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Journalisten als Feinde des Verfassungsschutz

 

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Inszeniert sich als Aufklärerin, ist aber keine: Niedersachsens Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger (Foto: dpa)

Jahrelang wurde die Fachjournalistin Andrea Röpke vom niedersächsischen Verfassungsschutz überwacht, insgesamt sechs Jahre war sie im Visier der Behörde. Dieser Angriff auf die Pressefreiheit ist ein Skandal, der nicht hingenommen werden kann. Ein Kommentar.

Andrea Röpke ist eine renommierte Kollegin, die für ihre Arbeit als Fachjournalistin zum Thema Rechtsextremismus in der Vergangenheit bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. Ihre Recherchen erscheinen in vielen Medien, unter anderem auch beim „Störungsmelder“. In ihren Artikeln sowie in ihren Büchern beleuchtet sie Hintergründe in der rechtsextremen Szene – und leistete damit einen bedeutenden Beitrag zur Aufklärung über neonazistische Aktivitäten in Deutschland. Nicht umsonst wurde unsere Kollegin als Sachverständige im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags und in den Gremien in Sachsen und Bayern gehört. Unbestritten zählt die Journalistin zu den kompetentesten Kennen der rechten Szene.

Ihre mitunter sehr gefährliche Arbeit brachte Röpke aber nicht nur viel Anerkennung, sondern auch eine Überwachung durch das Landesamt für Verfassungsschutz in Niedersachsen ein. Im Zeitraum von 2006 bis 2012 speicherte die Behörde Erkenntnisse über unsere Autorin. Dies war im Herbst 2013 bekannt geworden, als Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius mit Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger (SPD) die rechtswidrige Überwachung von insgesamt sieben Journalisten einräumen musste – darunter auch die Bespitzelung von Andrea Röpke. Zuvor war Röpke 2012 als Antwort auf ein Auskunftsersuchen noch mitgeteilt worden, dass über sie „weder eine Akte geführt wird noch Angaben in Dateien gespeichert sind“. Eine dreiste Lüge: Denn unmittelbar nach der Anfrage hatte die Behörde die unerlaubt angefertigte Akte vernichten lassen, die Journalistin erhielt vom Landesamt in Niedersachsen also eine bewusst falsche Information.

Inzwischen hat die Behörde die Akte von Röpke „soweit dies noch möglich war“ rekonstruiert. Was darin aufgelistet wird, ist unfassbar: Neben der journalistischen Teilnahme von Röpke an Demonstrationen vermerkt der Verfassungsschutz auch ihre Tätigkeit als Referentin und ihre Publikationen. Die Veröffentlichung von Fachbüchern präsentiert der Nachrichtendienst ebenso als Erkenntnis wie Artikel von Röpke bei dem Informationsdienst „Blick nach rechts“. Kurzum: Der Inlandsgeheimdienst interessierte sich für die journalistische Tätigkeit von Andrea Röpke, die eigentlich sogar durch das Grundgesetz geschützt ist.

Das aber sind längst nicht alle Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz über unsere Kollegin gespeichert hat. Ein Teil der Akte wurde Röpke nämlich nicht überreicht, dieser ist durch das Landesamt gesperrt worden und darf somit von der Journalistin nicht eingesehen werden. Damit ergeht es ihr ähnlich wie dem Fachjournalisten Kai Budler, der ebenfalls für den „Störungsmelder“ schreibt. Dieser hatte 2011 nach einem Auskunftsersuchen erfahren, dass er von der Behörde seit 1997 überwacht wurde. Vor Gericht klagte Budler gegen die Bespitzelung und erzielte einen Teilerfolg: Die öffentlichen Erkenntnisse hatte die Behörde rechtswidrig angefertigt und mussten deshalb gelöscht werden, die als geheimen eingestuften Erkenntnisse durfte der Geheimdienst aber behalten. Weil diese angeblich aus Quellenschutz unter Verschluss bleiben müssten, bekam weder das Gericht noch Budler Einsicht in die Dokumente. Seither muss der Journalist mit einer eventuell andauernden Überwachung leben.

Ähnlich wie Budler will nun auch Röpke vor Gericht ziehen. In einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in Stade will sie erzielen, dass der Verfassungsschutz die geheimen Einträge offenlegen und später die seit Jahren über sie gespeicherten Daten löschen muss.

Während der Fall demnächst also die Gerichte beschäftigen wird, ist er politisch nur bedingt ein Thema. Nachdem die rechtswidrige Bespitzelung von sieben Journalisten publik geworden war, war Innenminister Pistorius in einer komfortablen Lage. Die Überwachung wurde nämlich unter seinem Amtsvorgänger, dem CDU-Hardliner und Innenminister Uwe Schünemann, begonnen. Der SPD-Politiker konnte demnach nicht für den Fall verantwortlich sein und sich gemeinsam mit der amtierenden Verfassungsschutzpräsidenten Brandenburger als Aufklärer inszenieren. Sogar von einem Angriff auf die Pressefreiheit war einst die Rede gewesen.

Doch zumindest die Rolle von Brandenburger als Aufklärerin war schon damals scheinheilig. Karriere beim Verfassungsschutz hatte die SPD-Politikerin unter Schünemann gemacht, im Laufe der Zeit hatte sie die Karriereleiter bis zur Sprecherin der niedersächsischen Behörde erklommen. Als solche war sie es auch, die 2011 gegenüber den Medien die Überwachung von Kai Budler als „Linksextremist“ gerechtfertigt hatte. Und selbst als sie im März 2013 die Leitung des Amtes von ihrem Vorgänger Hans-Werner Wargel übernommen hatte, wurde die Überwachung von Budler nicht eingestellt. Im Gegenteil: Noch beim Verfahren im November 2013 hatten die Vertreter Brandenburgers Behörde die Überwachung vehement verteidigt. Für die jahrelange Bespitzelung hat sich nie jemand entschuldigt, die geheimen Akten wurden ihm nie offen gelegt – und bis heute wurden die Dokumente nicht gelöscht. Auch nicht unter der Ägide von Brandenburger, die kurz zuvor Chefaufklärerin gespielt hat.

Zudem ist die Rolle von SPD-Innenminister Pistorius – ebenso wie die Brandenburgers – längst nicht mehr glaubwürdig. Erst sprechen beide anlässlich der Überwachung von Journalisten von schweren Verfehlungen beim Verfassungsschutz und kündigen Aufklärung an, um nur wenig später Andrea Röpke Teile ihre Akte vorzuenthalten und sie so zu einer Klage zu zwingen. Das ist nicht nur scheinheilig, das ist eine unfassbar dreiste Lüge und eine Frechheit.

Dass unsere engagierte Kollegin Andrea Röpke seit Jahren wegen ihrer beruflichen Tätigkeit im Visier des Verfassungsschutzes steht, ist für sich genommen ein Skandal und ein schwerer Angriff auf die Pressefreiheit. Muss ein Journalist die Überwachung durch einen Nachrichtendienst fürchten, sind seine Quellen nicht mehr geschützt – das wiederum kann die Arbeit schwer behindern. Vom Gefühl, einer ständigen Überwachung ausgesetzt zu sein, ganz zu schweigen.

Andrea Röpke ist eine Journalistin, die zu rechtsextreme Veranstaltungen fährt und über diese in Artikeln und/oder Vorträgen berichtet. Sie macht nichts anderes als unzählige andere Journalistin in diesem Land auch, nur dass sie eben – anders als viele ihrer Kollegen – ihre tiefgründigen und investigativen Recherchen in der Neonazi-Szene durchführt. Doch Röpke steht im Visier des Verfassungsschutzes, eben weil sie über Neonazis berichtet. Da drängt sich fast der Eindruck auf, dass die Berichterstattung über und die Beschäftigung mit Rechtsextremismus offenbar ein staatsgefährdender Akt ist. Einfach gesagt: Röpke macht das, was Politiker in ihren Sonntagsreden Tag ein, Tag aus fordern: Sie sieht hin, wenn Neonazis auftreten und verschließt nicht die Augen. Genau dafür gerät sie dann aber unter die Räder eines Geheimdienstes, der offenbar vollkommen außer Kontrolle geraten ist und gezielt Dossiers über kritische Journalisten anlegt. Das ist eine unfassbare Frechheit, die keinesfalls hingenommen werden kann. Der Fall muss Konsequenzen für die Verantwortlichen und für die Präsidenten Brandenburger haben.

Der Verfassungsschutz muss Röpke umgehend Akteneinsicht gewähren und anschließend sämtliche je gesammelten Erkenntnisse über die Journalistin löschen, die Beobachtung unserer Autorin muss außerdem umgehend eingestellt werden. Die Berichterstattung über Rechtsextremismus ist schließlich keine verfassungsfeindliche Bestrebung, sondern ein wichtiger Beitrag zur Verteidigung der Demokratie. Wenn der Verfassungsschutz diese Erkenntnis noch immer nicht erlangt hat, stellt er damit nur einmal mehr seine eigene Daseinsberechtigung in Frage. Denn: Wer ist wohl der größere Verfassungsfeind? Die Journalistin Andrea Röpke, die mutig und engagiert über Neonazis berichtet – oder aber der Verfassungsschutz, der jahrelang eine mutige Frau überwacht, deren berufliche Tätigkeit sogar durch das Grundgesetzt geschützt ist? Die Antwort ist ganz einfach…