Zum Abschluss des EU-Gipfels zur Wirtschaftskrise war Angela Merkel gut gelaunt. Sie habe mal wieder „Ja“ gesagt zu europäischen Lösungen. Na ja…
Richtig freuen dürfte sich heute abend EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Er hatte vor dem Beginn des Gipfels gefordert, die EU-Mitgliedsländer müssten 1,5 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes ausgeben, um die Konjunktur anzukurbeln, europaweit etwa 200 Milliarden Euro. Darauf haben sich die Staatschefs der 27 Länder in Brüssel nun auch geeinigt.
Zudem stellten sie klar, dass Europa trotz der Wirtschaftskrise am Klimagroßziel festhalten werde, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.
Wieder einmal alles gut also in Brüssel? Nun ja. Hinter der zur Schau gestellten Einigkeit verbergen sich in Wahrheit noch immer sehr verschiedene Wirtschaftspolitiken. Was etwa Deutschlands Haltung zu Konjunkturprogrammen betrifft, gibt es streng genommen keine Neuigkeit – und was den Klimaschutz betrifft, eine neue Lastenverteilung.
In der Konjunkturpolitik hatte sich Merkel schon früh von den etwas krisenplanwirtschaftlichen Ausgabenzielen des Kommissionspräsidenten distanziert. Warum, fragte man im Kanzleramt, solle sich Deutschland ohne Not an einer Art europäischen Ausgabenpauschale beteiligen? Gerade erst schließlich habe Deutschland seinen Haushalt ausgeglichen, und was hülfe es letztlich, kommenden Generationen neue Schulden und höheren Steuerlasten zu hinterlassen?
Gegenüber beispielsweise Großbritannien, dessen Inlandsprodukt sich zu einem wesentlichen Teil aus Gewinnen aus Finanzdienstleistungen zusammensetzt, steht Deutschland in der aufkommenden Wirtschaftskrise noch immer vergleichsweise stabil da. Klar, dass es dem sonst eher EU-reservierten Gordon Brown da plötzlich leicht fällt, höhere europäische Ausgaben zu fordern. Klar auch, die Kanzlerin skeptisch ist, ob finanzielle Injektionen in die Volkswirtschaft ähnlich heilende Effekte erzielen könnten. Deutschlands Wirtschaftsleistung hängt zu 40 Prozent vom Export ab. Da zeigen Investionen in die Binnenmarktnachfrage weniger Effekte als in anderen Ländern.
Deswegen hat Merkel in Brüssel nicht mehr versprochen als sie es schon in Berlin getan hatte. Konjunkturausgaben ja, aber nur solche, die ihr im Hinblick auf die nationale Volkswirtschaft sinnvoll erscheinen. Das könnten etwa sein: öffentliche Bauprojekte (auch mitfinanziert von den Bundesländern), die steuerliche Abschreibung von Krankenkassenbeiträgen, oder der Ausbau von High-Speed-Internetverbindungen. Schon vor dem Gipfel hatte die Bundesregierung für derlei Maßnahmen 31 Milliarden Euro eingeplant. Draufgelegt hat Merkel in Brüssel nichts – weder Konsumgutscheine noch Mehrwertsteuersenkungen. „Wenn wir nach der Krise in jedem Haushalt – auch im ländlichen Raum – Breitbandanschlüsse haben, dann haben wir von dieser Krise etwas gehabt“, so die Kanzlerin zum Abschluss des Gipfels im Brüsseler Ratsgebäude.
Etwas gehabt von der Krise hat auch die europäische Klimapolitik: einen Zuwachs an Ehrlichkeit. Zwar halten die Staatschefs hartnäckig am 20-20-20-Ziel fest. Doch angesichts der Bedrohung, die der Klimaschutz für Arbeitsplätze haben kann, machten einige europäische Regierungen klar, dass es für sie plötzlich Wichtigeres gibt als die Rettung der Welt vor dem Hitzetod.
Und so werden die westeuropäischen Regierungen den osteuropäischen Partner, deren Hauptstromquelle Kohlekraftwerke sein, unter die Arme greifen, wenn es dereinst darum geht, CO2-Zertifikate für die Rauchschleudern zu erwerben. Zudem sollen bestimmte ernergieintensive Branchen von der Vollauktionierung der Verschmutzungszerfikate ausgenommen werden, sprich: das Recht zum CO2-Ausstoß wird zwar limitiert, aber gratis verteilt.
Einer, der die Folgen dieses EU-Gipfels ganz nüchtern auf den Punkt bringt, ist der tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg. „Alles in der Politik ist auch Mode“, erklärte der 71-jährige erfahrene Staatsmann. „Und die Kohlenkraftwerke im Osten, Automobilwerke in Deutschland etc. zu retten, ist derzeit eben wichtiger als die Welt zu retten. In der Wirtschaftskrise bedenkt man auch andere Prioritäten. Der globale Klimaschutz wird sich jedenfalls verzögern.“
Ein hübsches Stück Klartext, von dem Europa in den kommenden Monaten noch mehr erleben dürfte. Am 1. Januar übernehmen die Tschechen die Ratspräsidentschaft.