Tausende Neonazis feierten am Wochenende bei einem konspirativ organisierten Konzert in dem Schweizer Städtchen Unterwasser im Toggenburg. Die Polizei war vor Ort, griff aber nicht ein. Anwohner und Politiker sind entsetzt. Die Spur der Veranstalter führt nach Deutschland.
Von Björn Resener
Vor der Tennis- und Eventhalle Unterwasser deuten nur noch die Absperrgitter darauf hin, dass hier vor wenigen Stunden eine große Veranstaltung stattgefunden hat. Fast unvorstellbar scheint, dass es das größte Nazikonzert der vergangenen 20 Jahre war. Doch die Bilder aus rechtsextremen Internetforen sind eindeutig. Von rund 5.000 Besuchern spricht die Polizei. Die Halle ist jedoch nur für 2.000 Menschen zugelassen.
Zwei Mädchen sitzen an einem Holztisch nahe der Tennisanlage. „Der Samstagabend war unglaublich“, sagen sie. „Plötzlich waren da Tausende von Rechten, die im Ort den Verkehr lahmlegten und überall war Polizei.“
Auf den Tennisplätzen neben der Halle spielt ein Mann in weißer Hose. Es ist Beat Frischknecht, der Vermieter. Auf das Konzert angesprochen, reagiert er gereizt. „Warum interessiert sie das überhaupt? Es wurden keine Straftaten verübt!“
Dass es Fotos gibt, auf denen in seiner Halle der Hitlergruß gezeigt wird und diverse Texte der aufgetretenen Bands gegen die schweizerische Rassismusstrafnorm verstoßen, interessiert ihn nicht. „Das ist Sache der Polizei. Sie hat den Veranstaltungsort im Vorfeld abgenommen und wusste über das Konzert Bescheid“, sagt Frischknecht. Mit wem er den Mietvertrag geschlossen hat, will er nicht sagen.
In diesem Moment fährt ein schwarzer Jeep mit österreichischem Kennzeichen auf den Parkplatz. In dem Jeep aus Dornbirn sitzen kräftig gebaute Skinheads. Auf dem Parkplatz treffen sie eine Gruppe Neonazis aus Bregenz. Beide Orte liegen keine Autostunde vom Veranstaltungsort entfernt.
Die Schweiz als Paradies für Nazikonzerte
Aus ganz Europa waren am Samstag Rechtsextreme für das Konzert angereist, vor allem aus Deutschland. Deutsche Szenegrößen wie Frontalkraft, Stahlgewitter, Confident of Victory und die Schweizer Gruppe Amok wurden seit Wochen angekündigt. Auch Nazirapper Julian Fritsch aus Gütersloh, der unter dem Namen MaKss Damage auftritt, stand auf der Bühne. Unterstützt wurde er von zwei Mitgliedern der verbotenen Kameradschaft Aachener Land.
Der Ort des Konzerts wurde bis zuletzt geheim gehalten. Angekündigt war nur der „Raum Süddeutschland“. Über Schleusungspunkte gelangten die Besucher – zum Teil in Reisebussen – zur Halle. Die Schweiz gilt in der Szene längst als sichere Region für rechtsextreme Musikevents. Die Polizei beschränkt sich meist auf das Zuschauen, wie auch an diesem Samstag. Man habe die Halle während des Konzerts nicht betreten, bestätigte die Kantonpolizei. Bei einem privaten Anlass sei schließlich der Veranstalter dafür verantwortlich, was im Konzertlokal passiert, lautet die Begründung.
Entsprechend euphorisch sind die Berichte aus der Szene über das Konzert. „Was für ein Abend!“, schreibt die Berliner Rechtsrockband Spreegeschwader auf Facebook.
Bekannt wurde das Rechtsrockkonzert erst, als die Antifa Bern den Veranstaltungsort noch in der Nacht per Twitter veröffentlichte:
+++ Zur Zeit findet in Unterwasser, St. Gallen ein Neonazikonzert mit weit über tausend Nazis aus ganz Europa statt. +++ pic.twitter.com/JbFm3XMGXr
— Antifa Bern (@antifa_bern) 15. Oktober 2016
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Experten schätzen den Gewinn der Veranstaltung auf rund 150.000 Euro. Die Karten für das Konzert konnten für 30 Euro vorbestellt werden. Das angegebene Konto gehört, laut dem Recherche-Blog Thüringen rechtsaußen, dem aus Saalfeld stammenden Neonazi David Heinlein. Er war in Thüringen schon mehrfach in Konzertveranstaltungen involviert.
Den Mietvertrag für die Halle hat nach ZEIT ONLINE Informationen Matthias Melchner abgeschlossen. Gemeindepräsident Rolf Züllig bestätigte dies am Montag. Auch Melcher stammt ursprünglich aus Thüringen und hat enge Verbindungen zu dem rechtsextremen Tattoo Laden Barbarossa in Rapperswil, eine Stunde Autofahrt von Unterwasser entfernt.
Veranstaltung wurde als Nachwuchsband-Konzert angemeldet
Bei der Gemeinde Unterwasser, die das Rocktoberfest und den Ausschank von Alkohol bewilligt hatte, herrscht am Montag Krisenstimmung. Der Veranstalter hätte den Verantwortlichen das Konzert als Förderung für Schweizer Nachwuchsbands verkauft. Die Besucher hätten sich gesittet verhalten und der Veranstalter hätte alle Auflagen erfüllt. Er hätte sogar Leute organisiert, die hinterher den Abfall einsammelten, heißt es.
Die St. Galler Nationalrätin Barbara Gysi ist empört: „Mich ärgert, wenn Kantonspolizei und Gemeinde das Konzert verharmlosen und behaupten, der Veranstalter hätte sich an alle Auflagen gehalten“, sagt sie. „Die Bewilligung wurde für 600 Konzertbesucher erteilt, es kamen zehnmal mehr. Allein deshalb hätten sie einschreiten müssen.“ Auch sei es fahrlässig, einer Rockveranstaltung, für die keine Werbung gemacht wird, ohne weitere Prüfung eine Bewilligung zu erteilen: „Im Kanton St. Gallen wurden schon viel zu oft solche Neonazi-Konzerte geplant und auch durchgeführt“, sagt die SP-Politikerin.
Tatsächlich organisierte die Zürcher Blood-&-Honour-Sektion vor drei Jahren im naheliegenden Ebnat-Kappel ein Gedenkkonzert für den verstorbenen Nazimusiker Ian Stuart Donaldson mit mehreren Hundert Besuchern.