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Blogstöckchen: Grumpy Merkel und der brennende Euro

Ein Blog-Stöckchen fliegt durch die deutschen Redaktionen. Es geht um die Bundestagswahl. Sechs Fragen, schnell zu beantworten – und dann zu Kollegen weiter werfen. Vor uns war es unter anderem bei der Stuttgarter Zeitung, Süddeutsche.de und beim Deutschlandfunk. Und beworfen haben uns unsere Verlagsbrüder und Straßen-Nachbarn vom Tagesspiegel. Danke auch. Man hat in so einer Vorwahl-Woche ja sonst nix zu tun.

Wir haben uns trotzdem die Zeit genommen – hier unsere Antworten.

Bester Beitrag

Wie verhalten sich die Anhänger der AfD im Internet? Ziemlich rüde, müssen wir leider konstatieren. Selten haben wir – in dieser Häufung – so feindselige Leserbriefe bekommen wie von den Euro-Kritikern. Betrachtet man das folgende tumblr, ahnt man, welche Rhetorik gemeint ist. Zu sehen sind Screenshots der hanebüchensten Facebook-Updates bekennender AfD-Sympathisanten: „AfD-Wähler stellen sich vor.“

http://afdwaehlerstellensichvor.tumblr.com/

 

Schön ist auch das Tumblr-Blog von @miinaaa: Fragen zu Wahlkampf, die mit animierten GIFs kombiniert werden. Beispiel: Wie reagiert Steinbrück auf freche Fragen? Die Antworten von Walter White, Homer Simpson und Meryl Streep hier:

http://regierungsgifs.tumblr.com/

 

Liebstes btw13-Video

Witzig und ziemlich erfolgreich ist dieses Wahl-Video der guten, alten IG Metall.

Ähnliche Motivation, nicht ganz so lustig, aber auch gut gemeint, dieser Wahlaufruf für junge Leute:

Noch was? Unsere anglophilen Kollegen schwören auf diesen kurzen Guide der BBC zur Bundestagswahl http://t.co/2J7JZejWvH

Partei mit der besten Social-Media-Kampagne

Eine richtig begeisternde So-Me-Kampagne haben wir in diesem Wahlkampf nicht registriert. Es gibt in mehreren Parteien immer wieder einzelne gute Ideen. Unterm Strich: Vielleicht doch die SPD? Trotz aller Häme über das gescheiterte peerblog und andere Missgriffe. Immerhin hatten die Genossen Schwarz-Gelb-Blog und Monty-Python-Video. Smart auch das sozialdemokratische Hashtag #diespdwars, das Unterstützer verwenden, um Attacken gegen die Partei zu ironisieren.

Schönstes Plakat

Crumpy Cat von den Piraten

Und den gemalten Ströbele schaut man sich doch jedes Mal wieder an.

Hässlichstes Plakat

Spontan: FDP, Spitzenkandidat Rainer Brüderle. Die Geste, die Brille – so richtig vorteilhaft kommt er nicht rüber (by the way: auch beim TV-Spot mit dem Frühstücksei dachten wir kurz: ernst gemeint?)

Klar: Alles Rechtsradikale hat uns natürlich nicht gefallen. Und diesen ertrinkenden Euro fanden wir auch abstoßend.

Wem unbedingt folgen?

@grumpymerkel

Wahlprognose

Wir haben redaktionsintern abgestimmt, wie viel Prozent die AfD bekommt. Das Ergebnis: Eine knappe Mehrheit traut der Partei 4 Prozent zu, viele glauben auch an ihren Einzug in den Bundestag, zwei Kollegen sehen sie gar bei 8 Prozent.

Und sonst? Na Angela Merkel, oder? Mit wem: Meinungsbild offen.

Als nächstes dürfen sich die Kollegen von Spiegel Online etwas ausdenken. Da, fangt das Stöckchen!

Von Till Schwarze, Juliane Leopold und Michael Schlieben

 

Weshalb Koalitions-Fragen nerven

Der verstorbene frühere FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff nannte einmal ein hübsches Beispiel für eine Journalistenfrage, die Politiker besser nicht beantworten sollten: „Haben Sie aufgehört, Ihre Frau zu schlagen?“ Sagt der Politiker darauf ohne Nachzudenken „Ja“, bestätigt er indirekt, dass er ein gewalttätiger Ehemann ist. Sagt er hingegen „Nein“, weil er die Frage für absurd hält, outet er sich erst recht als Schläger.

Ähnlich verhält es sich mit dem in Wahlkampfzeiten beliebten Fragespiel: „Schließen Sie eine Koalition mit der Partei XY aus?“ Was soll ein Politiker, der halbwegs bei Trost ist, dazu anderes sagen außer einer Standard-Floskel in der Art: „Wir streben eine Koalition mit der Partei Z an. Aber wenn der Wähler anders entscheidet, werden wir uns Gesprächen mit anderen demokratischen Parteien nicht verschließen.“ Nur Politiker, die eigentlich gar nicht regieren wollen, werden die Frage bejahen.

Auf diese Weise kamen dieser Tage mal wieder Schlagzeilen zustande, Kanzlerin Merkel und Politiker der SPD schlössen eine Große Koalition im Fall der Fälle nicht aus, und führende Grünen liebäugelten heimlich mit Schwarz-Grün. Ja, was denn sonst? Sollen sie behaupten, sie gingen auf jeden Fall in die Opposition, wenn es für Schwarz-Gelb bzw. Rot-Grün bei der Bundestagswahl nicht reicht? Besonders der SPD würde man eine solche „Auschließeritits“ angesichts ihrer bescheidenen Umfragewerte als Realitätsverweigerung auslegen.

Also hat sich im Grunde nichts geändert: Die Wähler werden am 22. September nicht über eine Koalition entscheiden, sondern über die Zusammensetzung des Parlaments. Die Parteien werden dann versuchen, aus den entstandenen Mehrheitsverhältnissen eine Regierung zu formen. Das kann kompliziert werden, erst recht, wenn fünf, sechs oder sieben Parteien in den Bundestag einziehen. Deshalb sind alle Parteien gut beraten, sich andere als nur ihre Wunschoptionen offen zu halten, falls sie mitregieren möchten, und sich nicht an eine Partei zu ketten wie die FDP, die vor der Wahl eine Ampelkoalition formell ausschließen will. Und deshalb sollten Politiker bis dahin die unsinnige „Schließen-Sie-aus?“-Frage am besten nicht mehr beantworten. Die Wähler wissen es ohnehin besser.

 

Mal wieder eine Unterschriftenaktion in Hessen

Für einen Landespolitiker ist es natürlich nicht so einfach, wenn die eigene Wahl am gleichen Tag stattfindet wie die alles überschattende Bundestagswahl. Beim Getöse um Berlin gehen die kleineren Fragen gerne man unter und man wird mitgerissen, in Sieg oder Niederlage – und wenn man Kandidat der SPD ist, sieht es vieles nach Niederlage aus. Man muss sich noch mehr abstrampeln als sonst, um gehört zu werden.

Thorsten Schäfer-Gümbel hat jetzt also den Steuerhinterziehern und Steuerumgehern den Kampf erklärt. Er hat einen Gesetzentwurf vorbereitet, der die Verjährung nach fünf Jahren abschaffen würde und die bequeme Möglichkeit zur Selbstanzeige gleich auch. Vor allem aber hat Schäfer-Gümbel eine Unterschriftenaktion angekündigt. Am kommenden Montag soll es losgehen in Frankfurt. Die Bürger sollen dann bitte unterschreiben für eine „Null-Toleranz-Strategie“. Das klingt richtig, das klingt gut, denn wer will schon Toleranz für Steuersünder, das sind ja Verbrecher!

Die hessischen Politiker scheinen es überhaupt zu haben mit Unterschriftenaktionen. Natürlich ist der jetzige SPD-Versuch nicht gleichzusetzen mit der infamen Kampagne Roland Kochs (CDU), der einst einfach mal Unterschriften gegen „kriminelle Ausländer“ sammelte. Eines aber haben solche Aktionen dann doch stets gemein: Es geht weniger um konkrete Politik (Steuergesetze sind kaum Ländersache, Schäfer-Gümbel könnte nach einem möglichen Wahlsieg lediglich mehr Kontrolleure einstellen), sondern darum, Stimmungen für sich zu nutzen. Davon könnten am Ende vielleicht sogar die großen Mitstreiter in Berlin profitieren. Schließlich war es Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der einst die Kavallarie auf die renitenten Schweizer und ihr Bankgeheimnis loslassen wollte. Man hört, Schäfer-Gümbel käme bald auch nach Berlin.

 

100 Tage bis zur Wahl – es ist alles drin!

In vielen Talkshows, Vorträgen, Gesprächsrunden wird man schon fast rhetorisch gefragt: Der Wahlkampf ist doch eigentlich gelaufen, oder? Die SPD bewegt sich nicht aus ihrem (Kandidaten-)Tief, Merkel erscheint unantastbar, Piraten gekentert, die AfD kommt auch nicht so ganz in Schwung. Eine aktuelle Forsa-Umfrage belegt das, die Stagnation der Umfragewerte im Zeitverlauf ist beeindruckend.

Aber Umfragen beziehen sich eben immer auf das Hier und Jetzt. Daraus allerdings schon das Ergebnis für den 22.September 2013 herzuleiten, ist zu kurz gegriffen. „Campaigns do matter!“ Wahlkämpfe machen einen Unterschied, natürlich in Abhängigkeit ihrer Ausgestaltung. Das haben wir bei Barack Obama während seines Endspurtes im letzten Jahr erlebt: Er hat es als einer der ganz wenigen Amtsinhaber in den USA geschafft, trotz wirtschaftlichen Gegenwinds wiedergewählt zu werden.

Der Blick auf die letzten drei Wahlkämpfe in Deutschland zeigt, welche Entwicklungen noch möglich sind. Im Sommer 2002 war die Union im Umfragehoch bei 40%, eingefahren hat sie am 20. September immerhin 38,5%. Die SPD lag im Sommer bei 35%, auch sie landete bei 38,5% – dieses Fotofinish sicherte dem damaligen Kanzler und seiner rot-grünen Koalition eine zweite Amtszeit. Im Wahlkampf 2005 verlor die Union über den Sommer einen Vorsprung von satten 15 Prozentpunkten. Im Sommer noch bei 44% landeten CDU und CSU am Wahltag lediglich bei 35,2%; die SPD, im Sommer noch bei 29%, fuhr mit 34,2% ein lange Zeit nicht für möglich gehaltenes Ergebnis ein.

Ein anderes Bild zeichnet die Erfahrung aus dem Jahr 2009: In diesem Bundestagswahlkampf verlor die Union in den letzten 100 Tagen lediglich 3,2 Prozentpunkte und fiel von 37% auf 33,8%; der SPD wiederum gelang es im Wahlkampf nicht, an die zurückliegenden Aufholjagden anzuknüpfen: Auch sie verlor über den Sommer sogar noch zwei Prozentpunkte, von 25% auf ein Wahlergebnis von 23%.

Union und SPD im Wahlkampf: Entwicklung in den je zehn letzten Umfragen vor den Wahlen 2002, 2005 und 2009

10 Wahlumfragen

(Quelle: Forschungsgruppe Wahlen, Zeitraum: Ende Mai/Anfang Juni bis ca. eine Woche vor der Wahl)

Die Daten zeigen: Es ist möglich, im Wahlkampf viel Boden gut zu machen, aber dazu gehören eine intelligente Strategie, ein gutes Team und überzeugende Inhalte. Gerade in diesem Jahr wird gelten, was in den USA so treffend mit „Get out the Vote!“ beschrieben wird: Die Bürger sind nicht wirklich überzeugt von den Alternativen, aber sie sind deswegen noch lange nicht unpolitisch. Gute Argumente können also durchaus einen Mobilisierungseffekt haben, wenn die Ansprache passt.

Die Formen der Ansprache verändern sich ständig. Keine Partei kann sich daher auf frühere Erfolge im Wahlkampf verlassen – aber eben auch nicht auf aktuellen Umfragedaten ausruhen. Denn vieles ist möglich, und es wird mit Sicherheit nicht vorgesehene bzw. nicht vorhersehbare Einflüsse geben.

Dass der Wahlkampf zunehmend Fahrt aufnimmt, ist an inhaltlichen Positionierungen der Parteien ebenso zu erkennen, wie an personellen Weichenstellungen. Insbesondere die SPD und ihr Kandidat Peer Steinbrück werden hier zunehmend aktiv – unter anderem mit der Vorstellung des Kompetenzteams. Auch dass aus den Reihen der Union gekontert wird, es handele sich dabei um eine „B-Elf“, ist ein Beweis für die allseits gestiegene Sensibilität für Wahlkampftaktik. Die Maßnahme von Peer Steinbrück, seinen Sprecher auszuwechseln, erinnert wiederum an eine Fußballmannschaft, die in der Krise den Trainer austauscht. Hier wie da bleibt die Frage, wie nachhaltig ein solcher Schritt ist.

Mit Blick auf die strategische Ausrichtung der Kampagne scheint eine personelle Änderung jedenfalls kaum auszureichen. Der SPD gelingt es derzeit nicht, sich überzeugend zu positionieren: Die Partei, der Spitzenkandidat und die Programmatik scheinen auseinanderzudriften. Die Union hingegen wirkt – von wenigen Vorstößen abgesehen – defensiv. Die letzten 100 Tage sind angebrochen und es wäre uns zu wünschen, dass alle Parteien intelligente Wege finden, ihre Positionen und Argumente auf die Straße zu bringen und den Wählern somit zeigen, über welche Fragen sie am 22.9. abstimmen werden.

 

Machst du Peer mal auf? Die Wahlkampfstrategie der SPD auf dem Prüfstand

Die SPD stellt die Weichen für den Wahlkampf 2013. Hierbei gilt es, zwei zentrale Botschaften zu vermitteln: Peer Steinbrück muss als Person für Wähler attraktiv(er) dargestellt werden; dabei müssen jedoch auch die Inhalte in den Vordergrund gestellt werden. Der jüngste DeutschlandTrend hat klar gezeigt, dass Wählerinnen und Wähler die SPD primär aufgrund ihrer inhaltlichen Ausrichtung wählen würden.

Steinbrück hat die soziale Gerechtigkeit, das „Wir-Gefühl“ in der Gesellschaft, in den Mittelpunkt seiner Parteitagsrede gestellt. Angegriffen hat er die regierende Koalition gleich in mehreren Punkten: Familienpolitik, Betreuungsgeld, Frauenquote, Rente und die Europapolitik. Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss das Programm, für das Steinbrück und die SPD in den Wahlkampf ziehen als klare inhaltliche Alternative zu Union und FDP.

Nun möchte Steinbrück sich und sein Programm den Wählerinnen und Wählern am liebsten persönlich vorstellen. Die SPD setzt auf Sofagespräche: Peer bei uns zu Hause, im Wohnzimmer. Wie ist das aus sozialwissenschaftlicher Perspektive zu beurteilen? Wir wissen aus der Wahlkampfforschung, dass die interpersonale Kommunikation verglichen mit anderen Instrumenten den größten Effekt auf die Wählerinnen und Wähler haben kann. Dies wurde in einer nach wie vor beeindruckenden Studie von Paul Lazarsfeld, Bernard Berelson und Hazel Gaudet aus dem Jahr 1944 nachgewiesen, zahlreiche neuere Studien bestätigen dies. Über persönliche Gespräche können Bürgerinnen und Bürger am ehesten für Politik begeistert werden, ihre Meinungen zu bestimmten Themen bilden oder gar ihre Meinung ändern – und dann wiederum andere überzeugen. In Zeiten, in denen Bürgerinnen und Bürger weniger über Politik sprechen, sich weniger dafür interessieren und auch in den Massenmedien weniger Politik verfolgen, kann das eine gewinnbringende Strategie sein.

Genau hier lag auch der Schlüssel zum Erfolg des Obama-Wahlkampfs in diesem Jahr: Das „get out the vote“ war eine Priorität der Kampagne, also die direkte Ansprache von Wählerinnen und Wählern, die möglicherweise noch nicht entschieden hatten, ob (und wenn ja, für wen) sie zur Wahl gehen würden. In einem ausgefeilten „ground game“, das in den letzten vier Wochen vorbildlich orchestriert wurde, nahm das Obama-Team persönlichen Kontakt auf – sei es telefonisch, via E-Mail oder eben auch durch Hausbesuche. So hatte das Obama Team beispielsweise in den Regionen, in denen die Wahl vermutlich entschieden werden würde, eine deutlich breitere Organisation in Form von „field offices“ vorzuweisen. In Ohio standen den 123 der Obama-Kampagne gerade einmal 40 aus dem Romney-Lager gegenüber, auch in Colorado war der Unterschied mit 59 zu 15 deutlich. Korrespondierend damit waren in den letzten Wochen vor der Wahl Sozialwissenschaftler und Internet-Experten in der Wahlkampfzentrale damit beschäftigt, große Datenmengen zu analysieren (Stichwort: „data mining“) und so die unentschlossenen Wählerinnen und Wähler auszumachen, um sie mit zielgruppengenauen Botschaften ansprechen zu können.

Kann das auch für die SPD funktionieren, können die angekündigten Hausbesuche ähnlich viele Stimmen bringen? Die Situation hinsichtlich der Verfügbarkeit von Daten und deren Nutzung ist in Deutschland sicher eine andere als in den USA. Somit sind die entscheidenden Haushalte schwieriger zu ermitteln. Auch die Finanzierung der Wahlkämpfe funktioniert hierzulande anders. Aber: Deutsche Parteien punkten verglichen mit den amerikanischen Pendants ganz stark in Sachen Infrastruktur. Insbesondere die beiden großen Parteien sowie auch die Grünen sind flächendeckend organisiert – das „ground game“ lässt sich somit ganz anders orchestrieren.

Der entscheidende Vorteil hierbei sind die Parteimitglieder. Im Gegensatz zu Wahlkampfhelferinnen und -helfern in den USA, die vorzugsweise für bestimmte Personen und somit oft einmalig aktiv sind, bekennen sich Parteimitglieder in Deutschland dauerhaft. Nicht zuletzt zahlen sie jeden Monat einen Mitgliedsbeitrag. Das ist nicht unwichtig, ist doch aus der Partizipationsforschung bekannt, dass Bürgerinnen und Bürger deutlich eher bereit sind, sich zu engagieren, wenn sie bereits einen Einsatz gelistet haben und sodann eine klare Aufgabe zugeteilt bekommen.

Natürlich wird dies nicht ausreichen. Moderne Kampagnen müssen unterschiedliche Instrumente integrieren: Hausbesuche, TV-Werbung, Plakate und Botschaften in den sozialen Medien müssen aufeinander abgestimmt sein. Dann können sie die kommunikativen Stützen des Wahlkampfes sein, die Kernbotschaften vermitteln, welche die Wählerinnen und Wähler mobilisieren können.

Steinbrück und der SPD kann zugutegehalten werden, dass sie in Zeiten medialer Dauerbeschallung den Wert des direkten Gesprächs erkannt haben. Allerdings wird entscheidend sein, wie dieser Gedanke umgesetzt und in die Wahlkampfstrategie integriert werden kann. Hier ist mit Blick auf die doppelte Zielsetzung der persönlichen und thematischen Profilbildung ein kluges Vorgehen gefragt. Am Ende wird es darum gehen, zu mobilisieren um zu mobilisieren. Davor müssen aber Botschaften entwickelt werden, die den Kandidaten und seine Partei unterscheidbar machen und im Wohnzimmer auf dem Sofa vermittelt werden können.

 

Beck, P./Dalton, R./Greene S. und Huckfeldt, R. (2002): The social Calculus of Voting: Interpersonal, Media, and Organizational Influences on Presidential Choices, in: American Political Science Review 96, S. 57-74.

Lazarsfeld, P./Berelson, B./Gaudet, H. (1944): People’s Choice. How Voters Make up their Mind in a Presidential Campaign. Sloan and Pearce, New York.

Römmele, A. (2005, 2. Auflage): Direkte Kommunikation zwischen Parteien und Wählern. Wiesbaden, Westdeutscher Verlag.

 

 

Was ist bloß aus den US-Medien geworden?

Es war eine große Show, eine Serie von medialen Großereignissen. Aber man fragt sich nach drei intensiven TV-Debatten zwischen dem republikanischen Herausforderer Mitt Romney und US-Präsident Barack Obama dann doch: Was haben wir daraus eigentlich gelernt? Nicht ganz so einfach – denn die Erwartungen an diese Rededuelle im Wahlkampf sind enorm. Nähern wir uns der Antwort, indem wir zunächst grundsätzlich nach der Wirkung solcher Formate fragen.

Die empirische Forschung spricht dazu eine klare Sprache: TV-Duelle haben – wenn überhaupt – nur einen geringen Effekt. Mehr noch: Nach drei bis vier Tagen ist dieser normalerweise verblasst. Das gilt zumindest, wenn sich beide Kandidaten keine gravierenden Schnitzer erlauben. Im Falle der Debatten zwischen Obama und Romney jedoch zeigt sich ein differenziertes Bild: Die erste Runde konnte der Herausforderer überraschend positiv gestalten und für sich verbuchen. Die beiden folgenden Duelle hat Umfragen zufolge zwar Obama gewinnen können. Aber der Eindruck des ersten Duells bleibt nun schon seit mehreren Wochen der dominante: Obama und Romney bewegten sich auf Augenhöhe und tun dies nun auch in den Umfragen.

Zurück zur Ausgangsfrage: Was haben wir inhaltlich gelernt? Die erste Antwort muss lauten: nicht viel. Die Narrative der Debatte lassen sich wohl folgendermaßen darstellen: „Was Sie, verehrter Herr Kandidat, heute sagen, stimmt in keinster Weise mit dem überein, was Sie vor vier Wochen zu diesem Thema gesagt haben.“ – „Dies ist eine glatte Lüge.“ – „Die Zahlen, verehrter Herr Präsident, die Sie hier präsentieren, stimmen in keinster Weise mit den kürzlich veröffentlichten Zahlen aus Ihrem Hause überein.“ – „Ihre Additionen stimmen hinten und vorn nicht“ … Man kann den Gesprächsfaden beliebig weiterspinnen.

Den Mächtigen widersprechen

Dennoch war die Show erhellend, denn sie hat in einer seltenen Deutlichkeit die schwache Rolle der amerikanischen Medien gezeigt. Dass wir uns hier im Heimatland des kritischen, aufgeklärten Journalismus befinden, wurde in dieser Debattenphase in keiner Weise deutlich. Denn ebenso wichtig wie die Präsentation der Kandidaten selbst ist es, deren Aussagen hinterher einzuordnen und der Öffentlichkeit eine ausgewogene Einschätzung zu den diskutierten Themen zu bieten.

Wo aber waren hier die kritischen Journalisten in der Nachlese der Debatten (aber auch während der gesamten Kampagne)? Seit sich die Gründer der USA gegen den britischen König stellten, galt das „speaking truth to power“ als Lebenselixier, als Manifest der amerikanischen politischen Kultur: Unbequeme Wahrheiten müssen ausgesprochen werden, auch wenn sie den Mächtigen widersprechen mögen. Dies galt auch und vor allem als zentrales Element einer kritischen Presse – und genau dieser Aspekt ist über die vergangenen Jahre verlorengegangen.

Anstelle kritischer Berichterstattung, die bemüht ist, Fakten auf den Tisch zu bringen, ergehen sich die amerikanischen Medien mehr und mehr im sogenannten „Horse-race“-Journalismus. Nicht Sachfragen, etwa nach den angestrebten sozialen und wirtschaftlichen Reformen oder deren Finanzierung, werden gestellt; die brennenden Fragen sind vielmehr: Wer liegt in den Umfragen vorn? Wer war Sieger der Debatte? Dies zu diskutieren ist natürlich legitim, aber wenn solche Einschätzungen die sachorientierten Analysen fast völlig verdrängen, dann werden die Medien ihrem Anspruch nicht mehr gerecht. Nicht „truth to power“ wird mehr gesprochen, sondern eher „opinion to public“. Und gerade weil amerikanische Medien traditionell meinungsstark sind und beispielsweise bestimmte Kandidaten offen unterstützen und andere heftig kritisieren, lässt diese einseitige Art der Berichterstattung viele Zuschauer ratlos zurück.

Fact Checking oft ausgelagert

Um es klarzustellen: Dies ist keine Kritik an den Moderatoren der TV-Duelle. Vor allem Candy Crowley, die CNN-Moderatorin der zweiten Debatte, hat live vor Millionen von Zuschauern Darstellungen der Kandidaten richtiggestellt. Aber dies ist die Ausnahme – das sogenannte fact checking, eine Kernkompetenz der Medien, wird zunehmend ausgelagert. Unabhängige Organisationen nehmen sich dieser wichtigen Aufgabe an. Ihnen gebührt alle Ehre, hier wird hervorragende Arbeit geleistet – etwa wenn die Aussagen der Kandidaten anhand von Statistiken und früheren Verlautbarungen darauf geprüft werden, wie zutreffend beziehungsweise realistisch sie sind.

Hier beispielsweise das aktuelle Bild, das sich auf politifact.com ergibt:

Diese Website ist zugleich eines der seltenen Beispiele für ein Faktencheck-Portal, das von einer Zeitung betrieben wird. Andere sind hingegen an Forschungseinrichtungen angesiedelt (etwa factcheck.org) oder werden von – oftmals einem bestimmten Kandidaten zugeneigten – Organisationen betrieben (etwa actually.org).

Gemein ist ihnen allen, dass diese wichtige Form der „Nacharbeit“ die breite Öffentlichkeit nicht (mehr) erreicht. Sie wird kaum noch in die mediale Berichterstattung eingespeist. So ist ihr Stellenwert verglichen mit all dem, was das „horse race“ zu bieten hat, sehr gering. Was wir aus den TV-Duellen in diesem Wahlkampf gelernt haben, ist also in erster Linie, dass die Medien zwar starke Meinungen, nicht aber starke Analysen bieten.

 

Grundsatzprogramm? Keine Ahnung!

Von Lenz Jacobsen

Das jüngste Drama, oder besser: das jüngste Kammerspiel aus dem so oft absurden Innenleben der Piratenpartei dauerte 74 Minuten und spielte im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen. Dort, zwischen Stuttgart und Bodensee, trafen sich jüngst eine Handvoll Piraten, darunter drei stimmberechtigte Mitglieder, um ihren Direktkandidaten für die Bundestagswahl 2013 zu bestimmen. Das Problem nur: So richtig geeignete Bewerber für das Amt hatten sie nicht. Da war Kurt Kreitschmann, 60 Jahre alt, seit 40 Jahren verheiratet, 4 Kinder. Und Erwin Phillipzig, der aus Berlin kommt und seit 1998 in Rottenburg wohnt. Politische Konzepte, klare Positionen oder auch nur Interesse an den Grundsätzen der eigenen Partei haben die beiden nicht, wie die anschließende Befragung durch ihre Mit-Piraten zeigte.

Was sie denn für Alleinerziehende tun wollen? Für die sollte es etwas anderes als Hartz IV geben, sagt Kreitschmann. Und Phillipzig ergänzt, sie müssten prinzipiell besser unterstützt werden. Absurd wird es, als er auf die Frage, was denn aus seiner Sicht die Kernthemen der Piraten seien, antwortet: „Ich habe mich bisher noch nicht sonderlich mit dem Programm beschäftigt.“

Weiter geht es mit der Blamage: Was halten die beiden vom Bedingungslosen Grundeinkommen? „Ich halte dieses Prinzip für fragwürdig. Man sollte eher die Löhne der Arbeit angleichen“, sagt Kreitschmann. „Schwierig zu sagen“, erklärt Philippzig. Und wie steht es mit der Vorratsdatenspeicherung, einem der Themen, das die Piraten erst groß gemacht hat? „Dazu habe ich mich nicht genug informiert“, sagt der eine, „Man muss nicht alles speichern“, der andere. Zur Netzneutralität erklären sie: „Ich bin nicht viel am PC und bin eigentlich immer skeptisch bei Datenaustausch“ und „Ich bin selten im Internet, überlege aber prinzipiell zweimal bevor ich einen Anhang öffne“. Irgendwann reicht es einer Piratin namens Lisa, sie fragt die beiden: Welche Themen aus dem Grundsatzprogramm kannst du aufzählen? Und was antworten die Kandidaten, die sich immerhin als Piraten-Vertreter für das höchste deutsche Parlament bewerben, unisono? „Nichts.“

Das kleine Baden-Württemberger Drama zeigt, wie sehr die Piratenpartei selbst von ihrem Aufstieg überfordert ist. Es scheint einfach nicht genug fähige Kandidaten für die vielen neuen Posten zu geben. Doch anstatt sich das einzugestehen und konsequenterweise auf einen Direktkandidaten zu verzichten, der ja sowieso keine realistische Chance hat, gewählt zu werden, ziehen die Piraten die Sache einfach durch: Am Ende der Sitzung wählen die drei akkreditierten Mitglieder mit zwei zu eins Stimmen Kurt Kreitschmann zu ihrem Bundestagskandidaten.

Bei der Piratenpartei ist das Protokoll der Sitzung übrigens mittlerweile in der Kategorie Popcorn abgespeichert. Darein gehören alle Seiten, die „für empfehlenswert heiter bis überschwänglich ausgelassen befunden wurden“. Der Schriftführer ist von all dem nur noch genervt: „Wer auch immer das Protokoll auf Satire gestellt hat: NEIN ES IST WIRKLICH DAS OFFIZIELLE PROTOKOLL“, twittert er, und: „Ich muss jetzt als Schriftführer rechtfertigen, warum Kandidaten doof und Wähler gewählt. Vielen Dank, das hebt meine allgemeine Laune.“

Anmerkung: In einer früheren Version war der Schriftführer versehentlich als Versammlungsleiter bezeichnet worden. Das ist nun korrigiert. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

 

Amerika nach den Parteitagen

Die Show ist den Demokraten gelungen. In Charlotte tagte vier Tage lang die Democratic National Convention und hielt beeindruckende Reden bereit, allen voran die des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton. Seine Rede bewegte nicht nur Parteianhänger, sie war auch darüber hinaus das zentrale Gesprächsthema in den USA. Clinton gelang es damit stellvertretend für Präsident Obama, die Mitte der Gesellschaft anzusprechen.

Den Höhe- und Schlusspunkt der Veranstaltung setzte Barack Obama mit einer engagierten Rede selbst. Es war die Rede eines Amtsinhabers, der in den letzten vier Jahren einen harten und steinigen Weg gegangen ist. Der in Zeiten wirtschaftlicher Krisen beileibe nicht alle seine Versprechen eingehalten hat und der um mehr Zeit bittet. Die Themen und der Rahmen des Wahlkampfes der Demokraten sind klug und klar abgesteckt: Es geht um Unterschiede in der Innenpolitik (Bildung und Gesundheit) und in der Außenpolitik. Im Gegensatz zu seinem Herausforderer Mitt Romney und dessen Vize Paul Ryan haben sowohl Bill Clinton als auch Barack Obama die amerikanischen Soldatinnen und Soldaten erwähnt, ihnen Respekt gezollt und große Anerkennung und ihnen Unterstützung bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft zugesichert – eine wichtige Geste, die in Tampa bei den Republikanern ausblieb.

Clinton und Obama entwarfen stellvertretend für die Partei, die sich als das „big tent“ begreift (das große Zelt, in dem alle Platz finden), ein Gesellschaftsbild, das sich klar von dem der Republikaner absetzt. Es geht darum, in welcher Gesellschaft die Amerikaner leben möchten: in einer, in der das „Wir“ großgeschrieben wird, oder in einer, in der das Individuum an erster Stelle kommt. Das Mantra des Bill Clinton hat Barack Obama leiser, aber nicht weniger nachdrücklich fortgesetzt. Es geht um mehr als parteipolitische Auseinandersetzung. Es geht um gemeinsames Lösen der anstehenden Probleme. Der Parteitag hat so gesehen gezeigt, worum es in einer Demokratie eigentlich geht.

Dabei soll freilich auch die andere Seite der demokratischen Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten nicht unerwähnt bleiben, die ebenso zu Spiel gehört. Obama konnte in seiner derzeitigen Position keine Rede halten wie noch 2008, deren Botschaft einzig seine Vision war. Vier Jahre später musste er sich an der politischen Realität abarbeiten – und auch an seinem Konkurrenten. Kampagnenstrategie und Umfrageergebnisse ließen es nicht zu, Mitt Romney zu ignorieren; stattdessen wurde er attackiert. Dies könnte der zweite Teil der Lehren sein, die gezogen werden können: Ambitionierte Ziele sind wichtig, aber man muss sie auch durchboxen.

Amerika nach den Parteitagen, was bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung? Ein leerer Stuhl für die Republikaner auf der einen Seite und eine Vision gepaart mit einer klugen Strategie der Demokraten auf der anderen. Dieser erste wichtige Schlagabtausch ging klar an die Demokraten.

 

Twitter-Shitstorm verdrängt die inhaltlichen Themen des GOP-Parteitags

von Ines Mergel

Der gerade zu Ende gegangene Parteitag der Republikaner in den USA zeigt: Twitter-Lawinen sind unaufhaltbar. Jeder noch so kleine Fehltritt eines Redners endet in einem Mem, das die Internetgemeinde begeistert.

Gleich zu Beginn des GOP-Parteitages fiel auf, dass sich Twitter.com mehr und mehr zu einem Medienunternehmen entwickelt hat, das tief in den Wahlkampf involviert ist. Der Hashtag #GOP2012 war auf allen offiziellen Flaggen des Tampa-Stadions platziert, unübersehbar und direkt nutzbar für jeden Teilnehmer mit einem Smartphone. #GOP2012 wurde sehr schnell zum „trending topic“ in den USA. Die Reden während des Parteitags beginnen und die Bevölkerung „tweetet“ während Romneys erstem Auftritt. Twitter zählt über 14.000 Tweets: Sechsmal so viele wie während des gesamten GOP-Parteitags in 2008. Mit ihrer vereinten Intelligenz nehmen Twitter-Nutzer in sekundenschnelle jede Redewendung auseinander, checken und gegenchecken jede Behauptung und posten schnell den Gegenbeweis für jede plumpe Lüge der Kandidaten, die sich dann wie ein Feuersturm rasend schnell im Netz verbreitet.

Besonders die Rede von Clint Eastwood wird von der Twitter-Gemeinde aufs Korn genommen und mit Hilfe des Hashtags #eastwooding in einem online Feuersturm lächerlich gemacht. Die Twitterparodie „Invisible Obama“ entsteht und zeigt, dass das Einreden auf einen leeren Stuhl – wie von Eastwood schauspielerisch dargestellt – nicht gut ankommt. Innerhalb weniger Minuten hat der Account mehrere zehntausend Follower hinter sich vereinigt, die bereitwillig Scherze auf Kosten des Stuhls verteilen. Hunderte mit Hilfe von Photoshop veränderte Versionen des leeren Stuhls kursieren im Internet. Jede Late-Night-Show geht auf die Varianten ein. Auch das Obama-Camp ist schnell und postet eine brillante Gegendarstellung mit der Unterschrift: „Dieser Stuhl ist bereits besetzt“.

Quelle: Twitter.com/BarackObama

Das Online-Fiasko ist sofort messbar: Mit dem Twitter-Index werden die Gefühlswelt der politisch interessierten Nutzer in Zusammenarbeit mit der Tageszeitung USAToday.com gemessen und die Stimmungslage visuell auf einer Skala von 1-100 dargestellt. Obwohl es wenige Informationen darüber gibt, wie gemessen wird, werden die resultierenden Zahlen laut Adam Sharp, Twitters Direktor für “Government News and Social Innovation” der Gallup-Umfrage-Qualität gleichgesetzt. Twindex misst, ob die Online-Gemeinde positiv oder negativ über die beiden Kandidaten tweetet. Alle Werte über 50 sind ein Indikator für eine positive Stimmungslage. Wurde Romney noch am ersten Parteitag mit einem Wert von 60 positiv besprochen, hat sich die Stimmung während des „Eastwooding“-Skandals schnell umgekehrt und sein Twindex fiel auf 35:

Quelle: election.twitter.com (31. August 2012)

Das gesamte Twitter-Archiv wird so in einer visuell ansprechenden Form in der oben gezeigten Graphik analysiert. Jedoch ist unklar, wie verlässlich diese Repräsentation ist. Twitter erläutert nicht, ob Twitterbots mit einbezogen werden, die zu tausenden automatisch Romney’s Twitterprofil folgen, oder ob ironisch gemeinte Tweets als positiv bewertet werden. Zur Zeit nutzen laut einer Pew Umfrage ca. 8% der Amerikaner, die online aktiv sind, Twitter. Sind also ebenso viele Schwarze, Latinos und Asiatisch-stämmige Amerikaner auf Twitter vertreten wie in der wahlberechtigten Bevölkerung? Diese Fragen bleiben offen und erst am Wahlabend wird klar werden, inwieweit die Online-Gemeinde die tatsächliche Stimmung der Wähler wiederspiegelt.

Die Lehren die aus dem GOP-Parteitag gezogen werden können: Twitter verstärkt jedes Wahlkampffiasko. Jeder Fehltritt wird unaufhaltbar in Online-Lawinen verteilt.

 

Dr. Ines Mergel ist Professorin für Verwaltungswissenschaften an der Maxwell School of Citizenship and Public Affairs (USA) und twittert über die Nutzung von sozialen Medien.

 

Mitt Romneys wichtigste Rede – erste Eindrücke und Fakten

Viel Kitsch, viele Emotionen und viel Entertainment – das war in den letzten Tagen in Tampa, Florida, auf dem Parteitag der Republikaner geboten. Ihr Präsidentschaftskandidat Mitt Romney ist bei seiner Rede zweifelsohne weniger hölzern aufgetreten als zuvor. Emotional und patriotisch; nach den geltenden Regeln amerikanischer Parteitage ein solider Auftritt. Doch wie ist die Krönungsmesse des Mitt Romney nüchtern betrachtet zu bewerten?

Die reinen Fakten sprechen auf den ersten Blick nicht für ihn: Seit 1900 haben nur fünf Herausforderer gegen amtierende Präsidenten gewonnen, 14-mal siegte der Amtsinhaber. Die Wirtschaftsdaten, der entscheidende Indikator für die Leistung der Regierung, erfüllen zwar die Hoffnungen nicht, die Obama im letzten Wahlkampf geweckt hat – aber noch kann Romney dies nicht nutzen. Die schleppende Wirtschaft wird zumindest momentan noch eher Obamas Vorgänger, George W. Bush, angekreidet und nicht dem derzeitigen Präsidenten.

Auch Romneys innerparteiliche Unterstützung war bislang wenig solide. Dies lässt sich unter anderem an den „Endorsements“ ablesen, an den verbalen Unterstützungen, die aus den eigenen Parteireihen kommen Die aufgeführte Graphik zeigt vergleichend auf, dass es Romney hier vor dem Parteitag sehr deutlich an Unterstützung aus den eigenen Reihen mangelte.

Dies war somit eine der wichtigsten Funktionen des Parteitages überhaupt: Die eigenen Parteifreunde überzeugen. Und immerhin: Nicht nur Vize-Kandidat Paul Ryan als Hardliner und Liebling der Tea-Party, sondern auch Hoffnungsträger des moderaten Flügels wie Chris Christie oder Marco Rubio hatten symbolträchtige Auftritte. Dass derart exponierte Rolle zugleich Risiken bergen können, zeigt Vizepräsidentschaftskandidat Ryan. Mit steigendem Bekanntheitsgrad ging ein sinkender Beliebtheitsgrad einher:

Nichtsdestotrotz versammelte sich in Tampa ein breites Feld an Unterstützern für Mitt Romney, das neben jungen und arrivierten Stars der Partei auch einige der ehemaligen Konkurrenten um die Nominierung umfasste. Romney ist so seinem Ziel näher gekommen: Er wird aus allen Teilen der Partei sichtbar unterstützt – auch wenn es zugleich noch immer kaum übersehbare Skepsis geben mag.

Das zeigt: Mitt Romney ist nicht zu unterschätzen, obwohl (oder gerade weil?) er die Herzen nicht im Sturm erobert, aber beharrlich daran arbeitet, diese Schwäche auszugleichen. Er hat sich im Vorwahlkampf um die Nominierung gegen ein Feld an Mitkonkurrenten durchgesetzt, das man beachtlich nennen muss (u.a. fünf ehemalige Gouverneure, zwei Abgeordnete des Repräsentantenhauses, ein ehemaliger Senator), auch wenn einige profilierte Republikaner wie die oben genannten nicht antraten, sondern bereits auf 2016 blicken.

Durch seine Kandidatur im Jahre 2008 genoss er schon früh im Wahlkampf einen hohen Bekanntsheitsgrad, der zwar auch zwiespältig sein kann, aber vor allem für das Einwerbung von Spenden von enorm hoher Bedeutung ist. Daraus, ebenso wie aus dem Vorwahlkampf, hat er viel gelernt. Er musste bereits auf viele kritische Äußerungen zu seiner Person, seine Karriere als Hedge-Funds-Manager, seine Religion, sein Elternhaus, seine Bilanz als Gouverneur von Massachusetts und vieles mehr reagieren und ist dadurch bestens vorbereitet auf das, was im Herbst auf ihn zukommen wird.

Ohne Frage: Er ist kein rhetorisches Talent, ihm fehlen Erfahrung und politisches Profil in vielen Bereichen. Aber haben wir das nicht schon einmal gesehen? Mit einer geölten Wahlkampfmaschinerie trat 2000 ein politischer Neuling aus gleichsam gutem und traditionsreichem Hause auf die Bühne und nahm den Kampf gegen ein wahres Schwergewicht der Demokratischen Partei und international anerkannten Umweltschützer auf – der Rest der Geschichte ist bekannt. Diese Erfahrung steckt den Demokraten noch in den Knochen…

 

Die Daten sind entnommen aus der Studie „The Gamble: Choice and Chance in the 2012 Presidential Election“ von John Sides und Lynn Vavreck.