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Doch Rot-Grün?

Hat das, was zu Beginn des Jahres aussichtslos schien, nun, wenige Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, womöglich doch noch eine Gewinnchance: ein Regierungsbündnis von SPD und Grünen? Es wäre eine große politische Überraschung. Doch welche empirischen Befunde sprechen für einen solchen Wahlausgang und welche sprechen dagegen?

Für eine Koalition von SPD und Grünen spricht vor allem das präferierte Koalitionsmodell: Nannten vor der NRW-Wahl 2005 noch 28% Schwarz-Gelb als Wunschkoalition, sind es nun nur noch 19% (hier und nachfolgend werden Vorwahl-Umfragen „Politbarometer-Extra“ der FGW angeführt). Im Gegenzug hat sich die Präferenz für Rot-Grün von 24% (2005) auf 27% (2010) verstärkt. Ein positiver Effekt für Rot-Grün könnte auch von der Kompetenzzuschreibung in der Bildungspolitik ausgehen: 44% nennen hier entweder SPD oder Grüne als kompetenteste Parteien und lediglich 30% CDU oder FDP, 2005 lag Rot-Grün noch deutlich hinter Schwarz-Gelb zurück. In diesem Zusammenhang könnte Rot-Grün von der wichtigeren Rolle der Landespolitik (54%) für die Wahlentscheidung der Bürger im Vergleich zur Bundespolitik profitieren (2005: 50%). Schließlich spricht die primär wahlzyklusbedingte Schwäche der Regierungsparteien im Bund für Rot-Grün, vor allem für die Grünen, die seit 2005 weder im Bund noch in NRW an einer Regierung beteiligt sind.

Gegen Rot-Grün spricht nicht nur, dass das Koalitionsmodell von lediglich einer Minderheit präferiert wird, sondern auch, dass die Landesregierung erst eine Legislaturperiode im Amt und politisch lediglich angeschlagen ist. Auf der +5/-5-Skala erreicht Schwarz-Gelb einen Mittelwert von 0,0, 2005 lag die damalige rot-grüne Landesregierung bei -0,7 und wurde fast schon folgerichtig abgewählt. 2010 kommt die CDU alleine immerhin noch auf ähnlich gute Bewertungen (0,3) wie SPD (0,4) oder Grüne (0,2). Und 53% der Befragten erwarten, dass die CDU, Jürgen Rüttgers oder Schwarz-Gelb die Wahl gewinnen wird, lediglich 28% nennen hier Rot-Grün. Wechselstimmung sieht anders aus. Und selbst wenn es Rot-Grün schaffen sollte, Schwarz-Gelb zu überflügeln, dann würde es aufgrund der Linkspartei wahrscheinlich nicht zu einer Mandatsmehrheit von SPD und Grünen im Landtag reichen.

Am meisten spricht eigentlich sowohl gegen Rot-Grün wie Schwarz-Gelb. Auch dies lässt sich durch Präferenzen und Bewertungen der Bürger Nordrhein-Westfalens unterstreichen: Rüttgers und Kraft liegen in der Kandidatenpräferenz ebenso gleichauf wie ihre Parteien in den Kompetenzzuschreibungen beim wichtigsten Thema Arbeitslosigkeit. Auch bei der Wahlabsicht geht es so eng zu, dass jede vermeintliche „Führung“ eines Lagers ein statistisches Artefakt sein könnte. Man sollte also mit einem Patt der beiden Lager rechnen. Mein Kollege Marc Debus hält dann aufgrund der Wahlprogramminhalte ein Bündnis von CDU und Grünen für wahrscheinlicher als eine Große Koalition. Schwarz-Grün hätte sicherlich Symbol- und Disziplinierungscharakter für den Bund, frei nach dem Motto: „FDP paß‘ auf, wir können notfalls auch mit den Grünen!“ Sollbruchstellen eines solchen Bündnisses, vor allem an der Parteibasis von Schwarz und Grün, wären dann jedoch gegen die Regierungsstabilität eines Elefantenbündnisses abzuwägen. In frühestens drei Tagen sind wir (etwas) schlauer.

 

Im Falle eines Falles: Was käme nach Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen?

Das Spekulieren um die parteipolitische Zusammensetzung einer Regierung im Vorfeld einer Bundes- oder Landtagswahl gehört mittlerweile zum Standard der Medienberichterstattung. Eine maßgebliche Ursache dafür sind die in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden ‚negativen’ Koalitionsaussagen: die Parteien teilen nicht nur mit, mit wem sie gerne nach der Wahl koalieren wollen, sondern auch, mit wem sie auf keinen Fall in eine Koalition eintreten möchten. Dies ist auch im Fall der nordrhein-westfälischen Landtagswahl am kommenden Sonntag nicht anders. So hat die dortige FDP erst am letzten Wochenende eine Koalition mit SPD oder Grünen mit der Begründung ausgeschlossen, dass beide Parteien nicht explizit eine Zusammenarbeit mit der Linken nach der Wahl ablehnen. Offenbar werden nun auch die Bündnisstrategien anderer parteipolitischer Wettbewerber als ein maßgeblicher Grund dafür herangezogen, dass man selbst bestimme Koalitionsmöglichkeiten von vorneherein ablehnt.

Betrachtet man die jüngsten Umfrageergebnisse für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai, dann erreichen die beiden „Wunschkoalitionen“ aus CDU und FDP einerseits sowie SPD und Grünen andererseits sehr wahrscheinlich keine Mehrheit im Parlament. Würde auch ein „schwarz-grünes“ Bündnis keine Mandatsmehrheit im Düsseldorfer Landtag erreichen, wie es die Ergebnisse des ZDF-Politbarometers vom 30. April vermuten lassen, dann wären neben einer „großen Koalition“ aus Christ- und Sozialdemokraten nur Bündnisse aus drei Parteien mit einer parlamentarischen Mehrheit ausgestattet. Zwei der drei bekanntesten „Dreier-Kombinationen“ – die „Ampel“ aus SPD, FDP und Grünen sowie eine „Jamaika“-Koalition aus CDU, Liberalen und Grünen – haben die Freidemokraten an Rhein und Ruhr mit ihrem auf dem Aachener Landesparteitag verabschiedeten Wahlaufruf bereits ausgeschlossen. Eine etwaige Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken wird zwar weder von Rot noch von Grün gewünscht, offiziell ausgeschlossen ist sie jedoch nicht.

Wie wahrscheinlich sind nun die verschiedenen Koalitionsoptionen in NRW, wenn man gängige Theorien der Regierungsbildung zugrunde legt und diese empirisch testet? Auf der Grundlage aller Regierungsbildungen in Bund und Ländern seit 1990 lassen sich mit Hilfe multivariater statistischer Analysen die Determinanten der Koalitionsbildung in Deutschland ermitteln und auf dieser Basis auch die Wahrscheinlichkeiten für alle potentiell möglichen Koalitionen berechnen. In die Berechnung fließen die Stärke der Parteien im Parlament, ihre programmatischen Positionen, die anhand einer Analyse der Landtagswahlprogramme gewonnen werden, die Koalitionsaussagen der Parteien sowie die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ein. Für Nordrhein-Westfalen wird die Sitzverteilung im neuen Landtag anhand der Ergebnisse des ZDF-Politbarometers vom 30. April, wo ein schwarz-grünes Bündnis keine Mehrheit hätte, sowie von Forsa vom 28. April, nach der eine Koalition aus CDU und Grünen hingegen über eine Mehrheit der Sitze im Landtag verfügen würde, berechnet.

Im Rahmen dieses Blogs wurde dieses Verfahren bereits für die Landtagswahlen in Brandenburg, dem Saarland und in Thüringen im letzten Herbst mit Erfolg durchgeführt: die schließlich gebildeten Koalitionen wiesen in zwei der drei Bundesländer – in Thüringen und dem Saarland – die höchste Wahrscheinlichkeit auf (vgl. Bräuninger & Debus 2009). Für Nordrhein-Westfalen ergibt sich das in der folgenden Tabelle abgetragene Bild.

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionsoptionen in Nordrhein-Westfalen

Koalitionsoption Berechnete Sitzverteilung auf Grundlage der Ergebnisse von Forsa vom 28. April Berechnete Sitzverteilung auf Grundlage der Ergebnisse des Politbarometers vom 30. April
CDU und Grüne 65,3% 0,5%
CDU und SPD 29,9% 85,9%
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke 2,8% 7,9%

 

Den Ergebnissen zufolge wäre – für den Fall, dass Union und FDP eine Mehrheit im Landtag verfehlen würden und eine parlamentarische Mehrheit für ein schwarz-grünes Bündnis bestünde – eine Koalition aus CDU und Grünen die mit Abstand wahrscheinlichste Koalitionsoption (65,3%). Ein Bündnis der beiden großen Parteien CDU und SPD würde auf Platz 2 mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 30% landen, während ein Linksbündnis mit 2,8% äußerst unwahrscheinlich sind. Sollte das Wahlergebnis so aussehen, dass im nächsten Landtag auch CDU und Grüne über keine Mehrheit verfügen würden, dann ist ein Bündnis der beiden großen Parteien der sehr wahrscheinliche Ausgang des Regierungsbildungsprozesses.

Wieso erreicht schwarz-grün eine so hohe Wahrscheinlichkeit? Zum einen bevorzugt eine große Partei in der Regel eine Koalition mit einer kleineren parlamentarisch vertretenen Kraft, um so bei der Besetzung der Kabinettsposten, die in der Regel den Kräfteverhältnissen innerhalb der Koalition entspricht und somit proportional erfolgt, einen möglichst hohen Anteil an Ämtern zu gewinnen. Zum anderen zeigt die Analyse der Wahlprogramme der nordrhein-westfälischen Landesparteien, dass die Christdemokraten an Rhein und Ruhr in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sehr moderat und nicht wirtschaftsliberal ausgerichtet sind, so dass die Übereinstimmung mit Grünen oder SPD in diesem Politikfeld recht groß ist. Sollte also schwarz-gelb in Düsseldorf keine Mehrheit erreichen, dann könnte NRW nach Hamburg das zweite Bundesland werden, in dem CDU und Grüne gemeinsam die Regierung stellen. Wenn Christdemokraten und/oder Grüne jedoch schwächer abschneiden und keine gemeinsame Mehrheit im Landtag erreichen, dann stehen die Zeichen auf Bildung einer „großen Koalition“.

Literatur

Bräuninger, Thomas & Marc Debus (2009): Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, Jamaika oder die Ampel? Koalitionsbildungen in Bund und Ländern im Superwahljahr 2009. Zeitschrift für Politikberatung 2: 3, 563-567. [http://dx.doi.org/10.1007/s12392-009-0215-2]

 

Lang, kurz, einfach, übersetzt oder vorgelesen – Wie hätten Sie Ihr Wahlprogramm gerne?

Wenn am 9. Mai um 18 Uhr die Wahllokale in NRW schließen und die ersten Hochrechnungen eintrudeln, dann wird es auch wieder darum gehen, ob die Parteien die Wähler mit ihren programmatischen Angeboten überzeugen konnten oder nicht. Eine beliebte Erklärung für schlechte Wahlergebnisse lautet dann immer: „Wir konnten unsere Positionen offensichtlich nicht gut genug kommunizieren.“ Will heißen: An sich haben wir alles richtig gemacht, die Wähler haben es nur einfach nicht verstanden.

Doch wen trifft eigentlich die Schuld für diese immer wieder gerne angeführten „Kommunikationsprobleme“? Die Wähler? Oder nicht eher die Parteien selbst, die ja schließlich selbst bestimmen können, wie viel Aufwand sie in die Vermittlung ihrer programmatischen Ziele stecken? Diese Frage lässt sich nur dann beantworten, wenn man den Aufwand untersucht, den die Parteien in die Vermittlung ihrer politischen Ziele und Pläne stecken. Betrachtet man die Ergebnisse des „Wahlprogramm-Checks“ der Universität Hohenheim und des Ulmer CommunicationLabs zur NRW-Wahl, dann lässt sich eines sehr schnell feststellen: Es gibt dramatische Unterschiede zwischen den Parteien, was den Aufwand an programmatischen Vermittlungsbemühungen angeht.

Einsames Schlusslicht ist die CDU: Hier müssen sich potenzielle Wähler mit der Originalfassung des Wahlprogramms begnügen. Am anderen Ende der Skala rangieren die Grünen. Diese nehmen auf die Interessen und sonstigen Voraussetzungen der potenziellen Wähler deutlich mehr Rücksicht: Es gibt die 228 Seiten lange Originalfassung des Wahlprogramms für Politik-Freaks, die Kurzfassung für den normal interessierten Wähler, das Programm in Stichpunkten für den gerade noch irgendwie an Politik interessierten Bürger, Übersetzungen für russische und türkische Wähler, das Programm in leichter Sprache für Wähler mit geistiger Behinderung und das Programm als Audio-Datei für Wähler mit Sehbehinderung. Die anderen drei Parteien rangieren zwischen diesen beiden Extremen, wobei auffällt, dass nur die drei Oppositionsparteien Programme in leichter Sprache anbieten.

Der Trend zur Versionierung der Wahlprogramme mit dem Ziel der Ansprache unterschiedlichster Wählergruppen ist seit einigen Jahren erkennbar. Interessanterweise folgen die Parteien diesem Trend jedoch von Wahl zu Wahl unterschiedlich stark. So waren die Grünen bei der Bundestagswahl mit Kurzfassung, Stichpunktfassung und Version in leichter Sprache das Schlusslicht unter den fünf Bundestagsparteien. Denn die beiden großen Parteien (SPD, CDU/CSU) offerierten ihre Programme beide zusätzlich auch noch als YouTube-Videos in Gebärdensprache sowie als Hörbuch zum Herunterladen. Die CDU stellte darüber hinaus sogar eine kostenlose Papierversion in Braille-Schrift für Blinde zur Verfügung, die FDP hingegen gab sich besonders international mit Übersetzungen in insgesamt acht Sprachen.

Was sagen uns diese Ergebnisse? Ob man die Gründe für die Vermittlungsproblematik eher auf der Seite der Wähler oder eher auf der Seite der Parteien suchen sollte, kommt stark auf den jeweiligen Wahlkampf und das Wahlprogramm-Angebot der jeweiligen Parteien an. Zumindest die CDU sollte sich im Falle einer Wahlniederlage am 9. Mai also lieber an die eigene Nase fassen, als – wie so oft – die Schuld bei den unverständigen Bürgern zu suchen.

 

CDU und SPD in NRW – Kopf an Kopf auch bei der Verständlichkeit

Noch eine Woche bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – und das Umfrage-Rennen zwischen CDU und SPD ist knapper als je zuvor (siehe auch den Beitrag „Zeit für Kampagnen!“). Die Wahlentscheidung zwischen CDU, SPD und den drei kleinen Parteien ist – trotz des nicht zu unterschätzenden Kandidatenfaktors – v.a. eine Entscheidung zwischen den programmatischen Angeboten der Parteien. Doch: Wie verständlich vermitteln die Parteien ihren Wählern diese Programme? Gibt es Unterschiede zwischen Regierung und Opposition oder kleinen und großen Parteien? Welche Partei schafft es am besten, eine Sprache zu treffen, die nicht nur von Politikern, sondern auch von ganz normalen Bürgern verstanden wird?

Wie schon bei der Europa- und Bundestagswahl im letzten Jahr haben Kommunikationswissenschaftler der Uni Hohenheim in Kooperation mit dem Ulmer CommunicationLab die Verständlichkeit der Wahlprogramme zur Landtagswahl in NRW genauer unter die Lupe genommen. Betrachtet man die Ergebnisse der Forscher, so lässt sich zunächst feststellen: Trotz der negativen Ergebnisse des „Wahlprogramm-Checks“ zur Bundestagswahl hat die Verständlichkeit der Wahlprogramme seitdem insgesamt kaum zugenommen. Auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex, der von 0 (kaum verständlich) bis 20 (sehr verständlich) reicht, erreichen die fünf untersuchten Parteien nach wie vor lediglich Werte zwischen etwa 6 und 12 Punkten.

Am besten schneidet hierbei die CDU mit einem Wert von 11,8 Punkten ab, am schlechtesten die FDP mit nur 5,8 Punkten. Letztere liegt damit nur knapp über der Verständlichkeit politikwissenschaftlicher Doktorarbeiten (4,3 Punkte). SPD (10,1 Punkte), Grüne (9,0) und Linkspartei (8,1) gruppieren sich zwischen diesen beiden Polen. Im Vergleich zur Bundestagswahl haben CDU und Linkspartei damit ihre Verständlichkeit erhöhen können, während die Programme von Grünen und FDP spürbar an Verständlichkeit eingebüßt haben. Die Grünen fallen deshalb von ihrem Spitzenplatz bei der Bundestagswahl auf den dritten Rang zurück und tauschen diesen dabei gleichzeitig mit der CDU.

Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die Kurzprogramme der Parteien betrachtet, die von einem deutlich größeren Teil der Wählerschaft gelesen werden dürften: Hier legt die SPD das mit Abstand verständlichste Programm vor (17,2 Punkte) und übertrifft dabei in der Einfachheit ihrer Sprache sogar einen durchschnittlichen Bild-Zeitungsartikel (16,8 Punkte). Auch Grüne (12,7 Punkte) und FDP (12,4 Punkte) kommunizieren in ihren Kurzprogrammen deutlich verständlicher als in den Langfassungen. Bei der Linkspartei führt die Kürzung ihres Programms hingegen – anders als noch bei der Bundestagswahl – zu einem Verlust an Verständlichkeit (7,8 Punkte). Die CDU schließlich, die mit 28 Seiten die mit Abstand kürzeste Originalfassung vorlegt, sieht diese offensichtlich zugleich auch als ihre Kurzfassung an. Ob sie damit die Leselust ihrer potenziellen Wähler überschätzt hat, könnte eines der Diskussionsthemen des nächsten Sonntagabends sein…

P.S.: Ab sofort beobachten die Hohenheimer Forscher die Verständlichkeit der Parteien auch kontinuierlich auf monatlicher Basis unter www.polit-monitor.de

Links:
– Wahlprogramm-Check der Uni Hohenheim: https://komm.uni-hohenheim.de/wahlprogramm-check.html
– PolitMonitor der Uni Hohenheim: http://www.polit-monitor.de

 

Zeit für Kampagnen!

AndreaDie Zahlen der Umfrageinstitute sehen Hannelore Kraft auf den letzten Metern im Wahlkampf knapp vorne: Im direkten Vergleich mit Rüttgers schneidet sie laut aktuellem Politbarometer mit 43% zu 41% besser ab als der Ministerpräsident, der somit seinen Amtsbonus vollständig eingebüßt zu haben scheint. Dies ist beachtlich, im Nachgang des Fernsehduells aber nicht wirklich verwunderlich. Wie wir aus empirischen Arbeiten wissen (siehe auch den Beitrag von Thorsten Faas in diesem Blog), dienen Fernsehduelle gerade in Landtagswahlkämpfen dazu, den Bekanntheitsgrad des Herausforderers zu steigern. Seit Mitte März konnte Hannelore Kraft folgerichtig 12 Prozentpunkte zulegen.

Aber es geht um mehr als die reine Sichtbarkeit der Kandidaten oder die Frage nach dem direkten Vergleich: Entscheidend ist die wahrgenommene Problemlösungskompetenz zu den drängenden Problemen des Landes. Und hier zeigt sich das eigentlich Erstaunliche in den Umfragedaten: In den drei relevanten Themenbereichen Bildung, Arbeitslosigkeit und Wirtschaft ist das Bild uneinheitlich und die Kandidaten liegen sehr eng beieinander. Im Bereich der Bildung wird der SPD mit Hannelore Kraft eine größere Kompetenz zugesprochen, Rüttgers‘ CDU punktet hingegen beim Thema Wirtschaft. Dies alles deutet darauf hin, dass der Wahlausgang absolut offen ist, zumal auch keine der präferierten Koalitionen – Schwarz-Gelb oder Rot-Grün – derzeit eine Mehrheit hätte.

Mit anderen Worten: Hinten werden die Enten fett, der Wahlausgang entscheidet sich auf der Zielgeraden. Nach aktuellen Umfragen sind 37 % der Wählerinnen und Wähler in NRW unentschlossen – was für ein Potential für Wahlkämpfe!

Alle Parteien brauchen nun eine passende Wahlkampfstrategie: Die SPD muss ihre steigenden Umfragewerte und die neue Popularität von Hannelore Kraft nutzen, um die enttäuschte SPD-Basis zu mobilisieren und in einer Woche an die Urnen zu bringen. Möglicherweise trägt dazu auch die skandalangehauchte CDU bei, welche die SPD-Anhänger „fremdmobilisieren“ könnte. Die Union scheint auf den ersten Blick in einer schwierigeren Lage zu sein, da sie und ihr Spitzenkandidat zugleich mobilisieren und deeskalieren müssen. Viel wird hier darauf ankommen, den richtigen Ton zu treffen.

Andererseits sollte man aber auch nicht vergessen, dass Jürgen Rüttgers als Ministerpräsident auch auf den letzten Metern noch seinen Amtsbonus ausspielen könnte, falls es ihm gelingt, das passende Thema zu platzieren. Das Rennen scheint offener denn je, eine Woche vor der Wahl kommt es auf die richtige Kampagne an…

 

Wer mit wem in NRW? Was der Wahl-o-mat sagt

Keine Wahl ohne Wahl-o-mat: Nun ist auch zur Landtagswahl in NRW das „Informationsangebot über Wahlen und Politik“ online gegangen. Er soll die Wahlberechtigten dabei unterstützen, eine sinnvolle Wahlentscheidung zu treffen. Aber er kann auch den Parteien helfen zu erkennen, mit welchen anderen Parteien sie die größte (inhaltliche) Übereinstimmung haben.

Wie funktioniert der Wahl-O-Mat? 38 Thesen wurden den Parteien in NRW für die neueste Version des Informationsangebots vorgelegt. Als Antwortoptionen standen zur Verfügung: “dafür”, “dagegen” oder “neutral”. Mit Hilfe der Antworten lässt sich nun leicht feststellen, wer mit wem in welchem Maße übereinstimmt. Die folgende Grafik zeigt dies anhand eines einfachen “Übereinstimmungsindex” für Parteipaare (*):

Bei der Bundestagswahl sah das Bild noch so aus:

wahlomat

Was also schon bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr galt, wird jetzt in NRW noch deutlicher sichtbar, zumindest auf Basis der 38 Thesen: Es gibt weiterhin zwei Lager – und Brücken zwischen diesen gibt es kaum: Ob zwischen Grünen und FDP, zwischen SPD und FDP, CDU und Grünen oder auch CDU und SPD: Inhaltliche Übereinstimmungen sind jeweils in der Mehrheit Minderheit. Und dies ganz im Gegensatz zu den Übereinstimmungen zwischen CDU und FDP auf der einen, SPD, Grünen und Linken auf der anderen Seite.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 38 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

 

Bestenfalls egal: Skandale eignen sich einfach nicht für Wahlkämpfe

AndreaFast möchte man es mit einem Stoßseufzer untermalen: Es ist wieder Wahlkampf, diesmal in Nordrhein-Westfalen. Und eigentlich kommt er für alle Parteien zu früh. Union und FDP befinden sich noch immer in der Findungsphase und können keine Erfolge vorweisen. Die SPD musste vor kurzem den empfindlichsten Rückschlag ihrer Geschichte wegstecken und ist von ihrem alten Kampfgewicht meilenweit entfernt. Die Linke muss möglicherweise sogar um den Einzug ins Parlament bangen. Und die Grünen sollten ausdiskutieren, wo sie wirklich stehen, bevor sie mit wackeligen Koalitions(nicht)aussagen in alle Richtungen werben. Sprich: Eigentlich wollen die Beteiligten diesen Wahlkampf gar nicht führen, aber genau deswegen müssen sie es umso mehr. Denn auch wenn es wenig zu gewinnen gibt, steht viel auf dem Spiel: die Mehrheit der schwarz-gelben Koalition im Bundesrat und damit um Wohl und Wehe der zentralen Reformprojekte der Regierung Merkel II.

Dies ist ein Dilemma, für das es in politischen Kreisen einen beliebten (Schein-)Ausweg gibt: Man attackiert den Gegner umso schärfer, auch auf einer persönlichen Ebene, und skandalisiert sein Tun, um so seine generelle Wählbarkeit in Frage zu stellen. Dankbare Ziele für diese Strategie gaben jüngst etwa FDP-Chef Guido Westerwelle und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ab. So könnte man meinen, dass solche vermeintlichen Skandale der Opposition sehr gelegen kommen. Natürlich: Sie kann die Wähler auf einer emotionalen Ebene ansprechen und öffentlichkeitswirksam den Rücktrittsforderungen aussprechen. Ist dies aber ein echter Vorteil, möglicherweise gar ein veritables Gegengewicht zum Amtsbonus der Regierung? Sehr wahrscheinlich nicht!

Erstens können Wahlkämpfe nicht nur auf den Gegner ausgerichtet werden. Moderne Kampagnen sind minutiös durchorganisierte Projekte, an denen Werbeagenturen, politische Berater und Medienexperten engmaschig rund um die Uhr arbeiten. Spontane Verschiebungen, etwa in Reaktion auf Fehler des politischen Gegners, sind da zwar möglich. Sie können aber nicht das Wesen der gesamten Kampagne verändern, da Partei und Kandidat ansonsten unglaubwürdig werden. Zweitens produzieren Skandale nur Verlierer, keine Sieger. Sie tragen zum allgemeinen Phänomen der Politikverdrossenheit bei, weil sich in der Bevölkerung (oft zurecht!) die Meinung durchsetzt, dass es wohl nicht um einen Einzelfall, sondern eher um die Spitze eines Eisbergs handelt. Es ist nicht wichtig, wer einen Skandal verursacht hat, und keine Partei profitiert davon – Leidtragende ist die Politik als solche, der die Bürger nicht mehr vertrauen. Drittens lassen sich die Wählerinnen und Wähler nicht blenden. Natürlich orientieren sie sich an den handelnden Personen und dabei spielt sicherlich auch deren moralisches Verhalten eine große Rolle. Die Wahlentscheidung ist aber immer von den Themen abhängig, die den Wahlkampf bestimmen.

Natürlich treffen Skandale einen empfindlichen Nerv und können die Einstellungen der Menschen über einen gewissen Zeitraum hinweg prägen. Ein wirklich wahlentscheidender, „perfekter“ Skandal müsste eine Vielzahl von Kriterien erfüllen: kurz vor der Wahl aufgedeckt werden, eindeutig nur dem politischen Gegner zuzuschreiben sein, in die eigene Wahlkampfstrategie passen und nicht durch andere Großereignisse überdeckt werden. Die Barschel-Affäre 1987 in Schleswig-Holstein mag dieser Idealsituation nahe gekommen sein, der damalige Ministerpräsident hatte ganz eindeutig rechtliche und moralische Grenzen überschritten. Die aktuelle Diskussion in NRW um gekaufte Gesprächstermine mit dem Ministerpräsidenten hat jedoch nicht annähernd diese Dimension und wird am Wahltag verpufft sein.

Das soll nicht bedeuten, dass diese Vorgänge nicht wichtig wären. Es besteht eindeutiger und umfassender Klärungsbedarf. Die Opposition sollte aber dringend davon Abstand nehmen, die Skandalisierung zu betreiben. Das wird ihr nicht helfen. Wenn überhaupt, wird es das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Politik weiter schwächen. Und das kann kein legitimes Ziel von Wahlkämpfen sein.

 

Koalitionspoker in Nordrhein-Westfalen: was passiert, wenn Schwarz-Gelb die Mehrheit in Düsseldorf verliert?

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Anfang Mai diesen Jahres steht im Zentrum der Aufmerksamkeit der Parteien wie auch der politischen Beobachter. Dies hat mit einer Vielzahl von Gründen zu tun. Erstens ist bei einer Niederlage für CDU und FDP in Düsseldorf die Mehrheit der Bundesregierung in der Länderkammer dahin, was das „Durchregieren“ des Kabinetts Merkel/Westerwelle deutlich erschweren würde. Zweitens bleibt abzuwarten, in welchem Ausmaß sich die Sponsorenaffäre um Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und die NRW-CDU auf den weiteren Verlauf des Wahlkampfs und schließlich auf das Wahlergebnis auswirken wird. Drittens ist die Landtagswahl an Rhein und Ruhr ein erster Test für die nicht allzu glücklich agierende Bundesregierung. Zudem ist Nordrhein-Westfalen aufgrund seiner Stellung als einwohnerstärkstes Bundesland von großer Bedeutung im föderalen System Deutschlands sowie für den bundesdeutschen Parteienwettbewerb. So wurden bereits verschiedene Koalitionsoptionen in Nordrhein-Westfalen auf ihre „Tauglichkeit“ hin getestet, bevor sie von den Parteien in Bonn oder Berlin als Regierungskoalition installiert wurden. Beispiele hierfür sind etwa die von 1956 bis 1958 bestehende sozialliberale Koalition in Nordrhein-Westfalen unter Ministerpräsident Steinhoff (SPD) sowie das rot-grüne Bündnis, das Johannes Rau nach dem Verlust der absoluten Mandatsmehrheit im Landtag 1995 eingehen musste.

Jüngste Umfragen wie die des ZDF-Politbarometers vom 19. März machen in der Tat deutlich, dass es für schwarz-gelb knapp werden wird. Momentan würden Union und FDP im Landtag von Nordrhein-Westfalen keine Mehrheit erreichen. Damit gewinnt die schon seit Wochen virulente Koalitionsdebatte noch mehr an Fahrt. Auf der Grundlage der bislang vorliegenden Statements der Parteien können nur solche Koalitionen ausgeschlossen werden, die CDU, FDP und die „Linke“ umfassen würde. Zwar präferieren Union und Liberale eine Neuauflage der amtierenden schwarz-gelben Koalition, allerdings haben Bündnisgrüne wie auch die Christdemokraten in NRW ein gemeinsames Regierungsbündnis nicht ausgeschlossen. Auch die FDP hat – überraschenderweise – bislang die Bildung einer Ampelkoalition mit Sozialdemokraten und Grünen nicht a priori abgelehnt. Dies gilt auch für eine Koalition aus SPD, Grünen und der „Linken“. Zwar werden letztere nicht als besonders regierungsfähig von Sozialdemokraten wie Grünen wahrgenommen, aber ein solches Bündnis ausschließen will die SPD-Spitzenkandidaten Hannelore Kraft wie auch die Führung der Grünen nicht.

Wie wahrscheinlich sind aber nun all diese Koalitionsmöglichkeiten? Auf der Grundlage aller Regierungsbildungen in Bund und Ländern seit 1990 lassen sich mit Hilfe multivariater statistischer Analysen die Determinanten der Koalitionsbildung in Deutschland ermitteln und auf dieser Basis auch die Wahrscheinlichkeiten für alle potentiell möglichen Koalitionen berechnen. In die Berechnung fließen die Stärke der Parteien im Parlament, ihre programmatischen Positionen, die anhand einer Analyse der Landtagswahlprogramme gewonnen werden, die Koalitionsaussagen der Parteien sowie die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ein. Für Nordrhein-Westfalen wird die Sitzverteilung im neuen Landtag anhand der Ergebnisse des ZDF-Politbarometers vom 19. März berechnet. Die Landtagswahlprogramme der Parteien liegen bei CDU, SPD, FDP, den Grünen und der Linken entweder als Entwurf oder bereits in endgültiger Form vor.

Im Rahmen dieses Blogs wurde dieses Verfahren bereits für die Landtagswahlen in Brandenburg, dem Saarland und in Thüringen im letzten Herbst mit Erfolg durchgeführt: die schließlich gebildeten Koalitionen wiesen in zwei der drei Bundesländer – in Thüringen und dem Saarland – die höchste Wahrscheinlichkeit auf (vgl. Bräuninger/Debus 2009). Für Nordrhein-Westfalen ergibt sich das in der folgenden Tabelle abgetragene Bild.

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionsoptionen in Nordrhein-Westfalen

Koalitionsoption Wahrscheinlichkeit
CDU und Bündnis 90/Die Grünen 64,3%
CDU und SPD 29,5%
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke 2,8%
SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen 1,2%

 

Den Ergebnissen zufolge wäre – für den Fall, dass Union und FDP eine Mehrheit im Landtag verfehlen würden – eine schwarz-grüne Koalition die mit Abstand wahrscheinlichste Koalitionsoption nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Ein Bündnis der beiden großen Parteien CDU und SPD würde auf Platz 2 mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 30% landen, während ein Linksbündnis wie auch eine „Ampelkoalition“ mit 2,8% bzw. 1,2% äußerst unwahrscheinlich sind. Ein Grund für die Unwahrscheinlichkeit der „Ampel“ ist der große Gegensatz zwischen SPD und Grünen in wirtschaftspolitischen Fragen auf der einen und den Freidemokraten auf der anderen Seite. Die NRW-CDU ist hingegen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sehr moderat ausgerichtet, so dass die Übereinstimmung mit mit Grünen oder SPD größer ist. Sollte also schwarz-gelb in Düsseldorf keine Mehrheit erreichen, dann könnte NRW nach Hamburg das zweite Bundesland werden, in dem CDU und Grüne gemeinsam die Regierung stellen. Ob das dann ein Zeichen für den Bund ist, bliebe dann abzuwarten.

Literatur
Bräuninger, Thomas & Marc Debus (2009): Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, Jamaika oder die Ampel? Koalitionsbildungen in Bund und Ländern im Superwahljahr 2009. Zeitschrift für Politikberatung 2: 3, 563-567. [http://dx.doi.org/10.1007/s12392-009-0215-2]

 

Die NRW-Landtagswahl im deutschen Föderalismus

Nils Bandelow

Am 9. Mai wird in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt. Die Wahl ist die Grundlage für die spätere Bildung der Regionalregierung in dem bevölkerungsstärksten Bundesland Deutschlands. Aber gibt es in Deutschland überhaupt so etwas wie „Regionalwahlen“? Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist wichtig. Vielleicht ist sie wichtig für die Bildungspolitik in NRW. Studiengebühren, das Schulsystem – und (nicht ganz unabhängig von Bildung) – auch die unbelehrbaren Raucher in den Kneipen zwischen Bielefeld und Bonn könnten vom Ergebnis betroffen sein.

Trotz aller Föderalismusreformen bleibt die Landtagswahl in NRW aber in erster Linie eine Wahl zur Bundespolitik. Sie ist es schon unabhängig vom Ergebnis: Nie war es so deutlich wie jetzt (obwohl auch frühere Regierungen derselben Logik gefolgt sind): Reformen auf Bundesebene, die vielen schaden und wenigen nützen, macht man nach  Landtagswahlen – und nicht davor. Aber wie wird sich die Wahl inhaltlich auswirken? Nun, es könnte sein, dass sich nichts verändert. Wenn die „christlich-liberale“ Regierung auch in NRW bestätigt würde, dann wären Jürgen Rüttgers und Andreas Pinkwart gestärkt. Die Bundeskanzlerin und ihr Außenminister hätten dann für die Zukunft jeweils einen wichtigen internen Rivalen behalten.

Die Alternative ist jede andere Koalitionsregierung in NRW. Sollte eine der Oppositionsparteien – egal  welche – an der Landesregierung beteiligt werden, dann sind die Gewinner: Bündnis 90/Die Grünen. Das gilt selbst für den (unwahrscheinlichen) Fall einer rot-roten Landesregierung, selbst dann, wenn die Grünen den Einzug in den Landtag verpassen würden. Wieso das? Bisher verfügen schwarz-gelbe Landesregierungen insgesamt über eine theoretische knappe Mehrheit im Bundesrat. Die Mehrheit ist theoretisch, weil die Kammer der Landesregierungen selten ausschließlich nach parteipolitischen Vorgaben entscheidet. Aber bisher reicht es eben, wenn Merkel und Westerwelle ihre Leute hinter sich bringen. Dann – und nur dann – können sie jedes Gesetz und jede Verordnung verabschieden, solange das Grundgesetz unberührt bleibt.

Dies kann sich nach der „Landtagswahl“ in NRW ändern. Die Anführungsstriche sollen verdeutlichen: Hier handelt es sich um eine Wahl, deren Bedeutung für den Bund wichtig ist. Nicht nur, weil sie ein Signal sendet, und eine Rückmeldung gibt, für die bisherige Arbeit der Regierung.

Die wichtigste Bedeutung der Landtagswahl in NRW liegt darin, dass sie die schwarz-gelben Landesregierungen um ihre Mehrheit im Bundesrat bringen kann. Um eines klar zu stellen: Das heißt nicht, dass „die Opposition“ dann eine Mehrheit im Bundesrat hätte, auch nach der NRW-Wahl werden unionsgeführte Regierungen eine Mehrheit im Bundesrat stellen. Diese Mehrheit braucht die Opposition aber auch nicht. Koalitionen auf Landesebene pflegen zu vereinbaren, dass sie sich bei Unstimmigkeiten im Bundesrat der Stimme enthalten. Da Enthaltungen (auch nach dem gescheiterten Vorstoß von Wolfgang Schäuble, dies zu ändern) bei der Gesetzgebung des Bundes weiterhin wie Nein-Stimmen zählen, fehlt jedem Regierungsentwurf für ein zustimmungspflichtiges Gesetz die Mehrheit im Bundesrat. Konkret heißt das: Nicht nur knapp die Hälfte aller Gesetzesvorhaben der Bundesregierung drohen zu scheitern, sondern es sind vor allem die zentralen Reformen, die eine Zustimmung durch die Länderkammer benötigen.

Was würde das politisch bedeuten? Die Bundesregierung bräuchte die Zustimmung von Landesregierungen, an denen mindestens eine Oppositionspartei beteiligt ist. Und dabei würde die Zustimmung der Länder Hamburg und Saarland reichen – in beiden Ländern sind die Grünen an den Landesregierungen beteiligt. Inhaltlich heißt das: Die schwarz-gelbe Bundesregierung würde in wichtigen Fragen zu „Jamaika“ mutieren. Die Alternative wäre es, mit der SPD zu verhandeln – hier wäre der Preis gegenwärtig wohl noch höher.

Die Grünen werden also plötzlich in der Lage sein, einen Preis zu verlangen, um schwarz-gelb entscheidungsfähig zu halten. Wie wird dieser Preis aussehen? Er könnte generelle Forderungen enthalten, etwa das Festhalten am Zeitplan für den Atomausstieg. Die Grünen könnten auch „billige“ Forderungen stellen, etwa in der Gleichstellungspolitik. Dies wäre „billig“, weil wesentliche grüne Positionen längst von führenden Vertreterinnen der Bundesregierung geteilt werden.

Wahrscheinlicher sind aber Tauschvereinbarungen, die jedes einzelne Politikfeld betreffen. Denn auch wenn im Bundesrat Parteienvertreter sitzen und man dann die Grünen braucht: Einen neuen förmlichen Koalitionsvertrag wird es nicht geben. Jedes einzelne Gesetz muss so gestrickt sein, dass die Grünen in Hamburg und im Saarland zustimmen können. Das heißt etwa in der Gesundheitspolitik: Es wird Forderungen nach einer Stärkung von Qualitätssicherung und (nichtmedizinischer) Prävention geben – und diese werden auch erfüllt werden. In der Verkehrspolitik werden sich die Grünen für ein Nachhaltigkeitskonzept einsetzen, das nicht allein technische Lösungen sondern auch Verhaltenssteuerungen beinhaltet.

Insgesamt wird sich nicht nur der Inhalt der Bundespolitik ändern. Die neuen Machtverhältnisse werden alle Beteiligten auf die Probe stellen: Sind die Grünen bereit für Jamaika? Wird sich ein Bündnis mit den Grünen in der CDU durchsetzen lassen? Wie wird die Kanzlerin mit den zu erwartenden Widerständen aus FDP und CSU umgehen? Die Landtagswahl in NRW ist somit spannend. Sie wird nicht nur die Machtverhältnisse auf Bundesebene nachhaltig mitbestimmen, sondern auch die Weichen für die zukünftige Entwicklung unseres Parteiensystems stellen.