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Konservativer Künstler

Berlin, Gedächtniskirche: Ein Porträtmaler bietet ein Bild von Angela Merkel an. Mit dem Preis geht er auch kurz vorm Schluss der Wahllokale nicht runter. Er scheint sicher zu sein, dass sie Kanzlerin bleibt. Auf dem Bild zumindest lächelt Merkel vorsichtig optimistisch.

 

Live aus den Parteizentralen

Die Parteispitze wird gemeinsam vorm Fernseher sitzen, im fuenften Stock im Praesidiumszimmer. Hessens MP, Roland Koch, ist schon da, auch Forschungsministerin Annette Schavan. Erwartet wird ausserdem Niedersachens MP Wulff. Und natuerlich werden Merkel da sein und ihr Generalsekretaer

 

Gleich geht’s lohos

Eine Stunde vor dem offiziellen Beginn der CDU-Wahlparty herrscht im Konrad-Adenauer-Haus, der Berliner Parteizentrale, schon reges Treiben. 3000 Gaeste werden erwartet, 1100 Journalisten sind angemeldet. Um dem Ansturm Herr zu werden, wurde das Gebaeude um ein riesiges schlauchartiges Zelt erweitert. Der Wein, der schon jetzt ausgeschenkt wird, kommt von der suedlichen Weinstrasse, der Sekt aus dem Osten. Auf den Bildschirmen bisher nichts, nur der telefonierende Parteisprecher.

 

Merkel wählt in Schwarz-Rot

Merkel und Steinmeier haben gewählt!

Bei der Wahlbeteiligung könnte sich ein neuer Rekord abzeichnen – ein Negativ-Rekord. Nur gut ein Drittel der Wahlberechtigten konnten sich bislang aufraffen, ins Wahllokal zu gehen. So wenige wie nie.

Woran liegt’s? Wetter zu gut? Keine Lust?  Zumindest Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier sind ihrer bürgerlichen Pflicht nachgekommen und waren wählen.

Der Herausforderer war Erster: Punkt 10.00 Uhr wurde Steinmeier im anthrazit-blass-rosa-getreiften Sonntagsanzug – geradezu experimentell für Steinmeiersche Verhältnisse – im Wahllokal in Berlin gesichtet.

Angela Merkel hat offenbar lieber ausgeschlafen. Gegen 13.30 Uhr warf sie ihren Stimmzettel in die Urne. Aber beim Outfit hat sie sich wohl vergriffen. Rot-Schwarz? Na, wenn das mal kein Omen ist!

 

Frühaufsteher Westerwelle

Der FDP-Chef war heute Morgen einer der ersten Wähler. Während die Kanzlerin vermutlich noch frühstückte – ganz gemütlich machte sie ihr Kreuz erst um 13 Uhr in der Humboldt-Uni –,  besuchte Guido Westerwelle bereits sein Wahllokal in seiner Heimatstadt Bonn. Ob ihm der Gedanke an die erste Hochrechnung den Schlaf geraubt hat? Womöglich. Hinzu kommt, dass er heute noch rechtzeitig nach Berlin kommen muss. Der Flieger startete bereits. Die FDP-Party findet wegen großen Andrangs erstmals nicht in der Parteizentrale statt, sondern in den Römischen Höfen, einem Prachtbau in Berlin-Mitte. Westerwelle ist sich sicher: Die „letzten Stunden der Opposition“ seien nun für die FDP angebrochen, sagte er auf einer Abschlusskundgebung in Köln.

 

Noch drei Stunden: Der Blick zurück lässt Spannung erwarten!

Wie war das eigentlich vor vier Jahren? Einerseits viele, viele Unentschlossene bis spät in den Wahlkampf hinein, andererseits ein Ergebnis am Wahlabend, das deutlich von den zuvor berichteten Umfrageergebnissen abwich. Hängen beide Phänomene zusammen? Ja! Die folgende Grafik zeigt es: Auf der Grundlage einer Wählerbefragung nach der Wahl (die im Rahmen des Projektes „Kampagnendynamik 2005“ durchgeführt wurde) wird ersichtlich, ob und wie sich das Wahlverhalten 2005 danach unterscheidet, wann Wähler sich für eine Partei entschieden haben. Und diese Unterschiede sind erheblich!

Wahlentscheidung aufgeschlüsselt nach dem Zeitpunkt der Wahlentscheidung

2005

Menschen, die sich nach eigenen Angaben schon bei Ankündigung der Neuwahl 2005 im Mai für eine Partei entschieden hatten, verteilen ihre Stimmen völlig anders auf die Parteien als es Wähler getan haben, die sich erst im Laufe des Wahlkampfes (und potenziell sogar erst in der absoluten Schlussphase) getan haben.

Besonders markant sind die Unterschiede für die Union: Bei den „Frühentscheidern“ (bei denen es sich um die berühmten „Stammwähler“ handeln dürfte), kommt sie auf über 40 Prozent, während sie in den anderen beiden Gruppen nur auf 24 Prozent kommt. Umgekehrt konnten Grüne und FDP auf der Zielgeraden deutlich an Zuspruch hinzugewinnen.

Wie es dieses Mal sein wird, wissen wir derzeit noch nicht (außer den wenigen Privilegierten, die die Ergebnisse der Exit Polls schon kennen, natürlich…). Angesichts des hohen Ausmaßes an Unentschlossenheit, das auch dieses Mal allseits berichtet wurde, ist aber für Spannung gesorgt, sicherlich und gerade auch bei den Bewohnern von Demoskopia.

 

Polizeieinsatz am Wahllokal

Wahllokal Berlin-Schöneberg, 11 Uhr früh. Polizeieinsatz. Wer die beiden Beamten gerufen hat, ist nicht zu ermitteln. Ihre Mission: das Plakat des Wahlkreis-Kandidaten der Union an der Laterne vor dem Gemeindezentrum zu entfernen. Es hängt offenbar zu dicht am Wahllokal, die Bürger könnte das in letzter Minute beeinflussen. Eine Leiter wird herbeigeschafft, nun klettert der Polizist hinauf. Minuten später ist die Ordnung wieder hergestellt…

 

Steini, der Sexgott, und Westerwelle, der Kanzler

Von Tina Groll

Manche nennen es Wahlkampf für die Twitter-Generation, das ist dann elitär gemeint. Andere finden es total „obamaesk“, was wohl Spitze heißt: Lustige Politspots, Wahlkampfsongs oder Animationen im Netz. Geeignet, um sich den Sonntagnachmittag bis zur ersten Hochrechnung zu vertreiben, sind die kurzweiligen Clips jedenfalls.

Wer hätte gedacht, dass Steinmeier junge Frauen schlaflose Nächte bereitet? Das zumindest behauptet das dralle Steini-Girl – eine angeblich 22-jährige Jura-Studentin, die in ihrem Liebeslied den SPD-Kandidaten anschmachtet und ihm zu ihrem liebsten „Toy-Boy“ erklärt. Endlich mal etwas Erotik für den sonst so drögen Wahlkampf. Hinter dem sexy Clip stecken jedoch nicht die Sozialdemokraten, sondern das Videoportal Sevenload. Für die Sängerin, die sich mit knappen Höschen an einem Steinmeier-Pappaufsteller räkelt, hat sich das Video schon vor der Wahl gelohnt. Sie ist im Netz zu einiger Bekanntheit gekommen, und auch von einem Plattenvertrag soll bereits die Rede sein. Die SPD dagegen ist über das laszive Video not amused und befürchtet, dass das Video ältere Wähler vergraulen könnte.

Vielleicht täte etwas Gelassenheit gut? Immerhin ist die Idee aus den USA geklaut. Dort unterstützte die Sängerin Amber Lee Ettinger mit Videos in ähnlicher Aufmachung Barack Obama bei der Präsidentschaftswahl. Der Clip soll Obama geholfen haben. Anders als das Liebeslied vom Steini-Girl war ihr Song „Crush on Obama“ jedoch kein Werbefake.

Kein Fake, dafür aber ein gelungener Loriot-Remake ist dagegen der Clip „Szenen einer Ehe“ von den Grünen. Zu sehen sind Guido Westerwelle und Angela Merkel als Loriot-Figuren – jedoch im Rollentausch. Während Guido die Hausfrau in der Küche mimt und Angela zum Regieren animieren möchte, sitzt die Kanzlerin relaxt im Sessel. „Ich möchte einfach nur hier sitzen.“

Sich selbst aufs Korn nehmen dagegen die Jungen Liberalen in ihrem Clip „Die reine Wahrheit“. Der Spot zeigt eine Reihe stolzer Nachwuchsliberaler: „Wir fordern marktgläubig als religiöse Ansicht bei Facebook einzuführen“, sagen sie. Oder: „Wir bügeln unsere Jeans – und unsere Hemden, die wir immer in die Hose stecken sowieso.“ Leider fällt das Video zum Ende durch ernsthafte Forderungen etwas ab.

Was passieren kann, wenn man sein Kreuzchen für die FDP macht, zeigt ein personalisierbarer Spot der IG Metall. Mit nur einer einzigen Stimme zieht Guido Westerwelle ins Bundeskanzleramt ein – behauptet jedenfalls der freundliche Nachrichtensprecher in dem fiktiven Programm Nachrichten-TV24.de. Demnach war ein einziger Nichtwähler für den Sieg Westerwelles entscheidend – auf den sich die geballte Wut der Nation in den Tagen nach der Wahl richtet.

Der Spot ist zwar lustig, inhaltlich jedoch etwas widersprüchlich. Zum einen wird behauptet, alle Bürger seien wählen gegangen, zum anderen wird dem Nicht-Wähler vorgehalten, er habe durch seine Passivität über den Ausgang des Urnengangs entschieden. Aber immerhin: Das Video kann mit den Namen von Freunden versehen und weitergeleitet werden – auf die Mobilisierung kommt es der IG Metall wohl vor allem an.

Mobilisiert hat auch der Song „Wähl auch Du, CDU im Jahr 1972. Hach, herrlich. Damals war der schmissige Gassenhauer das offizielle Wahlkampflied. Nicht nur die eingängige Melodie zeichnet das Lied als Ohrwurm aus – auch in seiner sprachlichen Klarheit überzeugt das Lied: „Wähl auch Du, CDU. Ich weiß längst schon, was ich tu. Was denn sonst? CDU!“

Und wenn das sehr viele Wähler tun werden, gibt es am Sonntag noch einen Song zum Mitgrölen: Lady Kanzler mit dem Hit „Pokerface.

 

Merkel und ihre Partei

Bei der Lektüre der Samstagszeitung fällt der Blick auf eine Wahlwerbeanzeige der CDU. Die Kanzlerin in lichtgrün, die Hände in Wort-zum-Sonntag-Haltung. Der Text: „Wer Angela Merkel stärken will, muss CDU wählen.“

Wie jetzt? Das hätten wir nun aber nicht gedacht. Angela Merkel wollen… CDU wählen… Ja, wen denn sonst?

Zugleich kommen Selbstzweifel auf: Haben wir in den Analysen den vergangenen Wochen eine Konstellation übersehen, eine mögliche Wahltaktik ignoriert, wonach auch eine Stimme für SPD, Grüne, Linkspartei die Kanzlerin stärken würde, weil…

Wer FDP wählte, würde Merkel zumindest nicht schaden, was eine mögliche künftige Koalition betrifft. Denn beide haben sich bereits zueinander bekannt.

Insofern erinnert der christdemokratische Last-Minute-Slogan in seiner Schlichtheit an die Schieflage von Steinmeiers „Arbeit für morgen“. Vergessen blieb dabei, was er den Arbeitslosen von heute bietet. Parallelen kamen auf zu dem Spruch, den Kneipenwirte an den Biertresen hängen, um den Anschein von Hoffnung und Zuversicht zu verbreiten: „Morgen Freibier!“.

Morgen ist nun erst einmal Wahl.

 

Neues aus Demoskopia

Wahlabend 2005, 18 Uhr: Der Balken der Union beginnt zu steigen, bleibt aber bereits bei 35 Prozent stehen. Ein technisches Problem? Immerhin waren der Union über 40 Prozent der Stimmen vorhergesagt worden! Nein, kein technisches Problem, zumindest nicht der Sendetechnik. Eher schon der Demoskopen: Wenig verwunderlich wurden sie im Nachgang der Wahl als die „eigentlichen Wahlverlierer“ identifiziert (diesen Eindruck machten sie auch selbst vor der Bundespressekonferenz am Morgen danach), während sich die SPD am Ende ihres Wahlkampfes als „Umfragesieger-Besieger“ brüsten konnte.

Dieses Mal haben die Demoskopen gelernt – auch wenn die Süddeutsche Zeitung heute schon vorgreifend fragt: „Wieder eine Blamage für die Demoskopen?“. Nicht nur der Wahlkampf 2009 war weichgespült, auch die Demoskopen. Allseits wird auf die hohe Zahl der Unentschlossenen verwiesen, die Prognosen kaum möglich erscheinen lassen – wobei die Demoskopen den Begriff der „Prognose“ ohnehin scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung im letzten Deutschlandtrend der ARD, als die Ergebnisse der Sonntagsfrage mit einem fetten Stempel „keine Prognose“ versehen wurden. „Ein aktuelles Stimmungsbild“ sei dies lediglich, niemals aber eine Prognose, erläuterte Jörg Schönenborn.

Ganz Demoskopia ist also von Softies besetzt. Ganz Demoskopia? Nein! Ein Demoskop steht seinen Mann. Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen gibt im Tagesspiegel seine Prognose (oder die der Forschungsgruppe Wahlen?) für den Ausgang der Wahl ab: „’Es gibt keine Trendumkehr’, sagte Institutschef Matthias Jung dem Tagesspiegel. Schwarz-Gelb werde eine knappe, aber sichere Mehrheit gewinnen, die SPD dagegen mit maximal 25 Prozent ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis im Bund einfahren.“ Dies sind mindestens zwei klare Aussagen über den zu erwartenden Ausgang der Bundestagswahl.

Die Prognose Jungs überrascht in mehrfacher Hinsicht:

1. Seitens der Forschungsgruppe Wahlen und des ZDF spricht man üblicherweise von „Projektionen“, auch dort scheut man den Begriff der Prognose. Nur: Diese Aussage ist eindeutig eine Prognose – und dies in zweierlei Hinsicht: (Sitz-)Mehrheit für schwarz-gelb, maximal 25 Prozent für die SPD – und dies trotz der weiterhin hohen Unentschlossenheit.

2. Worauf beruhen diese Aussagen? Ein neues (veröffentlichtes) Politbarometer gab es diese Woche nicht. Handelt es sich demnach um eine subjektive Einschätzung, sozusagen um privates Zahlenmaterial? Falls dem so sein sollte, würde man schon gerne wissen, was bei der Untersuchung insgesamt herauskam: Wie steht es um die Parteistärken, die Kanzlerpräferenz, Probleme und Lösungskompetenzen? Man weiß es nicht.

3. Es ist zu vermuten, dass Jungs Aussagen auf Umfragen beruhen, die von der FGW diese Woche durchgeführt wurden und vom ZDF – also von uns Gebührenzahlern – finanziert werden. Nun hatten sich aber ARD und ZDF in gegenseitigem Einvernehmen verpflichtet, in der Woche vor der Wahl keine neuen mehr Zahlen herauszugeben. Warum macht man hier eine – zudem höchst selektive – Ausnahme? Hat das ZDF entschieden, diese Abmachung zu brechen oder handelt es sich um einen Alleingang von Herrn Jung und/oder der Forschungsgruppe? Sehr merkwürdig.

Schließlich muss man die Objektivität der Jungschen Aussagen hinterfragen. Was meint er mit mit „knapp aber sicher“? Entweder ist es knapp oder es ist nicht knapp. Entweder ist es sicher oder unsicher. Falls Jung meint, dass der Ausgang zwar knapp wird, Union (und FDP) aber durch Überhangmandate deutlich gewinnen werden, dann sollte er es auch so sagen. Noch abenteuerlicher ist die Aussage „keine Trendumkehr“. Wie bitte? Seit Januar 2009 liegen Union und FDP in der Projektion des Politbarometer bei 48 bis 51 Prozent und die SPD bei 23 bis 27 Prozent. Wo ist da ein Trend? Wenn es einen Trend der Umfragen der letzten Wochen gibt, dann einen positiven für die SPD – übrigens auch im Politbarometer.

Eine Trendumkehr aber gibt es in jedem Fall: Bisher war es ein Trend, dass Demoskopen Umfragen durchführen und darauf aufbauend Zahlen veröffentlichen und interpretieren. Neuerdings aber scheint man ohne Umfrageveröffentlichungen auszukommen. Man stellt einfach Behauptungen auf. Diese Prognose hat – selbst wenn sie eintreten sollte – einen ganz faden Beigeschmack.