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Lebensretter zu verschenken

 
Lambchop aus Nashville suchen ihr Glück in Ohio. Die Lieder ihres neuen Albums changieren zwischen Soul, Folk und Country

Wie klingt es, wenn ein Dutzend weißer Countrymusiker aus Nashville den Soul spielt? Es klingt opulent, warmherzig und ein bisschen nostalgisch. So klangen, so klingen Lambchop – eine der aufregendsten musikalischen Entdeckungen der neunziger Jahre.

Kurt Wagner ist bis heute der Kopf der Band. Er ist Musiker, Gitarrist, Maler, Poet – und Liebhaber des Soul. Daher klingt Country à la Lambchop eben auch nach erdigem Soul – Steel-Guitar, Saxofon, Trompete, Vibrafon, Piano und Streicher schwingen ganz und gar einträchtig. Alben wie How I Quit Smoking, Nixon, What Another Man Spills und vor allem Is A Woman waren feine Meisterwerke, die akustische Gitarren und Orgelklänge in etwas Neuem vereinten. Mit tiefer Stimme singt Kurt Wagner darauf über Tod und Einsamkeit, über Selbstmord und Scheidungen. „Kein falsches Glitzerzeug, sondern Ansichten vom Leben, wie es ist“, war einmal im Tagesspiegel zu lesen.

Und heute? Das neue Album ist wieder bei der Berliner Plattenfirma City Slang erschienen, es trägt den sehnsüchtigen Titel OH (ohio). Schon die von dem Maler Michael Peed gestaltete Hülle mag man nicht aufhören zu betrachten, dieses Gemälde eines nicht mehr ganz jungen, nackten Paares. Sonderbar steif liegen sie da, ein bisschen umständlich. Wie Figuren aus einer mittelalterlichen Buchmalerei. Sie umarmen sich, er streicht ihr über die Brust. Sie lieben sich, im Hintergrund gibt ein Fenster den Blick auf die Welt frei. Wie anders ist die Szenerie draußen! Offenbar gab es einen Unfall, ein Mann liegt am Boden und wird verarztet.

Wer im Bett bleibt – und womöglich Lambchop hört – der braucht keinen Arzt. Der wird mit Musik kuriert. Mit Ruhe und Gelassenheit. Mit ausgesuchter Langsamkeit und Zartheit. So klingt Musik, von der man glaubt, sie könne Leben retten. Musik, die behaglich ist, aber auch flüstert: „Du wirst nicht immer leben.“ Auf OH (ohio) sucht die Band nach dem düsteren Vorgänger Damaged ihr Glück wieder in balsamischen, von Piano und Gitarre geführten Zeitlupenliedern zwischen Soul, Folk und Country.

Wer dieses Album besitzen möchte (man kann es wirklich nur empfehlen), der muss nur zum nächsten Kiosk gehen. Denn OH (ohio) wird gegen einen geringen Aufpreis sechzigtausendfach der Oktober-Ausgabe des Rolling Stone beiliegen. „Es ist das erste Mal, dass in Deutschland ein komplettes neues Album einer namhaften Band bei einer renommierten Musikzeitschrift veröffentlicht wird“, bewirbt die Plattenfirma den Coup. Sie ginge damit eine „Ehe in Sachen Qualität und Synergie“ ein, die es so noch nicht gegeben habe. Aber mutet das Verschleudern einer CD für weniger als zwei Euro nicht eher an wie ein weiterer verzweifelter Schritt des traditionellen Musikgeschäfts?

Wer sich am Kiosk lieber mit Getränken und Gedrucktem versorgt und seine Musik beim Plattenhändler kauft, an den hat die Plattenfirma auch gedacht: Im Laden ist OH (ohio) auf Vinyl und mit Bonus-CD erhältlich. Nicht allerdings bei Saturn und Media Markt, denn die haben aus Protest bereits alle Lambchop-CDs remittiert. Das wiederum dürfte City Slang erheblich treffen, schließlich wird bei den beiden Musikdiscountern gut ein Drittel aller CDs in Deutschland verkauft.

„OH (ohio)“ von Lambchop ist auf CD und LP bei City Slang/Universal erschienen.

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