Nicht einmal mehr ganze drei Wochen sind es noch bis zur Bundestagswahl. Und mittlerweile haben alle im Bundestag vertretenen Parteien neben ihren regulären Wahlprogrammen auch Kurzfassungen dieser Programme vorgelegt. Dass dies keinesfalls eine Selbstverständlichkeit war, zeigt ein Blick auf vergangene Wahlkämpfe: Noch im Wahlkampf 2005 veröffentlichte lediglich die FDP eine Kurzversion ihres Wahlprogramms. Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim haben nun auch die Verständlichkeit dieser Kurz-Wahlprogramme untersucht, nachdem Sie vor zwei Monaten bereits die Langfassungen der Wahlprogramme einem Verständlichkeitstest unterzogen hatten.
Das wichtigste Ergebnis der Hohenheimer Studie: Im Vergleich zu den Langfassungen erhöht sich die Verständlichkeit bei den Kurzprogrammen bei allen Parteien. Am deutlichsten fällt dieser Befund allerdings bei der Linken aus: Hier schneidet das Kurzprogramm auf der Hohenheimer Verständlichkeitsskala von 0 (überhaupt nicht verständlich) bis 20 (sehr verständlich) fast 10 Punkte besser ab als die Langfassung. Dieser Befund führt zu dem Umstand, dass die Verständlichkeitsrangfolge der Parteien bei den Kurzprogrammen – wiederum im Vergleich zur Analyse der Langfassungen – durcheinander gewirbelt wird: Ganz vorne rangiert nun die Linke (die bei den Langfassungen noch am schlechtesten von allen Parteien abgeschnitten hatte), ganz hinten SPD und Union.
Zusätzlich zu den Lang- und Kurzfassungen haben fast alle Parteien auch noch weitere Ausgaben ihrer Programme veröffentlicht. So bieten mit Ausnahme der FDP alle Parteien auch Wahlprogramme in „leichter Sprache“ (d.h. barrierefreier Sprache für Menschen mit Behinderungen) an. Diese erreichen auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex zwar ausnahmslos die vollen 20 Punkte, über die Angemessenheit des hierbei vermittelten Informations- und Sprachniveaus wird jedoch zumindest bei der Linken bereits gestritten. Trotz dieser Problematik bleibt festzuhalten: Alle Parteien bemühen sich in diesem Wahlkampf ganz besonders auch um Wähler mit Behinderungen. So kann man sich die Programme von Union, SPD und FDP auch als Hörbuch bzw. Download anhören oder als Video in Gebärdensprache anschauen. Die Union bietet darüber hinaus sogar die kostenlose Bestellung eines Programms in Braille-Schrift für blinde Wähler an. Bei der Linken und den Grünen gibt es diese Angebote zwar nicht, doch findet sich hier zumindest das bereits erwähnte Programm in leichter Sprache. Auch Wähler mit Migrationshintergrund werden bei allen Parteien bis auf die Grünen mit Übersetzungen der Kurzprogramme angesprochen. Am internationalsten gibt sich hier FDP: Diese bietet ihr Kurzprogramm gleich in sieben weiteren Sprachen an, darunter chinesisch, russisch, türkisch und polnisch.
Fazit: Betrachtet man die Ergebnisse der Hohenheimer Forscher, so drängen sichvor allem zwei zentrale Feststellungen auf. Erstens haben mittlerweile alle Parteien Menschen mit Behinderungen und Bürger mit Migrationshintergrund als potenzielle Wähler entdeckt, auch wenn sie diese noch mit unterschiedlich starkem Engagement und teilweise fragwürdiger Kompetenz umwerben (hier überrascht insbesondere das vergleichsweise zurückhaltende Engagement der Grünen). Zweitens zeigt sich, dass sich die Funktion von Wahlprogrammen im Vergleich zu früheren Wahlkämpfen entscheidend gewandelt hat. Die Originalfassungen der Wahlprogramme scheinen heute vor allem ein Kommunikationsmittel zwischen parteiinternen und -externen Experten (Parteifunktionäre, -mitglieder, und Journalisten) darzustellen, während die Kurzprogramme nun offensichtlich die eigentlich zentralen Funktionen von Wahlprogrammen erfüllen sollen, nämlich die der (allgemein verständlichen) Werbung, Profilierung und Agitation.