Zum neunten Mal kamen am vergangenen Montag Menschen unter dem Label „Pegida“ in Dresden zusammen. Rund 15.000 waren es diesmal. Von Sarrazin über die AfD bis hin zu „HoGeSa“ hat dieser Protest seine Vorläufer: Denn neu sind die Inhalte nicht, die große Zahl an Menschen, die dies auf die Straße trägt, allerdings schon.
von Felix M. Steiner, zuerst veröffentlicht beim Göttinger Institut für Demokratieforschung
„Wir sind das Volk“ schallt es seit mehreren Wochen jeden Montag durch Dresden. Die Parole der alten Proteste dient nun – nicht nur in Dresden – als Konstruktion einer vermeintlich demokratischen Bewegung. Rund 15.000 Menschen zog es in der sächsischen Landeshauptstadt am vergangenen Montag bereits auf die Straße, es war die neunte Veranstaltung in Folge Unter dem sperrigen Namen „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ demonstrieren die Menschen wohl gegen vieles, doch die „Islamisierung des Abendlandes“ dürfte kaum der Kern ihres Protestes sein. So neu wie einige Medien diese neue Protestbewegung einordnen, ist sie indes nicht. Anders ist lediglich, dass sich Ressentiments und Rassismus in Deutschland wieder in einem derartigen Ausmaß auf der Straße verdichten und dies jenseits der organisierten extremen Rechten.
Getragen werden die Proteste von diffusen Ängsten, Desintegration und rassistischen Einstellungen, ein inhaltlich ausgearbeitetes Programm sucht man vergeblich. Aber dies ist wohl eines der Stärken der aktuellen Formationen: Sie bieten so leicht Anschluss für zahlreiche Menschen, die es mit ihrem Protest gegen „Ausländer“, „Islamisten“, „die da Oben“ oder die „gleichgeschalteten deutschen Medien“ auf die Straße treibt. Das Thema des radikalen Salafismus ist nicht mehr und nicht weniger als die Mobilisierungshilfe, welche deutlich weniger mit dem Ballast der extremen Rechten behangen ist, als beispielsweise Demonstrationen gegen Asylbewerberheime. Blickt man zurück, wird man unweigerlich im Jahr 2011 bei Sarrazins erstem Bucherfolg und den dadurch ausgelösten Debatten landen. „Deutschland schafft sich ab“ könnte heute ebenso gut als Slogan auf den Transparenten der Protestierenden zu lesen sein wie „Pegida“. Die Begriffe sind austauschbar und haben wenig analytischen Gehalt. Sie bieten vielmehr eine Symbolik, die vage genug bleibt, um sich an alle zu richten. Seitdem ist auch der Anstieg eines antimuslimischen Rassismus zu beobachten, der sich neben Antiziganismus zum dominierenden Einstellungsmuster in einigen Bevölkerungsgruppen zu entwickeln scheint.
Seit 2009 sind einer aktuellen Studie über die Mitte zufolge die ablehnenden Einstellungen gegenüber Muslimen deutlich angestiegen. Rund 36 Prozent der Deutschen würden Muslimen gern die weitere Zuwanderung verwehren und 43 Prozent fühlen sich wegen der hohen Zahl an Muslimen „wie ein Fremder im eignen Land“. Seit 2009 sind diese Werte um zehn Prozent und mehr gestiegen. Der Soziologie Oliver Nachtwey beschreibt die Ursachen wie folgt: „Das ist das Produkt einer nervösen Gesellschaft, in der Aufstieg immer weniger möglich ist und in der man das Gefühl hat, überall herrsche Kampf und Wettbewerb. Die Affekte, die das erzeugt, werden oft nicht auf ein System, sondern auf das Andere, das Fremde gelenkt.“ Außerdem macht Nachtwey die abnehmende Repräsentation der Bevölkerung in Parteien und Großorganisationen für diese Entwicklung verantwortlich, die aktuellen Demonstrationen bieten somit „Kanäle zur Artikulation von Ängsten“.
Diese Entwicklung dürfte nicht zuletzt auch mit der fehlenden integrativen Wirkung des rechten Flügel der CDU zusammenhängen, der sich in den letzten Jahren schon in Aktionen wie „Linkstrend stoppen“ in der Union bemerkbar zu machen versuchte. Die große Koalition hat diese Tendenz wohl weiter beschleunigt. Neben den Demonstrationen ist die Gründung der „Alternative für Deutschland“ die parlamentarische Konsequenz der fehlenden Integration des rechten Spektrums. So verwundert es weder, dass sich zahlreiche ehemalige CDU-Mitglieder in der AfD sammeln, noch, dass die „Alternative“ nun auch die Nähe zu den Demonstranten in Dresden und anderswo sucht. Schon bei der gewalttätigen Demonstration der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) in Köln Ende Oktober waren AfD-Funktionäre dabei. Einige hundert Fußballhooligans nehmen auch in Dresden an den Veranstaltungen von „Pegida“ teil und einige Aktivisten bilden eine organisatorische Brücke zwischen den beiden Gruppen. Eine genaue Analyse der Protestierenden steht allerdings bisher noch aus.
Dass „Pegida“ gerade in Sachsen einen derartigen Erfolg verzeichnen kann, ist so überraschend nicht. Im August 2014 konnte die AfD hier mit 9,7 Prozent in den Landtag einziehen und übernahm nach zehn Jahren von der NPD die Plätze ganz rechts im Parlament. Das Potential für die aktuellen Proteste ist also in Sachsen – mit Blick auf die elektoralen Erfolge – durchaus vorhanden. Der Wechsel von AfD und NPD, die sich nur teilweise in ihrer Wählerklientel überscheiden, zeigt aber auch, dass die extreme Rechte derzeit nicht von der Stimmung profitieren kann. Die NPD verpasste in Sachsen nicht nur den Wiedereinzug in den Landtag, sondern in Thüringen auch den Ersteinzug, mit dem die Neonazis fest gerechnet hatten. Die Menschen, die sich nun auf den Straßen in der ganzen Bundesrepublik sammeln, entstammen nur zu einem kleinen Teil der organisierten extremen Rechten. Wahrscheinlich würden sich die meisten keiner NPD-Demonstration anschließen, weil diese mit dem Stigma des Rechtsextremismus beladen ist. Die neuen und – zumindest was den Rechtsextremismus angeht – unbeschriebenen Organisatoren der „Pegida“-Proteste sind also zentraler Bestandteil jenes Erfolges. Die Themen und rassistischen Argumentationen entsprechen mit ihren Erzählungen von „Identität“ und „Überfremdung“ allerdings zu weiten Teilen den Inhalten der „Neuen Rechten“, wie sie sich spätestens in den 1980er Jahren in Deutschland formierte.
Dass die derzeitige Stimmung auch Folgen jenseits der Proteste hat, zeigte sich zuletzt vergangene Woche in Bayern, wo bisher Unbekannte drei frisch renovierte Asylunterkünfte in Brand steckten und rassistische Parolen hinterließen. Glücklicherweise waren die Gebäude unbewohnt. Allein in den ersten zehn Monaten des Jahres 2014 fanden deutschlandweit 200 Demonstrationen gegen Asylbewerberheime statt. Die Bundesregierung zählte bis Ende September 86 rechtsmotivierte Straftaten auf Asylbewerber und ihre Unterkünfte (Neue deutsche Welle, In: Der Spiegel 51/2014, S. 24.) – auch diese Zahlen sind seit 2012 stetig angestiegen. Da im nächsten Jahr kaum Wahlen anstehen, besteht zumindest nicht die Gefahr, dass Asyl erneut zum Wahlkampfthema avancieren könnte. Wie es mit den Protesten – unter welchem Namen auch immer – im beginnenden Jahr 2015 weitergeht, ist derzeit schwer abzusehen. Dass diese verebben ist, wohl ebenso möglich wie ein erneutes Aufflammen mit dem beginnenden Jahr. Die Weihnachtszeit und eine veränderte mediale Aufmerksamkeit könnten die Größe der Proteste im kommenden Jahr einbrechen lassen. Zumal der immer gleiche Aktions-Trott in der Regel auch die Motivation der Teilnehmenden mindert. Allerdings sieht es derzeit vielmehr so aus, als würde das Thema islamistischer Terrorismus über die Jahresgrenze tragen. Die blutige Geiselnahme in Australien und die Schulstürmung der Taliban in Pakistan spielen den Organisatoren in die Hände, auch wenn dies wenig mit einer vermeintlichen Islamisierung in Deutschland zu tun hat. Wenn der vor allem quantitative Erfolg der Demonstrationen sich zusätzlich als Motivation ins neue Jahr überträgt und die Politik die „Pegida“-Aktivisten als legitime Akteure des politischen Diskurses akzeptiert, spricht einiges dafür, dass die Proteste an Dynamik gewinnen könnten.