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Jeder darf AUSREDEN!

© Sebastian Bolesch

Prinzessinenbad-Regisseurin Bettina Blümner macht jetzt auch Theater. Am HAU präsentiert sie Der Familienrat.

Die Filmemacherin begleitete die Pilotphase des Projektes „Familienrat“. Die Jugendämter wollen damit Familien zur eigenverantwortlichen Lösung sozialer oder familiärer Konflikte anleiten. Auf der Basis dieser Filmaufnahmen hat Blümner einen Theaterabend entwickelt. Sechs Darsteller stellen sich darin dem Familienwahnsinn – immer schön nach den Familienrat-Regeln…

Weil sich Berlin derart auf die Probleme Anderer freut, sind bereits zwei Zusatzvorstellungen anberaumt.

20 Uhr | 7.-10. Januar 2011 | HAU 3 | Tempelhofer Ufer 10 | Berlin Kreuzberg

 

Lenz im Loop

© Gregor Knueppel

Das Performancekollektiv andcompany&Co loopt Lenz am HAU.

Da hat sich andcompany&Co was Wildes vorgeknöpft: den Dreiakter Pandämonium Germanicum (1775) von Sturm & Drang Dichter J.M.R. Lenz. Lenz steigt darin mit Goethe zum Tempel des Ruhms herauf und verunglimpft die „Starliteraten“ seiner Zeit. Es ist eine Satire auf den Literaturbetrieb und den Geniekult.

Die Performer haben sich den groteskten Stoff von Lenz vorgenommen, also reanimiert und neu abgemischt. Da kommt dann nicht mehr nur Goethe vor. Sie stellen dem Rebell und Verlierer – in seinem Wahnsinn stirbt Lenz allein – einen Weiteren zur Seite: Bernward Vesper. Der Schriftsteller brachte sich 1971 in der Psychatrie um und hinterließ Teile seines Romans Die Reise. Darin geht es um seine Erfahrung als Sohn ein Nazidichters, Ex von Gudrun Ensslin und Drogen… Darüber hinaus haben andcompany&Co allerlei aktuelle Bezüge aufgetan. Und so liest sich die Ankündigung, als könnte der Abend ein großer Spaß werden – oder anstrengend.

20 Uhr | 06. sowie 8.-11. Januar 2011 | HAU 2 | Hallesches Ufer 32 | Berlin Kreuzberg

 

Wer braucht schon heile Welt

© Iko Freese

Die Wildente fragt, wie viel Wahrheit der Mensch verträgt.

Am DT läuft statt der angesetzten Nibelungen außerplanmäßig die Thalheimer-Inszenierung von Ibsens Wildente. Das Stück handelt von einer einfachen Familie, die an der Enthüllung einer Lebenslüge zerbricht.

Besagte Familie Ekdal lebt ein ohnehin bescheidenes Glück, das u.a. aus einer flügellahmen Wildente auf dem Dachboden besteht. Dann taucht ein Jugendfreund auf und beschließt, den Vater über die Abgründe der Ekdal’schen Existenz aufzuklären. Hjalmar Ekdal muss erfahren, dass der vermeintliche Gönner der Familie nicht nur seinen Vater ins Gefängnis schickte, sondern auch der Erzeuger der Tochter Hedvig ist.

Für Begeisterung sorgte die Inszenierung bei ihrer Premiere vor beinahe drei Jahren nicht gerade. Trotzdem klingt die Wildente nach einem soliden Theaterabend.

19.30 Uhr | 4. Januar 2011 | Deutsches Theater | Schumannstraße 13a | Berlin Mitte

 

Durch ins Theater

Die Schaubühne startet mit einer Nachmittagsvorstellung von Fräulein Julie ins neue Jahr.

Am besten schläft man gar nicht erst über Neujahrsvorsätze, sondern setzt sie gleich in die Tat um. Für alle, die 2011 ihren Fokus auf Kultur statt Party legen wollen, zeigt die Schaubühne bereits um 15 Uhr Fräulein Julie in der Fassung von Katie Mitchell und Leo Warner – und das heißt: als einen theatralischen Live-Film sehr frei nach August Strindberg.

Aus der Perspektive der Köchin erzählt das Stück die tragische Begegnung von Julie und Jean. Die selbst bestimmte adelige Julie schläft mit ihrem Bediensteten Jean. Der wiederum demütigt und manipuliert sie anschließend. Kaltblütig will er sie in den Selbstmord treiben. Denn Jean träumt nicht nur vom sozialen Aufstieg, er ist auch mit der frommen Kristin verlobt, besagter Köchin des gräflichen Anwesens.

Schaut man in die Nachtkritik, scheiden sich die Feuilletons an der Inszenierung: Was etwa der Süddeutschen Zeitung eine gelungene „theatralische Installation“ ist,  watscht die Frankfurter Rundschau als unangemessen melancholisch ab. Auf jeden Fall ist Fräulein Julie ein medialer Grenzgang – und somit ein guter Neujahrskompromiss zum Kater-Fernsehnachmittag.

Und für diejenigen, die auf ihren Schlaf nicht verzichten wollen, bleibt immer noch die Abendvorstellung.

15 Uhr | o1. Januar 2010 | Schaubühne | Kurfürstendamm 153 | Berlin Charlottenburg

 

Running Gag oder Zwangsneurose

© Arno Declair

Ingrid Lausund inszeniert ihr Theatersolo Der Weg zum Glück am DT.

Bernd Moss spielt in Der Weg zum Glück einen Leerläufer, der seine Beine nicht mehr kontrolliert. Daher haben sie ihn auch gegen seinen Willen auf die Bühne der Kammerspiele getragen. Dort versucht der Protagonist in einem buchstäblich rastlosen Monolog herauszufinden, was da eigentlich schief läuft in seinem Leben. Am Rande der Erschöpfung fasst er laut Ankündigung dann einen überraschenden Entschluss.

Ob der Abend tatsächlich so komisch ausfällt, wie es das DT verspricht, zeigt die Premiere. Allerdings gibt es nur noch Restkarten, daher folgender Plan: Sehr früh an der Abendkasse anstellen – und bei Pech alternativ Die Abschaffung der Arten in der Box des DT ansehen. Die bizarre Theateradaption von Dietmar Daths gleichnamigen Roman ist nämlich unbedingt sehenswert!

20 Uhr | 30. Dezember 2010 | Kammerspiele des DT | Schumannstraße 13a | Berlin Mitte

 

Alltäglicher Wahnsinn

Das Deutsche Theater präsentiert die durchaus unterhaltsamen Diebe.

Das Episodenstück von Dea Loher lässt zwölf traurige Gestalten in den unterschiedlichsten Konstellationen aufeinandertreffen. Sie alle hadern mit ihrem Schicksal und – ob sie um ihre Existenz bangen, anstehende Veränderungen fürchten oder an der Einsamkeit zerbrechen – stehen irgendwie am Abgrund.

Der Versicherungsmakler Finn ist seines Lebens überdrüssig, während seine Schwester von einem Naturschutzgebiet phantasiert und ihr Vater sich nur ganz normal unterhalten möchte. Josef kämpft für sein ungeborenes Kind, das Freundin Mira auf keinen Fall bekommen möchte. Beim Ehepaar Schmidt stürzt ein Eindringling das penibel geregelte Leben ins Chaos, um nur einige Beispiele zu nennen.

Während die einen resignieren, steigern sich die anderen in Hysterie. Entsprechend sind die Begegnungen manchmal anrührend, meistens aber komisch. Jedenfalls unterhält die Inszenierung von Andreas Kriegenburg streckenweise ziemlich gut. Nur nerven die überdrehten Figuren nach einiger Zeit und machen aus der laut Tagesspiegel „abgründigen Untiefenhandlung“ eine Geduldsprobe.

18 Uhr | 25. Dezember 2010 | Deutsches Theater | Schumannstraße 13a | Berlin Mitte

 

Theater auf Fernsehniveau

Roger Vontobel inszeniert Arthur Millers Broadway Stück Alle meine Söhne mit mäßigem Erfolg. Unspannend wie ein Vorabendfilm lautet das Urteil der Kritiker.

Vontobel reduziert Millers Broadway Erfolg von 1947 zu einer blutleeren Familienaufstellung. Der Besuch der zukünftigen Schwiegertochter bringt die Rollrasenidylle der Familie Keller zum Bröckeln. Die Verlobte war zuvor nämlich nicht nur mit dem älteren, nun im Krieg vermissten Sohn zusammen. Sie ist überdies die Tochter vom inhaftierten Geschäftspartner des Vaters. Ihre gemeinsame Firma hatte defektes Material an die Air Force geliefert. Die Situation eskaliert.

Liest man sich durch die Nachtkritik, fällt eben diese Eskalation reichlich seicht aus. Die Süddeutsche Zeitung schmäht die „glatte Fernsehfilm-Dramaturgie“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung findet zudem die Live-Übertragung der „Deklamationsmonotonie“ unglücklich. Und während beim Tagesspiegel nur der „Eindruck leicht kitschiger Fernsehdramatik von gestern“ bleibt, reicht es für die Berliner Morgenpost immerhin noch zu einem Vorstadtkrimi.

Die Vorzüge gegenüber einem Fernsehabend auf der Couch? 1. Keine Werbung, 2. Niemand redet rein, 3. Gutes Training für das Weihnachtsessen.

20 Uhr | 21. Dezember 2010 | Kammerspiele des Deutschen Theater | Schumannstraße 13a | Berlin Mitte

 

Abgründe eines Nerds

© Clemens Schick

Clemens Schick spielt Windows. Oder: Müssen wir uns Bill Gates als einen glücklichen Menschen vorstellen?

War da was? Wer keine Lust auf Festprogramme oder die zigste Weihnachtsfeier hat, findet im Theater-Solo mit Clemens Schick eine gute Alternative. Windows von Mathias Greffrath geht mittlerweile ins dritte Jahr.

Das Stück blickt in die Seele von Bill Gates, der es mit Microsoft vom Nerd zum Superphilantropen gebracht hat. Schick denkt sich dafür in den Programmierer hinein, den Kontrollzwang, Größenwahn und Genie zu einem der reichsten und polarisierendsten Männer der Welt gemacht haben. Und das klingt herrlich bissig.

20 Uhr | 20. Dezember 2010 | Sophiensaele | Sophienstraße 18 | Berlin Mitte

 

Weihnachten am Deutschen Theater

© Arno Declair

Dimiter Gotscheff inszeniert Der Mann ohne Vergangenheit von Filmregisseur Aki Kaurismäki.

2002 präsentierte der finnische Regisseur Kaurismäki bei den Filmfestspielen in Cannes die Geschichte eines Mannes, den ein Überfall aus seinem vertrauten Leben reisst. Als der Verletzte zu sich kommt, besitzt er sich nicht einmal mehr eine Identität. Von der Gesellschaft ausgeschlossen, kämpft er um seine Existenz. Dabei trifft er nicht nur auf gutherzige Menschen, sondern verliebt auch in die Heilsarmistin Irma. Ach ja, und selbst in ihrem Elend gesteht Kaurismäki seinen Verlierern einen selbstverständlichen Glamour zu. Die Jury hat den Film dafür mit dem Grand Prix ausgezeichnet.

Den sozialen Absturz als Chance auf ein zweites, wahrhaftigeres Leben inszeniert Regisseur Dimiter Gotscheff jetzt als Theaterstück. Zärtlich aber ohne falsche Sentimentalität solle es die elementaren Themen Freundschaft, Liebe und Hoffnung behandeln. So begeht man wohl Weihnachten am DT.

Jedenfalls ist der Tagesspiegel schon gespannt darauf, wie „Gotscheff und seine hochintelligente Schauspielerriege“ die Kaurismäkische Lakonie auf die Bühne bringen. Und für die Vorstellung am Samstag gibt es noch Karten.

19.30 Uhr | 18. Dezember 2010 | Deutsches Theater | Schumannstraße 13a | Berlin Mitte

 

Jean-Luc zum Geburtstag

Die Volksbühne feiert Godard’s Achtzigsten mit einer Nacht voller Veranstaltungen.

Der Regisseur Dimiter Gotscheff und der Künstler Mark Lammert inszenieren Die Chinesin, basierend auf Godards gleichnamigen Werk von 1967. Klaus Theweleit eröffnet den Festakt zu Ehren Godards. Der Kabarettabend Waiting for Godard präsentiert Fundstücke aus verschieden Werken des Regisseurs, während im Roten Godard Salon Filme laufen, die wiederum Godard beeinflusst haben. Die Performance Eins zu Eins probiert ein Reenactment von seinem Rolling-Stones-Film One Plus One. Und am Ende treffen sich alle zum Godard Club im Roten SalonEin strammes Programm!

19. 30 Uhr | 3. Dezember 2010 | Volksbühne | Linienstraße 227 | Berlin Mitte