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Das war’s, Herr Wulff

Politische Affäre nehmen für gewöhnlich einen erwartbaren Verlauf: Erst kommt eine Sache hoch, die einen bisher vermeintlich „sauberen’“ Politiker ins Zwielicht setzt. Der Politiker leugnet oder zeigt sich keiner Schuld bewusst. Dann kommen immer mehr Fragwürdigkeiten ans Tageslicht, weil nun weitere Medien die Spur aufnehmen. Der betroffene Politiker gibt in einer Salamitaktik immer nur das zu, was schon bekannt ist, beharrt aber darauf, gegen kein Gesetz verstoßen zu haben.

Schließlich tritt er, wenn der Druck zu groß wird, vor die Öffentlichkeit und gibt sich reumütig. Damit hofft er, den Brand austreten zu können. Parteifreunde fordern daraufhin ein Ende der Debatte, „aus Rücksicht auf das Amt“, und werfen den Medien eine „Hetzjagd“ vor, obwohl die nur ihrer Pflicht nachgehen, die Öffentlichkeit aufzuklären. Und so weiter und so fort.

Am Ende aber stürzt der Angegriffene. Nicht über seine tatsächliche oder vermeintliche Verfehlung. Sondern über seinen Umgang mit der Affäre. Und weil es selbst treuen Partei- und Koalitionsfreunden irgendwann zu viel ist und sie bei einem Fortgang Schaden für ihre Partei/Koalition fürchten.

So war es zuletzt im Fall Guttenberg. Und so wird es auch im Fall Wulff wohl bald sein.

Ungewöhnlich und erstaunlich selbst für einen, der schon viele Affären erlebt hat, ist jedoch in diesem Fall das Ausmaß an politischer Instinktlosigkeit und Skrupellosigkeit, das Christian Wulff an den Tag legt. Denn nun kommt heraus, dass der Bundespräsident offenbar auch noch versucht hat, die Veröffentlichung des Skandals um seinen Hauskredit und die Annahme sonstiger Gefälligkeiten vermögender Wirtschaftsfreunde mit allen Mitteln zu verhindern – durch Druck auf die Bild-Zeitung und deren Chefredakteur Kai Diekmann.

Genau dieses könnte in dieser Affäre das „Zu-viel“ sein: Ein Bundespräsident, der als vormaliger niedersächsischer Ministerpräsident das Landesparlament beschummelt hat; der die Öffentlichkeit noch immer hinters Licht führt und der Medien zu erpressen versucht, ist nicht haltbar. Denn er schädigt das Ansehen der gesamten politischen Klasse.

In den Augen vieler Bürger verstärkt Wulff mit seinem Verhalten das Bild, das alle Politiker „so sind“: raffgierig, skrupellos, nur auf den eigenen Vorteil bedacht.

So aber sind Politiker längst nicht alle. Die meisten von ihnen sind – bis zum Beweis des Gegenteils – politisch integer. Sie handeln am Gemeinwohl oder zumindest dem Interesse ihrer Partei orientiert und sind nicht nur auf den eigenen materiellen Vorteil bedacht.

Christian Wulff jedoch, das zeigt sich immer mehr, ist ganz offenkundig das Gegenteil davon. Sein Anruf bei Diekmann, sollte er tatsächlich so stattgefunden haben, offenbart, wie Wulff wirklich tickt: Er versuchte, eine Berichterstattung zu verhindern, in der es um Verfehlungen ging, die er später selbst einräumte. Er drohte mit einem Strafantrag, obwohl die Fakten der Kreditgeschichte stimmten. Und das verrücktest: Er hinterließ all dies auf Diekmanns Mailbox. Ein zorniger, tumber Dorfschultheiss mag sich so verhalten können, ein Bundespräsident nicht. Er wird zum Schaden für dieses Land.

Wulff sollte daher, wenn er diesen Schaden abwenden will, wie er es im Amtseid geschworen hat, einsehen, dass seine Stunde geschlagen hat – und gehen. Nicht (nur), weil es sein hohes Amt gebietet. Sondern weil er politisch-moralisch gefehlt hat.

Wenn Wulff aber uneinsichtig bleibt, müssen ihm seine Parteifreunde und die Kanzlerin klar machen, dass er nicht länger tragbar ist. Sonst wird die Provinzaffäre dieses politischen Emporkömmlings zum Sprengsatz auch für sie.

Diesen Text haben wir inzwischen auch auf der Homepage von ZEIT ONLINE veröffentlicht. Bitte weitere Diskussionsbeiträge und Kommentare dort posten. 

 

Die Desintegration der CDU, oder: there are no leaders without followers!

AndreaDie Union hat den zweiten Rücktritt innerhalb einer Woche zu verkraften: Nach der Ankündigung des hessischen Ministerpräsidenten und CDU-Vize Roland Koch, sich aus seinen politischen Ämtern zurückzuziehen, ist nun Bundespräsident Horst Köhler von seinem Amt zurückgetreten. Dies wird ohne Zweifel die bisher härteste Probe für Angela Merkel, die nun mit Blick auf das Bundespräsidialamt Entscheidungen zu fällen hat, die auch das von ihr geführte Kabinett betreffen könnten. Und abgesehen von personellen Fragen kommt eine weitere, noch größere Herausforderung auf die Parteichefin zu. Denn wir beobachten bei der CDU strukturell gesehen nun Tendenzen, wie sie sich auch bei der SPD der späten Schröder-Jahre gezeigt haben: Wenn nicht alle parteiinternen Strömungen angemessen abgebildet werden können, verliert die Partei ihre Integrationskraft und dadurch nicht zuletzt auch ihren Markenkern.

Dabei gibt es zwischen den beiden Volksparteien jedoch mindestens einen wichtigen Unterschied: Während die Zersetzung der SPD mit der massiven Abwanderung der Wähler (und mancher Politiker) zur Linken zu einer massiven Verschiebung innerhalb des Parteiensystems geführt hat, ist nicht abzusehen, ob die enttäuschten Köpfe und Anhänger der Union ebenfalls in anderen parteilichen Gruppierungen des Systems aufgefangen werden können oder aber nach außen abwandern werden – die Politiker beispielsweise in die Wirtschaft, die Parteianhänger zur großen Gruppe der Nichtwähler. Die Worte von Roland Koch, er sehe für sich keinen ausreichenden politischen Gestaltungsspielraum, müssen so gesehen in der gesamten Union und auch darüber hinaus als Warnsignal verstanden werden. Denn die Alternative zur Repräsentation solcher Strömungen in Parlamenten und Regierungen ist, dass sie nicht repräsentiert sind.

Horst Köhler hätte gerade in Zeiten der Finanzkrise mit all seiner national und international gesammelten Expertise durchaus wichtige Akzente setzen können. Er hat es jedoch nicht getan und hinterlässt daher auch keine große Lücke. Allerdings macht er das große politische Problem der CDU deutlich, das zwangsläufig zur großen politischen Herausforderung Angela Merkels werden wird: Gelingt es ihr, personell wie strukturell alle Positionen ihrer Partei aufzunehmen? Oder hält der aktuelle Trend der Desintegration in der Union an?

 

Hannelore Rüttgers – oder was?

Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sind als Folge der schnellen Absage von Gesprächen mit der Linkspartei die Weichen nun erst einmal auf „Große Koalition“ gestellt. Die Frage, wer denn in einer solchen Regierungskonstellation den Ministerpräsidenten zu stellen hat, scheint offenbar ganz klar zu sein. Die CDU „natürlich“, wie immer wieder argumentiert wird. Zur Begründung wird das Kriterium der Stimmenanzahl bemüht. Weil die CDU laut amtlichem Endergebnis exakt 5982 Stimmen mehr erhalten hat als die SPD, sei es doch wohl klar, dass sie den Ministerpräsidenten auch stellen müsse – so oder so ähnlich war es dieser Tage der Presse zu entnehmen.

Mal ganz abgesehen von der Frage, ob ein solches Kriterium in einem parlamentarischen System auch tatsächlich viel Sinn ergibt, zeigt die Empirie jedenfalls keine reflexartige Beziehung in Koalitionsregierungen, der zu Folge immer die nach Stimmen stärkste Partei den Regierungschef stellen muss.

Ein paar Beispiele gefällig? Unser Nachbarland Österreich hat das auf der Bundesebene schon drei Mal erlebt. Zuletzt nach der Nationalratswahl 1999. Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter der Führung von Wolfgang Schüssel ist nach Stimmen nur drittstärkste Kraft geworden, nach der sozialdemokratischen SPÖ und der FPÖ von Jörg Haider. Nach dem Scheitern von Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ führte Wolfgang Schüssel als Bundeskanzler ab dem 4. Februar 2000 eine ÖVP-FPÖ-Koalition an, obwohl wohlgemerkt die FPÖ nach der Wahl die „stärkere“ Partei war. 1953 und 1959 ist der ÖVP Kandidat ebenfalls Bundeskanzler geworden, obwohl die mitregierenden Sozialdemokraten mehr Stimmen bei der Wahl bekommen hatten.

Aber auch in anderen Ländern, die an Koalitionsregierungen gewöhnt sind, finden sich solche Beispiele. Der schwedische Zentrumspolitiker Fälldin etwa wurde nach der Wahl 1979 zum Ministerpräsidenten gewählt, obwohl damals die bürgerlich-konservative Moderata samlingspartiet und nicht mehr die Zentrumspartei die nach Stimmen größte bürgerliche Partei wurde. Ähnlich gelagerte Fälle finden sich auch in Dänemark in der Koalition zwischen Liberalen und Konservativen in den 80er Jahren. Wenn man systematisch sucht, findet man wahrscheinlich noch mehr. Hat jemand noch weitere Beispiele parat?

Langer Rede kurzer Sinn: Es ist mitnichten in Stein gemeißelt, dass die stärkste Partei auch den Ministerpräsidenten stellen muss. Die Beispiele zeigen, dass von einem derartigen Automatismus keine Rede sein kann. Welche Partei den Regierungschef stellt, liegt genauso auf dem Verhandlungstisch und ist daher Bestandteil von Koalitionsverhandlungen, wie viele andere Dinge auch.

 

Noch eine Zahl…

Viele Zahlen standen gestern und heute in Nordrhein-Westfalen im Raum – aber eine habe zumindest ich nicht gehört. Und dass, obwohl sie wiederum etwas zum Ausdruck bringt, was wir bei fast allen Wahlen der jüngeren Vergangenheit haben beobachten können und was meines Earchtens sehr bemerkenswert (vulgo: merkwürdig) ist. Es ist der gemeinsame Stimmenanteil von Union und SPD. Die folgende Abbildung zeigt, wie dieser Anteil sich über alle NRW-Wahlen hinweg entwickelt hat.

Mit 69,1 Prozent hat dieser Anteil – wieder einmal – ein historisches Tief erreicht. Selbst bei der ersten nordrhein-westfälischen Landtagswahl 1950 (in der Phase der Konsolidierung des deutschen Parteiensystems) lag er minimal höher.

Die Gründe für diese Entwicklung sind sicherlich vielfältiger Natur (man könnte das gestern so oft zitierte „Ursachenbündel“ heranziehen), Fakt aber ist: Zumindest aktuell ist es um die Integrationskraft der beiden „Volksparteien“ nicht gut bestellt.

 

Money makes the world go round, oder: Rüttgers und der gekaufte Zugang zur Macht

Andrea„Unternehmermillionen kaufen politische Macht“ – so lautet der Titel einer 1953 vom SPD-Parteivorstand herausgegebenen Denkschrift. Schon immer hat das Thema des gekauften Zuganges die Parteienfinanzierung umgetrieben. In den 60er Jahren finanzierte sich die CDU/CSU noch zu etwa 30% aus Unternehmensspenden, ähnlich auch die FDP. Dieser Anteil ist aufgrund der umfassenden staatlichen Finanzierung, die mit dem Parteien(finanzierungs)gesetz seit 1967 gewährleistet wird, deutlich zurückgegangen – allerdings eben nicht vollständig. Somit ist auch das Gebaren der NRW-CDU nicht per se zu verurteilen, schließlich stützen sich alle im Bundestag vertretenen Parteien auf Zuwendungen von Unternehmen. Umgekehrt spenden einige Unternehmen auch an mehrere Parteien, beispielsweise kann in einer Bundestagsdrucksache nachgelesen werden, dass die Daimler AG im Jahr 2009 sowohl CDU als auch SPD 150.000 Euro zukommen ließ. Das Netz von Spendern und Empfängern ist also komplex und bildet damit einen Teil der politischen Praxis in Deutschland ab.

Halten wir also fest: Verwerflich ist nicht die Spende. Verwerflich ist die Gegenleistung, die von der CDU in NRW angeboten wurde, nämlich der Gesprächstermin in kleiner Runde. Diese Praxis hebelt demokratische Gleichheitsgrundsätze aus – auch in diesem Blog wurde bereits darauf hingewiesen, dass Spenden von juristischen Personen einen Beigeschmack haben. Gepaart mit der Möglichkeit, in einem Gespräch direkten oder indirekten Einfluss auf Regierungshandeln nehmen zu können, ist dieses System hochgradig bedenklich. Denn dass es ein Bedürfnis von Wirtschaftsvertretern gibt, mit Politikern in vertrauter Runde Gedanken auszutauschen, zeigt nicht zuletzt der boomende Zweig der Politikberatung, der sich „Public Affairs“ nennt und auf diese Art der Vermittlung, Übersetzung und Zusammenführung von wirtschaftlichen und politischen Akteuren spezialisiert ist. Die Branche selbst ist sich darüber im Klaren, welche Assoziationen Begriffe wie „Lobbying“ hervorrufen, und diskutiert immer wieder lebhaft Selbstverpflichtungen, um „aus dem Schatten“ zu treten. Wenn der Wirtschaft nun aber seitens der Politik direkte Einflussmöglichkeiten angeboten werden, die alles übertreffen, was Agenturen arrangieren könnten, führt dies die dringend nötigen Transparenzdiskussionen ad absurdum.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Unternehmermillionen kaufen politische Macht. Denkschrift, Frankfurt, 10. Mai 1953.

Lars Großkurth: Aus dem Schatten: Lobbyingregulierung als Wettbewerbstool. Zeitschrift für Politikberatung 1(1), 2008.

 

"Honeymoon" is over

Für die Medien ist es ein gefundenes Fressen: Gesundheitspolitik in der Krise, Umfragetief für die FDP, Einbußen für die wichtigsten Regierungspolitiker. Im Politbarometer der vergangenen Woche erhält die schwarz-gelbe Regierung erstmals negative Beurteilungen, im Deutschland-Trend der ARD gaben Befragte in den vergangenen Tagen an, die jetzige Regierung sei schlechter als die Vorgängerregierung. Die Koalition, so scheint es, befindet sich in einer echten Krise. Tatsächlich?

Fakt ist, dass es in der Regierung noch nicht rund läuft. Einiges ist durch den Regierungswechsel bedingt. Selbst Wunschkoalitionen müssen sich erst einmal finden. Man denke zurück an den Regierungsantritt von Rot-Grün 1998: Von Dezember 1998 an ging es mit der Unterstützung für die neue Regierung bergab. Ein erster Schock war die verlorene Landtagswahl in Hessen am 7. Februar 1999, die auch die Mehrheit im Bundesrat kostete. Es folgte ein Stimmungstief im März 1999, der absolute Tiefpunkt im September 1999, und erst die CDU-Spendenaffaire (Winter 1999/2000) führte zu erheblichen Verbesserungen der Bewertungen für Rot-Grün.

Insofern ist das, was derzeit in Berlin passiert, nicht neu. Und es ist durchaus typisch für die erste Phase einer Legislaturperiode. Neu gewählte Regierungen erhalten in der Regel kurz nach einer Wahl die besten Bewertungen, was Bestätigungseffekt im „Honeymoon“ genannt wird. Doch Flitterwochen dauern nie lange. Im Anschluss muß dann nicht mehr nur – wie im Wahlkampf und während der Koalitionsverhandlungen – geredet, sondern regiert werden. Und die ersten wichtigen und für Teile der Bevölkerung harten Politikentscheidungen müssen früh, wenn auch nicht sofort getroffen werden. Am Ende einer Legislaturperiode ist dies weitaus schwieriger, denn da muss der Souverän wieder gewonnen und keinesfalls vergrätzt werden.

Doch wie steht es im Lichte dieser Erfahrungen um die Lage der Koalition im Februar 2010? Gemessen an den ersten Monaten der letzten Regierungen, geht es Schwarz-Gelb „den Umständen entsprechend“. Das bedeutet, dass man nicht von einer Krise der Regierung sprechen kann, auch wenn die Holperer doch recht zahlreich sind. Aus der Perspektive einer ganzen Legislaturperiode hat die Regierung noch genug Zeit, in Tritt zu kommen. Ein wenig problematisch ist allerdings der Wahltermin in Nordrhein-Westfalen. Geht es „normal“ weiter, also für Schwarz-Gelb bis auf weiteres nach unten, dann wird es für Union und FDP schwierig werden, die Landtagswahl im größten deutschen Bundesland am 9. Mai 2010 zu gewinnen.

Landtagswahlen weisen allerdings ein paar Spezifika auf, die schwer kalkulierbar sind. Es wird vor allem darum gehen, welche Lager und Parteien ihre Klientel bei einer vermeintlich weniger wichtigen Wahl besser moblisieren können. Ist der Bundestrend für Schwarz-Gelb weiter negativ, dann sind Mobilisierungsdefizite für Union und FDP sehr wahrscheinlich, zumal die Regierungskonstellation im Bund und in NRW die gleiche ist. Allerdings werden Landtagswahlen auch von landesspezifischen Faktoren beeinflusst. Hier wird es um die Zufriedenheit der Bürger NRWs mit den Politikergebnissen, mit ihrem Ministerpräsidenten und um politische Alternativen gehen. Letzteres könnte zum Problem für die Opposition werden. Rot-Grün liegt derzeit klar hinter Schwarz-Gelb zurück und hat damit keine eigene Machtperspektive. Insofern wird es spannend werden: Wer „könnte“ mit wem, zu welchem Zweck und vor allem mit welchen Erfolgsaussichten? Wird es zu bunt und unübersichtlich, bliebe der Rückgriff auf ein bekanntes, bestenfalls auch bewährtes Koalitionsmodell.

 

Die ersten 100 Tage

AndreaAngela Merkel kann einem Leid tun: Nach den ersten 100 Tagen an der Regierung erhält das Kabinett unter ihrer Führung nicht nur von der Opposition denkbar schlechte Kritiken. Auch die Umfrageergebnisse sprechen eine klare Sprache: Emnid hat im Auftrag des Nachrichtensenders N24 in einer repräsentativen Befragung ermittelt, dass nur 27% der Bürger mit der Arbeit der Regierung zufrieden sind.

Aber ist dies wirklich so außergewöhnlich? Erinnern wir uns an den Start der rot-grünen Regierung 1998: Diese kam in einer vergleichbaren Emnid-Befragung zur der Bilanz der ersten 100 Tage auf eine Zustimmungsrate von 38% – ebenfalls kein berauschendes Ergebnis für das mit so viel Enthusiasmus gestartete neue politische Projekt. Und auch bei der im Rahmen des DeutschlandTrend von Infratest-dimap durchgeführten Frage nach der Bewertung der Regierungsarbeit mit Schulnoten zeigt sich kein allzu großer Unterschied: Rot-Grün wurde im Februar 1999 im Schnitt mit 3,4 benotet, Schwarz-Gelb kommt aktuell auf 3,9.

Fazit: Vergleichen lohnt sich und voreilige Schlüsse sollten vermieden werden. Immerhin ist Gerhard Schröder 2002 wiedergewählt worden und die SPD hat sich bis 2009 an der Regierung gehalten. So schlecht steht es also zumindest um Frau Merkel nicht.

 

Personalisierung vs. Volksnähe – Die Plakatkampagnen von Union und SPD

Mittlerweile ist es für jeden sichtbar: Die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes 2009 ist eröffnet. An strategisch wichtigen Punkten in jeder Stadt prangen die Wahlkampfplakate der beiden Volksparteien. Das kennt jeder, das ist bei jeder Bundestagswahl so. Auffällig ist jedoch, dass die beiden großen Parteien mit vollkommen unterschiedlichen Strategien die Motive und Slogans ihrer Werbeträger ausgewählt haben. Während von den Plakaten der Union die Spitzenkandidatin Angela Merkel oder andere Spitzenpolitiker von CDU und CSU so wie Wolfgang Schäuble oder Karl-Theodor zu Guttenberg „herablächeln“, sind auf den Plakaten der SPD Menschen wie Du und ich abgebildet. Doch nicht nur visuell, sondern auch inhaltlich weisen die Plakate der beiden großen Parteien verschiedene Schwerpunkte auf. Die CDU verweist auf die Kernkompetenzen der dargestellten Spitzenpolitiker (Plakat Schäuble: Wir haben die Kraft für Sicherheit und Freiheit; Plakat Ilse Aigner: Wir haben die Kraft für die Zukunft unserer Bauern), die SPD hingegen wirbt mit Kernkompetenzen der Partei und Sachthemen. Sympathisch anmutende Menschen, die wirken, als seien sie aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft, fungieren als testimonials und sollen den Wählern die Stärken der SPD näherbringen. Die SPD setzt auf thematischen „Zugpferde“, und so werden „soziale Gerechtigkeit“, „Solidarität“ und „erneuerbare Energien“ beworben mit Slogans wie „Bildung darf nicht von Konto der Eltern abhängen“, „Die SPD kämpft für Arbeitsplätze. Für meinen und auch für Ihren.“ oder „Atomkraft war gestern. Saubere Energie ist die Zukunft.“

Betrachtet man sich die Umfragen, kann man sowohl der Union zu ihrer Personalisierungsstrategie, als auch der SPD zur ihrer Strategie, die auf Volksnähe und Sachlichkeit setzt, sagen: aufs richtige Pferd gesetzt! Der SPD werden von den anderen Parteien die Themen „abgegraben“, deshalb tut sie gut daran, ihre thematischen Stärken herauszustellen. Im Gegensatz zur Union verfügt die SPD nicht über starke Spitzenpolitiker, die sich zur Personalisierung eignen würden. Frank-Walter Steinmeier rangiert auf der Beliebtheitsliste der Spitzenpolitiker lediglich im Mittelfeld, wohingegen Angela Merkel und Karl-Theodor zu Guttenberg das Feld weiterhin anführen. Die CDU hat ihre personelle Stärke in diesem Wahlkampf erkannt und strategisch richtig gehandelt. Die Personalisierung der CDU und die Volksnähe der SPD: Kampagnenstrategien, die vollkommen entgegengesetzt sind, und dabei optimal von beiden Parteien, passend für ihre jeweilige Situation, gewählt wurden. In puncto Kampagnenstrategie „Plakate“ haben die beiden Volksparteien ihre Hausaufgaben gemacht!

 

Der Wahlkampf der CDU – gegen alle Regeln der Wissenschaft

Die Wahlkampfforschung ist eine noch recht junge aber boomende Teildisziplin der empirischen Sozialforschung. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur theoretische Erkenntnisse, sondern auch praktische Hinweise zur Kampagnenführung liefert. So hat die Forschung am Beispiel des „war room“ von Bill Clinton 1992 eine annähernd optimale Wahlkampfgestaltung identifizieren können, und in der Folge waren auch die Wahlkämpfe Tony Blairs 1997 unter dem Thema „New Labour“ und die „Kampa“ Gerhard Schröders 1998 an diesem Clinton’schen Modell ausgerichtet. Diese Entwicklung ist sowohl ein Erfolg der Praktiken des Clinton-Teams, die zu hervorragenden Resultaten geführt haben, als auch ein Erfolg der Wissenschaft, die bei der Übertragung der Clinton-Kampagne auf britische bzw. deutsche Verhältnisse eine wichtige Rolle spielte.

Auf Grundlage dieser Kampagnen hat die Forschung mittlerweile „best practices“ ausgemacht, mit Hilfe derer sie vermeintlich auch Antworten auf die Frage nach dem gelungenen Wahlkampf geben konnte. Das jüngste (und zurzeit fast überstrapazierte) Beispiel einer Kampagne, die alle zentralen Erkenntnisse berücksichtigt und sogar weiterentwickelt hat, ist zweifellos der Wahlkampf Barack Obamas. Ganz generell lauten die Regeln für einen gelungenen Wahlkampf in etwa so: Man sollte den Wahlkampf möglichst früh beginnen; man sollte sich zu bestimmten Fragen eine klare Themenhoheit erkämpfen und diese Themen auch personell besetzen; man sollte die wichtigsten Leitmedien („BILD, BamS und Glotze“) auf seine Seite ziehen; und man sollte strategisch wichtige Wählergruppen ausmachen und sie gezielt ansprechen.

Im deutschen Wahlkampf 2009 zeigt sich nun jedoch ein besonderes Phänomen: Die CDU hat gegen alle diese Regeln mehr oder weniger klar „verstoßen“. Sie führt einen Wahlkampf, wie er in diesem Blog schon einmal diskutiert wurde: kurz, knapp, Merkel. Man spürt die Kampagne kaum, hat nicht den Eindruck, dass sie schon wirklich begonnen hat. Und die im Wahlkampf medial präsenten Personen sind ausschließlich etablierte Minister und nicht etwa Wahlkämpfer, die neue Themen erobern sollen. Anders ausgedrückt: Man weiß durch Ursula von der Leyen und Karl-Theodor zu Guttenberg um die familien- und wirtschaftspolitischen und Vorstellungen der Union – wer aber würde nach einem Wahlsieg die Finanz-, die Umwelt- oder die Außenpolitik der kommenden vier Jahre gestalten?

Die Auflösung dieses Paradoxons liegt in der Ausgangslage der Bundestagswahl 2009. Die Union ist unbestritten die stärkste politische Kraft und sie stellt die Bundeskanzlerin. Dadurch kann sie sich als Partei präsentieren, die über den Dingen steht und sich nicht ins Wahlkampfgetöse stürzen muss. Denn Wahlkämpfe haben dann eine entscheidende Bedeutung und ein zentrales Gewicht, wenn die Wahl umkämpft ist. Könnte die SPD aber im August noch ein paar Prozentpunkte aufholen, so könnte sie damit die Union im September vor Fragen stellen, die diese bisher lieber nicht beantworten möchte.

 

Read my lips: no new taxes…

Dieser Wahlkampfspruch von George Bush sen. im Jahre 1988 brach ihm im Wahlkampf 1992 das Genick. Er hatte sein Wahlversprechen nicht einhalten können: Steuererhöhungen in seiner ersten und einzigen Amtszeit waren unausweichlich.

Nun hat sich Angela Merkel dieses Mantra auferlegt – eine Erhöhung der Mehrwertsteuer werde es mit ihr nicht geben. Den neuesten Umfragen zufolge halten viele Bürgerinnen und Bürger dies schon jetzt für unglaubwürdig. So glauben laut dem aktuellen Deutschlandtrend von Infratest dimap vier von fünf Befragten nicht an das Versprechen der Kanzlerin.

Eine solche Reaktion in der Bevölkerung war absehbar – gerade zu einer Zeit, in der die Politik ganz offensichtlich noch kein Patentrezept gegen die Wirtschaftskrise gefunden hat und daher nun unter anderem auch verschiedenste Steuermodelle munter diskutiert. Warum also hat sich die Kanzlerin dennoch zu diesem Schritt entschlossen? Die Antwort liegt in der strategischen Ausrichtung ihrer Partei: Der Bundestagswahlkampf der Union ist ein Kanzlerinnenwahlkampf. Alles ist auf Angela Merkel zugeschnitten, ihre Person soll die Wähler überzeugen. Und dementsprechend muss die Kanzlerin stärker als im letzten Wahlkampf persönlich Themen setzen, der Auftritt eines „Professors aus Heidelberg“, der als externer Experte für einen bestimmten Politikbereich präsentiert wird, ist in diesem Jahr unwahrscheinlich.

Diese Strategie ist gewagt. Aus der Wahlforschung wissen wir, dass das sogenannte „candidate voting“ nicht so weit verbreitet ist, wie man vermuten könnte. Studien zeigen, dass der Einfluss der Spitzenkandidaten auf die Wahlentscheidung der Bürger in den letzten Jahren relativ konstant geblieben ist. Das gilt auch für die bisher vielleicht am stärksten auf eine Konfrontation der Kandidaten zugespitzte Bundestagswahl 2002 – das Duell Schröder gegen Stoiber. Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen haben kurz vor der Wahl ergeben, dass nur 30 Prozent der Wähler ihre Entscheidung auf Grund des Kandidaten treffen werden, für 61 Prozent hingegen war die Partei der wichtigere Faktor.

Zudem spielen Inhalte auch dann noch eine wichtige Rolle, wenn sich die Wähler tatsächlich mehr an den Kandidaten als an den Parteien orientieren. Wichtig für den Wähler ist die wahrgenommene Problemlösungskompetenz der Kandidaten. Hier hat Frau Merkel derzeit einen klaren Vorsprung vor Frank-Walter Steinmeier, aber Versprechen wie das zur Mehrwertsteuer könnten diese guten Umfragewerte untergraben. Denn die Wähler können sich offensichtlich nicht vorstellen, wie Frau Merkel die Wirtschafts- und Finanzkrise lösen möchte, ohne Steuern zu erhöhen.