Natürlich – es gab das erste Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück im Bundestag.

Natürlich – Horst Seehofer und Christian Ude stehen nun auch offiziell und parteitagszertifiziert bereit für ein episches Duell um die Macht in Bayern.

Natürlich – auch das Duell zwischen Deutschland und Schweden war auf seine Weise bemerkenswert (und merkwürdig).

Und doch drehte sich die sportlich-politische Welt am vergangenen Wochenende nur um Stuttgart.

Neulich die Pressekonferenz von Bruno Labbadia war vielerorts zu einer Wutrede hochsterilisiert worden. Dabei hatte sie doch maximal sieben „Trapas“ auf der nach oben offenen Wutredenskala verdient. Aber die junge Mannschaft des VfB hat in Hamburg eine Reaktion gezeigt und den altehrwürdigen HSV mit 1:0 besiegt.

Wer hat sich am meisten gefreut? Naturgemäß natürlich das Maskottchen des VfB. Gattung: Krokodil. Farbe: Grün. Name: Fritzle. Was das Lieblingsessen von Fritzle ist, erfährt man in seinem Steckbrief nicht – aber es kann nur eines sein: Laugenbrezeln.

Ein grüner Fritz? Laugenbrezeln? Schon ist man beim zweiten Großereignis, das Stuttgart am Wochenende weltweit berühmt gemacht hat. Wobei auch hier – ähnlich wie beim VfB – der grüne Fritz die Laugenbrezel sprichwörtlich verspeist hat. Fritz Kuhn ist seit gestern erster grüner Oberbürgermeister einer deutschen Landeshauptstadt. Nachdem es vor zwei Wochen in der ersten Runde noch keinem Kandidaten gelungen war, eine absolute Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinen, war gestern alles klar: Mit 52,9% der gültigen Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 47,2% hat Kuhn die Wahl eindeutig für sich entschieden.

Ob es für Laugenbrezeln – für dieses Werbesymbol hatte sich Werbeprofi und überparteilicher OB-Kandidat von CDU, FDP und Freien Wählern, Sebastian Turner, entschieden – ein guter oder ein schlechter Tag war, darüber waren sich zumindest die viralen Kräfte in diesem Internet uneins. Bei einigen freuen sich die lustig geformten Gebäckstücke über die wieder gewonnene Freiheit, bei anderen dagegen war von Brezel-Suiziden die Rede. Anatomiker fragen sich übrigens noch immer, wie die Hände einer Brezel es schaffen, sich selbst zu schütteln.

Wie dem auch sei. Der neue Slogan Baden-Württembergs heißt ab sofort: „Wir können alles – vor allem Grün“. Stadt und Land sind in grüner Hand, dem Wählerwillen sei Dank. Aber die Wähler im Ländle sind auch Schalke (Sportwortspielgefahr!), haben sie den grünen Spielmachern doch als Strategie den Bau von Stuttgart21 per Volksabstimmung verordnet.

Nicht verschwiegen werden darf bei alledem die Hauptbotschaft, die am Sonntag von Stuttgart ausging. Was Insidern schon immer klar war, haben die schwäbischen Tatort-Kommissare Lannert und Bootz massentauglich gemacht:

1) PoWis (Insidersprech für Politikwissenschaftler) – das sind die ganz harten.

2) PoWi zu studieren allein macht nicht verdächtig.

Cleverles, diese Schwaben. Das Wochenende sollte selbst die größten Skeptischer davon überzeugt haben.

Der Text ist auch auf Antrobius unter http://antrobius.de/schwabische-schalke.html erschienen.

 

Wir können alles – außer einem gewöhnlichen Bewerberfeld: OB-Wahl in Stuttgart

Von Thorsten Faas und Johannes Blumenberg

Sonntagszeit ist Oberbürgermeisterwahlzeit. Zumindest in Stuttgart. Am kommenden Sonntag steht der erste Wahlgang an, insgesamt 14 Kandidatinnen und Kandidaten stellen sich zur Wahl.

Die Stuttgarter OB-Wahl ist aus mehreren Gründen brisant und bemerkenswert:

  • Die Zahl deutscher Großstädte, die von einem Bürgermeister aus den Reihen der Union regiert werden, eignet sich inzwischen als Übungsaufgabe für Erstklässler – der Zahlenraum bis 10 ist völlig ausreichend. Noch gehört Stuttgart dazu, doch Amtsinhaber Wolfgang Schuster stellt sich nicht zur Wiederwahl. Das Rathaus ist ein „open seat“.
  • Trotzdem (oder deshalb?) haben CDU und SPD darauf verzichtet, ein Mitglied aus ihren Reihen zu nominieren, sondern sich für parteilose Kandidaten entschieden. Für die Union tritt Sebastian Turner an, Publizist, Werbefachmann und in dieser Funktion auch der Erfinder des Slogans „Wir können alles außer Hochdeutsch“. Turner wird auch von der FDP und den Freien Wählern unterstützt und versucht mit dem Slogan „Ein Bürger als Oberbürgermeister“ und einem Brezel-Logo zu punkten. Die SPD vertraut auf die derzeitige Bürgermeisterin von Schwäbisch-Hall, Bettina Wilhelm (Slogan: „Die Nächste für Stuttgart.“, „Rathauskompetenz“) .Für die Grünen, die die stärkste Kraft im lokalen Parlament sind, geht Fritz Kuhn ins Rennen, aus politischer Sicht vermutlich das schwerste Gewicht im Bewerberfeld – kein unwichtiger Aspekt angesichts eines Wahlzettels, auf dem nur die Namen der Personen, nicht aber ihre parteipolitischen Verbindungen vermerkt sind.
  • Aufgemischt wird das Feld weiterhin von Hannes Rockenbauch. Bundesweit bekannt geworden ist Rockenbauch als das Gesicht des Widerstands gegen das Bahnprojekt „Stuttgart21“ im Schlichtungsverfahren mit (unter?) Heiner Geißler. Er tritt für das Bündnis „Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS)“ als Kandidat an und bereitet vor allem den Grünen Bauch- und Kopfschmerzen. Gegner von Stuttgart21 könnten bei „Hannes kann es“ Rockenbauch ihr Kreuzchen machen – und nicht bei Kuhn.

Zehn weitere Kandidaten ergänzen das Feld. Vertrauen wir jedoch den jüngsten Umfrageergebnissen, so werden diese am kommenden Wahlsonntag kaum ins Gewicht fallen. Die eigentliche Entscheidung wird demnach vielmehr zwischen Kuhn und Turner gefällt; um Bronze kämpfen Wilhelm und Rockenbauch.

Zwei parteilose Kandidaten, ein Kandidat aus eher unbekannten (parteipolitischen) Reihen und ein bundesweit bekannter Grüner. Wir können alles außer einem herkömmlichen Bewerberfeld, könnte man sagen.
Ein wenig Orientierung für noch Unentschlossene bietet die Stuttgarter Zeitung. Diese hat – in Anlehnung an den (nicht nur treuen Blog-Lesern) wohl vertrauten Wahl-o-mat42 Thesen formuliert, zu denen sich die örtlichen Kandidatinnen und Kandidaten positionieren sollten. Halten sie ein umfassendes Glas- und Flaschenverbot auf öffentlichen Plätzen für sinnvoll? Wird Stuttgart 21 die Stadt städtebaulich voranbringen? Und vieles mehr…
Wie bei Wahlen und den Antworten der Parteien, so lässt sich natürlich auch hier aus den Antworten der Kandidaten ablesen, wer im Mittel wem wie nahe oder fern steht, indem man einen einfachen Übereinstimmungsindex (*) berechnet. Das Ergebnis sieht wie folgt aus:

Wie die Abbildung zeigt, findet sich die größte Übereinstimmung über alle 42 Aussagen hinweg zwischen Fritz Kuhn und Hannes Rockenbauch. Die beiden, die sich bei den zahlreichen Debatten im Vorfeld der Wahl so heftig beharkt haben, wenn es um Stuttgart21 ging, sind sich letztlich in der Gesamtschau doch so nah. Umgekehrt liegt die größte Distanz zwischen Sebastian Turner und Hannes Rockenbauch. Bettina Wilhelm nimmt eine moderate Position in der Mitte ein.

Insgesamt ergibt sich aller Besonderheiten zum Trotz beim Blick auf die Positionen ein recht bekanntes Bild: Turner – Wilhelm – Kuhn – Rockenbauch. Anders würde die Reihung bei einer Landtagswahl- oder Bundestagswahl auch nicht aussehen, wenn man die unterstützenden Parteien auf einer Dimension von links nach rechts sortieren würde.

Wir können alles außer einem herkömmlichen Bewerberfeld mag der Fall sein, aber ein bisschen Ordnung braucht der Schwabe dann eben doch. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass am Ende dann doch wieder alles so ist wie früher: Der Kandidat einer Partei gewinnt.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 42 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Johannes Blumenberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung.

 

Kohls Kurzzeit-Heimkehr

Da sitzt er also, der Altkanzler. Der Übervater. Der Ausgestoßene und doch Verehrte. Mit den Augen versucht Helmut Kohl zu lächeln, sich zu bedanken für den langen, warmen Applaus, den ihm die Bundestagsfraktion der Union spendet. Deutlichere Gesten fallen dem 82-jährigen seit seinem schweren Sturz vor einigen Jahren schwer, längst sitzt er im Rollstuhl, sind seine seltenen Reden nur noch undeutlich zu verstehen. Aber heute ist all das egal.

Heute ist Kohl in den Bundestag gekommen, um seiner Unionsfraktion den Glanz seiner historischen Größe zu spenden, für ein paar Minuten wenigstens. Am 1. Oktober vor 30 Jahren wurde Kohl Kanzler, und seine Partei feiert das in dieser Woche gleich mit einer Reihe von Veranstaltungen. Neben Fraktionschef Volker Kauder und Kanzlerin Angela Merkel, die ja mal sein „Mädchen“ war, sitzt er nun, und die beiden applaudieren ihm stehend. Davor rangeln die Fotografen um das beste Bild, bis Kauder sie hinausscheucht. „Ihr sollt jetzt rausgehen!“, meckert er sie an.

Was dann passiert? Man erfährt es nachher von Teilnehmern, die sich durch die Bank „bewegt“ zeigen von Kohls Auftritt. „Besonders für die Jungen war das ein Ereignis“, schwärmt Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). „Hier ist meine Heimat, die Fraktion der CDU und CSU, hier bin ich zu Hause“, erklärte der Altkanzler. Er wolle nicht viel sagen, so Kohl – und richtete dann doch deutliche Worte an seine ehemaligen Mitstreiter. „Wir werden den Frieden nur erhalten, wenn wir Bereitschaft zum Miteinander haben“, sagte er zur Europapolitik. Man müsse „einander ernst nehmen“. Und der Altkanzler lobte die Fraktion, die ehemalige wie die heutige: „Ohne uns hätte es dieses Deutschland nicht gegeben.“

Volker Kauder, der die Moderatoren-Rolle übernahm, malte das Verhältnis der Partei zu ihrem Altkanzler in rosigsten Tönen. „Der herzliche Applaus zeigt: Sie gehören ganz fest in unsere Mitte“, sagte er in Kohls Richtung. Diejenige, die ihn einst im Zuge des Spendenskandals aus dieser Mitte gestoßen hatte, Kanzlerin Merkel, schwieg dazu. Überhaupt ergriff Merkel bei Kohls Rückkehr nicht einmal das Wort. Das sei aber gar kein schlechtes Zeichen, beeilten sich CDUler nachher zu versichern, schließlich rede sie ja schon beim großen Festakt für den Altkanzler an diesem Donnerstag. Mehr Kohl als nötig will Merkel sich dann doch nicht antun.

Zehn, vielleicht fünfzehn Minuten redet Kohl, und danach schwirren zweischneidige Komplimente durch den Reichstag. Seine „geistige Frische“ lobt die Staatsministerin Maria Böhmer, ein anderer seine „inhaltliche Klarheit“. Sie hatten anscheinend Schlimmeres befürchtet. Nur ein bisschen unverständlich sei er an manchen Stellen gewesen. „Irgendwas war mit Griechenland“, rätselt ein Teilnehmer, „aber was, hab ich nicht richtig mitbekommen“.

Nach kaum einer halben Stunde ist alles vorbei. Fraktionschef Kauder verlässt als einer der ersten den Saal, ein wenig später kommt Kohl herausgerollt. Eine Etage tiefer gibt es jetzt noch einen Empfang für ihn, „es gibt Herzhaftes“, heißt es. Seine Begleiter rollen ihn also in einen der großen Bundestagsaufzüge. Da kommt Angela Merkel herbei und quetscht sich als eine der letzten noch hinein in den Raum. So fahren sie gemeinsam hinab, der alte Kanzler und die nicht mehr ganz so neue Kanzlerin.

 

Piraten-Wahlkämpfer fordern Rücktritt von Buchautorin Schramm

Schon seit Tagen gärt bei vielen Piraten der Ärger über Julia Schramm, ihr Buch, und ihr Verhalten in Sachen Urheberrecht. Nun hat er sich an prominenter Stelle Bahn gebrochen: Der Landesvorstand der Piratenpartei Niedersachsen fordert geschlossen den Rücktritt der Piratin von ihrem Amt als Beisitzerin im Bundesvorstand. Am Donnerstag um 13:02 Uhr tauchte auf der Mailingliste der „Servicegruppe Presse“ der öffentliche Brief auf, in dem es heißt, die aktuelle Diskussion schade gerade in Niedersachsen sehr, wo am 20. Januar ein neuer Landtag gewählt wird: „Gerade auch im Hinblick auf unsere geplante Wahlkampfkampagne zum Thema ‚Urheber-, Markenschutz- und Patentrecht‘ stehen wir momentan im Lichte der Öffentlichkeit sehr schlecht da.“

Deshalb solle Schramm sich dafür einsetzen, dass die digitale Ausgabe ihres Buches für nicht-kommerzielle Nutzung frei verfügbar gemacht wird. Falls dies nicht möglich sei, was angesichts eines längst festgezurrten Autorenvertrags mehr als wahrscheinlich ist, schreiben die niedersächsischen Piraten weiter: „empfehlen wir Dir den nächsten richtigen Schritt zu gehen, um die Glaubwürdigkeit gerade in einem wichtigen Kernthema der Piratenpartei zu behalten: Rücktritt“.

Der Absender der Briefs, der stellvertretende Landesvorsitzende Thomas Gaul, bestätigte ZEIT ONLINE dessen Echtheit und erklärte: „Wir sind der Meinung, das wir uns positionieren müssen, denn was da gerade passiert, ist nicht im Sinne der Piratenpartei.“ Er fürchtet vor allem Rückschläge für den Landtagswahlkampf. „Das ist Negativreklame.“

Andere Piraten stöhnen nun wiederum laut auf über das Vorpreschen der Niedersachsen. Anke Domscheit-Berg twitterte: „gehts noch? Wir wollen urheber stärken u. downloader entkriminalisieren! Wo steht, wir wollen urheber zu gratis ebooks zwingen?“ Der Berliner Verleger und Pirat Enno Lenze reagierte mit Galgenhumor und bastelte den Piraten aus Frust gleich eine Vorlage für zukünftige offene Briefe. Der Twitterer @tante schrieb: „Es gibt schon Unterschiede zwischen den Piraten Landesverbänden. Berlin is „links“, Bayern „konservativ“, Niedersachsen peinlich.“

Der politische Geschäftsführer der Partei, Johannes Ponader, der Schramm in den vergangenen Tagen verteidigte, wusste am frühen Nachmittag noch nichts von dem Brief. Er würde so etwas aber mittlerweile nicht mehr zu hoch hängen, sagte er ZEIT ONLINE. In der Parteiführung hat man sich längst gewöhnt an die ständigen internen Streitereien. Der Vorsitzende Bernd Schlömer wollte den Vorgang nicht kommentieren. In einer Stellungnahme hatten sie zuvor Schramm verteidigt.

 Mitarbeit: Juliane Leopold

 

Grundsatzprogramm? Keine Ahnung!

Von Lenz Jacobsen

Das jüngste Drama, oder besser: das jüngste Kammerspiel aus dem so oft absurden Innenleben der Piratenpartei dauerte 74 Minuten und spielte im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen. Dort, zwischen Stuttgart und Bodensee, trafen sich jüngst eine Handvoll Piraten, darunter drei stimmberechtigte Mitglieder, um ihren Direktkandidaten für die Bundestagswahl 2013 zu bestimmen. Das Problem nur: So richtig geeignete Bewerber für das Amt hatten sie nicht. Da war Kurt Kreitschmann, 60 Jahre alt, seit 40 Jahren verheiratet, 4 Kinder. Und Erwin Phillipzig, der aus Berlin kommt und seit 1998 in Rottenburg wohnt. Politische Konzepte, klare Positionen oder auch nur Interesse an den Grundsätzen der eigenen Partei haben die beiden nicht, wie die anschließende Befragung durch ihre Mit-Piraten zeigte.

Was sie denn für Alleinerziehende tun wollen? Für die sollte es etwas anderes als Hartz IV geben, sagt Kreitschmann. Und Phillipzig ergänzt, sie müssten prinzipiell besser unterstützt werden. Absurd wird es, als er auf die Frage, was denn aus seiner Sicht die Kernthemen der Piraten seien, antwortet: „Ich habe mich bisher noch nicht sonderlich mit dem Programm beschäftigt.“

Weiter geht es mit der Blamage: Was halten die beiden vom Bedingungslosen Grundeinkommen? „Ich halte dieses Prinzip für fragwürdig. Man sollte eher die Löhne der Arbeit angleichen“, sagt Kreitschmann. „Schwierig zu sagen“, erklärt Philippzig. Und wie steht es mit der Vorratsdatenspeicherung, einem der Themen, das die Piraten erst groß gemacht hat? „Dazu habe ich mich nicht genug informiert“, sagt der eine, „Man muss nicht alles speichern“, der andere. Zur Netzneutralität erklären sie: „Ich bin nicht viel am PC und bin eigentlich immer skeptisch bei Datenaustausch“ und „Ich bin selten im Internet, überlege aber prinzipiell zweimal bevor ich einen Anhang öffne“. Irgendwann reicht es einer Piratin namens Lisa, sie fragt die beiden: Welche Themen aus dem Grundsatzprogramm kannst du aufzählen? Und was antworten die Kandidaten, die sich immerhin als Piraten-Vertreter für das höchste deutsche Parlament bewerben, unisono? „Nichts.“

Das kleine Baden-Württemberger Drama zeigt, wie sehr die Piratenpartei selbst von ihrem Aufstieg überfordert ist. Es scheint einfach nicht genug fähige Kandidaten für die vielen neuen Posten zu geben. Doch anstatt sich das einzugestehen und konsequenterweise auf einen Direktkandidaten zu verzichten, der ja sowieso keine realistische Chance hat, gewählt zu werden, ziehen die Piraten die Sache einfach durch: Am Ende der Sitzung wählen die drei akkreditierten Mitglieder mit zwei zu eins Stimmen Kurt Kreitschmann zu ihrem Bundestagskandidaten.

Bei der Piratenpartei ist das Protokoll der Sitzung übrigens mittlerweile in der Kategorie Popcorn abgespeichert. Darein gehören alle Seiten, die „für empfehlenswert heiter bis überschwänglich ausgelassen befunden wurden“. Der Schriftführer ist von all dem nur noch genervt: „Wer auch immer das Protokoll auf Satire gestellt hat: NEIN ES IST WIRKLICH DAS OFFIZIELLE PROTOKOLL“, twittert er, und: „Ich muss jetzt als Schriftführer rechtfertigen, warum Kandidaten doof und Wähler gewählt. Vielen Dank, das hebt meine allgemeine Laune.“

Anmerkung: In einer früheren Version war der Schriftführer versehentlich als Versammlungsleiter bezeichnet worden. Das ist nun korrigiert. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.