Seit einiger Zeit verdichteten sich die Hinweise, dass der Nazi-Kameradschaft „Voice of Anger“ ein neues Clubhaus zur Verfügung steht. Eine spontane Kundgebung am Donnerstag erwischte die Neonazis dort beim gucken des letzten Spiels der National-Elf – und bestätigte den Verdacht. Glaubt man dem bayerischen Verfassungsschutz, stellen „gemeinsame Freizeitgestaltung“ und Konzertbesuche den Mittelpunkt der Aktivitäten der Vereinigung dar. Tatsächlich stellt dies eine Verharmlosung der immerhin größten Nazi-Skinhead-Gruppe Bayerns dar.
Auf dem vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz (BfV) mitverantworteten Portal „Bayern gegen Rechtsextremismus“ heißt es zur 2002 gegründeten Kameradschaft „Voice of Anger“ (VoA), sie sei „entgegen der sonst rückläufigen Entwicklung in Bayern die größte noch aktive Skinheadgruppierung“ mit etwa 80 Mitgliedern. Allerdings ließt sich die Beschreibung ansonsten eher harmlos: „Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht die gemeinsame Freizeitgestaltung, interne Veranstaltungen und Feiern sowie die Veranstaltung bzw. Besuche von Skinhead-Konzerten.“
Seit ihrer Gründung kämpfen die Neonazis um ein eigenes Clubhaus – bisher konnten sie keines halten. In der letzten Zeit verdichteten sich nun die Hinweise, dass Ihnen ein neues Objekt zur Verfügung steht: Die ehemalige „Gartenschänke“ am Rande der Kleingartenanlage „Hart“ in Memmingen-Buxach an der Talstraße. Nachdem bereits beim Vorhergehenden Spiel der National-Elf mehrere Autos der örtlichen Rechten in der Nähe der Anlage abgeparkt wurden, war davon auszugehen, dass die Neonazis auch gemeinsam das Halbfinalspiel gegen Frankreich am 7.7. ansehen würden. Deshalb führten Antifaschisten spontan eine Kundgebung „Kein Raum für Nazis“ am Gelände durch.
Der Verdacht wurde bestätigt. Die Neonazis reisten geschlossen kurz vor Spielbeginn an, weil sie von der Polizei über die geplante Kundgebung informiert wurden. Die etwas weniger als 30 Rechten wurden über den Hof einer angrenzenden Zimmerei geführt. Der Kleingartenverein Memmingen distanziert sich von den Neonazis. Auf die kürzlich verkaufte „Gartenschänke“ habe der allerdings keinen Einfluss. Kundgebungsteilnehmer machten Anwohner per Flugblatt auf die neuen Nutzer der „Gartenschänke“ aufmerksam.
Unter den Anwesenden waren auch NPD-Anhänger. Umgekehrt nahm „Voice of Anger“ bei der letzten „Sonnwendfeier“ der örtlichen NPD teil, bei der die als Veranstaltungsort genutzte Scheune aufflog. Der Veranstalter der Feier und NPD-Vorsitzende Stefan Winkler besuchte am 9.3. zusammen mit Anhängern seiner Partei eine Veranstaltung der AfD zu „Merkels Asylpolitik“ und formulierte seine Zustimmung. Damals waren auch Mitglieder von „Voice of Anger“ im Saal. Zum letzten EM-Spiel der Deutschen zog es auch Kameraden aus dem Umfeld der Band „Faustrecht“, sowie solche die bei der einzigen geglückten „Allgida“-Aktion dabei waren oder beim jüngsten Scheitern von „Allgida“ im Umfeld der antirassistischen Demo gesehen wurden.
Auch Achim Kast bewegt sich im Umfeld von Voice of Anger. Er kandidierte als Direktkandidat bei der Bundestagswahl 2013 für die NPD, nachdem Kast mit Rudolf Rieger schon 2012 weder in den bayerischen Landtag, noch in den schwäbischen Bezirkstag einziehen konnte. Achim Kast war laut Informationen des Münchner Aida-Archivs Domain-Inhaber und „Hauptaktivist“ der „Kameradschaft Neu-Ulm“ (KSNU), gleichzeitig Pressesprecher für den Neu-Ulmer NPD-Verband und inhaltlich verantwortlich für deren Homepage. Schlagzeilen machte die KSNU, wie Aida weiter berichtet, im Juli 2008 mit einem Angriff auf eine Abi-Party im schwäbischen Nersingen, bei der Teilnahmer von Neonazis als „Judenbüble“ und „Nigger“ worden seien, bevor einer davon eine Gaspistole gezogen habe und einem der Jugendlichen ins Gesicht schoss. Die Polizei erteilte Platzverweise. Aida berichtet weiter, dass die Neonazis Verstärkung holten und erneut zuschlugen:
„Bewaffnet mit Bierflaschen, Holzlatten und Schlagstöcken griffen zehn bis fünfzehn Neonazis die zahlenmäßig unterlegenen Jugendlichen an und verletzten 2 Personen so schwer, das sie im Krankenhaus behandelt werden mussten. Die in Ulm erscheinende „Südwestpresse“ und die „Antifaschistische Aktion Ulm/Neu-Ulm“ berichten von blutüberströmten Opfern, mit Schnitten und Platzwunden am Auge, der Lippe und an den Händen. Ein anderer Verletzter habe Hämatome und Kratzer am ganzen Körper davongetragen. Die Angreifer hatten ihn mit Springerstiefeln oder Schlagstöcken traktiert. Im Nachhinein sprechen einige der Jugendlichen von einer regelrechten Hetzjagd: „Die haben mit Autos im ganzen Ort nach uns gesucht“, berichten zwei Zeugen der Lokalzeitung.“
Ein Teilnehmer bedrohte am Donnerstag einen Pressefotografen, als dieser Fotos der Gartenschenke fertigte. Angesichts der hinzutretenden Polizeibeamten wollte er dann doch lieber eine Anzeige versuchen. Das aber wurde zurück gewiesen. Schließlich mache er sich gerade zu einer relativen Person der Zeitgeschichte und müsse sich die Arbeit der Presse gefallen lassen.
Einer der extrem rechten Fußballfans ist offenbar Kampfsportler im „Herzblut Sportclub“ in Memmingen, wo in „Blood&Honour“-Shorts trainiert wird. „Blood&Honour“ (B&H) ist der Name eines im Jahr 2000 in Deutschland verbotenen internationalen Neonazi-Netzwerk, das mit „Combat 18“ (C18) über einen bewaffneten Arm verfügt. Nach Erkenntnissen von ZDF-Heute sollen 20 Personen aus dem Umfeld des NSU zu B&H gehört haben. Das Landeskriminalamt Thüringen schrieb 1999, das Kerntrio des NSU gehöre „in Jena zum harten Kern der Blood and Honour Bewegung“. Mitglieder des B&H-Netzwerkes waren der Frankfurter Rundschau (FR) nach auch Musiker Rechtsrock-Veteranen „Faustrecht“, die sich nach dem Verbot des Netzwerkes auflöste, seit einigen Jahren aber wieder spielt. Die FR charakterisiert die Band so:
„Faustrecht gehören zu den Veteranen der rechten Skinhead-Szene. 1994 gegründet, waren sie anfangs eine Art Hausband der 1996 verbotenen Skinheads Allgäu. Hetze gegen „zionistische Bastarde“ von der Bühne, Hitler-Grüße und Sieg-Heil-Rufe aus dem Publikum waren an der Tagesordnung. Mehrere CDs der Band sind indiziert.“
Heute wird „Faustrecht“ produziert und vertrieben vom in Bad Grönenbach bei Memmingen ansässigen Platten- und Klamottenproduzenten „Oldschool Records“. Im Sortiment des Neonazi-Versandes finden sich neben Eigen- auch Fremdproduktionen und ein umfangreiches Sortiment neonazistischer Devotionalien, darunter selbst produzierte Textilien. Bei einer Hausdurchsuchung in den Geschäftsräumen von „Oldschool Records“ 2014 stellte die Polizei über 900 Straftaten fest. Später wurden bundesweit 16 Objekte durchsucht, um einen Beschlagnahmebeschluss wegen Verherrlichung des NSU gegen einen bei „Oldschool Records“ erschienen Tonträger des Liedermachers „FreilichFrei“ durchzusezten. Der Geschäftsführer Benjamin Einsieder wird der Führungsebene von „Voice of Anger“ zugerechnet.