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Lernen aus der Bundestagswahl

Damit wäre also die Bundestagswahl 2013 Geschichte. Schreibt sie auch Geschichte? Ja, die altehrwürdige FDP als Gründungsmitglied im Deutschen Bundestag ist erstmals nicht mehr im Parlament vertreten. Ja, die AfD hätte fast den Einzug in den Bundestag geschafft. Ja, die Union stand kurz vor der absoluten Mehrheit. Aber nun steht uns doch ein vertrauter Prozess der Koalitionsbildung bevor. Und eine Große Koalition könnte das Ergebnis sein.

So weit, so bekannt. Einige Aspekte rund um die Wahl 2013 aber werden bedeutsam bleiben:

1. Die Wahlbeteiligung

Irritierend genug waren am Wahlabend die „Entwarnungssignale“, als noch Zahlen von rund 73 Prozent Wahlbeteiligung kursierten. Konnte das wirklich schon zufriedenstellen? Geradezu absurd erscheint die öffentliche Beruhigung aber im Lichte der 71,5 Prozent, die das vorläufige amtliche Endergebnis als Wahlbeteiligung ausweist.

Denn klar ist damit: Die 70,8 Prozent Wahlbeteiligung von vor vier Jahr waren eben kein einmaliger Ausreißer, der nur eine Folge der Großen Koalition gewesen ist. Offenkundig müssen wir uns – selbst bei Bundestagswahlen – an Zahlen um die siebzig Prozent gewöhnen.

Wer aber macht die 30 Prozent aus, die nicht wählten? Wo war die Wahlbeteiligung besonders niedrig? Jedenfalls nicht dort, wo die Herren Welzer, Precht und Steingart wohnen. Die Wahlbeteiligung in Deutschland ist zunehmend ungleich verteilt; die unteren Schichten der Gesellschaft beteiligen sich immer weniger an der Abstimmung. Wenn wir also zukünftig über Gerechtigkeit sprechen, dann sollten wir auch über „gerechte“ politische Beteiligung sprechen.

2. Das hohe Ergebnis der Union

Mehr als 40 Prozent der Stimmen sind ein beeindruckendes Ergebnis für die Union, das steht völlig außer Frage. Tatsächlich schienen die Tage, in denen absolute Mehrheiten möglich sind, für viele (nicht für alle!) unvorstellbar. Gut: Man hätte nach Hamburg schauen können, wo die SPD mit absoluter Mehrheit regiert. Oder nach Bayern. Aber trotzdem war das Staunen ob der Zahlen der Union groß.

Doch ähnlich absurd wie die vielfach zelebrierten Requiems für die Volkspartei in der Vergangenheit waren, muten jetzt die Phoenix-Metaphern an. Die Volksparteien (wenn überhaupt reden wir ohnehin nur von der Union) sind nicht automatisch wieder da. Die Lehren der jüngeren Wahlen sind doch viel mehr: Die Stärke der politischen Beben hat zugenommen, die Veränderungsbalken an Wahlabenden sind länger denn je. Das gilt für Ausschläge nach oben (CSU, CDU, AfD), aber auch nach unten (FDP). Der Trend zu weniger Selbstverständlichkeiten ist es, der Wahlen heutzutage auszeichnet, nicht das Verschwinden oder Wiederauferstehen der Volksparteien.

3. Die FDP

Gerade die FDP ist eine Partei gewesen, die sich zu keinem Zeitpunkt auf eine allzu große Stammwählerschaft verlassen konnte. Sie war immer schon davon abhängig, dass ihr zusätzliche Unterstützung aus dem Moment heraus erwuchs. Deren jeweiliger Ursprung mag höchst unterschiedlich gewesen sein: Inhaltliche Überzeugungen und Positionen, Personal, taktische Überlegungen. Nichts davon gab es 2013. Insofern ist das Ergebnis der FDP konsequent. Aber auch hier gilt: Das Totenglöcklein sollte erst mal in der Schublade bleiben. Andere Parteien sind ebenfalls schon tief gestürzt, sind aber immer noch da.

4. Die Umfragen

Natürlich muss man auch über die Rolle von Umfragen sprechen. Sie waren präsenter denn je, sogar am Wahltag selbst ist noch eine Umfrage veröffentlicht worden. Für die FDP hatten sie unisono diese Botschaft: Wenn es auch knapp wird, die Liberalen werden in den Bundestag einziehen.

Welcher Unionsanhänger aber möchte seine Stimme unter diesen Umständen (und noch dazu nach den Erfahrungen von Niedersachsen) an die FDP verleihen? Am Ende könnten die Umfragen selbst – am Sonntag noch stand die FDP bei sechs Prozent – dazu beigetragen haben, dass sie sich selbst ad absurdum und die FDP aus dem Bundestag geführt haben. Das heißt keineswegs, dass man diese Umfragen verbieten sollte. Aber es heißt schon, dass man noch transparenter machen muss, wie sie entstehen und wo die Grenzen ihrer Aussagekraft liegen. Und wir alle müssen lernen, damit entspannter umzugehen.

5. Die Medien

Dass Umfragen nicht verschwinden werden, dafür werden die Medien dennoch sorgen. Die amerikanischen Kollegen sprechen von horse race journalism – über den Wahlkampf wird berichtet, als sei er ein Pferderennen. Oder zumindest ein Sportereignis. Beispiele gefällig? TV-Duell. TV-Dreikampf. Wahlarena. Wer hat gewonnen? Wer holt auf? Da passen Umfragen einfach zu gut ins Schema.

Dass insgesamt wenig über Themen gesprochen wurde, sondern eben über Umfragen, Koalitionen und Strategien (und am Ende sogar in einer Metaperspektive über diese Metaperspektive), passt ins Bild. Da sprechen Amerikaner auch von hostile media – feindlich gesinnten Medien –, die Politik als zynisches Machtspiel darstellen. An vielen Stellen mag das zutreffen, aber die eine oder andere Kritik von politischer Seite an den Medien mag dann doch zugetroffen haben.

6. Peer Steinbrück

Ob Peer Steinbrück der richtige oder falsche Kandidat für die SPD gewesen ist, darüber wird sich noch lange trefflich streiten lassen. Eines scheint gleichwohl bemerkenswert: Steinbrück war vor seiner Kandidatur ein elder statesmen. Vielleicht nicht ganz in der Liga von Helmut Schmidt, aber er war raus dem politischen Tagesgeschäft. Warum das relevant ist? Damit einher ging eine überparteiliche Wahrnehmung seiner Person, die ihm hohes Ansehen auch über Parteigrenzen hinweg einbrachte.

Mit seiner Kandidatur aber war Steinbrück zurück im Tagesgeschäft. Damit musste sein Ansehen in Kreisen des politischen Gegners zwangsläufig sinken. Denn den Politiker des Gegners mag man nicht. Sein Start war von vielem gekennzeichnet: eine überstürzte Präsentation, eine langwierige Diskussionen um seine Vortragstätigkeit. Aber auch von sinkenden Umfragewerten. Die waren aber „logisch“. Seine ursprünglich guten Umfragewerte, gerade in der berühmt-berüchtigten Mitte, waren trügerisch und seiner Rolle als elder statesman geschuldet. Als er das nicht mehr war, gingen auch die Zahlen runter.

7. Wer wird regieren?

Wer wird die nächste Bundesregierung bilden? Wir wissen es nicht. Die Koalitionsfrage ist offen und schwierig. Die Situation ist geradezu paradox. Wir alle als Wählerinnen und Wähler produzieren ein Wahlergebnis, das unübersichtlich ist, jedenfalls keine klaren und einfachen Koalitionen erlaubt. Aber gerade diese klaren und einfachen Koalitionen sind zugleich das, was sich die Bürger wünschen. Experimente am Koalitionsmarkt sind unbeliebt.

Vielleicht sollten wir uns alle im Vorfeld einer Wahl mehr miteinander unterhalten, um uns besser abzustimmen. Das ist aber natürlich schwierig bei 60 Millionen Wahlberechtigten. Und so müssen wir lernen, mit den neuen Gegebenheiten zu leben. Keine Experimente? Wohl doch.

 

Die bayerischen Verwandten und die Größe des Bundestages

Die bayerische Verwandtenaffäre sorgt für Turbulenzen. Bei Horst Seehofer. Im bayerischen Kabinett. Im bayerischen Landtag. Bundesweit. Auch bei den Bestuhlungsbeauftragten im Deutschen Bundestag.

Warum? 2009 hat die CSU in Bayern alle 45 bayerischen Wahlkreise direkt gewonnen. Am knappsten war es im Münchner Norden – dort gewann der CSU-Kandidat Johannes Singhammer mit einem Vorsprung von nur 0,9 Prozentpunkten vor dem SPD-Kandidaten Alex Berg seinen Wahlkreis. Im Nürnberger Norden – dem zweitknappsten Wahlkreis – hatte die siegreiche Dagmar Wöhrl schon 5,8 Prozentpunkte Vorsprung vor dem dortigen SPD-Kandidaten. Die bayerische Dominanz bei den Wahlkreisen scheint also kaum in Gefahr zu sein – Verwandtenaffäre hin oder her.

Wie sieht es bei den Zweitstimmen aus? Bayernweit hatte die CSU bei der Wahl 2009 42,5 Prozent der Zweitstimmen bekommen. Damit hätten ihr eigentlich nur 42 Mandate zugestanden. Folge? Drei Überhangmandate, denn jeder der 45 siegreichen Wahlkreiskandidaten der CSU darf natürlich – wie jeder andere siegreiche Wahlkreiskandidat auch – in den Bundestag einziehen. Das alleine kann einen gestandenen Bestuhlungsbeauftragten im Deutschen Bundestag aber nicht schocken.

Aber er weiß natürlich um die entscheidende Neuerung bei der Wahl im Herbst dieses Jahres – das neue Wahlrecht. Überhangmandate, die einzelne Parteien erzielen, werden dieses Mal durch zusätzliche Mandate für die anderen Parteien ausgeglichen. Und wenn die CSU in Bayern Überhangmandate bekommt, dann heißt es schnell: Ausgleichsmandate für alle! Selbst die Brüder und Schwestern der CDU in den anderen Bundesländern nebst allen anderen Parteien und ihren Landeslisten würden davon potenziell in Form von Ausgleichsmandaten profitieren.

Eine exakte Prognose ist zum heutigen Tage natürlich schwierig. Aber ein Blick zurück auf die Wahl 2009 kann helfen. So hat auch der Bundeswahlleiter für die Wahl 2009 eine Simulationsrechnung vorgelegt, wie heute die Sitzverteilung im Bundestag ausgesehen würde, wenn damals schon das neue Wahlrecht gegolten hätte. Ergebnis: Der Bundestag wäre größer geworden: Statt 624 Parlamentariern wären 671 Sitze im Parlament zu besetzen gewesen. Schuld daran wäre allerdings nicht die CSU, sondern die CDU gewesen: Sie hat bei der Wahl 2009 insgesamt 22 Überhangmandate erzielt, die noch schwerer ins Gewicht gefallen wären als die drei Überhangmandate der CSU. Die Überhangmandate der CDU wären die Triebfeder des Ausgleichsmechanismus gewesen.

Drehen wir aber mal an einem einzigen Schräubchen – und nehmen der CSU in Bayern 300.000 Zweitstimmen weg. Sonst nichts. Damit hätte die CSU in Bayern nur noch knapp unter 40 Prozent der Zweitstimmen erreicht. Folge: Ihr hätten damit nur noch 39 (statt 42) Sitze regulär zugestanden, statt drei wären nun sechs Überhangmandate angefallen, die auszugleichen gewesen wären. Und damit wäre jetzt tatsächlich die CSU (und nicht die CDU) die Triebfeder des neuen Ausgleichsmechanismus gemäß dem neuen Wahlrecht geworden.

Und in letzter Konsequenz wäre der Bundestag auf 713 Sitze angewachsen. Die CDU hätte zusätzlich zu ihren 22 Überhangmandaten in anderen Bundesländern 13 Ausgleichsmandate bekommen, um das paritätische Verhältnis zu den Sitzen der CSU wiederherzustellen, die SPD 28, FDP 20, Linke 15 und Grüne 13, verteilt auf ihre Landeslisten jeweils.

Die anderen Länder lachen sich vielleicht dieser Tage doppelt ins Fäustchen über ihre bayerischen Kolleginnen und Kollegen und ihre aktuellen Probleme. Aber den Bestuhlungsbeauftragten macht das nervös.

 

Grüne Fritzles und schwäbische Cleverles

Natürlich – es gab das erste Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück im Bundestag.

Natürlich – Horst Seehofer und Christian Ude stehen nun auch offiziell und parteitagszertifiziert bereit für ein episches Duell um die Macht in Bayern.

Natürlich – auch das Duell zwischen Deutschland und Schweden war auf seine Weise bemerkenswert (und merkwürdig).

Und doch drehte sich die sportlich-politische Welt am vergangenen Wochenende nur um Stuttgart.

Neulich die Pressekonferenz von Bruno Labbadia war vielerorts zu einer Wutrede hochsterilisiert worden. Dabei hatte sie doch maximal sieben „Trapas“ auf der nach oben offenen Wutredenskala verdient. Aber die junge Mannschaft des VfB hat in Hamburg eine Reaktion gezeigt und den altehrwürdigen HSV mit 1:0 besiegt.

Wer hat sich am meisten gefreut? Naturgemäß natürlich das Maskottchen des VfB. Gattung: Krokodil. Farbe: Grün. Name: Fritzle. Was das Lieblingsessen von Fritzle ist, erfährt man in seinem Steckbrief nicht – aber es kann nur eines sein: Laugenbrezeln.

Ein grüner Fritz? Laugenbrezeln? Schon ist man beim zweiten Großereignis, das Stuttgart am Wochenende weltweit berühmt gemacht hat. Wobei auch hier – ähnlich wie beim VfB – der grüne Fritz die Laugenbrezel sprichwörtlich verspeist hat. Fritz Kuhn ist seit gestern erster grüner Oberbürgermeister einer deutschen Landeshauptstadt. Nachdem es vor zwei Wochen in der ersten Runde noch keinem Kandidaten gelungen war, eine absolute Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinen, war gestern alles klar: Mit 52,9% der gültigen Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 47,2% hat Kuhn die Wahl eindeutig für sich entschieden.

Ob es für Laugenbrezeln – für dieses Werbesymbol hatte sich Werbeprofi und überparteilicher OB-Kandidat von CDU, FDP und Freien Wählern, Sebastian Turner, entschieden – ein guter oder ein schlechter Tag war, darüber waren sich zumindest die viralen Kräfte in diesem Internet uneins. Bei einigen freuen sich die lustig geformten Gebäckstücke über die wieder gewonnene Freiheit, bei anderen dagegen war von Brezel-Suiziden die Rede. Anatomiker fragen sich übrigens noch immer, wie die Hände einer Brezel es schaffen, sich selbst zu schütteln.

Wie dem auch sei. Der neue Slogan Baden-Württembergs heißt ab sofort: „Wir können alles – vor allem Grün“. Stadt und Land sind in grüner Hand, dem Wählerwillen sei Dank. Aber die Wähler im Ländle sind auch Schalke (Sportwortspielgefahr!), haben sie den grünen Spielmachern doch als Strategie den Bau von Stuttgart21 per Volksabstimmung verordnet.

Nicht verschwiegen werden darf bei alledem die Hauptbotschaft, die am Sonntag von Stuttgart ausging. Was Insidern schon immer klar war, haben die schwäbischen Tatort-Kommissare Lannert und Bootz massentauglich gemacht:

1) PoWis (Insidersprech für Politikwissenschaftler) – das sind die ganz harten.

2) PoWi zu studieren allein macht nicht verdächtig.

Cleverles, diese Schwaben. Das Wochenende sollte selbst die größten Skeptischer davon überzeugt haben.

Der Text ist auch auf Antrobius unter http://antrobius.de/schwabische-schalke.html erschienen.

 

Wir können alles – außer einem gewöhnlichen Bewerberfeld: OB-Wahl in Stuttgart

Von Thorsten Faas und Johannes Blumenberg

Sonntagszeit ist Oberbürgermeisterwahlzeit. Zumindest in Stuttgart. Am kommenden Sonntag steht der erste Wahlgang an, insgesamt 14 Kandidatinnen und Kandidaten stellen sich zur Wahl.

Die Stuttgarter OB-Wahl ist aus mehreren Gründen brisant und bemerkenswert:

  • Die Zahl deutscher Großstädte, die von einem Bürgermeister aus den Reihen der Union regiert werden, eignet sich inzwischen als Übungsaufgabe für Erstklässler – der Zahlenraum bis 10 ist völlig ausreichend. Noch gehört Stuttgart dazu, doch Amtsinhaber Wolfgang Schuster stellt sich nicht zur Wiederwahl. Das Rathaus ist ein „open seat“.
  • Trotzdem (oder deshalb?) haben CDU und SPD darauf verzichtet, ein Mitglied aus ihren Reihen zu nominieren, sondern sich für parteilose Kandidaten entschieden. Für die Union tritt Sebastian Turner an, Publizist, Werbefachmann und in dieser Funktion auch der Erfinder des Slogans „Wir können alles außer Hochdeutsch“. Turner wird auch von der FDP und den Freien Wählern unterstützt und versucht mit dem Slogan „Ein Bürger als Oberbürgermeister“ und einem Brezel-Logo zu punkten. Die SPD vertraut auf die derzeitige Bürgermeisterin von Schwäbisch-Hall, Bettina Wilhelm (Slogan: „Die Nächste für Stuttgart.“, „Rathauskompetenz“) .Für die Grünen, die die stärkste Kraft im lokalen Parlament sind, geht Fritz Kuhn ins Rennen, aus politischer Sicht vermutlich das schwerste Gewicht im Bewerberfeld – kein unwichtiger Aspekt angesichts eines Wahlzettels, auf dem nur die Namen der Personen, nicht aber ihre parteipolitischen Verbindungen vermerkt sind.
  • Aufgemischt wird das Feld weiterhin von Hannes Rockenbauch. Bundesweit bekannt geworden ist Rockenbauch als das Gesicht des Widerstands gegen das Bahnprojekt „Stuttgart21“ im Schlichtungsverfahren mit (unter?) Heiner Geißler. Er tritt für das Bündnis „Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS)“ als Kandidat an und bereitet vor allem den Grünen Bauch- und Kopfschmerzen. Gegner von Stuttgart21 könnten bei „Hannes kann es“ Rockenbauch ihr Kreuzchen machen – und nicht bei Kuhn.

Zehn weitere Kandidaten ergänzen das Feld. Vertrauen wir jedoch den jüngsten Umfrageergebnissen, so werden diese am kommenden Wahlsonntag kaum ins Gewicht fallen. Die eigentliche Entscheidung wird demnach vielmehr zwischen Kuhn und Turner gefällt; um Bronze kämpfen Wilhelm und Rockenbauch.

Zwei parteilose Kandidaten, ein Kandidat aus eher unbekannten (parteipolitischen) Reihen und ein bundesweit bekannter Grüner. Wir können alles außer einem herkömmlichen Bewerberfeld, könnte man sagen.
Ein wenig Orientierung für noch Unentschlossene bietet die Stuttgarter Zeitung. Diese hat – in Anlehnung an den (nicht nur treuen Blog-Lesern) wohl vertrauten Wahl-o-mat42 Thesen formuliert, zu denen sich die örtlichen Kandidatinnen und Kandidaten positionieren sollten. Halten sie ein umfassendes Glas- und Flaschenverbot auf öffentlichen Plätzen für sinnvoll? Wird Stuttgart 21 die Stadt städtebaulich voranbringen? Und vieles mehr…
Wie bei Wahlen und den Antworten der Parteien, so lässt sich natürlich auch hier aus den Antworten der Kandidaten ablesen, wer im Mittel wem wie nahe oder fern steht, indem man einen einfachen Übereinstimmungsindex (*) berechnet. Das Ergebnis sieht wie folgt aus:

Wie die Abbildung zeigt, findet sich die größte Übereinstimmung über alle 42 Aussagen hinweg zwischen Fritz Kuhn und Hannes Rockenbauch. Die beiden, die sich bei den zahlreichen Debatten im Vorfeld der Wahl so heftig beharkt haben, wenn es um Stuttgart21 ging, sind sich letztlich in der Gesamtschau doch so nah. Umgekehrt liegt die größte Distanz zwischen Sebastian Turner und Hannes Rockenbauch. Bettina Wilhelm nimmt eine moderate Position in der Mitte ein.

Insgesamt ergibt sich aller Besonderheiten zum Trotz beim Blick auf die Positionen ein recht bekanntes Bild: Turner – Wilhelm – Kuhn – Rockenbauch. Anders würde die Reihung bei einer Landtagswahl- oder Bundestagswahl auch nicht aussehen, wenn man die unterstützenden Parteien auf einer Dimension von links nach rechts sortieren würde.

Wir können alles außer einem herkömmlichen Bewerberfeld mag der Fall sein, aber ein bisschen Ordnung braucht der Schwabe dann eben doch. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass am Ende dann doch wieder alles so ist wie früher: Der Kandidat einer Partei gewinnt.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 42 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Johannes Blumenberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung.

 

Karlsruhe und das Wahlrecht: Auf in ein Nebengefecht!

Gespannt richtet sich der Blick der Politik – wieder einmal – auf Karlsruhe. Was wird das Bundesverfassungsgericht zum neuesten Versuch urteilen, ein verfassungsgemäßes Wahlrecht zu installieren? Ist das negative Stimmengewicht (das korrekterweise eigentlich „vermindertes positives Stimmengewicht“ heißen müsste, aber das ist eine andere Geschichte) zur Genüge beseitigt? Oder werden die Richter sogar noch einen Schritt weitergehen und dieses Mal gleich die ganze Idee (nicht ausgeglichener) Überhangmandate beanstanden?

Wie auch immer das Urteil am Mittwoch ausfallen wird – eine Chance haben alle Beteiligten in jedem Fall verstreichen lassen. Die ganze Diskussion um die Reform des Wahlrechts war von Anfang an durch Technikalitäten und Kleinigkeiten geprägt. Wie kann man das negative Stimmengewicht beseitigen? Wie lassen sich Überhangmandate erhalten (oder abschaffen)? Zweifelsohne: Das sind gewichtige Fragen, ein Wahlrecht muss auch in den Details prinzipientreu funktionieren.

Und dennoch: Das negative Stimmgewicht hat empirische Konsequenzen, die sich in der Größenordnung von einem einzigen Sitz bewegen, den eine Partei zulasten einer anderen bekommt. Der kann entscheidend sein, richtig. Aber es bleibt doch ein einziger Sitz. Überhangmandate haben da schon größere Auswirkungen. Nach der Bundestagswahl 2009 gab es 24 davon. Da sie alle zugunsten der Union entstanden, liegt ein beachtlicher Verstoß gegen das Gebot der Gleichheit der Wahl vor. Und doch sind selbst diese 24 Sitze eine relativ bescheidene Größe.

Gemäß Art. 38 (1) des Grundgesetzes werden „(d)ie Abgeordneten des Deutschen Bundestages … in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes.“ Doch wie kann man von Letzterem sprechen, wenn die Wahlbeteiligung – wie 2009 – bei gerade einmal 70,8 Prozent lag? In Sachsen-Anhalt gingen gerade einmal 60,5 Prozent der Berechtigten zur Wahl. Und in einigen Städten und Stadtteilen war die Beteiligung sicher noch viel niedriger. Hätten die Nichtwähler Sitze im Parlament, dann würden sie seit 2009 – je nach Zählung und Hürden – rund 180 einnehmen!

Gleiche Wahl? Vertreter des ganzen Volkes? Die jüngsten (rückläufigen) Entwicklungen bezogen auf die Wahlbeteiligung lassen beides zunehmend fraglich erscheinen. Aber leider hat über diese Frage – wie kann man Wählen (und das Wahlsystem) attraktiver machen? – in der ganzen Diskussion niemand auch nur ein einziges Wort verloren. Auch aus Karlsruhe werden wir dazu morgen nichts hören. Schade eigentlich.

Thorsten Faas (@wahlforschung) ist Juniorprofessor für Politikwissenschaft, insbesondere Wählerverhalten, an der Universität Mannheim.

 

Tour de Wahlomat 2012, heute: NRW und die Rückkehr der Sozialliberalen (zumindest ein bisschen)

Die große Tour des Wahlomaten durch die Republik geht weiter. Aktuell ist die Maschine in NRW stationiert. Wie schon bei den früheren Wahlen des Jahres im Saarland und in Schleswig-Holstein können wir für das größte deutsche Bundesland an Rhein und Ruhr anhand des Wahlomaten prüfen, wie nah oder fern sich die dortigen Parteien sind.

Im Rahmen des Wahlomaten nämlich werden den Parteien insgesamt 38 Thesen vorgelegt – mein Vorschlag, die Zahl netzgemäß auf 42 zu erhöhen, hat wieder kein Gehör gefunden. Diesen Thesen müssen die einzelnen Parteien entweder zustimmen, sie ablehnen oder aber sich neutral dazu positionieren. Auf der Basis der Antworten der Parteien lässt sich für jedes Parteienpaar ein Index der Übereinstimmung (*) berechnen, der einen Wertebereich von 0 bis 100 hat. Im ersten Fall (0 Prozent Übereinstimmung) würden die beiden betrachteten Parteien immer genau gegensätzliche Positionen zu jeder These einnehmen, während sie im zweiten Fall (100 Prozent Übereinstimmung) immer exakt identische Angaben machen würden.

Die folgende Abbildung zeigt nun, wie nah oder fern sich die einzelnen Parteien in Nordrhein-Westfalen stehen.

Grad der Übereinstimmung zwischen Parteien in Nordrhein-Westfalen

Vieles davon kommt uns bekannt vor; wir kennen es bereits aus den anderen Wahlomaten dieses Jahres. Die höchsten Übereinstimmungen gibt es zwischen Rot und Grün einerseits, CDU und FDP andererseits. Auch Grüne und Linke sind sich in hohem Maße einig, ebenso Linke und Piraten. In all diesen Fällen resultieren für die jeweiligen Parteipaare Übereinstimmungswerte von rund 80 Prozent.

Darüber hinaus bestätigt sich erneut, dass auf der linken Seite des politischen Spektrums Gedränge herrscht. Denn auch zwischen SPD und Linken, Grünen und Piraten sowie SPD und Piraten ergeben sich hohe Zustimmungsraten.
Allerdings – und das ist im Vergleich zu den anderen Wahlen des Überraschungswahljahres 2012 neu – stört die Kombination aus SPD und FDP den Reigen der linken Parteien. Die gute, alte sozialliberale Koalition – hier in NRW ist sie plötzlich eine realistische Alternative, wenn man die 38 Thesen zugrunde legt. Auch zwischen FDP und Grünen scheint der Graben nicht unüberbrückbar tief zu sein. Eine Ampel scheint also durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen; sie ist zumindest nicht weniger schwierig als die Große Koalition, die ja bekanntlich immer eine Option ist.

Die geringsten Übereinstimmungsraten stellen sich auf der anderen Seite für die Kombinationen aus CDU und Grünen (trotz Röttgen!) sowie CDU/FDP auf der einen Seite und Linken/Piraten auf der anderen Seite ein. Das ist wiederum klassisch und aus anderen Wahlen des Jahres bekannt.

Wie kommt das kleine Revival der Sozialliberalen zustande? Werfen wir abschließend noch einen Blick auf all jene Thesen, bei denen sich die NRW-FDP in Übereinstimmung mit der SPD und zugleich im Widerspruch zur CDU steht. Es sind vier an der Zahl:

1) Die Ehe zwischen Mann und Frau soll weiterhin mit mehr Rechten verbunden sein als gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften.
2) Die Praxisgebühr soll abgeschafft werden.
3) Kommunales Wahlrecht für alle dauerhaft in Nordrhein-Westfalen wohnenden Ausländerinnen und Ausländer!
4) Eltern, die ihre Kinder ausschließlich zu Hause erziehen, sollen eine finanzielle Unterstützung (“Betreuungsgeld”) erhalten.

Das wären demnach mögliche Brücken, die für eine sozialliberale gangbar wären. Ob es nötig sein wird? Warten wir einen spannenden Wahlsonntag ab.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 38 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

 

Kieler Signale – der bislang größte Erfolg der Piraten

In Kiel entern die Piraten nun zum dritten Mal erfolgreich ein Landesparlament – und es ist aus ihrer Sicht ihr bislang mit Abstand größter Erfolg. Berlin war eine Premiere, geprägt vom Reiz des Neuen. Die Erwartung einer klaren rot-grünen Mehrheit ließ den vermeintlichen „Luxus“ einer Piratenwahl zu. Ganz ähnlich die Situation im Saarland: In Erwartung einer angekündigten Großen Koalition (die selbst in diesen Zeiten noch eine sichere Mehrheit bekommt) konnten auch hier die Piraten deutlich profitieren. Auch an der Saar hätte man die Piratenwahl noch als Luxus, den sich einige Bürgerinnen und Bürger leisten wollten, abtun können.

In Schleswig-Holstein war die Situation gänzlich anders: Schwarz-Gelb in der Regierung, Rot-Grün als Alternative in der Opposition; dazu Umfragen, die einen knappen Ausgang erwarten ließen. Dass die Piraten trotz dieses offenkundigen Entscheidungsdrucks auf die Wählerinnen und Wähler und trotz der offenkundigen Möglichkeit eines Politikwechsels völlig problemlos im Kieler Landtag ankern konnten und damit zu einem Megapatt im Watt beitrugen, zeigt, wie stabil ihre Erfolgswelle ist. Und wie gut sie offenkundig einen derzeit weit verbreiteten Zeitgeist treffen.

Dass die Wahlbeteiligung trotz dieses Entscheidungsdrucks niedriger denn je war, ist ein zweites, sehr besorgniserregendes Signal aus Kiel. Und dass die Wahlbeteiligung ohne die Piraten noch niedriger gewesen wäre, verstärkt das Krisensignal noch weiter – denn nur sie konnten wieder einmal im Nichtwählerlager mobilisieren.

Das Signal aus Kiel ist ein ernstes: Die etablierten Parteien sind in schwierigem Fahrwasser unterwegs und selbst für sie sehr günstige Situationen – und die Wetterlage in Kiel war für die etablierten Kräfte günstig – ändern daran nichts.

 

PS: SSW @ Wahlomat

Eine Besonderheit der Wahl am morgigen Sonntag in Schleswig-Holstein ist natürlich der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) – nach eigenen Angaben die „politische Vertretung der dänischen Minderheit und der Friesen“. Als Vertretung einer Minderheit wird auch die für andere Parteien geltende (und bedrohliche) 5%-Hürde für den SSW nicht greifen; der SSW wird in jedem Fall Abgeordnete in den Kieler Landtag entsenden.

Angesichts der Knappheit der Umfragen könnte dem SSW die Rolle des Züngleins an der Waage zukommen. Wie aber steht der SSW zu den politischen Fragen und Problemen des Landes? Wie schon zuvor mit Blick auf die anderen Parteien im Norden des Landes kann man dazu auf den Wahlomaten und die dort präsentierten 38 Thesen zurückgreifen. Wie hat der SSW die 38 Thesen beantwortet? Und welches Maß an (Nicht-)Übereinstimmung ergibt sich daraus zu den anderen Parteien? Die folgende Abbildung zeigt die entsprechenden Indexwerte der Übereinstimmung (*):

Grad der Übereinstimmung zwischen SSW und anderen Parteien in Schleswig-Holstein

Die Ergebnisse zeigen, dass mit dem SSW noch eine Partei vor allem auf der linken Seite des politischen Spektrums positioniert ist. Die größte Übereinstimmung ergibt sich zur SPD, gefolgt von Linken und Grünen. Auch mit den Piraten stimmt der SSW in 60% der Fälle überein. Auf der anderen Seite überwiegen gegenüber der CDU die Unterschiede.

Zumindest aus inhaltlicher Sicht wäre also eine rot-grüne Regierung, die der SSW toleriert, gerechtfertigt. Ob das allerdings mit der Rolle des SSW als Vertretung der Minderheit in Einklang zu bringen ist (gerade auch im Falle eines Ergebnisses von weniger als 5%), wird sicher heftig diskutiert werden.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 38 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

 

Schleswig-Holstein @ Wahl-o-mat

Wahlzeit, Wahl-o-mat-Zeit, dieses Mal in Schleswig-Holstein. Wieder wurden die örtlichen Parteien mit 38 Thesen konfrontiert, denen gegenüber sie sich positiv, negativ oder neutral positionieren konnten. Die Themenpalette ist weit, sie reicht von lokalen Themen („Die Feste ‚Fehmarnbeltquerung‘ soll gebaut werden“; „Das Kernkraftwerk Brokdorf soll sofort abgeschaltet werden“) bis zu bundespolitischen Themen („Schleswig-Holstein soll sich für ein NPD-Verbot einsetzen“, „Das Land Schleswig-Holstein soll sich für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einsetzen“). Und wie immer stelle ich mir die Frage: Wie haben eigentlich die Parteien in Schleswig-Holstein die Fragen beantwortet? Wer stimmt – alles in allem – mit wem am meisten überein? Wer kann mit wem überhaupt nicht?

Wie schon bei früheren Wahlen kann man sich nämlich die Antworten der Parteien auf die 38 Thesen genauer anschauen und daraus einen Indexwert (*) ableiten, der anzeigt, wer wem wie nahesteht. Tut man dies für SPD, CDU, Grüne, FDP, Linke und – auch hier führt kein Weg an ihnen vorbei – Piraten, so ergibt sich folgendes Bild:

Grad der Übereinstimmung zwischen Parteien in Schleswig-Holstein

Was zeigen die Ergebnisse? Nähern wir uns von den Rändern den Ergebnissen an: Die größte Übereinstimmung gibt es zwischen SPD und Linken, die geringste Übereinstimmung – und zwar mit Abstand – zwischen CDU und Linken. Insgesamt zeigen sich an der Spitze große Übereinstimmungen zwischen SPD, Grünen, Linken und Piraten, was wieder einmal zeigt: Die Piraten konkurrieren vor allem mit linken Parteien. Einzig die Kombination von CDU und FDP – an Platz 2 liegend – stört den Reigen dieser vier Parteien.

Auf der anderen Seite ist es insbesondere die CDU, die – mit der erwähnten Ausnahme der FDP – vergleichsweise große Abstände zu anderen Parteien aufweist. Dies gilt für das Paar CDU/SPD – die Übereinstimmung liegt unter 50% und dürfte eine große Koalition nicht gerade leicht machen. Auch Schwarz-Grün (und auch Gelb-Grün) weisen geringe Übereinstimmungsquoten auf – allem Sinnieren des FDP-Spitzenkandidaten über eine mögliche Jamaika-Koalition zum Trotz. Und schließlich zeigt sich wieder einmal: Zwischen CDU und Piraten – Peter Altmaier zum Trotz – funkt es noch nicht.

Schaut man sich die letzte Umfrage an, die für Schleswig-Holstein vorliegt, so wäre wohl tatsächlich eine Koalition aus Rot, Grün und Orange aus inhaltlicher (Wahl-o-mat-)Sicht die wahrscheinlichste Mehrheit. Aber ob Piraten ebenso wie Rot und Grün dafür bereit sind – fraglich. Aber warten wir doch erst einmal einfach den Wahlsonntag ab. Spannend wird er in jedem Fall.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 38 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

 

Parteien, Mitglieder, Wähler: Saarland

Fast ist der Punkt erreicht, an dem zur Landtagswahl im Saarland vom vergangenen Sonntag alles gesagt ist, nur noch nicht von jedem. Aber eine kleine Anmerkung zu dieser Wahl sei mir hier doch noch erlaubt, weil sie meines Erachtens sehr deutlich macht, was dort mit Blick auf die Parteien – und inbesondere die Piraten einerseits, die FDP andererseits – passiert ist.

Die Abbildung setzt die Zahl der Stimmen, die die einzelnen Parteien am Sonntag erhalten haben, ins Verhältnis zur jeweiligen Mitgliederzahl dieser Parteien. (*) Angenommen wird dabei, dass alle Mitglieder einer Partei diese Partei auch tatsächlich gewählt haben – was nicht allzu kühn erscheint.

Besonders die Extreme stechen dabei in bemerkenswerter Weise hervor: Auf der einen Seite stehen die Piraten, die trotz geringer (wenn auch stark wachsender) Mitgliederzahl und damit einhergehend geringer Verankerung in der Gesellschaft eine unglaublich hohe Stimmenanzahl erreicht haben: Rund 400 Mitgliedern stehen 35.000 Stimmen gegenüber, der Anteil der Mitglieder an den Stimmen liegt demnach bei gerade einmal etwas über einem Prozent. Das zeigt deutlich: Die Piraten treffen derzeit eine gesellschaftliche Stimmung, die sie von einem Erfolg zum nächsten zu führen scheint.

Dem steht am anderen Ende die FDP gegenüber. Hier gilt: Auf ein Mitglied kommen nur noch zwei zusätzliche Wähler – über ihre Mitglieder hinaus ist es der Partei offenkundig kaum noch gelungen, Stimmen anzuziehen. Wenn die Wählerschaft einer Partei zu rund einem Drittel aus gebundenen Mitgliedern besteht, kann jedenfalls von einem gesellschaftlichen Rückhalt jenseits der eigenen Partei kaum noch die Rede sein…

(*) Die Mitgliederzahlen wurden aus verschiedenen Quellen zusammengestellt, u.a. den einschlägigen Wikipedia-Seiten zu den Parteien im Saarland, der aktuellen Medienberichterstattung (im Falle der Piraten) sowie der Zusammenstellung von Oskar Niedermayer zu Parteimitgliedern in Deutschland.