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Tschuldigung, sagt die Gitarre

 
Billy Bragg ist das gute Gewissen der englischen Popmusik. Auf seinem neuen Album „Mr. Love & Justice“ klingt er vielseitig wie immer, seine Texte schwärmen von sozialer Gerechtigkeit und der Familie.

Billy Bragg Love & Justice

„This machine kills fascists“ hatte sich der junge Woody Guthrie auf die Gitarre geschrieben. Der Engländer Billy Bragg machte Ende der siebziger Jahre ein trauriges „This guitar says sorry“ daraus. Seine Karriere als politischer Folksänger hatte gerade begonnen, er betrachtete Guthrie als das linke Gewissen Amerikas. In den achtziger Jahren sympathisierte Bragg mit Neil Kinnocks Labour Party, gründete die linke Aktivistengruppe Red Wedge, und streikte mit den Minenarbeitern. Später gab er sein rotes Parteibuch zurück und rief – frei nach Antonio Gramsci – den „Sozialismus des Herzens“ aus. Derweil schrieb er unzählige Stücke auf der E-Gitarre, aus ihnen klang seine Wertschätzung für Bob Dylan, The Clash und eben Woody Guthrie. Bald war Bragg selbst zum guten Gewissen der englischen Popmusik geworden.

Seit seinem letzten Album England, Half English aus dem Jahr 2002 war es still geworden um Bragg, dafür wurde er von jungen Musikern wiederentdeckt: Hard-Fi und Jamie T etwa spielten Lieder wie Levi Stubbs‘ Tears und A New England nach. Nun – im Alter von 50 Jahren – ist auch Billy Bragg wieder da: Mr. Love & Justice heißt das mit seiner Begleitband The Blokes eingespielte neue Werk.

Nur wenig hat sich verändert. Das erste Stück I Keep Faith, ist typisch Bragg’scher Soul-Pop, I Almost Killed You mit einer Mundharmonika verzierter Folk-Minimalismus, M For Me dann perlender Barjazz. Dazu gesellen sich Country-Rumpeleien, Gospel-Chöre und Orgeln. Manchmal jault die E-Gitarre verzerrt, zumeist obsiegen die Akustische und die Harmonie. Bragg hat die Themen seines neuen Albums so beschrieben: „Es deckt gewissermaßen meine beiden größten Leidenschaften ab: die Liebe zur sozialen Gerechtigkeit und die Liebe zu Frau und Familie.“

Im Titelstück fragt er ebenjenen Herrn der Liebe und Gerechtigkeit, was man in Krisenzeiten wie diesen nur tun könne. Er fragt sich selbst – und verweigert die Auskunft. So eindringlich Bragg seit drei Dekaden Missstände beklagt, einfache Antworten hat er schon länger keine mehr.

Bragg war der Sänger der Minenarbeiter, der Sänger der Gewerkschaften, der Maggie Thatcher ins Fegefeuer wünschte. Er war der Mann, der aus Wut und Leidenschaft betörenden Folk und Pop machte. Die Wut ist beinahe verschwunden, vom Politischen wechselt Bragg heute gerne ins Private – er weiß, dass beides zusammengehört. Geblieben ist er ein leidenschaftlicher Liedermacher mit einem unverwechselbaren Timbre. Mr. Love & Justice ist nicht sein bestes Album, doch es ist sehr gut, weil es so vielseitig ist. Braggs Gitarre sagt bis heute „Es tut mir leid“, doch sie kennt noch ganz andere Tonarten.

„Mr. Love & Justice“ von Billy Bragg ist bei Cooking Vinyl erschienen.

Der Sänger von Sonne, See und SozialismusBilly Bragg im großen ZEIT-Interview »

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