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Merkelbonus und Steinmeiermalus

Die Bundestagswahl ist entschieden. Das Ergebnis ist letzten Endes klar und deutlich ausgefallen. Union und FDP haben gewonnen, die SPD ist abgestürzt. Es wäre dumm, das Ergebnis auf nur einen oder wenige Faktoren zurückzuführen. Es gab – zumindest in der Wahrnehmung der Bürger – ganz offenbar Abnutzungserscheinungen der SPD in Regierungsverantwortung, die sich unter anderem in Kompetenzverlusten im Vergleich zu 2005 bei der Steuerpolitik (-12 Prozentpunkte), der Rentenpolitik (-11) und der Wirtschaftspolitik (-10) ausdrücken (Zahlenangaben hier und nachfolgend aus Veröffentlichungen der Forschungsgruppe Wahlen). Andererseits war man mit der SPD in der Regierung 2009 sogar etwas zufriedener (Mittelwert auf +5/-5-Skala: 1,0) als noch 2005 (0,8). Insofern könnte man sagen: Danke SPD, war schon okay, aber jetzt wollen wir etwas Neues.

Neu war vor allem der Kandidat nicht, und er konnte auch nichts „reißen“. Blickt man auf die Frage nach dem „gewünschten Bundeskanzler“ im Zeitverlauf, dann zeigt sich, dass Frank-Walter Steinmeier der schlechteste Kandidat der SPD seit 1969 gewesen ist. Trösten mag ihn in diesem Zusammenhang lediglich, dass es ein gewisser Willy Brandt war, der damals noch schlechtere Werte als er selbst bekam. Aber ohne Kandidatenbonus, den nach 1969 Brandt, Schmidt und Schröder hatten, kann eine SPD nicht punkten. Lediglich ein Drittel der Wahlberechtigten wollten Steinmeier als Bundeskanzler. Das reicht nicht.

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Blickt man dagegen auf die Union, dann stellt man fest, dass Angela Merkel 2009 in schwindelerregende Höhen vorstoßen konnte. Lediglich Helmut Kohl erhielt im Jahr der Einheit (1990) einen Präferenzwert von 56% – Angela Merkel nun auch. Der Sieg des bürgerlichen Lagers trägt demnach auch den Stempel „Merkel“. Dagegen fallen Steinmeiers Werte sogar im Vergleich zu den Werten der meist weniger beliebten Unionskandidaten negativ heraus. Lediglich Barzel im Jahr 1972 und Strauß 1980 erhielten weniger Zustimmung. Selbst Edmund Stoiber erhielt 2002 keine schlechteren Werte als 2009 Steinmeier.

Die Wahlschlappe der SPD trägt demnach auch den Schriftzug „Steinmeier“. Natürlich hat er alles gegeben, und natürlich gab es keine richtige Alternative zu ihm. Aber unverbraucht, so wie Brandt 1969, ist Steinmeier nicht mehr. Egal welche Funktion er in der SPD noch einnehmen wird, die Niederlage des Jahres 2009 wird er nicht so schnell aus den Kleidern schütteln können.

 

Schwarz-gelb in Berlin und Kiel, aber was kommt in Erfurt, Potsdam und Saarbrücken?

Während die Koalitionsbildung auf Bundesebene und in Schleswig-Holstein sich aufgrund des in Berlin klaren, in Kiel jedoch knappen Wahlerfolgs von Union und FDP wohl relativ einfach gestalten wird (wenn auch einige inhaltliche Konfliktfelder die Verhandlungen erschweren werden), so ist nach wie vor die Regierungsbildung in Thüringen, dem Saarland und in Brandenburg, wo am vergangenen Sonntag ein neuer Landtag gewählt wurde, eine offene Frage. Die Parteien in Thüringen und dem Saarland haben explizit den Wahlausgang vom 27. September abgewartet, um zum einen durch ihre Entscheidungen nicht die Wahlkampfstrategie der Bundesparteien zu durchkreuzen. Zum anderen aber auch, um die künftigen Machtkonstellationen auf Bundesebene abzuwarten. Diese haben sich mit dem Sieg von schwarz-gelb bei den Bundestagswahlen und bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein deutlich verschoben: So wird sich nicht nur die Zusammensetzung der Bundesregierung von schwarz-rot zu einer christlich-liberalen Koalition ändern, sondern Union und FDP werden durch den Sieg in Kiel auch im Bundesrat über eine – wenn auch knappe – Mehrheit verfügen.

Welche Effekte haben diese neuen Rahmenbedingungen für die Regierungsbildung in Thüringen und dem Saarland, wo bislang nur Sondierungsgespräche zwischen den Parteien stattgefunden haben, und in Brandenburg, wo die SPD zwischen Union und der Linken als dem künftigem Koalitionspartner wählen kann? Man kann erwarten, dass auf Seiten der Sozialdemokraten ein Anreiz besteht, sich zum einen neue Koalitionsoptionen mit der Linken langfristig zu eröffnen und daher Bündnisse mit dieser Partei in den Ländern verstärkt einzugehen. Zum andern würde die Bildung von Koalitionen mit der CDU die Chancen zur Etablierung einer SPD-Blockademacht im Bundesrat mittelfristig senken: die Bildung von so genannten „C-Koalitionen“ und damit solchen Landesregierungen, die sich aus Parteien zusammensetzt, die auf Bundesebene dem Regierungs- als auch dem Oppositionslager angehören, sollte von Seiten der SPD weniger wünschenswert sein als „B-Koalitionen“, die sich ausschließlich aus den bundespolitischen Oppositionsparteien formieren.

Auf der Grundlage aller Regierungsbildungen in Bund und Ländern lassen sich mit Hilfe multivariater statistischer Analysen die Determinanten der Koalitionsbildung in Deutschland ermitteln und auf dieser Basis auch die Wahrscheinlichkeiten für alle potentiell möglichen Koalitionen berechnen. Für Brandenburg, das Saarland und Thüringen ergibt sich – gegeben eine Regierungsübernahme durch Union und FDP in Berlin und Kiel – in Tabelle 1 angetragenes Bild.

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionen bei CDU/CSU-FDP-Bundestagsmehrheit

  Brandenburg Saarland Thüringen
CDU und SPD 49,4% 32,1% 50,0%
SPD und Linke 47,4% 0,1% 38,6%
SPD-Minderheits-
regierung
0,7% 0,1% 0,2%
CDU-Minderheits-
regierung
0,1% 4,4% 6,4%
SPD, Grüne und Linke 0,2% 13,7% 0,2%
CDU, FDP und Grüne 0,1% 36,7% 0,6%
CDU/FDP-Minderheits-
regierung
0,0% 11,1% 0,8%

 

Es zeigt sich, dass die Regierungsbildung in den drei Bundesländern alles andere als ausgemacht ist. In Brandenburg ist die Wahrscheinlichkeit, dass die amtierende Koalition aus SPD und CDU im Amt bleibt, nur geringfügig größer als die Bildung eines Bündnisses zwischen SPD und der Linken. Dies überrascht insofern nicht, als dass unter einem schwarz-roten Bündnis Brandenburg ein „C-Land“ würde, während es im Bundesrat zu den „B-Ländern“ zählen würde, wenn sich dort eine rot-rote Koalition bilden würde. In Thüringen ist hingegen die Bildung einer CDU/SPD-Koalition deutlich wahrscheinlicher als alle anderen Varianten. Die angestrebte rot-rot-grüne Koalition ist aus Sicht der Koalitionstheorien auch deswegen so extrem unwahrscheinlich, weil es sich um eine übergroße Koalition handeln würde: die Grünen werden zur Erringung einer Mehrheit im Landtag nicht benötigt. Ein Bündnis zwischen Linken und SPD rangiert mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 39% recht deutlich hinter der Koalitionsoption aus CDU und Sozialdemokraten.

Das Saarland stellt den unübersichtlichsten Fall dar. Aufgrund der Schätzungen ergibt sich eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen als wahrscheinlichste Variante (36,7%). Die Chancen zur Bildung einer – bislang nicht in Saarbrücken diskutierten – großen Koalition aus Union und SPD sind jedoch nur leicht niedriger (32,1%). Deutlich geringer fällt hingegen die ermittelte Wahrscheinlichkeit für die Bildung der ersten rot-rot-grünen Koalition in einem westdeutschen Bundesland aus: sie liegt bei knapp 14%. Man darf also nach wie vor gespannt sein, für welche farblichen Konstellationen sich die Parteien in den drei Ländern entscheiden.

 

Wer wo triumphierte, scheiterte und warum

Eine ganze Menge Polit-Promis haben gestern den direkten Einzug in den Bundestag nicht geschafft. Vor allem, natürlich, bekannte Genossen. Unter anderem Andrea Nahles, Ulla Schmidt oder Wolfgang Thierse. Hier der Link zur Übersicht von Tilman Steffen.  Eine Ergänzung dazu: Der Freiherr zu Guttenberg ist nicht nur Stimmkreiskönig Bayerns, sondern der ganzen Republik.

 

Erststimmen-Übersicht

Anhand von Deutschlands Wahlkreis-Karte (bezogen auf die Erststimmen) erkennt man besonders deutlich, dass sich etwas in der Republik verschoben hat. Früher war das Land dreifarbig: rot im Westen und Norden, blau-weiß im Süden und schwarz im Südwesten. Inzwischen hat das Land vier Farben – und einen kleinen grünen Einsprengsel. Vor allem das Schwarz hat zu- und das Rot abgenommen. Immerhin: einen gelben Wahlkreis gibt es noch nicht.

 

OSZE hat nichts zu beanstanden

Die nach Deutschland entsandten OSZE-Wahlbeobachter haben die Kooperation der Behörden bei der Bundestagswahl gelobt. „Es gab auf allen Ebenen eine sehr gute Zusammenarbeit“, sagte Paul O’Grady, der stellvertretende Chef der Expertengruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), am Montag in Berlin. So hätten die sieben deutschlandweit tätigen Beobachterteams am Wahltag keine Probleme beim Zugang zu Wahllokalen gehabt. Die OSZE hatte erstmals eine Wahl in Deutschland beobachtet. In rund zwei Monaten soll ein Abschlussbericht vorliegen.

 

Hamburgs SPD-Chef tritt zurück

Was der Chef der Bundes-SPD noch hinauszögert, hat der Vorsitzende der Sozialdemokraten in Hamburg inzwischen vollzogen: seinen Rücktritt. Ingo Egloff zog damit die Konsequenzen aus dem Wahlergebnis in der Hansestadt: Dort war die SPD am Sonntag von 38,7 auf 27,4 Prozent abgestürzt. „Als
Landesvorsitzender trage ich die politische Verantwortung für die schlimme Niederlage der Hamburger SPD bei der Bundestagswahl 2009″, zitiert dpa Egloff.

 

Weiter Personaldebatte bei der SPD

Die Spekulationen um die Zukunft von SPD-Chef Franz Müntefering reißen nicht ab. Die Nachrichtenagentur dpa meldet, die Entscheidung im Parteivorstand wurde vertagt. Die „Rheinische Post“ aus Düsseldorf hingegen will wissen, dass Kanzlerkandidat Steinmeier auf dem Parteitag Mitte November in Dresden dessen Nachfolge an der Spitze der SPD antrete Olaf Scholz, Klaus Wowereit, Sigmar Gabriel, Andrea Nahles sowie Hannelore Kraft sollen demnach seine Stellvertreter werden.

 

Seehofer sucht die Schuld bei der FDP

CSU-Chef Horst Seehofer glaubt, dass das schlechte Abschneiden seiner Partei (42,6 Prozent gegenüber 49,2 Prozent 2005) mit der Stärke der Union zu tun hat. Viele Unions-Anhänger hätte ihre Zweitstimme der FDP gegeben, um eine schwarz-gelbe
Koalition abzusichern, sagte er dem Fernsehsender Phoenix.

Der frühere CSU-Vorsitzende Erwin Huber machte dagegen den jüngsten politischen Kurs der eigenen Partei für das Wahlergebnis verantwortlich. „Damit ist ein Nimbus gebrochen, den wir in Jahrzehnten aufgebaut haben – von Franz Josef Strauß über Theo Waigel bis Edmund Stoiber“, sagte Huber der Leipziger Volkszeitung.

 

Südwest-SPD: Vogt deutet Rückzug an

Die SPD hat bundesweit ein Debakel erlebt. Besonders schlimm verlief die Wahl aber in Baden-Württemberg. Dort stürzten die Sozialdemokraten von 30,1 auf 19,3 Prozent und stehen nun nur noch knapp vor der FPD, die 18,8 Prozent erreichte.

Die baden-württembergische SPD-Vorsitzende Ute Vogt deutete inzwischen ihren Rückzug an. Das katastrophale Wahlergebnis mache eine „grundlegende Erneuerung“ in der Partei nötig, von der sie sich selbst nicht ausnehme, teilte Vogt dem Landesvorstand und den SPD-Kreisvorsitzenden im Südwesten per Brief mit.

Ursprünglich wollte die seit 1999 amtierende SPD-Landeschefin beim Landesparteitag im November in Karlsruhe erneut für das Amt kandidieren.