Ein Zusammenschluss namhafter Wissenschaftler, Initiativen gegen Rechts und Kirchen hat Familienministerin Kristina Schröder zum Verzicht auf ihre geplante Extremismuserklärung aufgefordert. Auch die SPD stellt sich inzwischen gegen die umstrittene Klausel.
Zum großen Eklat kam es vor einer Woche als in Dresden der Sächsische Demokratiepreis vergeben werden sollte. Im Vorhinein wurden die zehn nominierten Vereine und Initiativen aufgefordert, eine verfassungsrechtlich bedenkliche Erklärung zu unterschreiben. Einer der Hauptpreisträger, das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz (AkuBiz e.V.) aus Pirna, nahm den mit 10.000 Euro dotierten Preis aus Protest gegen die notwendige „Anti-Extremismus-Erklärung“ nicht an.
Auch den vom Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ ab 2011 geförderten Projekten soll durch das Bundesfamilienministerium eine Erklärung abverlangt werden, die nicht nur das eigene Bekenntnis zur „freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“ und die Bestätigung – „eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit zu gewährleisten“ enthält. Die Projekte sollen zudem „im Rahmen ihrer Möglichkeiten […] und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten (…).“
„Anstatt die gelungene und wertvolle Beratungsarbeit von Projekten vor Ort und unser klares Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten zu würdigen, soll den Projekten zukünftig eine verfassungsrechtlich mehr als bedenkliche ’Extremismus-Erklärung’ vorgelegt werden, die uns und unsere Projektpartner/innen unter Generalverdacht stellt“ sagt Bianca Klose, Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) zu den Plänen der Familienministerin. „Wenn gerade die Engagierten als verdächtig gelten, sind dann nur jene unverdächtig, die sich nicht engagieren?“, fragt Klose. “Wem es ernsthaft um eine Demokratie mündiger Bürger geht, der kann solch eine Erklärung nicht befürworten.“
„Als Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus fordern wir die Bundesregierung und die zuständige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) auf, die Leitlinien des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ zu ändern, auf die „Erklärung“ ersatzlos zu verzichten sowie das dahinterstehende Demokratieverständnis zu überdenken und zu korrigieren, um die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Initiativen vorurteilsfrei zu stärken,“ sagt Dr. Christian Staffa, Geschäftsführer von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.
Die von der sächsischen Landesregierung und dem Bundesfamilienministerium verlangte Erklärung stelle die wertvolle Demokratiearbeit vieler Gruppen, Initiativen und Organisationen für Demokratie gegen Rechtsextremismus unter Generalverdacht, so die BAGKR. Sie orientiert sich nicht an den allgemeinen Menschenrechten als Grundlage für ein gelingendes Zusammenleben, sondern an einem staatsfokussierten Demokratieverständnis. „Wir erwarten sowohl von der Bundesebene als auch vom Land Sachsen diese Erklärungen zurückzuziehen“, so Staffa weiter.
Die SPD-Generalsekretärin des Bundes Andrea Nahles und der Rechtsextremismus-Experte der SPD-Bundestagsfraktion, Sönke Rix, nannten die Erklärung am Freitag „das Papier nicht wert, auf dem sie steht“.
Am Sonntag wurde ein von rund hundert Personen unterschriebener Appell an die Familienministerin veröffentlicht. Initiativen aus Wissenschaft, Politik und Demokratieprojekten, darunter Anetta Kahane von der Amadeo Antonio Stiftung, haben angekündigt, die von der Familienministerin verlangte Anti-Extremismus-Erklärung zu verweigern. In dem „Aufruf gegen Generalverdacht und Bekenntniszwang“, fordern die Unterzeichner auch andere Projekte und Initiativen dazu auf, die „Bekenntniszumutung prinzipiell abzulehnen“.
Unterdessen reißt die Unterstützung für das Akubiz nicht ab. „Wir sind überwältigt von der Welle der Solidarität“, sagt Steffen Richter, Vorsitzender des AKuBiZ. „Damit können wir unsere Ideen und Projekte verwirklichen, uns für die Entwicklung der Demokratie in unserer Region einsetzen und uns weiterhin effektiv gegen Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus engagieren.“
Im Internet kursieren inzwischen mehrere Spendenaufrufe für das Projekt. Am Freitag erreichte den Verein die Nachricht, dass der „Kreis der Freunde und Förderer der Amadeu Antonio Stiftung“ eine Großspende in Höhe von 10.000 EUR überwiesen hat.
„Leider ist demokratisches Engagement nach wie vor Bedrohungen und tätlichen Angriffen durch Nazis ausgesetzt. Ein Generalverdacht gegen demokratiefördernde Projekte fällt den Initiativen in den Rücken, statt sie zu stärken“, sagte Richter. „Wir laden die Verantwortlichen aus Bundes- und Landesregierung ein, sich vor Ort ein Bild von unserer Arbeit zu machen statt Papierklauseln einzufordern.“
Hier gibt es den gesamten Aufruf und die Möglichkeit zu Unterzeichnen
Bisher beteiligen sich als Erstunterzeichner/innen:
Prof. Dr. Albert Scherr (Freiburg), Prof. Dr. Roland Roth (Berlin), Alternatives Kultur- und Bildungszentrum Jena, Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus Jena, Prof. Dr. Roland Anhorn (Darmstadt), Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit Dresden, MdB Volker Beck (Berlin) Prof. Dr. Karin Böllert (Münster), Bianca Klose, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin), MdL Sabine Friedel (Dresden), Prof. Dr. Carmen Gransee (Hamburg), Prof. Dr. Melanie Groß (Kiel, ) Prof. Dr. Franz Hamburger (Mainz), Prof. Dr. Benno Hafeneger (Marburg), MdL Henning Homann (Döbeln/Sachsen), Jugendverein „Roter Baum“ e.V., Demokratieprojekt (Dresden), Annetta Kahane (Amadeu Antonio Stiftung), Ulrich Keil (Bündnis für Demokratie und Zivilcourage e. V. Gröditz), Dr. Britta Grell (Berlin), Kulturbüro Sachsen e.V. Dresden, Prof. Dr. Rosemarie Karges (Berlin), Prof.Dr. Franz Josef Krafeld (Bremen), Dr. Heinz Lynen von Berg (Berlin), Mobile Beratung im Regierungsbezirk Münster – Gegen Rechtsextremismus, für Demokratie, Netzwerk für Demokratie und Courage Dresden, Prof. Ludger Pesch (Berlin), ReachOut-Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus (Berlin), Timo Reinfrank (Verein für demokratische Kultur, Berlin) Sächsische Landjugend e.V, Dr. Karin Scherschel (Jena), Prof. Dr. Wilfried Schubarth (Potsdam), Prof. Dr. Titus Simon (Magdeburg-Stendal), André Schnabel (DGB-Bezirk Sachsen), Prof. Dr. Jan Wulf-Schnabel (Berlin), Dr. Christian Staffa (Geschäftsführer Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.), Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker (Hamburg), Roland Tremper (Berlin), Anja Treichel (Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e.V. Leipzig), Prof. Dr. Holger Ziegler (Bielefeld)
sowie
Dr. Dario Azzellini (Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz)
Prof. Dr. Stefan Bestmann (Berlin)
Anne Broden (Düsseldorf)
Sebastian Bruck (Berlin)
Frauke Büttner (Berlin)
Stefan Bundschuh (Düsseldorf)
Zoe Clark (Universität Bielefeld)
Dr. Dominik Collet (Universität Göttingen)
Milena Detzner (Krefeld)
Jan Düker (Universität Bielefeld)
Volker Eick (Goethe Universität Frankfurt)
Dr. Ulrike Eichinger, Berlin
Dennis Eversberg (Universität Jena)
Mirko Fischer (Leipzig)
Thomas Gebauer (Frankfurt)
Patrick Gensing (Berlin)
Dr. Catrin Heite (Universität Münster)
Dr. Horst Helas (Sprecher BAG Rechtsextremismus/Antifaschismus beim Vorstand der Partei die Linke)
Dr. Serhat Karakayali (Universität Halle-Wittenberg)
Dieter Keller (Bündnis “ Bunt statt braun“ Solingen)
Heiko Klare (Münster)
Luise Jäckel (Berlin)
Dr. Stefan Köngeter (Postdoc Research Fellow, University of Toronto
Thomas Ley (Universität Bielefeld)
Yvette Lietzau (Universität Bielefeld)
Dr. Stephan Lorenz (Universität Jena)
Martina Lütke-Harmann (Universität Duisburg-Essen)
Dr. Claus Melter (Universität Innsbruck)
Asiye Öztürk (Bonn)
Barbara Schäuble (Universität Kassel)
Susanne Siebolz (Universität Halle)
Christoph Spieker (Münster)
Dr. Eckart Schörle(Erfurt)
Adelheid Schmitz (FH Düsseldorf)
Julia Schreier (Lüneburg)
Maren Schreier (Bremer Institut für Soziale Arbeit und Entwicklung e.V.)
Kathrin Schulze (Münster)
Sven Steinacker (Universität Wuppertal)
Michael Sturm(Münster)
Dr. Thomas Swiderek (Wuppertal)
Dr. Mariana Thiele (Jena)
Simon Teune (Wissenschaftszentrum Berlin)
Thomas Weber (Berlin)
Thilo Wesserling (Osnabrück)