Tom Krell wagt und mischt Ungeheuerliches in seinem Schlafzimmer. Als How To Dress Well könnte er dem R’n’B eine neue Richtung weisen.
Um eines klar zu stellen: Wie man sich schick anzieht, soll nicht Thema dieses Textes sein. Vielmehr werfen wir einen Blick in ein Schlafzimmer im nächtlichen Brooklyn, in dem kürzlich so etwas wie die Wiederbelebung des R’n’B mit neuen Mitteln gelang. Tom Krell heißt der Mann, der seine Musik unter dem Namen How To Dress Well bisher in seinem Blog veröffentlichte. Nun sind seine narkotisierten Soul-Entwürfe auf seinem Debütalbum Love Remains erschienen.
Diese Platte schöpft aus einer musikalischen Tiefe und atmosphärischen Dichte, wie man es lange nicht gehört hat. Dabei präsentiert sich Love Remains zunächst als sperrige Angelegenheit: Brüchig, verschwommen und voller geheimnisvoller Unschärfen ist dieses Album. Skizzenhaft und unfertig wirken viele der Stücke, die Tom Krell aufgenommen hat. Kaum hat man das Gefühl, sich in einem der Lieder zu verlieren, ist es schon wieder vorüber. Viele sind kaum länger als drei Minuten und ziehen vorbei wie Traumbilder. Aber genau das macht ihre Faszination aus. Den großspurigen, häufig überlangen Produktionen der amerikanischen Vorbilder, setzt Krell seine eigene Vision von Soul entgegen.
Hört man Lieder wie You Hold The Water und You Don’t Need Me Where I’m Going zum ersten Mal, möchte man zunächst am Equalizer drehen. Der Bass ist übersteuert, die Höhen verrauschen. Verzerrte Melodien ducken sich hinter Störgeräuschen, Überbleibsel schwerer Hip-Hop-Beats verschwinden hinter undefinierbarem Knistern.
Und überhaupt: Wo sind die Instrumente geblieben? Love Remains spartanisch instrumentiert zu nennen, wäre eine Untertreibung. Häufig lässt Krell nur Rhythmusschnipsel und verhallende Loops aufeinander treffen. Im Mittelpunkt dieses Albums steht Tom Krells außergewöhnliche Stimme.
Sein klares Falsett schwebt wie ein helles Licht über den zerklüfteten Klängen, umspült den Hörer wie warmes Wasser. Krell hat die Phrasierungen seiner Helden genau studiert. Die Liebe zum R’n’B der neunziger Jahre zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. Mal klingt seine Stimme, als würde man Justin Timberlake hinter einem Duschvorhang zuhören. Dann wieder glaubt man, D’Angelo sei nebenan eingezogen und probt für sein Comeback.
Doch es sind nicht nur die amerikanischen Sänger, deren Kunst Krell verinnerlicht hat. Hört man die um sich selbst kreisenden Stimmvariationen des Songs Suicide Dream oder das gespenstische Can’t See My Own Face, fühlt man sich an Sigur Rós oder die Melancholie des britischen Dubstep-Genies Burial erinnert.
In seinen stärksten Momenten gelingt Love Remains etwas, das den amerikanischen Vorbildern schon seit längerem Mühe bereitet: die Verbindung experimenteller Wagnisse mit emotionaler Tiefe. Und wenn Tom Krell in Endless Rain oder der großartigen Single Ready For The World sich doch so etwas wie poppige Anflüge gönnt, bleiben diese doch immer nur an der Oberfläche zugänglich. Schon bald zerfranst der Beat, mischen sich rätselhafte Stimmen und Echos unter die Bassläufe.
Gerade diese kurzen Ausflüge in den Pop geben Anlass zu Gedankenspielen: Nicht auszudenken, ließe man Tom Krell das lang ersehnte D’Angelo-Album produzieren!
„Love Remains“ von How To Dress Well ist bei Lefse Records erschienen.