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Ego schmeckt toll

 
Zwanzig Jahre hat Grace Jones kein Album veröffentlicht. Mit sechzig wagt sie einen neuen Anlauf. „Hurricane“ ist ein eitles Werk. Wie gut das klingt!

So kann man sie sich wirklich nicht vorstellen. Grace Jones steht am Fließband. In Arbeiterkluft mit Haarnetz. Keine Party, null Glamour. Das ist das Szenario im Heftchen, das ihrer neuen Platte beiliegt. In Plastik gegossene Körperteile liegen auf dem Fließband, am Ende der Produktionskette sind das Hunderte – wenn nicht tausend – Klone. Grace Jones reproduziert sich – klingt die Musik auch so?

Unbedingt!

Donnerte Horst Hrubesch dieser Tage wieder Kopfbälle zwischen die Pfosten, stiege Mohammed Ali wieder in den Ring – es käme uns mächtig exotisch vor. Zwanzig Jahre hat Grace Jones nun kein Album mehr veröffentlicht, mit sechzig wagt sie einen neuen Anlauf. So etwas geht meistens schief, die einen biedern sich dem Zeitgeist an, die anderen dokumentieren den Stillstand.

Grace Jones macht es besser, sie besinnt sich auf ihre Stärken. Das fiel ihr noch nie schwer. Hurricane ist ein eitles Werk, von Egozentrik durchdrungen: „Grace Jones is in the house …“ tönt eine Ansage, Jubel verhallt. Oder hat sie ihn verschluckt? Und wie schmeckt ihre Eitelkeit?

Lecker!

Ihre Platten aus den frühen Achtzigern klingen auch heute noch frisch. Zweieinhalb Dekaden nach Alben wie Night Clubbing und Warm Leatherette zaubert Grace Jones auf Basis des Erfolgsrezept ein neues Süppchen. Wie damals köchelt sie zum Rhythmus von Sly & Robbie. Die beiden sollen in ihrer Karriere etwa 200.000 Lieder eingespielt haben – da sind diese neun weiteren nur ein kleiner Gefallen! Sie bearbeiten Schlagzeug und Bass angenehm routiniert, eine innere Ruhe federt jeden Ton, jeden Taktschlag. Ihre Rhythmen sind luftig, man möchte ihnen stundenlang lauschen. Sie sind Grace Jones’ narrativem Stil eine geniale Grundlage.

Und da sind viele Gäste. Tony Allen ist dabei, der Erfinder des Afrobeat, Adam Green, die Thereminvirtuosin Pamelia Kurstin. Brian Eno spendet Geist, einem Stück leiht Tricky sein Krächzen. In dieser Runde entsteht düsterer Pop, der glänzt und funkelt.

Die Diva selbst bleibt eine Überzeichnung. Spielt mit Kannibalismen, sonnt sich im Ego. Nur einmal verbrennt sie sich: Amazing Grace hätte sie nicht singen müssen. Schon gar nicht zum Breitbandwabern des Synthesizers. Aber was sind schon dreißig Sekunden in einer hermetischen Dreiviertelstunde.

Lesen Sie hier die Rezension zum Album aus der ZEIT Nr. 46

„Hurricane“ von Grace Jones ist als CD und LP erschienen bei Wall Of Sound/Rough Trade.

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