Der Verfassungsschutz steht offenbar erneut vor einem handfesten Skandal. Wie jetzt bekannt wurde, hat das niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz jahrelang die renommierte Journalistin Andrea Röpke ausspioniert, die auch regelmäßig für ZEIT ONLINE schreibt. Besonders brisant: Noch im April 2012 versicherte das Amt Röpke auf explizite Nachfrage schriftlich, dass über sie „in der Niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde (…) weder eine Akte geführt wird noch Angaben in Dateien gespeichert sind“. Jetzt ist klar, dass es sich bei dem Schreiben offensichtlich um eine gezielte Falschinformation handelte. Die SPD-Fraktion spricht von einem „skandalösen Angriff auf die Pressefreiheit“.
Öffentlich wurde die Überwachungsmaßnahme erst am Mittwoch. Die Präsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger, teilte der Journalistin telefonisch mit, dass ihre Behörde von 2006 bis März 2012 unter dem damaligen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) gezielt Daten über sie und ihre Arbeit gesammelt habe.
„Zum Zeitpunkt der Anfrage im Februar 2012 wurde meine Mandantin noch überwacht. Offensichtlich sollte mit der Lüge vom 18.04.2012 die sechsjährige rechtswidrige Überwachung vertuscht werden, sagte Rechtsanwalt Sven Adam. Er hatte im Auftrag der Journalistin die Anfrage verfasst und prüft für sie auch die Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die falsche Auskunft.
Offenbar sind noch mindestens sechs weitere Journalisten von dem Überwachungsskandal betroffen. Nach einer Aussage von Innenminister Boris Pistorius (SPD) im Verfassungsschutz-Ausschuss habe Maren Brandenburger seit März mindestens sechs Fälle unzulässiger Speicherungen von Personendaten „entdeckt“, die bis zum Ende des Jahres 2012 zurückreichen. Schünemann selbst behauptet, von den Überwachungen nichts gewusst zu haben. „Ein gezieltes Vorgehen des Verfassungsschutzes gegen Personen im publizistischen oder journalistischen Bereich gab es nach meiner Kenntnis nicht“, sagte er dem NDR. Alle Speicherungen des Verfassungsschutzes zu rund 9.000 Personen werden jetzt überprüft.
„Wir erwarten die Offenlegung der Daten in einem für uns transparenten Verfahren. Denn dass sich der Verfassungsschutz selbst gerichtlicher und demokratischer Kontrolle entzieht, ist für eine demokratische Gesellschaft in jedweder Hinsicht inakzeptabel“, betonte Röpkes Anwalt.
Es ist nicht das erste Mal, dass niedersächsische Sicherheitsbehörden die Sammlung von Daten über Journalisten versuchen zu vertuschen. Unter der Leitung des ehemaligen Vizepräsidenten Robert Kruse hatte die Polizeidirektion Göttingen im Jahr 2011 dem Göttinger Hörfunkredakteur und ZEIT-ONLINE-Autor Kai Budler zunächst mitgeteilt, dass über ihn keine Daten gespeichert würden. Erst nachdem der Verfassungsschutz zugab, dass es eine Akte zu Budler gibt, gab auch die Polizeiführung zu, dass sie Daten über den Journalist gesammelt hatte. Der Verfassungsschutz notierte unter anderem, Budler habe an Demonstrationen teilgenommen, die er jedoch als Journalist im Auftrag des Stadtradios besucht hatte. Seit November 2011 klagt der Journalist gegen die Sicherheitsbehörde. „Offenbar hatte der Verfassungsschutz mehr Interesse an der Überwachung von Aufklärern, als an der Aufklärung von Hintergründen und Zusammenhängen der extrem rechten Szene in Niedersachsen“, sagte Budler.
Auch in Schleswig-Holstein gab es Anfang des Jahres einen ähnlichen Fall. Zwei Fotojournalisten, die regelmäßig Veranstaltungen der rechtsextreme Szene fotografieren, ertappten zufällig zwei Männer, die sich an ihrem Auto zu schaffen machten. Anschließend fanden die Journalisten einen Peilsender in der Radkastenverkleidung ihres Wagens. Die Männer waren Mitarbeiter des Staatsschutzes, die die Fotografen offenbar per GPS überwachen wollten. Wenig später wurde ein zweiter Peilsender an einem weiteren Fahrzeug der Fotografen entdeckt.