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Erst die „Trauer“, dann der Angriff

 

Mit knapp 700 Neonazis beim sog. „Trauermarsch“ der extremen Rechten in Bad Nenndorf ist die Teilnehmerzahl in diesem Jahr deutlich rückläufig. Begleitet wurden die Neonazis von Privatpartys mit lauter Musik, Sprechchören und einem Konzert von Trillerpfeifen und Vuvuzuelas. Die zu einem Anschlussaufmarsch nach Bielefeld gereisten Neonazis mussten wegen einer Blockade des Hauptbahnhofs unverrichteter Dinge kehrt machen.

Transparent am Wincklerbad, Foto: Kai Budler
Transparent am Wincklerbad, Foto: Kai Budler

Bereits am Vorabend des 6. August waren etwa 700 Personen dem Aufruf des Bündnisses „Bad Nenndorf ist bunt“ gefolgt und hatten eine Menschenkette vom Wincklerbad zum Bahnhofsplatz gebildet. Eine weitere Aktion fand an diesem Abend ihren vorläufigen Abschluss: seitdem schmückt ein überdimensionales Transparent „Gesichter zeigen für Bad Nenndorf“ als Statement gegen den Aufmarsch das Wincklerbad in der Stadtmitte. Das Gebäude war zwischen 1945 und 1947 als britisches Militärgefängnis für Nazis genutzt worden, in dem es auch zu Misshandlungen und Folter gekommen war. Seit 2005 versucht die rechtsextreme Szene das Wincklerbad als Wallfahrtsort für ihren Geschichtsrevisionismus zu etablieren. Mit Transparenten, auf die Straße gemalten Parolen und der farbig geschmückten Strecke wollten die Einwohner ein Zeichen gegen den bis 2030 angemeldeten Neonazi-Aufmarnsch in der Kurstadt setzen. Nach Angaben des DGB Regionssekretärs Steffen Holz hat sich die Teilnehmerzahl an der Vorabendaktion in Bad Nenndorf gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.

1.000 Personen bei Protest gegen Neonazis

Auch die Bündnis-Kundgebung mit anschließender Demonstration am Samstagmorgen erfreute sich regen Zulaufs. Rund 1.000

Bürgermeisterin Gudrun Olk, Foto: Kai Budler
Bürgermeisterin Gudrun Olk, Foto: Kai Budler

Nazi-Gegner kamen zum Auftakt an die Bornstraße, 150 weitere wurden an einer Einfallstraße von der Polizei fünfeinhalb Stunden festgehalten. Auf der Kundgebung wurde derweil Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann scharf kritisiert. Bürgermeisterin Gudrun Olk erklärte, obwohl der Minister bereits mehrfach zu einer Diskussion über die Situation in Bad Nenndorf eingeladen worden sei, warte man noch immer auf eine Antwort. Für den DGB wies der Geschäftsführer der Region Niedersachsen, Andreas Gehrke, auf den antifaschistischen Auftrag der Verfassung hin und erteilte der sog. Extremismusdebatte eine Absage. „Eine Gleichsetzung von rechts und links hat immer nur den rechten Verbrechern genützt“, sagte Gehrke und forderte ein Verbot des sog. „Trauermarschs“.

„Trauermarsch“ auf Partymeile

Die Zahl der Aufmarschteilnehmer blieb in diesem Jahr deutlich hinter den Erwartungen zurück: nach Polizeiangaben reisten rund 600 Rechtsextreme nach Bad Nenndorf, erwartet wurden rund 1.000 Neonazis zu dem von Matthias Schultz von der NPD-Verden angemeldeten Aufmarsch. Bereits zwei Stunden vor dem geplanten Beginn waren die ersten Teilnehmer eingetroffen, ein Neonazi sprang über über die Absperrung und

Spitze des sog. "Trauermarschs", Foto: Kai Budler
Spitze des sog. "Trauermarschs", Foto: Kai Budler

versuchte, einen Pressefotografen anzugreifen. Doch erst um 14.00 Uhr sollte sich der Aufmarsch auf der bunt bemalten Bahnhofstraße in Bewegung setzen, stets von buntem und lautstarkem Protest auf Privatpartys entlang der Route begleitet. DGB Sekretär Holz hatte im Vorfeld erklärt, mit dieser Protestform wollten die Einwohner zeigen, dass sie sich ihren Ort nicht abnehmen ließen. Bei Geburtstagspartys, Jubiläen und einem Straßenfest auf der „Partymeile“ feiern zahlreiche Bad Nenndorfer mit dem Rücken zum Aufmarsch mit lauter Musik. An der jüdischen Gemeinde werden die Neonazis mit Israelfahnen und Gesang empfangen. Während sie ihr Sabbat-Fest unter Polizeischutz feiern müssen, singen Gemeindemitglieder mit ihren Gästen „Hevenu shalom alechem“.

„Die Polizei arbeitet den Nazis in die Hände“

Auf der Kundgebung vor dem Wincklerbad Redner versuchen sich wenig später Redner wie der JN-Landesvorsitzende Andi Knape aus Sachsen-Anhalt und der Neonazi-Funktionär Dieter Riefling Gehör zu verschaffen.

Anwohner auf der "Partymeile", Foto: Kai Budler
Anwohner auf der "Partymeile", Foto: Kai Budler

Ein schwieriges Unterfangen, denn laute Musik aus dem benachbarten Park-Hotel, ein Trillerpfeifenkonzert und „Nazis raus“ Rufe machen es schwer, den Reden zu folgen. Auf Unverständnis stößt bei den Nazi-Gegner die polizeiliche Anordnung, die Lautstärke zu senken und sich aus dem Bereich am Wincklerbad zu entfernen. Während die Neonazis die Ansage mit Applaus begrüßen, sind Anwohner fassungslos. „Die Polizei hat damit dem Protest geschadet und nur den Nazis in die Hände gearbeitet“, sagt eine junge blonde Frau aus Bad Nenndorf kopfschüttelnd. Gleichzeitig verlassen die Beamten ihre Plätze zwischen der Neonazi-Kundgebung und den Journalisten und Pressefotografen. Darauf angesprochen, gibt ein Polizist lakonisch zurück „Was soll denn da schon passieren?“.

Nach der „Trauer“ Aggression und Angriffe auf die Polizei

Nach dem Rückweg zum Bahnhof ist in Bad Nenndorf gegen 16.00 Uhr der braune Spuk für dieses Jahr zu Ende. Während in der Kurstadt Einwohner auf der Straße tanzen, bereitet sich ein Bündnis aus Parteien, Gewerkschaft und Kirchen im 80 km entfernten Bielefeld auf Protestaktionen gegen eine Aufmarsch vor, der von dem Neonazi Marcus Winter aus Minden angemeldet worden war. Zumindest die zahlreich nach Bad Nenndorf gereisten Neonazis aus Nordrhein Westfalen sollten damit nach dem

Aggressive Neonazis nach verordneter "Trauer", Foto: Kai Budler
Aggressive Neonazis nach verordneter "Trauer", Foto: Kai Budler

auferlegten Schweigen offenbar die Möglichkeit zum „Kampf um die Straße“ erhalten. Der Aufmarsch mit dem Titel „Straftätern die Räume nehmen – AJZ dicht machen“ sollte vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof führen, in unmittelbarer Nähe zum Jugendzentrum AJZ hatten die Neonazis um Winter eine Zwischenkundgebung geplant. Doch statt der rund zwei Kilometer langen Strecke ist für die etwa 200 Neonazis in Bielefeld schon nach etwa 100 Metern Schluss. Nachdem sie von der Polizei auf einem geräumten Bahnsteig in Empfang und aus dem Bahnhof hinaus geleitet werden, stehen sie mehr als 500 Personen auf dem Bahnhofsvorplatz gegenüber. Die Erklärung der Polizei, der Aufmarsch sei jetzt beendet, sei fadenscheinig, stößt Marcus Winter zornig hervor. Das Angebot einer stationären Kundgebung am Bahnhof lehnt er ab und kündigt statt dessen eine weitere Demonstration für den 24. Dezember in Bielefeld an. Doch noch auf dem Rückweg zum Bahnsteig bricht sich die Aggression der Neonazis Bahn: In der Bahnhofshalle kommt es zu Angriffen auf die Polizei, die Beamten setzen Knüppel und CS-Gas ein