Haben unsere Störungsmelder-Blogger die gleichen Auskunftsrechte wie andere Journalisten? Das höchste Verwaltungsgericht in Bayern sagt jetzt: ja. Der Autor Sebastian Lipp bekommt wie gefordert eine Übersicht über laufende Ermittlungs- und Strafverfahren gegen mutmaßliche Rechtsextreme. Das Gericht erkannte an, dass das ZEIT-ONLINE-Neonazi-Watchblog Störungsmelder ein „Organ der Presse“ ist, die Blogger damit besondere Auskunftsrechte haben.
Auslöser des Gerichtsverfahrens war eine Routine-Anfrage des freien Journalisten bei der Staatsanwaltschaft Memmingen im September 2015. Lipp wollte eigentlich nur wissen, was aus verschiedenen Ermittlungen geworden war, die das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West wegen rechtspolitisch motivierter Straftaten im Jahr 2014 geführt hatte. War es zu Gerichtsprozessen gekommen? Wie waren sie ausgegangen? Laufen einige davon noch? Doch die Staatsanwaltschaft wollte nicht alle Fragen beantworten.
Journalisten haben besondere Auskunftsrechte bei öffentlichen Behörden, die in den Pressegesetzen der Länder und im Rundfunkstaatsvertrag geregelt sind. Auch freie Journalisten können diese Karte ziehen, selbst, wenn sie keinen direkten Rechercheauftrag nachweisen können. Also machte Lipp sein Auskunftsrecht als freier Journalist beim Störungsmelder sowie anderen Publikationen geltend und ging vor Gericht. Und scheiterte.
Was aufhorchen ließ, war die Begründung des Verwaltungsgerichts Augsburg. Aus Sicht der Richter handelt es sich beim Störungsmelder nicht um ein „Organ der Presse“, sondern um ein öffentliches Diskussionsforum, in dem jedermann publizieren könne. Damit sei der Autor potenziell „jedermann“, jedenfalls kein Journalist, also nicht besonders auskunftsberechtigt. Auch die Vorlage von Presseausweis und Bestätigungsschreiben der ZEIT-ONLINE-Redaktion hatte an dieser Argumentation nichts geändert. Hatten die Juristen schlicht den Unterschied zwischen redaktionellem Teil des Blogs und Kommentarbereich nicht verstanden?
Tatsächlich ist der Störungsmelder ein Gruppenblog, das von ehrenamtlichen Autoren und freien Journalisten in ganz Deutschland getragen wird. Engagiert und detailliert wird in dem Blog seit bald zehn Jahren über regionale Aktivitäten von rechten Gruppen und Neonazis berichtet. Einen Grimme Online Award erhielt der Störungsmelder dafür im Jahr 2008. Die Redaktion arbeitet weitgehend eigenständig, wird aber von der ZEIT-ONLINE-Redaktion unterstützt. Verantwortlich im Sinne des Presserechts ist unser Chefredakteur, Jochen Wegner. Zwar werden immer neue Autoren für das Störungsmelder-Netzwerk gesucht, doch „jedermann“ kann hier nicht publizieren – nicht einmal im moderierten Kommentarbereich.
Die Sichtweise des Augsburger Verwaltungsgerichts sorgte für Verwunderung: Wenn der Störungsmelder kein Organ der Presse ist, was ist dann mit Weblogs, die ähnlich organisiert sind? Sind Websites automatisch keine Presse, wenn „jedermann“ im Kommentarbereich schreiben darf? Da Lipp auch für andere Medien schreibt, war er zunächst auf eigene Faust tätig geworden. Als wir bei ZEIT ONLINE von dem Fall erfuhren, boten wir juristische Hilfe an (Tagesspiegel, Heise, Augsburger Allgemeine). Lipp ging in die nächste Instanz zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und beantragte eine Eilentscheidung. Diese Eilentscheidung wurde nun in seinem und unserem Sinne gefällt.
Da die wichtigsten Forderungen des Autors mit der Entscheidung erfüllt wurden, gehen wir jetzt von einer geklärten Rechtslage aus. Zudem sperrt sich die Staatsanwaltschaft nicht mehr. Alle ursprünglich gestellten Fragen wurden beantwortet, noch ehe dem freien Autor der offizielle Beschluss zugestellt worden war. Die herausgegebenen Informationen sind jetzt Ausgangspunkt für weitere Recherchen zum Thema Rechtsextremismus. Und Lipp bereitet neue Fragen für die Staatsanwaltschaft Memmingen vor.
Sehr gut!
Glückwunsch zu diesem Erfolg!! Der Störungsmelder ist eine der wichtigsten Kolumnen hier. Bleiben Sie dran!