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„Das Allerwichtigste ist warme Kleidung“

 

Plakate beschlagnahmt, Website gesperrt: Einiger Widrigkeiten zum Trotz organisiert ein breites Bündnis den Protest gegen den Neonazi-Aufmarsch am 13. Februar in Dresden.

Die Mobilisierung für die Proteste gegen den Naziaufmarsch in Dresden läuft auf vollen Touren. Die Aktivisten freuen sich sogar über die unverhoffte Medienresonanz durch eine Razzia in der letzten Woche. Die Dresdner Staatsanwaltschaft sah in der Textzeile „Gemeinsam blockieren“ auf dem Plakat der Nazigegner einen Aufruf zu Straftaten. Am vergangenen Dienstag durchsuchte die Polizei deshalb in Dresden die Landesgeschäftsstelle der Linkspartei, in Berlin traf es ein Ladengeschäft linker Gruppen.

Tausende Plakate, Flugblätter und Aufkleber wurden beschlagnahmt. Aber auch Computer nahmen die Beamten mit. Wenige Tage später ließ das Landeskriminalamt die Website des Bündnisses abschalten. Die Bundestagsabgeordnete Dorotheé Menzner (Linke) wurde einen Tag später vorübergehend festgenommen, weil sie in Berlin gemeinsam mit vier Jugendlichen das „verbotene“ Poster plakatiert hatte.

Bis zu 10.000 Nazigegner werden am 13. Februar in Dresden erwartet. Allein aus Berlin fahren Hunderte Demonstranten in die sächsische Hauptstadt, um den größten Neonazi-Aufmarsch Europas zu stoppen. Am Sonntag trafen sie sich in Berlin-Hellersdorf in der Alice-Salomon-Hochschule zur Vorbereitung der Proteste.

„Das Allerwichtigste ist warme Kleidung“, schärft Henning Jansen vom Bündnis Dresden-Nazifrei den knapp 100 meist jungen Zuhörern ein. „Von uns wird keine Eskalation ausgehen“, betont er. Mit massenhaften Sitzblockaden wolle man die Route der Nazis blockieren. Falls es nötig sein sollte, werde man Polizeiketten „geschickt durchfließen“. Vorbild sind die breiten Proteste gegen den Kongress der rechtsextremen Bürgerbewegung Pro Köln im Jahr 2008. Damals blockierten Zehntausende Demonstranten die gesamte Kölner Innenstadt. Auch der Bürgermeister und alle demokratischen Parteien beteiligten sich an den erfolgreichen Blockaden.

Das Konzept für Dresden ist straff durchorganisiert. „Die Blockadepunkte werden jeweils von Aktivisten aus bestimmten Bundesländern betreut“, erklärt Jansen. Die einzelnen Gruppen sollen farblich gekennzeichnet werden. Falls nötig würde man Polizeiketten mit der von Castor-Transporten und den G-8-Blockaden bekannten 5-Finger-Taktik austricksen. Dabei teilen sich die Gruppen auf ein Signal hin auf eine breite Fläche auf und flitzen dann durch die Lücken zwischen den Polizisten. Der Vorteil ist, dass es friedlich bleibt und direkte Konfrontationen meist ausbleiben. So sollen alle möglichen Routen der Nazis gleichzeitig blockiert werden.

Tausende Exemplare dieses Plakats wurden beschlagnahmt
Plakat des Anstoßes: In der Zeile "Gemeinsam blockieren" sah die Staatsanwaltschaft einen Aufruf zu Straftaten.

Aufgerufen haben zu der Protestaktion Grüne, Linke, Gewerkschaften und Antifa-Gruppen. Auch Künstler wie Bela B. von Die Ärzte und Konstant Wecker unterstützen das Blockadekonzept. Dass die Staatsanwaltschaft Dresden in dem Aufruf zu friedlichen Sitzblockaden eine Straftat sieht und Tausende Plakate beschlagnahmte, kann bei dem Vorbereitungstreffen niemand nachvollziehen. „Wir halten Sitzblockaden für ein völlig legitimes Mittel die Nazis zu stoppen“, sagt der Bezirksjugendsekretär der IG-Metall-Jugend Berlin, Lars Buchholz. „Die Erfahrung aus der Geschichte der NS-Diktatur zeigt doch, dass gerade wir als Gewerkschaft uns gegen Neonazis engagieren müssen.“ Zwei Busse nach Dresden habe die IG-Metall-Jugend Berlin-Brandenburg daher für Dresden organisiert. Das wisse auch die Naziszene. Einmal habe ihn ein Neonazi auf einer Veranstaltung angesprochen, erzählt Buchholz. „Er hat mir direkt ins Gesicht gesagt, dass wir als erstes dran sind, sobald die Nazis endlich wieder an der Macht sind.“

Im Flur unterhalten sich zwei junge Frauen über das für nachmittags geplante Blockadetraining auf dem vereisten Vorplatz. „Soll ich die Füße anziehen oder hängen lassen, wenn die Polizisten mich wegtragen?“, fragt eine. „Hängen lassen macht es für die Polizei schwieriger, aber wenn du dich gegen den Boden stemmst, können sie das als Widerstand gegen die Staatsgewalt werten“, erklärt die andere. Lisa Becker ist extra aus Potsdam zu dem Training angereist. Ob die 17-Jährige sich auch von der Polizei wegtragen lassen will, ist sie sich noch nicht sicher. „Ich kriege bei so was immer schnell Panik“, sagt sie. Nach Dresden will sie aber trotzdem fahren, versichert Lisa.

„Die Hausdurchsuchungen gingen definitiv nach Hinten los“, sagt der Sprecher der Antifaschistischen Linken Berlin, Lars Laumeyer. Die Empörung in der Bevölkerung über „die Kriminalisierung der legitimen Proteste gegen den Naziaufmarsch“ habe für eine schwunghafte Mobilisierung gesorgt. „Seit der Razzia hat sich die Zahl der Unterzeichner unseres Aufrufs auf 2000 verdoppelt.“ 5000 Poster seien beschlagnahmt worden, doppelt so viele habe das Bündnis anschließend nachgedruckt.

Ob die Polizei weiter gegen den Aufruf zu den Blockaden vorgehen wird ist bislang unklar. Am Donnerstag will das Bündnis gemeinsam mit Politikern, Künstlern und Gewerkschaftern öffentlich den verbotenen Aufruf deutschlandweit plakatieren. „Naziaufmärsche zu blockieren ist unser Recht und unsere demokratische Pflicht“, heißt es in der Einladung dazu. In Berlin soll es dann gleich noch ein zweites Training für die Sitzblockaden geben: direkt vor der Landesvertretung von Sachsen.

Alle Informationen zu den Protesten gibt es unter: www.dresden-nazifrei.com