Lesezeichen
 

Die Aschenbrödel-Wirtschaft: Wohlstand ohne Wachstum

Es ist ein Thema, das die Menschen offenbar bewegt: Der Saal der Grünen-nahen Böll-Stiftung in Berlin platze diese Woche bei der Präsentation des Buches  „Wohlstand ohne Wachstum – Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt“ aus allen Nähten.

Tim Jackson, Copyright: Sustainable Development Commission
Tim Jackson, Copyright: Sustainable Development Commission

Autor des Buches ist der britische Wirtschaftswissenschaftler Tim Jackson, Professor für Nachhaltige Entwicklung an der Universität Surrey.

Brauchen wir wirklich Wachstum, um Wohlstand zu erfahren? Jedes Quartal aufs Neue Wachstumsprognosen, noch mehr BIP-Prognosen? Jackson plädiert in seinem Buch, das jetzt erstmals auf Deutsch erschienen ist, für einen neuen Wohlstandsbegriff, der weniger auf materiellem Wohlstand beruht, sondern eher darauf, ein sinnerfülltes Leben zu führen – und zwar nicht zu Lasten der Umwelt.

Kaum überraschend, dass Jackson daher viel Zeit damit verbringt, an den Grundfesten unseres heutigen Wirtschaftssystems zu ruckeln. Es sind bekannte Streitpunkte, etwa die fehlende Aussagekraft des Wachstumsindikators Bruttoinlandsprodukt (BIP), der noch nicht einmal Effekte wie Umweltverschmutzung oder einfachste Dienstleistungen wie Hausarbeit betrachtet.

Es sind aber vor allem auch provokante Gedanken. Mit vielen Daten widerlegt etwa Jackson gekonnt den „Mythos Entkopplung“, den ja auch gerne deutsche Umweltpolitiker immer wieder beschwören. Er besagt, dass sich die Wirtschaftsleistung durch effizientes Wirtschaften vom Ressourcenverbrauch unabhängig machen kann. Auf den ersten Blick mag das stimmen, die globale Energieintensität sei etwa heute 33 Prozent niedriger als noch 1970, so Jackson. Betrachte man jedoch absolute Werte, dann falle auf, dass etwa die globalen CO2-Emissionen heute um fast 40 Prozent höher seien, als noch 1990. Jacksons Buch ist daher vor allem auch eine Konsumkritik.

Was aber wäre ein Wirtschaften, das nicht zu Lasten unserer Lebensgrundlagen und des Klimas geht? Jackson hat dafür den Begriff der Aschenbrödel-Wirtschaft geprägt („Cinderella-Economy“). Lokale Firmen, kommunale Energieprojekte, Bauernmärkte, Slow-Food-Genossenschaften, Büchereien. Noch fallen solche Projekte kaum ins Gewicht. Aber glaubt man Jackson, sind sie die Keime für ein neues, ressourcenschonenderes und umweltverträglicheres Wirtschaftssystem, das uns alle glücklicher machen könnte.

Ein spannendes Buch, das genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. Denn spätestens seit der Finanzkrise – und vielleicht jetzt noch mehr nach dem AKW-Desaster in Japan – fragen sich viele Menschen, ob unsere derzeitige Art zu Wirtschaften die richtige ist.

Jetzt ist die Politik gefragt, Jackson entlässt sie nicht aus der Verantwortung. Denn sporadische Verzichts- und Entsagungsübungen des Einzelnen bringen nichts. Die Politik müsse die strukturellen Wachstumszwänge aufbrechen, fordert Jackson. Na, wie gut, dass alle Mitglieder der neuen Bundestags-Enquete-Komission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der sozialen Marktwirtschaft“ Jacksons Buch erhalten haben.

Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum – Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt, oekom Verlag München, 19,95 Euro

 

Süddeutsche: Die Energie-Lüge

Patrick Illinger hat mir in seinem Leitartikel in der gestrigen Süddeutschen aus dem Herzen gesprochen. Überschrift: Die Energie-Lüge

„Wer seriös über Energie reden will, muss anerkennen, dass die wahren Kosten des globalen Energiehungers nie auf Stromrechnungen erscheinen, sondern von der Gemeinschaft getragen werden. Das ist nicht nur der Fall, wenn eine Ölplattform wie im Golf von Mexiko abbrennt oder ein Kernkraftwerk wie in Japan explodiert.

Energieverbrauch erzeugt ständig Kosten, die auf unterschiedlichste Weise beglichen werden müssen, oft auch mit Menschenleben. Hunderttausende Chinesen sterben jährlich an der Luftverschmutzung. Vor allem aber, und das ist die abscheulichste Art, die Kollateral-Kosten des heutigen Energiehungers zu verschleiern, werden Erblasten aufgehäuft: verbrauchte Ressourcen, verstrahlte Endlager, eine mehrere Grad wärmere Erdatmosphäre.

 

Alles fließt – bloß wohin?

Nun gut, es ist nicht gerade ein Rekordergebnis. Gut 1000 Bürgerinnen und Bürger nahmen am ersten Bürgerdialog der Kanzlerin im Internet teil. Angesichts von lautstarker Werbung im Kino und auf Youtube, war die Mitmachquote des zweimonatigen Dialogs von September bis Mitte November mager.

„Wohin soll die Nation in puncto Nachhaltigkeit steuern?“ lautete das Thema. 27.000 Besuche verzeichnete der Seitenzähler. Erreicht wurde vor allem die eloquente, gebildete Schicht ab 36 Jahren, die sich selbstbewusst zu Wort meldete und über grüne Wirtschaft und grünen Lebensstil diskutierte. Top-Thema mit über 260 Beiträgen war der Klimaschutz, das bedeutsame Thema Wasser tröpfelte mit 70 Beiträgen eher dahin. Das lag allerdings auch daran, dass die Seite unübersichtlich war und viele Themen nicht besonders prominent präsentiert wurden.

Das größte Manko ist allerdings: Niemand weiß so genau, was jetzt mit dem Beitrag der Bürger passiert. Es heißt, alles werde an die zuständigen Ministerien „weitergeleitet“ und „fließe“ in einen Fortschrittsbericht ein. Ungeordnet? Ohne klare Voten herauszuarbeiten?

Das klingt eben doch genau so autistisch, wie viele Bürger die Regierung empfinden. Zumindest bleibt der Eindruck, das Angela Merkel das Wissen der Bürger nicht für wirklich wichtig hält. Zweifellos müssen offene Dialoge, wie sie sie führen will, dringend erprobt werden, wenn die zerrüttete Beziehung zwischen Bürgern und Politik gekittet werden soll. Wer aber mehr Bürger für E-Konsultationen hinter dem Ofen hervorlocken will, muss in Zukunft ein attraktiveres Angebot machen. Schön gewesen wäre beispielsweise die Aussicht an einzelnen Kapiteln mit schreiben zu können.

Leider blieb die Kanzlerin auch noch stumm. Dabei hatte sie sich zum Auftakt noch tapfer via Podcast zu Wort gemeldet. So ein Online-Dialog ist aber eben keine Einbahnstraße. Besser machte das Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Am Ende seiner E-Konsultation zur Netzpolitik stellte er Anfang Dezember eine Videobotschaft ein. Das wirkte noch ungelenk, zeigt aber, dass er die Stimmen von außen ernst nimmt.

Feedback – das könnte Angela Merkel doch auch mal versuchen. Eigentlich gleicht es politischem Harakiri, erst einen Dialog anzubieten und dann nur die Achseln zu zucken.

 

Sotheby´s versteigert Gemüseschätze

Copyright: Sotheby´s

Sotheby´s goes local: Heute nachmittag  lädt das Auktionshaus in New York zur ersten „Art of Farming“ ein. Es versteigert  vergessene Schätze von Gemüse- und Obstsorten, die kaum noch angebaut werden und längst von industriell gezüchteten Sorten verdrängt wurden. Für 1000 US-Dollar können Teilnehmer eine Kiste mit seltenen Auberginen, Kürbisse, Tomaten oder Möhren erstehen (keine Bange, alles frisch). Auch im Angebot: Eine Führung mit Bienenzüchtern durch New York, ein Biomarktbesuch mit einem Chefkoch und selbst gekochtem Dinner und eine Gartenberatung.

Die Erlöse des Events sollen dem GrowNYC New Farmers Development Project zugute kommen. Das Projekt unterstützt gezielt Immigranten, sich als Bio-Landwirte selbstständig zu machen, damit ihr Wissen über alte Kultursorten und Anbaumethoden nicht verloren geht.

Das Wall Street Journal spricht bereits von einem Höhepunkt des „locavorism“ – dem Trend, vor allem regional produzierte Produkte zu kaufen. Nun gut, irgendein Trend steckt bestimmt dahinter – und den hat auch Sotheby´s erkannt. Sicherlich werden die Kunst- und Geldspezialisten nicht als ganz normale Bio-Gemüsehändler enden – dafür ist die Klientel, die sich von solchen Veranstaltungen angesprochen fühlt, wohl zu ausgewählt. Aber löblich ist es auf jeden Fall, mit der „Art of Farming“ die Aufmerkamkeit mal wieder auf die eigene Nachbarschaft und das eigene Gemüsebeet zu lenken.

 

Ein radikales Plädoyer für Verzicht

Der Oldenburger Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech plädiert im aktuellen Le monde diplomatique für eine neue Verzichtskultur. Klug argumentiert. Seine wichtigste These: „Nachhaltiges Wachstum“ hält er für Quatsch und absolutes Greenwashing. Das erklärt er an den Beispielen Passivhäuser und Carsharing – zwei immer wieder genannte Paradebeispiele für gutes Wirtschaftswachstum.

„Nachhaltiges Carsharing würde erfordern, dass Pkw-Besitzer ihr Fahrzeug ausrangieren, um zu Nutzern einer Dienstleistung zu werden. Unterm Strich muss sowohl die Autoproduktion als auch die Zahl der gefahrenen Kilometer sinken, um einen positiven Umwelteffekt zu haben. Wie aber soll dann das Bruttoinlandsprodukt wachsen?

Für die Bauwirtschaft würde das heißen, dass für jedes zusätzliche Passivhaus ein weniger energieeffizientes Haus abzureißen wäre. Andernfalls nähme lediglich die zu beheizende Wohnfläche zu. Doch selbst wenn ein solcher Austausch des Gebäudebestands gelingen würde, stünde dem verminderten Wachstum an neuen Gebäuden eine Zunahme an Entsorgungsfällen gegenüber. Wohin aber mit der ausrangierten Materie in einer immer engeren Welt? Wie viel Energie wäre nötig, um Materie verschwinden zu lassen oder einer Wiederverwertung zuzuführen, zumal viele der Abfälle gar nicht kreislauffähig sind?

Paechs Lösung des Dilemmas ist radikal, er setzt auf De-Industrialisierung:

„Der zweite Schritt bestünde in einer Reaktivierung nichtkommerzieller Versorgung: Eigenarbeit, handwerkliche Fähigkeiten, (urbane) Subsistenz, Community-Gärten, Tauschringe, Netzwerke der Nachbarschaftshilfe, Verschenkmärkte, gemeinschaftliche Nutzung von Geräten sowie regionale Kreisläufe auf Basis zinslos umlaufgesicherter Komplementärwährungen würden zu einer graduellen Deglobalisierung verhelfen.“

Und? Wäre das eine Welt, in der Sie sich vorstellen könnten zu leben? Ohne neues Auto und ipad?

 

Ikea will nicht auf dem Sperrmüll landen

Auf den ersten Blick gleicht es doch einer Kannibalisierung: Ikea Schweden steigt in das Geschäft mit gebrauchten Billy-Regalen und anderen Ikea-Möbeln ein, berichtet das Times Magazin. Auf der schwedischen Ikea-Seite soll es jetzt einen Link zu einer Gebrauchtmöbel-Plattform geben, die nur Ikea-Möbel vertickt (den Link hätte ich echt gerne hier gepostet, aber das machen meine Schwedisch-Kenntnisse leider nicht mit – Hilfe willkommen!). Für Ikea ist es – so die offizielle Interpretation – ein weiterer Schritt, sich als  nachhaltiger und umweltfreundlicher Möbelgigant zu positionieren. Für Kritiker ist es nur eine andere Variante, sich Marktanteile zu sichern – dann eben auch im Geschäft mit Gebrauchtmöbel. So oder so: Solange Ikea hilft, den Sperrmüll zu reduzieren, sei es mir willkommen.

Update 9.9.2010: Und Ikea steigt jetzt sogar ins Geschäft mit Windpark ein, berichtet Focus Online.

 

Nachhaltigkeit – endlich mal anders gesehen

Copyright: Allora & Calzadilla

Und? Ging es Ihnen genauso? Auf den ersten Blick habe ich flüchtig eine Mann im Boot gesehen – erst  auf den zweiten Blick ist es ein Tisch, genauer: ein Verhandlungstisch. Mit ihrem Beitrag “Under Discussion“ veweisen die zwei Künstler Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla auf die scheinbare Idylle auf der Karibik-Insel Viecques, ein Ort, der von der US-Marine zu Übungszwecken 60 Jahre lang beschossen wurde. Ihre Arbeiten sind Teil der Ausstellung „Zur Nachahmung empfohlen – Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit“, die diese Woche in Berlin-Wedding eröffnet wird. Für alle, die einmal einen anderen Blick auf unsere Welt werfen wollen. Und für Fans der Aktivistengruppe „Yes Man“, die ebenfalls dort ausstellen.

 

Banken nehmen Umweltsünder an die Zügel

Aus den USA schwappen ja immer wieder Trends zu uns herüber. Toll wäre, wenn es folgende Entwicklung auch schafft: Die New York Times berichtet, dass Banken bei ihrer Kreditvergabe immer stärker auch auf Umweltrisiken achten. Credit Suisse, Morgan Stanley, JPMorgan Chase, Bank of America and Citibank seien die ersten, die inzwischen etwa umstrittene Kohleabbau-Projekte nur noch zögerlich finanzierten. Allerdings legt Autor Tom Zeller auch den Finger in die Wunde: Irgendwo und -wie können sich die Unternehmen doch noch immer eine Finanzierung besorgen:

„… there is no indication that companies engaged in the objectionable practices cannot find financing elsewhere.

 

Wie öko sind Wal-Mart und Google?

…hier flott ein lesenswerter Artikel auf „environment360“ von der Yale University, welche Ambitionen Großkonzerne wie Wal-Mart oder Google im Bereich Nachhaltigkeit haben. Und welche Möglichkeiten Verbraucher inzwischen haben, sich über die ökologischen Fußabdrücke von Produkten zu informieren. In Deutschland gibt es ja auch schon erste Initiativen.