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Neonazi-Musikszene im Allgäu im Aufwind

 

Neonazi-Immobilie bei Bad Wurzach © S. Lipp

Die RechtsRock-Szene im Allgäu ist weiter im Aufwind, die Zahl der Konzerte steigt. Ein Grund ist der Erwerb eigener Immobilien, die der Szene neuen Freiraum verschaffen.

Bereits in den 1980er-Jahren erkannte der britische Neonazi-Musiker Ian Stuard Donaldson die Bedeutung einer rechten Erlebniswelt und Subkultur für Rekrutierung, Bindung und Ideologisierung der Neonaziszene und gründete Blood&Honour in Großbritannien. Inzwischen ist aus dem in Deutschland zwar seit dem Jahr 2000 verbotenen aber weiter aktiven Zusammenschluss ein international aktives Netzwerk geworden, das mit jahrzehntelanger Erfahrung ein Millionengeschäft mit teils konspirativ organisierten Neonazikonzerten betreibt. Das Netzwerk ist in der Lage auch illegale Tonträger sowie Aufrufe und Anleitungen für eine terroristische Durchsetzung neonazistischer Ideologie zu verbreiten. Der NSU wurde aus Blood&Honour-Strukturen heraus unterstützt und ging aus dieser Szene hervor.

Ebenfalls eine Nähe zu diesem Netzwerk zeichnet die RechtsRock-Band Faustrecht aus, die aus dem Allgäu stammt. Vor einigen Wochen veröffentlichte Allgäu ⇏ rechtsaußen mehrere bis dato nie gezeigte Ausschnitte aus Undercover-Filmaufnahmen. Sie zeigen das Neonazi-Urgestein Faustrecht bei einem Konzert vor zehn Jahren in Belgien. Sänger Norbert „Nogge” Lecheler steht auf der Bühne und erhebt den rechten Arm zum Hitlergruß. Er heizt das Publikum an. Als Hommage an den Gründer von Blood&Honour kündigt der Faustrecht-Frontmann den Titel Free my land von Skrewdriver an. Das Konzert war auch zu Ehren der Neonazi-Ikone Ian Stuart Donaldson gedacht. Lecheler galt den Sicherheitsbehörden bereits in den 1990er-Jahren als Führungsfigur der Allgäuer Neonazi-Szene aus dem Umfeld der nicht zuletzt wegen ihrer massiven Gewalttätigkeit verbotenen Skinheads Allgäu.

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Anfang Oktober 2017 lockte die lokale Neonazi-Szene etwa 250 Fans extrem rechter Musik zum 15-jährigen Jubiläum der Kameradschaft Voice of Anger zu einem Konzert ins Allgäu. Auf einem einsamen von Wäldern umgebenen Gehöft zwischen Bad Wurzach, Memmingen und Leutkirch sollte die Neonazifeier von der Öffentlichkeit unbemerkt stattfinden. Mit dabei war auch die Band Faustrecht. Doch das Flugblatt und ein geheimer Treffpunkt wurden vorab durch Allgäu ⇏ rechtsaußen veröffentlicht, wodurch die Veranstaltung öffentlich gemacht wurde.

Das Flugblatt zum Konzert, das Allgäu ⇏ rechtsaußen am Tag zuvor veröffentlichte

Rückschläge für die Szene

Die Neonazi-Szene im Allgäu um die Skinhead-Kameradschaft Voice of Anger erfährt in diesem Jahr verstärkt überregionale Berichterstattung. Im Fokus dabei steht auch die lokale Szenegröße Benjamin Einsiedler, der gleich mit mehreren Unternehmen im Musikgeschäft aktiv ist. Eine Folge der Berichterstattung ist der steigende Druck auf Einsiedlers Labels. Unter anderem das „unpolitische“ Label Subcultural Records. Mehrere Konzerte von Bands des Labels wurden deshalb bereits abgesagt, die Band Southern Rebels hat sich von dem Unternehmen getrennt und Loi!chtfeuer möchten in Zukunft nur noch geheime Konzerte geben.

Neben Subcultural Records betreibt Einsiedler auch das Neonazi-Plattenlabel Oldschool Records. Er gilt zugleich als Führungsfigur der Neonazi-Kameradschaft Voice of Anger. Nach einem aktuellen Bericht des Antifaschistischen Infoblattes (Nr. 116) versucht Einsiedler mit seiner Label-Ausgründung eine sich als „unpolitisch“ verstehende Skinheadszene mit Neonazi-Bands zusammen zu bringen.

Auch Oldschool Records ist Gegenstand kritischer Berichterstattung. Als einem Münchner Medienunternehmen bekannt wurde, dass es Tonträger für das Label herstellte, beendete der Geschäftsführer umgehend die Zusammenarbeit mit dem Neonazi-Projekt und positionierte sich ausdrücklich gegen rechtsextremes Gedankengut.

Tatsächlich befindet sich die extrem rechte Musikszene im Allgäu trotz dieser Rückschläge im Aufwind. Die extreme Rechte in der Region ist zunehmend in der Lage, Veranstaltungen durchführen. Wenn überhaupt werden sie erst spät bekannt. Zudem steigt die Zahl der für Neonazis nutzbaren Immobilien offenbar an. Das machen Recherchen von Allgäu ⇏ rechtsaußen deutlich.

Zahl der Veranstaltungen steigt

Schon im März 2017 richtete die Neonazi-Kameradschaft Voice of Anger im Geheimen ein Konzert mit 100 Teilnehmern in Krumbach aus. Dort traten die Bands Kraftschlag, Kodex Frei und Schanddiktat auf. Das zuständige Polizeipräsidium Schwaben Süd/West erfuhr die genaue Örtlichkeit erst am Tag der Veranstaltung und stellte Teilnehmer auch aus dem überregionalen Bereich fest.

Anhänger von Voice of Anger am 28.10.2017 beim Rock gegen Links in Themar © Thomas Witzgall

Die bayerische Staatsregierung listet seit Mitte 2015 insgesamt fünf  Neonazi-Musikveranstaltungen im Bereich Schwaben Süd/West:

  • Liederabend des NPD Kreisverbandes Neu-Ulm / Günzburg am 11.07.2015 in Illertissen mit Frank Rennicke  und 40 Teilnehmern
  • Sommerfest des NPD Kreisverbandes Neu-Ulm / Günzburg am 18.06.2016 in Illertissen mit Frank Rennicke und 50 Teilnehmern
  • Liederabend von Voice of Anger in Memmingen am 12.11.2016 mit David Surette und 40 Teilnehmern
  • Konzert von Voice of Anger in Krumbach am 25.03.2017 mit 100 Teilnehmern
  • Feier am 30.04.2017 Oberschönegg mit 20 Teilnehmern

Von der Feier in Oberschönegg erfuhr die Polizei erst in den frühen Morgenstunden durch die Mitteilung einer Ruhestörung. Laut Pressemitteilung der Polizei trafen die Beamten vor Ort rund 20 Personen an, deren Personalien aufgenommen wurde. Außerdem stellten die Beamten die Musikanlage sicher. Dass die 20 teilweise bekannten Neonazis ein Konzert von Voice of Anger mit den Bands Schanddiktat und Kommando 192 ausklingen ließen, war der Polizei nicht bekannt. Auch zur Gesamtzahl der Konzertteilnehmer können die Sicherheitsnbehörden keine Angaben machen.

Damit erweist sich die überraschend aufgeflogene Veranstaltung im Oktober als drittes und bislang größtes  bekannt gewordenes Konzert diesen Jahres im Allgäu. In den Jahren 2015 und 2016 waren nur ein bzw. zwei Konzerte bekannt geworden.

Immobilienerwerb durch Voice of Anger

Verschärft wird dieser Trend zunehmender Veranstaltungsdichte durch den Erwerb eigener Immobilien durch Anhänger von Voice of Anger. Im Jahr 2016 kaufte ein Szeneangehöriger die ehemalige Gartenschänke in Buxach-Hart, ein weiterer Anhänger von Voice of Anger beantragte eine Ausschanklizenz. Die Stadt Memmingen intervenierte zwar und versuchte, ihr aus einer Grundbucheintragung abgeleitetes Vorkaufsrecht durchzusetzen, scheiterte aber vor dem Bundesgerichtshof. Trotz der damals unklaren Eigentumsverhältnisse konnten die Neonazis in ihrem neuen Clubhaus mehrere Veranstaltungen mit je einigen Dutzend Teilnehmern abhalten.

Trotzdem die ehemalige Gartenschänke in der Nacht zum 25. April 2017 niedergebrannt wurde, standen den extrem Rechten andere Objekte für die oben gelisteten Musikversanstaltungen in diesem Jahr zur Verfügung. Allerdings hat der Wiederaufbau bereits begonnen. Wenn die Formalitäten mit der Bauaufsicht geklärt sind, wird aller Voraussicht nach auch dieses Gebäude bald wieder für Veranstaltungen der extremen Rechten im Allgäu zur Verfügung stehen.

Zudem ist nach Recherchen von Allgäu ⇏ rechtsaußen das Gehöft in den Wäldern von Bad Wurzach in der Hand eines Anhängers von Voice of Anger. Nur wenige Tage nachdem die neuen Eigentümer ins Grundbuch eingetragen wurden, feierten über 250 Neonazis dort das 15-jährige Bestehen der Neonazi-Kameradschaft Voice of Anger.