Lesezeichen
 

Schwaben und Servicewürste

Es geschah an einem Grünkohltag. Grünkohltag? Ich muss es wohl erklären. Ein Grünkohltag ist ein Tag, an dem man morgens aufwacht, müde, erschöpft und übellaunig. Man weiß genau, dass das Einzige, was einen überhaupt aus dem Bett hochreißen kann die Aussicht ist, des Abends Grünkohl mit Kartoffeln und Schinkenknackern zu essen. Man nimmt hierfür daselbst ein Kilo tiefgefrorenen Grünkohl, schält etwa die selbe Menge an Kartoffeln, schwitzt eine kleingehackte Zwiebel in etwas Schweineschmalz an, löscht mit einem Viertelliter Rindskraftbrühe, gibt eine Kinderhand voll Liebstöckel hinzu, kantet den tiefgefrorenen Grünkohlklotz nebst den in kleine Stifte geschnittenen Kartoffeln hinzu, salzt beherzt, verlängert mit einem Viertelliter Wasser, legt vier geschälte Knoblauchzehen und mehrere Schinkenknacker, notfalls Landjäger obendrauf, auf dass Knoblauch- und Wurstsud in den Grünkohl hineindiffundieren mögen, deckelt all jenes und lässt es ein bis zwei Stunden auf kleiner Flamme kochen. Danach lupft man den Deckel, schmeißt den Knoblauch weg, legt die Würstel beiseite, mengt zwei Esslöffel Dijonsenf in die Grünkohl-Kartoffel-Masse und beginnt mit rosigen Wangen zu fressen.

Solcherart waren meine Gedanken beim Aufwachen. Ein Stündlein später stand ich frischgewienert im Kaiser’s-Supermarkt, lud Grünkohl und Kartoffeln in mein drahtiges Einkaufswägelchen und stellte mich an der Fleischtheke an, zu kaufen die Schinkenknacker. Eine mittelalte Frau stand bereits da und kaufte ebenso gemählich wie ausführlich Aufschnitt hoher Diversität in Großfamilienmengen. Ebenfalls am Orte: Ein Mittdreißiger, schlank, eng sitzende schwarze Röhrenjeans, dunkelblaue Kickers-Schuhe, dunkelblaue Jack Wolfskin-Outdoor-Jacke höchster Vernunftstufe, dunkelgrüner Plastikrucksack, überdies eine Brille mit runden Gläsern tragend, leicht angegraute Langhaarfrisur, zum Pferdeschwanz gebündelt. Also: Ein Schwabe.

Zwei Kilo Rindsrouladen bestellt er. Und fügt an: „Geschnitten“.

Die Bedienung merkt auf: „Aber sicher, wenn Sie Rouladen bestellen, sind die immer vorgeschnitten.“

Der Schwabe retourniert sofort, als hätte er diese Antwort bereits einkalkuliert. „Des saget SIE.“

Fragend schaut die Bedienung. Der Schwabe legt nach: „Meine Fraú habet Sie ledschde Woche sséhr geärgert. Sehr geärgert.“

„Wie das?“

„Sie hat zwei Kilo Schweinskotelett bestellt. Und hat die komplett am Stück bekommen. Da war nix geschnitten. Gar nix.“

„Und warum hat Ihre Frau nix gesagt?“

„Meine Frau? Die Geli? Warum die nix gsagt het? Sie kennet halt die Geli net“, stößt er verbittert lachend hervor.

„Na, ärgern wollten wir sie bestimmt nicht“, sagt beschwichtigend, vermittelnd die Bedienung.

Die mittelalte, Aufschnitt kaufende Frau dreht sich um: „Mein lieber Herr, so ungewöhnlich ist das übrigens nicht, das Fleisch am Stück zu verkaufen. Hätte ja sein können, dass Sie einen Braten machen möchten.“

„Oder für die Gastronomie einkaufen“, schalte ich mich unvermittelt und überraschend in die Dreierkonferenz zu. „Da schneidet man sich das dann selber zu“. Dazu mache ich ein sehr schlaues Gesicht, indem ich den Kopf nach hinten lege und dann mit einer „Tja!“-Geste ruckartig nach vorne sacken lasse.

Nun sitzt er in der Falle, der Schwabe. Doch er ist ein echter Schwabe, er hat sein Pulver noch nicht verschossen, und daher zischt er jetzt die schlimmsten Schwabenworte, die es auf der ganzen Welt gibt, es sind Worte, die nur Dummbatzen höchster Dummbatzigkeit von sich geben, und diese Worte lauten:

SERVICEWÜSTE DEUTSCHLAND!

Doch meine Fleischfachverkäuferin schaltet noch einen Gang höher. Nach einem Blick in meinen Einkaufswagen, wir erinnern uns: Grünkohl, Kartoffeln, greift sie an den Haken, wo die zarten, saftigen Schinkenknackerwürstl hängen, zwinkert mich an und fragt rhetorisch: „Für Sie sicher zwei Servicewürste“.

„Ja“, sage ich, „zwei Servicewürste Deutschland. Am Stück, wie Gott sie schuf, keinesfalls geschnitten“. Der Schwabe zuckt zusammen und schleicht gedemütigt in Richtung Pfandautomat, wo er seine Apfelsaftfläschlein in Reih und Glied einstellen wird. Da keimt in mir ein teuflischer Plan auf. Ja, ich werde gleich, an der Kasse, mir meine Treueherzen auszahlen lassen und sie wegschmeißen, vor seinen Augen. Weiden werde ich mich an seinen traurigen Schwabenaugen, die voller Schmerz die Verschwendung schauen. Und danach, ja, danach werde ich meinen Grünkohl aufsetzen.

 

Mit Trauken und Pompeten

Wer eine wirklich wirre Veranstaltung erleben möchte, sollte sich am 14.01.2007 um 21 Uhr im White Trash einfinden. Da spielt nämlich die Blue Babas Bigband. Eigentlich geht das überhaupt nicht zusammen, denn die Blue Babas sind eine unglaublich spielfreudige, laute, zuweilen geradezu brutale Big-Band, die keinerlei Angst vor falschen Tönen hat und deren Bandleader Thomas Germer stark an den frühen Heinz Erhard erinnert. Das White Trash wiederum gibt sich als coolste, ironischste Restauration westlich von Tilsit. Es wird also auf jeden Fall sehr, sehr, sehr wirr, irr und lustig. Hingebefehl!

 

Und immer wieder Respekt

Die Berliner Sparkasse hat eine neue Plakat-Kampagne. Auf Bushaltestellenplakaten wirbt sie mit dem Konterfei eines gut aussehenden, stolz dreinschauenden jungen Türken und behauptet: „Die behandeln mich mit Respekt“. Ich habe vor sehr vielen Jahren mal ein Sparkassenkonto gehabt und gekündigt, weil ich dort so ziemlich alles angedreht bekam außer Respekt und bin jetzt wirklich sehr gespannt, ob ausgerechnet der türkische Berufsschüler wirklich diesen „Respekt“ zugestanden bekommt, oder ob es sich eventuell hierbei um das Ergebnis sehr, sehr teurer Werbeagenturarbeit handelt, mit Studien, Panels und Umfragen und der unglaublich erstaunlichen Erkenntnis, dass junge Menschen aus dem Morgenland vor allem, jawohl!, Respekt schätzen.

 

Ein gutes neues Jahr

… wünsche ich Ihnen. Etwas verspätet, da mit Virus flachgelegen. Danke für die vielen Kommentare im letzten Jahr und die treue Leserschaft. Auf ein gutes 2007 !

Ihr Jochen Reinecke

 

Flughafen Tempelhof: Die unendliche Geschichte

Mein Lieblingsflughafen Tempelhof, den ich gerne auch Teghafen Flumpelhof nenne, er ist eine 1a – Projektionsfläche. Für manche ist er Stätte einer Verschwörung, für andere – hauptsächlich Menschen, die in der Einflugschneise wohnen – ein Ärgernis, für viele Geschäftsreisende aber schlicht ein super erreichbarer, angenehm ruhiger, gemütlicher Kuschelpuschelflughafen. Nun heißt es, die Deutsche Bahn AG wolle den Flugbetrieb übernehmen und den Flughafen in Kooperation mit dem deutsch-amerikanischen Investor Fred Langhammer profitabel machen. Nun gut, das Risiko, dass Herr Mehdorn sich mit den historisch fragwürdigen Architekten nachträglich anlegt, ist gering. Auch hat es Tradition, dass man bei der Bahn in alles mögliche investiert, nur nicht in das Schienennetz. Insofern ist die Entscheidung zu begrüßen. Oder?

 

Preist das Finanzamt

Heute morgen um halb neun mit Bauchweh und Diarrhoe am Telefon gesessen; aus Gründen brauche ich eine Zweitausfertigung meines Einkommensteuerbescheids für das Steuerjahr 2005. Und zwar bis übermorgen. Meinen Originalbescheid hatte ich verloren. Ich saß vor dem Telefon und fixierte es. Was würde geschehen? Ich würde stundenlang abwechselnd auf ein ewig durchtutendes Freizeichen bzw. ein Besetztzeichen stoßen. Gegen Mittag würde ich durchkommen, man würde mich mannigfaltig weiterverbinden, die zuständige Dame letztlich würde mich auslachen, demütigen, verstoßen und mich auffordern am Samstag um 06.30 Uhr zur Außenstelle Treuenbrietzen zu kommen, 8 Passfotos mitzubringen und 80 Euro Gebühren in kleinen Scheinen.

Aber nein. Ich rief an. Kam sofort durch. Wurde weiterverbunden, und zwar richtig. Ja, ich kann die Kopie bekommen. Wie lang das dauert, frage ich. Eilt es? Ja, es eilt. Na, dann schicken wir das heute noch raus.

BUMM!

Nun danket alle Gott! Preiset und rühmet das Finanzamt Berlin-Schöneberg!!

 

Gans herausragend

Ich habe gestern den leckersten Gänsebraten meines Lebens gegessen. Und zwar in einer heiteren Runde aus 15 Leuten im Prater. Die kompletten Gänse kamen in gigantischen Schüsseln, fertig vorportioniert, unfassbar zart und würzig daher und lagen auf einem Arrangement aus Grün- und Rotkohl. Dazu gab es köstliche Klöße und eine sämig-dunkle Tunke. Es war lecker. Lecker. Lecker!! Ich habe noch nie so einen zarten Gänsebraten essen dürfen. Überrascht war ich auch von den Weinen. Der Bordeaux (Chateau Pessan St. Hilaire) für faire 21 Euro die Flasche war ausgezeichnet trinkbar, herrlich vanillige Tannine. Außerdem ein trotz absoluter Überfüllung des Ladens sehr aufmerksames und nettes Personal. Alles in allem ein Fest und dringend anempfohlen!

Prater
Kastanienallee 7– 9
Berlin
U Eberswalder Straße
Telefon: 030 /448 56 88
Keine Kredit- oder EC-Karte!

offen: Montag – Samstag ab 18 Uhr und Sonntag ab 12 Uhr

 

Honeckers Bunker – jetzt virtuell begehbar

Im Norden von Berlin, tief in den Wäldern versteckt, liegt die geheime Kommandozentrale, die Erich Honecker damals für den „Ernstfall“ bauen ließ. Mein Tagestipp für morgen: Der Honecker-Bunker kann seit gestern in einer Multimedia-Ausstellung besucht werden, und zwar im Zivilschutzbunker am Potsdamer Platz, Stresemannstr. 94 (neben dem Europahaus). Öffnungszeiten SA 14-20 Uhr oder nach telefonischer Anmeldung unter 0174-3232921.

Hier kann man das Ganze übrigens von oben sehen.

 

More than a Peeling

Was für ein Mistwetter. Was für ein Mist-Tag. Was für eine Mistwoche. Arbeit bis unter den Stehkragen, chronisch zu wenig Schlaf, Himmelherrgott, ich brauche eine Auszeit.

Und da habe ich mir heute was richtig, richtig feines gegönnt. Einen Besuch im Sultan Hamam zu Schöneberg. Man stapft missmutig die Bülowstraße entlang, betritt einen zweifelhaft aussehenden Hinterhof, sucht und findet eine blaue Stahltür, geht hindurch, entert sodann einen verranzten und verwarzten Aufzug, der einen in die zweite Etage bringt – und dann ist das Schlimmste überstanden. Am Empfang steht ein freundlicher, jüngerer Türke, der alte Hasen routiniert begrüßt und Neulinge gründlich über das Sultan Hamam informiert. Es besteht aus drei zentralen Räumen, einem großen, warmen Dampfbad, einem kleineren, heißen Dampfbad und einer Sauna. Die Sauna habe ich nicht ausprobiert; Sauna kann man auch woanders kriegen, mir ist danach, mich im Dampf marinieren zu lassen, und zwar stundenlang. Ich bekomme ein Handtuch, einen Spindschlüssel und eine Schale aus Metall.

In der blitzsauberen Umkleide entkleide ich mich und bringe mich ungefähr in die Optik, in der Gott mich schuf, wickele mir dann keck ein Handtuch um die Hüften und gehe erst mal duschen. Das Handtuch darf ruhig nass werden, hier wird sowieso gleich alles nass, und zwar langfristig. Nun ab in die erste Dampfhütte, ein ebenfalls blitzsauber gekachelter Raum mit allerlei Ecken, in denen man sich hinsetzen, -hocken oder -legen kann. Leis dumdideldeit eine zarte Melodey aus wasserdichten Lautsprechern. Angenehm gedämpftes Licht herrscht, Duftlampen sorgen für angenehme Gerüche. Ich nehme in einer Ecke Platz. Jede Ecke hat ein kleines Wasserbecken und einen Heiß- und einen Kaltwasserhahn. Vorsicht, das Wasser im Heißwasserhahn ist wirklich brutal heiß. Ich mixe mir eine schöne Temperatur, lasse das Wasser in meine Metallschale laufen und übergieße mich ein ums andere Mal mit Wasser. Herrlich! Ah! Wasser verschwenden! Welch Vergnügen. Ich vergesse alles andere und widme mich erst mal ein wenig dem Entspannen und Schwitzen. Nach einer Viertelstunde wage ich die verschärfte Version und betrete das zweite Dampfbad.

Mein lieber Schieber. Hier ist es wirklich heiß, also: SEHR. Sehr, sehr heiß. Es ist ähnlich wie in der Sauna, nur dass man hier Dauer, Temperatur und Häufigkeit der Aufgüsse selbst bestimmen kann, weil es wiederum für jeden Gast ein eigenes Miniaturwaschbecken gibt. Ich plansche heiter-besinnlich herum und werde von nun an mehrere Stunden lang zwischen dem sehr heißen und dem sehr warmen Dampfbad hin- und herpendeln.

Nach einer Weile schrecke ich hoch. Huch! Ich war eingeschlafen! Man ruft meinen Namen. Jetzt kommt mein Peeling. Jawoll. Mein Peeling!

Meinen Lendenschurz muss ich nun abnehmen; ein freundlicher junger Herr, ebenfalls spärlich bekleidet, reinigt einen riesigen Marmortisch mit geschätzt 200 Litern Heißwasser, dann nehme ich Platz. Also: Lege mich hin. Mit einem Seidenhandschuh rubbelt der junge Herr nun sämtliche je in meinem Leben in meine Haut eingebrannten Schmutzpartikel aus mir heraus. Das Ganze ist völlig entspannt und natürlich und ohne jedweden homoerotischen Anstrich. Angenehm! Nach einer Viertelstunde bin ich fertig und gieße weitere 2000 Liter Wasser verschiedener Temperaturen über meinen sich zunehmend in wohlige Auflösung befindlichen Körper.

Nach drei Stunden reicht’s, ich ziehe mich um. Spülhände! SPÜLHÄNDE! Das fühlt sich schlimm an. Noch schlimmer wäre es mit solchen Händen Kreide anzufassen, ein 1A-Antifetisch.

Drum, liebe Leser, merket auf: Ins Hamam nur mit Vaseline. Nicht, was ihr denkt: Für die Hände! Für danach. Eine Rundherum Supersache, so ein Hamam.

Der Montag ist NUR für Männer, DI MI DO FR SA NUR für Frauen – und der Sonntag für alle zusammen. Hingehen!

SULTAN HAMAM
Bülowstraße 57, 10783 Berlin
Tel.: 030 / 21 75 33 75
Fax: 030 / 21 75 05 45

 

Das wird teuer – Mehdorns Waterloo

Möglicherweise dürfen sich die Berliner an eine neue Großbaustelle gewöhnen. Das Berliner Landgericht hat am 27. November der Klage des Hautpbahnhof-Architekten Meinard von Gerkan statt gegeben, derzufolge eine Änderung seines Bauplans durch die Bahn AG unzulässig sei. Die Bahn hatte entgegen von Gerkans Willen statt der geplanten, gewölbten Decken Flachdecken einziehen lassen, die wiederum von einem anderen Architekten geplant worden waren. Die Bahn geht natürlich in Berufung, aber wenn es hart auf hart kommt, muss der Hauptbahnhof in einer 3 Jahre langen Umrüstungsaktion umgebaut werden, was mit derzeit etwa 40 Millionen Euro Baukosten beziffert wird.

Es steht Aussage gegen Aussage. Die Bahn AG sagt, man habe den Plan geändert, um Geld zu sparen; von Gerkan habe auf Anfragen, wie der Bau billiger anzufertigen sei, keine Vorschläge geliefert. Von Gerkan kontert, die wahren Gründe für die Veränderung seines Entwurfs seien „menschlicher Natur“. Es sei Herrn Mehdorn darum gegangen, „ein Exempel zu statuieren, [zu] zeigen wer der Herr im Hause ist“.

Liebe Leserinnen, Liebe Leser, was halten Sie von dem Urteil?