Eine Nervensäge macht Musik: Frau Kraushaar haut uns mit ihrem Debütalbum „Le Salon Is Very Morbidä“ hintergründigen Dadaismus um die Ohren
Nerv-Musik tut sich meistens schwer. Das mag daran liegen, dass sie nervt. Deshalb kann sie auch nicht in Cafés gespielt werden. Sie bietet dem Hörer keine Ablenkung, sondern wirft ihn auf sich selbst zurück, setzt ihn dem grausamen Alltag aus. Und nervt weiter.
„Lalalalala, ich war schon als Kind eine Nervensäge!“ singt Frau Kraushaar im elften Stück ihres Debütalbums Le Salon Is Very Morbidä. Da hat man es schon längst begriffen. Der Bemusterungskopie liegt ein Stapel beschriebener Zettel bei. Ein Dossier. Es geht um Kunst. Und Kunst erklärt sich gern.
Lassen wir es beiseite und lauschen der Musik. Doch wie erklärt man die? Es ist diese durch Stahlbeton bohrende Stimme, der Zeigefinger ins Nichts, es sind die leiernden Melodien, die eckigen Rhythmen – alle Elemente dieses Albums insistieren auf ihr Recht auf Unstimmigkeit. Der morbidä kraushaarsche Salon ist nämlich vollgestellt, jede Zeit, jeder Stil hat hier Platz – die Besucher müssen eng zusammenrücken, wenn eine neue Stehlampe hineingeworfen wird.
Psychotische Kinderlieder erklingen, wie Kannst Du Mir Verraten, dem Techno entrissene Computerspielmusik wie Logan’s Run, die billigen Orgeleskapaden von Cats On Crack – ein Lied, das selbst auf noch härterer Droge schwer zu ertragen wäre. O Gaga Oh Jeh. Und Politiki Dummes Ficki – eine Tirade von Schimpfwörtern, wehmütig im Stile eines Poetry-Slams vorgetragen.
Immer weiter werden die Synapsen des Hörers strapaziert, und Silvia Berger, so heisst Frau Kraushaar bürgerlich, legt nach. Die schrullige Deutschtunesierin spricht bayerisch und singt in englisch, italienisch, finnisch, deutsch und in einer Fantasiesprache, nennen wir sie teutschdunesisch. Oder Spinnisch. Ihr Babelfisch ist wohl defekt.
Natürlich ist das alles nur scheinbar naiv, diese Musik ist hintergründiger Dadaismus! Genauer kann der Autor das nicht erklären, denn soeben ist sein Kopf geplatzt.
„Le Salon Is Very Morbidä“ von Frau Kraushaar ist als CD, LP und Download bei Labelship/Cargo erschienen.
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