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Der Wunsch nach einem „einhändigen Ökonomen“ – eine Antwort auf Norbert Lammert

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin ein großer Fan von Norbert Lammert und mag seinen Witz, seinen Stil, seine Gesprächsführung – nicht zuletzt haben wir dasselbe Fach studiert. Sein aktueller Rundumschlag zur Rolle von Experten in der Politik – festgemacht an der Kritik der Ökonomen am Euro-Krisenmanagement der Bundesregierung – lässt sich im Zusammenhang mit dem aktuellen Anlass nachvollziehen. Jedoch schießt Lammert nicht nur übers Ziel hinaus, sondern setzt auch das Verhältnis von Politik und Beratung in das falsche Licht.

Schon der amerikanische Präsident Harry Truman fragte einst nach einem „one-handed economist“ – von ihm ist der verzweifelte Aufruf überliefert: „Gebt mir einen einhändigen Ökonomen, alle meine ökonomischen Berater sagen: auf der einen Seite, auf der anderen Seite… [Give me a one-handed economist; all my economists say on the one hand, on the other…]“. Dieser one-handed economist soll klare Ratschläge geben, die idealerweise auf Mehrheitsmeinungen beruhen und, wenn sie dann umgesetzt sind, zu einem wunderbaren Resultat führen.

Dies steht allerdings im klaren Wiederspruch zum Grundverständnis von Wissenschaft; hier kann jeder sagen und publizieren, was er möchte: Der öffentliche bzw. medial vermittelte Mainstream sowie vermeintliche „political correctness“ (also die Berücksichtigung von sogenannten politischen Notwendigkeiten in der wissenschaftlichen Analyse) sollten keine Rolle spielen. Nimmt man dieses Credo jedoch ernst, so darf man sich nicht wundern, wenn seitens der Wissenschaft mitunter harte und auch nicht ausschließlich konstruktive Kritik geübt wird. Sie folgt schließlich ihren ganz eigenen Maßstäben und orientiert sich nicht immer an der politischen Realität. Diese Diskrepanz hat der Journalist und Wissenschaftler Thomas Leif in einem Plädoyer folgendermaßen zusammengefasst: „Hier treffen zwei Welten aufeinander, die sich im Kern wenig zu sagen haben, weil sie sich zwei entgegengesetzten verschiedenen Handlungssystemen verpflichtet fühlen.“

In der Politik ist die Währung Macht, in der Wissenschaft ist es die Erkenntnis. In der Politik müssen Ergebnisse schnell erzielt werden und umsetzbar sein; in der Wissenschaft ist Schnelligkeit keine entscheidende Kategorie und die Analyse muss in erster Linie möglichst objektiv sein und alle relevanten Aspekte berücksichtigen, die Frage der Umsetzbarkeit ist zweitrangig.

So viel zu den Idealen, denen Wissenschaft und Politik folgen – und die dazu führen, dass die Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen den beiden oft schwerfallen. Dabei können beide Systeme sehr voneinander profitieren: Politik braucht mehr denn je die (wissenschaftliche) Beratung. In einer Welt, die gekennzeichnet ist von einer rapide zunehmenden Komplexität, von einer rasant fortschreitenden Globalisierung, Internationalisierung und Europäisierung sowie von technischen und technologischen Entwicklungen, die unbekannte Chancen und Risiken mit sich bringen, sind Regierungen oder Parteien oder gar einzelne Politiker kaum in der Lage, alles relevante Wissen zu einem bestimmten Sachverhalt selbst zu erarbeiten. Diese Entwicklung erfordert spezialisierte wissenschaftliche Expertise, die deutlich über das z.B. in Ministerialverwaltungen vorhandene Know-how hinausgeht – insbesondere, wenn man den gleichzeitig stattfindenden und anhaltenden Stellenabbau in den Ministerien berücksichtigt.

Die Wissenschaft auf der anderen Seite würde sehr von einem stärkeren Praxisbezug, von einem Blick hinter die Kulissen profitieren. Dies würde der Frage der Anwendbarkeit von Forschungsergebnissen mehr Gewicht verleihen sowie das grundsätzliche Verständnis für die Situation der Politik und die damit verbundenen Restriktionen verstärken. Davon wiederum könnte auch die Hochschullehre profitieren. Gerade in Studiengängen, deren Absolventen politische Karrieren als attraktiv erachten, ist ein intensiver Austausch zwischen Politik und Wissenschaft explizit erwünscht.

Dafür, wie dieser Kontakt aussehen kann, gibt es keine Patentlösungen. An vielen Stellen findet Austausch statt, allerdings wird allseits noch immer ein Mangel an Verständnis des Gegenüber für die eigene Situation beklagt. So ist die Beschwerde zu deuten, die Norbert Lammert mit recht drastischen Worten vorgebracht hat. So ist aber auch die Frustration der Wissenschaft zu deuten, oftmals kein Gehör zu finden und lediglich als Feigenblatt für politisch ausgehandelte Entscheidungen zu dienen. Daher möchte ich abschließend an beide Seiten einige Denkanstöße richten.

An die Politik: wissenschaftliche Politikberatung darf nicht als Produkt verstanden werden, das auf Knopfdruck schnell abzurufen ist – „Quick fix“-Lösungen sind nicht die Stärke der Wissenschaft. Wissenschaftliche Politikberatung kann dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn sie als Prozess verstanden wird, d.h. dauerhaft in die politische Lösungssuche eingebunden ist.

An die Berater: Der Blick aus dem Elfenbeinturm heraus kann sehr erfrischend sein. Die Wissenschaft sollte sich der Politik stärker öffnen, auch wenn diese mitunter Forderungen stellt, die kaum zu erfüllen sind. Natürlich gibt es immer Pro und Kontra und gewisse Sachverhalte lassen sich einfach nicht auf nur einer A4-Seite hinreichend detailliert darstellen. Aber allein beim Versuch, der politischen Logik zu entsprechen, lernt man viel über die Politik, die eigene Disziplin und sich selbst.

Wenn es ab und an mal Wissenschaftler gibt, welche bereit sind, sich dieser Logik anzupassen, genießen diese Personen oftmals besondere Aufmerksamkeit. Der amerikanische Nobelpreisträger Paul Krugman wird seit Jahren explizit als „one-handed economist“ gefeiert – und kritisiert. Die deutschen Ökonomen mögen herausgehobene Stellungen in der Bearbeitung von Grundsatzfragen einnehmen (siehe z.B. Sachverständigenrat oder die Gemeinschaftsdiagnose), mit tagespolitischen Äußerungen sind sie jedoch im Allgemeinen vorsichtiger. Folgerichtig verursachte die Ausnahme von der Regel – der Offene Brief der 160 – so großen Wirbel.

Er ist eine Seltenheit und doch auch ein Zeichen dafür, dass die Wissenschaft in Deutschland zunehmend das versucht, was für beide Seiten notwendig ist: mit der Politik in Kontakt zu treten, mit ihr zu streiten und voneinander zu lernen.

 

Verlassen auf Schloss Bellevue

Die Affäre unseres Bundespräsidenten hat ganz offenkundig das finale Stadium erreicht. Nach seinem jüngsten Skandal im Skandal, seinem Angriff auf die Pressefreiheit, dämmert selbst den letzten in seiner Partei und wohl auch der Kanzlerin, dass Christian Wulff nicht mehr zu halten ist. Kaum einer aus den eigenen Reihen ergriff am Montag das Wort und stellte sich noch hinter ihn. Kein Wort mehr der Unterstützung aus dem Kanzleramt. Und auch heute: Schweigen. Es ist, so ist zu vermuten, die kurze Ruhe vor dem Ende.

Wie wollte, könnte man denn auch einen Bundespräsidenten noch verteidigen, der in seiner übergroßen Bedrängnis und Verzweiflung jede Kontrolle verliert? Ein Staatsoberhaupt, das seinem Amtseid zuwider handelt, die Verfassung zu achten und zu wahren, indem er die freie, kritische Berichterstattung über ihn selber zu verhindern trachtet? Und der offensichtlich niemanden hat, der ihn daran hinderte, seine Kriegserklärung ausgerechnet gegen die Bild-Zeitung, sein früheres Haus- und Hofblatt, das seine Affäre öffentliche machte, auch noch auf der Mailbox des Chefredakteurs zu hinterlassen. Von wo sie, wie nicht anders zu erwarten, irgendwann ebenfalls den Weg in die Öffentlichkeit fand.

Nun steht Wulff einsam und verlassen da. Und es ist wohl nur noch eine Frage kurzer Zeit, bis Angela Merkel den Daumen senkt. Diese Affäre ist nicht mehr zu beherrschen; sie wird, je länger sie dauert, zur Krise auch der Kanzlerin, die Wulff als Präsidenten erkoren hat. Das dürfte auch Merkel inzwischen so sehen.

Intern gehen viele Parteifreunde und CDU-Abgeordnete spätestens seit Montag deutlich auf Distanz. Sie sind entsetzt über Wulffs stümperhaftes Krisenmanagement, selbst wenn sie seine dubiosen Privatgeschäfte mit Wirtschaftsfreunden und seine Anfälligkeit für die Verlockungen der Macht und des Luxus‘ lange Zeit allenfalls mit Stirnrunzeln betrachtet hatten. Hatte Merkel diesen Mann nicht gerade deswegen ins höchste Amt gehoben, weil er ein Politprofi zu sein schien; einer, von dem sie keine Gefahr witterte nach der schlechten Erfahrung mit seinem Vorgänger, dem Politik-Neuling Horst Köhler? Und jetzt das!

Ihr Kalkül dürfte daher nun einfach sein: Schadet es ihr und der Koalition mehr, wenn Wulff trotz allem im Amt bleibt? Oder ist der Schaden größer, wenn – nach nur anderthalb Jahren – der zweite Bundespräsident ihrer Wahl stürzt? Und sie sich nicht sicher sein kann, einen dritten durch die Bundesversammlung zu bringen.

Die Opposition hält sich weiter auffallend zurück. SPD-Chef Sigmar Gabriel dürfte indes inzwischen sein Persilschein für Wulff reuen. Die Staatskrise, die er für den Fall an die Wand malte, dass schon wieder ein Bundespräsident gehen muss, ist längst da.

 

Schleichweg statt Broadway? Wie sich der Wirtschaftsminister beraten lässt

Der Wahlkampf hat (wenn auch nur für eine kurze Zeit) ein heißes Sommerthema gefunden: Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat von einer Kanzlei die Vorlage für ein Gesetz zur Zwangsverwaltung für angeschlagene Banken ausarbeiten lassen. Die Vorwürfe in diesem Zusammenhang sind vielfältig und nicht alle gleichermaßen stichhaltig. Zum einen heißt es, zu Guttenberg hätte die Expertise und das Fachwissen seines personell gut ausgestatteten Ministeriums nutzen sollen, um eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten. Doch dieses Phänomen des „Outsourcing“ ist in der Politik wohlbekannt und sehr viel häufiger anzutreffen als nach außen hin sichtbar: Die immer komplexeren politischen Zusammenhänge, die viel zitierte Mehrebenenproblematik oder das Schnittstellenmanagement zwischen verschiedenen Institutionen und Entscheidungsträgern erfordern schlichtweg sehr viel und sehr spezialisierte Expertise, die ein einziges Ministerium alleine nicht immer aufbringen kann. Untersuchungen, wie etwa die vom ZDF zitierte, und wissenschaftliche Analysen (vgl. Falk/Römmele 2009) zeigen deutlich, dass der Beratungsbedarf von Ministerien und anderen öffentlichen Einrichtungen in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist. Das Wirtschaftsministerium stellt hier keine erwähnenswerte Ausnahme dar.

Ein zweiter Kritikpunkt jedoch trifft den Kern des Problems: Eine Kanzlei hat ein wirtschaftliches Eigeninteresse und vertritt zudem eine Reihe von Unternehmen, die bestimmte Wünsche an die Politik herantragen möchten. Diese gemeinhin als „Lobbying“ bezeichneten Aktivitäten sind ebenso wie das Beanspruchen externer Berater übliche Praxis. Allerdings sind die Europäische Union und einige Nichtregierungsorganisationen darum bemüht, diese Lobbyingprozesse transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Die These lautet: Nur wenn die Akteure und ihre Interessen bekannt sind, kann das Lobbying richtig eingeschätzt werden – und nur dann wird der Demokratie kein Schaden zugefügt. Der im vorliegenden Fall beauftragten Kanzlei wurde so gesehen die große Chance gewährt, einen sehr direkten Einfluss auf einen Gesetzentwurf nehmen zu können, ohne etwa die Namen ihrer Klienten, die von einem solchen Gesetz betroffen sein könnten, öffentlich machen zu müssen. Der Wirtschaftsminister muss sich also vorwerfen lassen, verdecktes Lobbying zugelassen zu haben.

Und drittens steht der Zeitpunkt dieses Vorganges in der Kritik. Da das Gesetz nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann, ist die Vorlage der Kanzlei de facto hauptsächlich Munition für den Bundestagswahlkampf. Die Forschung unterscheidet hier sehr genau zwischen verschiedenen Formen der Politikberatung. Im Falle von Gesetzesvorlagen, die also die „materielle Politik“ betreffen, sollte die Beratungsleistung „objektiv“ sein. Schließlich soll jedes Gesetz seinem Anspruch nach dem Wohle des Volkes dienen. In der Wahlkampfberatung hingegen werden Konzepte und Kampagnen verlangt, die auf die Ziele der jeweiligen Partei und die Ansprache ihrer Wähler zugeschnitten sind. Hier geht es nicht um hehre Ziele wie Objektivität oder Neutralität; kämpfen ist angesagt. Wenn nun eine der Form nach objektive Beratungsleistung für den Wahlkampf verwendet wird, lässt dies Rückschlüsse auf die Verbindungen zwischen Ministerium und Kanzlei zu und wirft Fragen nach der Objektivität vorangegangener Beratungen auf.

Übrigens: Wenn Justizministerin Brigitte Zypries nun ihr Ministerium dazu antreibt, ebenfalls einen Entwurf vorzulegen, der offensichtlich auch ihrem Wahlkampf dienen wird, macht sie sich des selben Vergehens schuldig, wie ihr Kollege zu Guttenberg. Denn egal, ob nun externe Berater oder die Ministerien selbst damit beschäftigt sind: Diese Arbeit kostet Steuergelder und aus diesem Grund darf sie nicht für den Wahlkampf verwendet werden. Wahlkampfkosten sind in Deutschland Sache der Parteien (die dann wiederum vom Bund nach bestimmten Regeln finanziert werden). Ministerien aber haben sich dem Wohle des Volkes und nicht dem bestimmter Parteien zu widmen.

Literatur:
Falk, S., & Römmele, A. (2009). Der Markt für Politikberatung. Wiesbaden: VS Verlag.