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„Skandalprozess“ gegen bayerischen Antifaschisten

 

Rund 40 Personen protestierten vor dem Amtsgericht Fürth gegen den Prozess | Foto: Müller
Rund 40 Personen protestierten vor dem Amtsgericht Fürth gegen den Prozess | Foto: Miller

Ein 27-jähriger Antifaschist soll einen bekannten Neonazi ins Gesicht geschlagen haben. Die einzige Belastungszeugin kommt ebenfalls aus der rechten Szene. Das angebliche Opfer soll des Öfteren Linke angezeigt haben, um an deren Daten zu kommen. Dass die Staatsanwaltschaft trotzdem ein Verfahren eröffnete und es nun zum Prozess kam, stieß bei Nazigegnern auf große Kritik am Vorgehen der Justiz. Der Antifaschist wurde trotzdem verurteilt, aber nicht wegen Körperverletzung.

Mit „voller Wucht“ habe er ihm ins Gesicht geschlagen, gab der 25-jährige Neonazi Christoph P. vor  dem Amtsgericht in Fürth an. Er habe nur seine Flugblätter für die „Bürgerinitiative soziales Fürth“ (BiSF) verteilen wollen.
Es geht um einen Vorfall vom Januar 2014. Neonazis aus den Reihen des mittlerweile verbotenen „Freien Netzes Süd“ (FNS) versuchten mit ihrer Tarnorganisation BiSF in den Fürther Stadtrat einzuziehen. Gewerkschaften, zivile Bündnisse und Antifa-Gruppen riefen deshalb dazu auf, die Unterschriftensammlung der Neonazis zu stören. Die Aktionen der Nazigegner waren erfolgreich, die Ultrarechten durften nicht zu den Wahlen antreten.

Christoph P. ist seit Jahren für die extrem Rechte Szene aktiv. Auf Aufmärschen fungiert er als Ordner und bedrängt Antifaschisten, als Anti-Antifa-Aktivist beobachtet er antifaschistische Aktionen und observiert linke Treffpunkte. Im Januar soll er einen Fürther Antifa-Aktivisten vor dessen Wohnung abgefangen und mit einem Messer bedroht haben. Das Verfahren wurde eingestellt. Bei BiSF Verteilungen trat P. als eifriger Anzeigenerstatter auf. Das Bündnis gegen Rechts (BgR) vermutete damals, er wolle so an Namen und Adressen kommen.

Am 24. Januar dieses Jahres trafen der angeklagte Antifaschist Simon V. (Name geändert) und der Neonazi Christoph P. bei einer Unterschriftensammlung der BiSF aufeinander. Der 27-jährige Antifaschist soll dem Neonazi unvermittelt mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen haben. Die Zigarette von P. sei ihm dabei im Gesicht „ausgedrückt worden“. Diese Geschichte erzählt P. im Laufe der Verhandlung in drei unterschiedlichen Versionen. Einmal war es ein Schlag mit der Faust, dann ein Schlag mit der Handfläche und dann mit dem Handballen. Wieso man keinerlei Verletzungen nach dem Schlag feststellen konnte, sondern lediglich Rußspuren, erklärte P. damit, dass der Schlag ja „nicht so arg“ ausgeführt wurde.
Der Angeklagte hat die Geschehnisse anders in Erinnerung. Aus seinem antifaschistischen Verständnis heraus sei er nach Fürth gefahren, um gegen die Nazis Stellung zu beziehen. Er ging auf den Neonazi P. zu, um ihm dessen Zigarette aus dem Mund zu schnippen. P. habe allerdings die Hand des Angreifers gepackt und sich selbst ins Gesicht gezogen, so der Angeklagte. Somit erkläre er sich auch die Rußspuren im Gesicht des Geschädigten, die auf Fotos der Polizei zu sehen sind.

Als Belastungszeugin fungierte die bekannte bayerische Neonazi-Kaderin Stella Ruff aus Fürth. Sie war an dem Tag als Wahlkampfhelferin für die BiSF im Einsatz und will den Vorfall beobachtet haben. Bei der polizeilichen Vernehmung im Januar gab sie an, der Angeklagte habe P. die Zigarette im Gesicht ausgedrückt. Vor Gericht erklärt sie, Simon V. habe zugeschlagen. Die Frage des Verteidigers Franz Heinz, warum sie vor Gericht etwas anderes aussagte als bei der Polizei, konnte sie nicht beantworten. Ebenfalls konnte nicht geklärt werden, wieso keinerlei Brandverletzungen im Gesicht von P. zu sehen waren.
Ein Streifenpolizist, der den Vorfall aufnahm, konnte ebenfalls keinerlei Verletzungen beim vermeintlichen Opfer feststellen. Eine 67-jährige, die den Vorfall beobachtet haben will, gab an, es habe keinen Schlag gegeben, der Angeklagte habe dem Neonazi P. lediglich die Zigarette aus dem Mund genommen. Dass sich ihre Angaben nicht mit den Aussagen des Angeklagten und der Zeugen decken, erklärte sie damit, dass sie sich eben nur so an den Vorfall erinnere.

Tatbestand der Beleidigung

Staatsanwalt Michael Schrotberger sah in den Einlassungen des Angeklagten lediglich eine Schutzbehauptung. Die Rußspuren im Gesicht von P. untermauern die Angaben Neonazis, meinte Schrotberger in seinem Plädoyer und forderte eine Geldstrafe von 2000 Euro. Verteidiger Franz Heinz schenkte den Schilderungen der Neonazis in seinem Plädoyer keinen Glauben. Das angebliche Opfer habe „drei Versionen der Vorkommnisse erzählt“, auch die Angaben von Ruff „passen überhaupt nicht zu den Aussagen des Opfers“. Zudem bleibe eine Berührung mit einer Zigarette „nie ohne Brandverletzungen“.
Richter Wolfang Ring sprach den Angeklagten in der Urteilsverkündung schuldig, nicht aber wegen Körperverletzung, sondern wegen Beleidigung. Die Missachtung des Angeklagten gegenüber Christoph P., „erfüllt den Tatbestand einer tätlichen Beleidigung“. Aufgrund der Aussagen des Antifaschisten sei der Vorgang „besser erklärbar“, die Neonazis widersprachen sich außerdem mehrfach in ihrer Darstellung. Der Angeklagte soll nun 30 Tagessätze zu je 20 Euro bezahlen.

Ruth Brenner, Sprecherin vom Fürther Bündnis gegen Rechts (BgR), kritisierte: „Die Neonazis haben sich von A-Z widersprochen“, des Weiteren seien „alle Anzeigen von Antifaschisten gegen die Neonazis eingestellt“ worden, die Polizei sei „teilweise bei Anrufen gar nicht erst erschienen“. In einer Pressemitteilung des BgR, die vor der Verhandlung verschickt wurde, wird darauf hingewiesen, dass durch Neonazis in Fürth „ein Schaden von fast 40.000 Euro entstanden“ sei. Die Polizei konnte keinen dieser Anschläge aufklären.

Die linksradikale Nürnberger Gruppe „Organisierte Autonomie“ (OA) wirft der Justiz in einer Pressemeldung vor, sie würde „den Neonazis in die Hände spielen“, da „ein Antifaschist aufgrund von der Aussage von zwei stadtbekannten Nazis vor Gericht gezerrt wird“ und spricht von einem „Skandalprozess“.
Ob das Urteil rechtskräftig in Kraft tritt, steht bislang noch nicht fest. Staatsanwaltschaft und Verteidigung waren sich nach dem Urteilsspruch noch nicht sicher, ob sie das Urteil anfechten werden.