Lesezeichen
‹ Alle Einträge

PI-News: Das Hassblog der Rechtspopulisten

 

Das Regierungsgebäude in Oslo nach Breiviks Anschlag © Thomas Winje Oijord/AFP/Getty

„Nicht schuldig“. Mit diesen Worten äußert sich der Attentäter von Oslo und Utoya, Anders Behring Breivik, erstmals vor der norwegischen Justiz. Was bringt jemanden dazu, den Massenmord an 76 Menschen als moralische Notwehr zu begreifen? Das islamfeindliche Weltbild des modernen europäischen Rechtspopulismus bietet Antworten. Die wichtigste Online-Plattform der Islamhasser in Deutschland nennt sich Politically Incorrect (PI). Aber welches Netzwerk steckt hinter der Webseite, die die ideologische Munition für Menschen wie Breivik liefert?

Es sind PI-Kommentare wie dieser, die angesichts der jüngsten Ereignisse in Norwegen aufhorchen lassen: „Multikulturalismus ist Völkermord wie der Holocaust, nur subtiler“. Ein anderer Leser ergänzt: „Wenn der Islam nicht bekämpft und ausgerottet wird, ist das der Untergang der Zivilisation“. Worte, die an Deutlichkeit kaum zu überbieten sind: „Es kann nur ein Ziel geben, die Ächtung dieses perfiden Mörderkultes, seiner Förderer und Kollaborateure.“ Vermutlich wurde auf Basis solcher Annahmen das Jugendcamp der sozialdemokratischen Arbeiterpartei als Ziel auserkoren. Die „Kollaborateure des Multikulturalismus“ sollten bestraft werden. Von einem Täter, der im Wahn glaubt, Europa retten zu müssen.

Bereits seit Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler, Journalisten und Politiker mit der Seite PI-News, die täglich mehrere zehntausend Mal angeklickt wird. Auf dem Blog werden in hysterischer, pathologisch fragwürdiger Art und Weise, Angstszenarien propagiert, die auf den ersten Blick so lächerlich erscheinen, dass viele Menschen die Gefahr die von ihnen ausgeht, nicht ernst nehmen wollen. Doch diejenigen, die als Leser bleiben, radikalisieren sich, wiegeln sich gegenseitig auf, ergötzen sich an Gewaltphantasien und Kommentierungen, die man zu Recht anderswo nicht posten dürfte.

Screenshot: Rassistische Karikatur als PI-Werbung

In unzähligen Publikationen und Artikeln wird dargestellt, wie sich die Neue Rechte Europas und selbst ernannte „Islamkritiker“, im Laufe der letzten Jahre ein gefährliches, geschlossenes Weltbild angeeignet haben. Eine diskursive Auseinandersetzung ist aufgrund des sektenähnlichen Charakters von Netzwerken wie Politically Incorrect und ihrer Verbündeten in ganz Europa nahezu unmöglich. Das macht diese Blogger und Internetaktivisten so gefährlich – auch für Leib und Leben außerhalb des World Wide Web. Ein kleines Beispiel: Wer einerseits muslimische Mitbürger wegen mangelnder Sprachkenntnisse oder ihrer kulturellen Gewohnheiten als ungleich erachtet, andererseits aber so genannte „gut integrierte“, ja nahezu assimilierte Migranten als „fünfte Kolonne“ der Unterwerfung Europas unter den Islam brandmarkt, dem ist in Gesprächen nicht mehr rational zu begegnen. Das geschlossene Weltbild schafft sich seine eigenen Fakten, seine eigenen Realitäten fernab des Wahren.

Die Anhänger des modernen Rechtspopulismus behauptet von sich – so krude es auch klingen mag – größtenteils in der Tradition des historischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zu stehen. Die Idee des angeblichen „Islamo-Faschismus“ ist so alt wie der moderne Rechtspopulismus selbst. Die „aufrichtigen“ Deutschen und Europäer, das sind die islamfeindlichen Blogger. Sie haben die „wahren Lehren“ aus der europäischen Geschichte gezogen. Diese sind nicht etwa Gewaltlosigkeit, Toleranz und Entgegenkommen. Nein, ginge es nach der rassistischen Community, müssten nicht-weiße Europäer samt der als „Dreckselite“ verspotteten Politiker in Scharen ausgewiesen oder „an die Wand gestellt“ werden. Europa würde wieder in seine Nationalstaaten zerfallen, der Euro würde abgeschafft und die Schlagbäume an den Grenzen würden massenhaft wieder eingeführt. Das versteht der europäische Islamhasser unter historischer Reflektion. Ein trauriges, ein biederes, ein lebensfeindliches Europa wäre die Folge.

Immer wieder bedient man sich Bezügen zu Sophie Scholl, der Weißen Rose oder auch Hitler-Attentätern wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Nach einer von PI-News durchgeführten Veranstaltung im April 2010, wurde einer der Redakteure, Michael Stürzenberger, mit folgenden Worten zitiert: „Und so wie es der Weißen Rose und Charlie Chaplin damals erging, geht es den Islamkritikern heute.“  Der Münchener Journalist und ehemalige Pressesprecher der CSU, publiziert auf PI unter seinem Pseudonym „byzanz“, sowie auch unter seinem Klarnamen. Er ist seit kurzem im Vorstand des bayrischen Ablegers der ultrarechten Partei „Die Freiheit“. Diese wurde vom ehemaligen Berliner CDU-Landtagsabgeordneten René Stadtkewitz gegründet, der ebenfalls gerne auf Politically Incorrect zitiert wird.

Stefan Herre, Gründer von Politically Incorrect und seit kurzem ebenfalls aktiv in der Partei Die Freiheit, sagte dem Katholischen Nachrichtendienst im Oktober 2007: „Ich möchte mir nicht, wie manche unserer Großeltern, die im Dritten Reich geschwiegen haben, von meinen Enkelkindern später vorwerfen lassen müssen: Ihr habt es doch gewusst, wieso habt ihr nichts dagegen getan.“ Die Frage aber, was getan werden muss, lassen die Autoren von
Politically Incorrect
bewusst offen. Das erledigen die Kommentatoren. Die Darstellung ihrer subjektiven Realität lässt ohnehin keine großen Spielräume offen: Die Handlungsvorschläge der User verlaufen irgendwo zwischen Mordphantasien, Massenabschiebungen nicht-weißer Bevölkerungsteile und Ethnischen Säuberungen. Es ist übrigens kein Zufall, dass viele Autoren von Politically Incorrect nun bei „Die Freiheit“ aktiv sind. Nach einigen Kooperationen mit der extrem rechten Pro Bewegung in NRW scheint man sich nun voll und ganz auf René Stadtkewitz und seine Kontakte zu weiteren europäischen Fremdenfeindlichen wie Geert Wilders zu konzentrieren. Politically Incorrect könnte sich dabei zum Zentralorgan von Stadtkewitz‘ Partei entwickeln. Die Schnittmengen sind unübersehbar.

PI-Gründer Stefan Herre bei einer Wilders-Veranstaltung in Berlin © Matthias Zickrow

Die hier skizzierte Denkweise der Rechtspopulisten, ist der Motor für etliche islamfeindliche Blogs in Europa. Der Islam und die Muslime, egal ob deutscher, norwegischer, türkischer oder albanischer Herkunft, werden als „Faschisten“ und „geistige Brüder und Schwestern der Nationalsozialisten“ stilisiert. Eine an Perversion nicht zu überbietende Umkehr der historischen Täter-Opfer-Perspektive. Aus dieser inneren Haltung heraus, erscheinen Taten wie in Norwegen nicht überraschend. Schreibt doch ein Kommentator auf PI-News: „Die Würfel sind noch längst nicht gefallen! Der Widerstand wächst und Millionen werden lieber zur Waffe greifen als muslimisch werden! Dafür werden wir uns einsetzen- wir lassen uns unsere Freiheit und unsere Rechte nicht von diesen religiösen Teufeln wegnehmen, nur weil deren kleine Welt nur aus einem verbrecherischen Buch besteht!“

Geert Wilders (links) und René Stadtkewitz in Berlin © Matthias Zickrow

Es ist eine schwer durchschaubare Ideologie, die da im Internet wächst und gedeiht. Wer sich jedoch ein wenig in die wirre Gedankenwelt der Blogs namens Counter Jihad, Jihad Watch, Akte Islam oder eben Politically Incorrect rein liest, der kann schnell erkennen, wie die jeweiligen Autorinnen und Autoren gestrickt sind. Menschen wie die Schweizer Pfarrerin Christine Dietrich. Über diese wurde im September 2007 geschrieben, sie würde nicht mehr für das Portal Politically Incorrect aktiv sein, nachdem sie in Schweizer Medien heftig kritisiert wurde. Trotzdem war sie mit dem Chefredakteur von Politically Incorrect, Stefan Herre, im Jahre 2010 auf dem Parteitag der extrem rechten Partei Pro NRW zu gegen. Im Jahr 2009 interviewte sie Russia Today als Vertreterin von Politically Incorrect. Dietrich war 2009 zum wiederholten Mal in die Kritik geraten, als sie auf einer von Pro NRW veranstalteten „Anti-Islam-Demo“ in Köln-Deutz eine Andacht gehalten hatte. Gegendemonstranten dieser „Anti-Islam-Demo“ bezeichnete sie damals als „pathologisch Gute“. Auf Politically Incorrect bezeichnete sie ihr Kollege Michael Stürzenberger als „moderne Jeanne d’Arc“. Der Blogger Fareus schrieb der Kirchengemeinde in Siselen-Finsterhennen bei Bern. Die Antwort des Präsidenten Herbert Roth fiel kurzsilbig aus: „Christine Dietrich steht zwar noch nicht lange im ‚Dienste‘ unserer Kirchgemeinde. Trotzdem kann ich Ihnen mit gutem Gewissen mitteilen, dass Sie nicht nur vom Kirchgemeinderat, sondern auch von den Mitgliedern unserer Kirchgemeinde sehr geschätzt wird.“. Störungsmelder-Recherchen wurden ebenfalls abgeblockt . Der Pressesprecher des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), Thomas Flügge dazu: „Der SEK ist die Vertretung unserer Kirchen gegenüber den nationalen und internationalen politischen Einrichtungen. Frau Dietrich hat nie für den SEK gearbeitet. Bezüglich ihrer Person verweisen wir an die Berner Kirche, welche Sie ja bereits ebenfalls kontaktiert haben.“ Verantwortlich für eine rassistische Bloggerin hinter der Kanzel möchte in der Schweizer Kirche niemand sein. Ein Blick auf die Homepage ihrer Gemeinde offenbart, Christine Dietrich predigt noch immer ihr hasserfülltes Weltbild.

Screenshot: PI-Autorin Christine Dietrich im TV-Interview

Menschen wie Breivik glauben, sie müssten der „Rettung Europas vor dem Kulturmarxismus und der Islamisierung“ behilflich sein. Es sind Menschen wie Stürzenberger, Herre und die evangelische Pfarrerin Dietrich, die in einem Team von anonymen Bloggern und Kommentatoren Hass säen, der in Norwegen schreckliche Blüten getragen hat. Der Server von Politically Incorrect steht den Aussagen Herres zufolge in den USA. Zeit für den Verfassungsschutz, Politically Incorrect systematisch zu überwachen und wenn nötig, ein entsprechendes Rechtshilfegesuch zu stellen.

Breivik wollte der sozialdemokratischen Arbeiterpartei größtmöglichen Schaden zufügen. Sie sei für den „Massenimport“ von Muslimen verantwortlich. in seiner Tat kumulieren mehrere Facetten des rechtspopulitischen Bedrohungsszenarios. Er hat die „Kollaborateure“ getroffen, gleichzeitig aber auch eine junge, in weiten Teilen nicht-weiße Generation norwegischer Jugendlicher ausgelöscht. Wer diesen Aspekt verkennt, der verkennt die Logik der extrem rechten Kulturrassisten: Demographie. Die Frage nach der biologischen Zukunft Europas ist eine entscheidende. Nicht nur Sarrazin hat bewiesen, wie man mit diesem Thema Emotionen und Hass wecken kann. Es ist kein Zufall, dass Breivik das Jugendcamp der Sozialdemokraten als Ziel auserkoren hat. Dort waren viele Menschen unterschiedlichster Herkunft friedlich versammelt. Es ist die Logik des Rechtspopulismus, dass diese Jugendlichen ums Leben kommen mussten, damit ihre Idee einer Zukunft in Freiheit und Gleichheit sich nicht entfalten kann.

Die Attentate von Norwegen kumulieren eine bittere Tendenz: Rechtspopulismus wird gefährlicher. Gefüttert wird das anti-demokratische Weltbild von einer bisweilen zu unkritisch agierenden Öffentlichkeit, die von Sarrazin bis Schwarzer Halbwahrheiten, Denunziationen und Angstszenarien als wahr hinnimmt. Wenn Sarrazin behaupten darf, „Deutschland schafft sich ab“, in Zukunft wird es massenhaft „Kopftuchmädchen“ geben, statt Glockenlauten ruft der Muezzin, dann will auch er sagen, dass die deutsche Identität in Gefahr ist. Eine Vorstellung, die Europa nicht nur einmal ins Verderben gestürzt hat. Viele Autoren und Journalistinnen aus der „Mitte der Gesellschaft“ spielen liebend gerne auf der Klaviatur der Rechtspopulisten, derer, die vor demographischen Einbrüchen warnen, radikale Maßnahmen fordern und das deutsche Justizsystem, ja gar die ganze Identität und Freiheit durch Migranten und nicht-weiße Deutsche bedroht sehen. Angst verkauft sich gut dieser Tage. Politik und Medien sind nun gefragt, Ängste zu beseitigen. Dazu gehört es, auch mal lautstark Protest anzumelden. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit, dürfen keine neuen Dolchstoßlegenden entstehen. Wer schweigt, der bestätigt im Zweifel Menschen wie Anders Behring Breivik, den Massenmörder von Norwegen.

Richtigstellung: In einer Vorversion dieses Beitrages war Stefan Herre als Pressesprecher der Partei „DIE FREIHEIT“ bezeichnet worden. Dies ist unzutreffend. Stefan Herre ist nicht Pressesprecher der Partei „DIE FREIHEIT“.
Der Artikel wurde am 28. Juli 2011 um 18:03 Uhr entsprechend korrigiert.